Die Kreislaufwirtschaft steht als zentrales Modell für eine nachhaltige Zukunft. Ihr Gelingen hängt jedoch maßgeblich von der Qualität, Transparenz und Integrität der Daten ab, mit denen Materialströme gemessen, Prozesse optimiert und Erfolge quantifiziert werden.
In diesen Datenraum drängt mit der Künstlichen Intelligenz (KI) nun eine ambivalente Technologie. Neue Möglichkeiten der Prozessoptimierung – von KI-gestützten Designs bis zur Mustererkennung in Sortierungen und Trackingaktivitäten – sorgen durchaus berechtigt für industrieübergreifende Begeisterung und versprechen eine beschleunigte Adaption von zirkulären Prinzipien.
Allerdings ist die Rolle der KI für die Kreislaufwirtschaft, unabhängig von den direkten Umweltbelastungen, die sie verursacht, komplexer und kritischer zu betrachten. Denn während das Potenzial für Innovation und höhere Effizienz enorm ist, birgt insbesondere KI-gesteuerte Datenmanipulation die Gefahr, das Vertrauen in das gesamte System zu untergraben und eine perfekte, aber fiktive Kreislaufwirtschaft zu simulieren.
Synthetische Daten: Lösung für Datenknappheit und Datenschutzprobleme
Diese Gefahr zeigt sich besonders in der Erzeugung und dem Missbrauch von sogenannten „synthetischen“ Daten. Es handelt sich dabei um künstlich generierte Datensätze, die durch komplexe KI-Algorithmen erzeugt werden, mit dem expliziten Ziel, die statistischen Eigenschaften und Muster eines authentischen Originaldatensatzes nachzuahmen. Der entscheidende Unterschied: Synthetische Daten enthalten keine unmittelbaren Bezüge zu realen Ereignissen oder Personen.
Die gängigste Methode zur Erzeugung solcher Daten sind Generative Adversarial Networks (GANs). Dieses System besteht aus zwei neuronalen Netzen, die in einem fortwährenden Wettstreit (daher „adversarial”) stehen: Der Generator erschafft aus dem Nichts synthetische Datenbeispiele. Der Diskriminator erhält abwechselnd diese künstlichen und echte Daten und muss unterscheiden, was real und was falsch ist. Mit jeder Runde lernt der Generator, den Diskriminator besser zu täuschen, und der Diskriminator wird schwieriger zu überlisten. Das Ergebnis ist eine stetige Verbesserung der Qualität der synthetischen Daten, bis sie von echten Daten kaum noch zu unterscheiden sind.
Die Vorteile liegen auf der Hand: Datenschutz und Skalierbarkeit. In Bereichen wie beispielsweise der medizinischen Forschung ermöglichen synthetische Daten das Trainieren von KI-Modellen ohne die Nutzung höchst sensibler personenbezogener Daten, was die Einhaltung von Vorschriften wie der Europäischen Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) erheblich erleichtert. Auch in der Kreislaufwirtschaft ist Datenschutz ein relevanter Teilaspekt. Aus scheinbar harmlosen Daten wie Zählerständen oder Abfallentsorgungsmustern, die beim Tracking von Ressourcenströmen erfasst werden, könnten sensible personenbezogene Informationen wie Tagesabläufe, Gesundheitszustände und Haushaltszusammensetzungen abgeleitet werden. Diese Datenbestände sind anfällig für zahlreiche Verstöße, nicht zuletzt für unbefugtes kommerzielles Profiling.
Die EU-Kommission erkennt dieses Potenzial in ihrer Datenstrategie explizit an und fördert die Entwicklung für sichere Innovationsräume, in denen synthetische Daten datenschutzkonform als Trainingsgrundlage für KI-Anwendungen genutzt werden können. Synthetische Daten lösen zudem das Problem der Datenknappheit, da nahezu unbegrenzte Mengen an Trainingsdaten generiert werden können – selbst für seltene Ereignisse oder Szenarien.
KI-gestütztes Greenwashing
Doch genau diese Stärke – die Erschaffung einer perfekt kontrollierbaren, statistisch plausiblen Realität – kann in einem kontextfreien oder böswilligen Einsatz zur fundamentalen Schwäche werden. Die Kreislaufwirtschaft lebt von verbindlichen, ehrlichen Kennzahlen: Recyclingquoten, Reduktionsziele für Abfall, Effizienz von Sortieranlagen, Lebensdauer von Produkten und Transparenz von Lieferketten. Diese Kennzahlen sind die Währung, mit der Politik gestaltet, Investitionen gelenkt, Verbrauchervertrauen gewonnen und regulatorische Compliance nachgewiesen wird.
Hier besteht aber auch erhebliche Manipulationsgefahr. Ein KI-Algorithmus kann trainiert oder angewiesen werden, nicht einfach nur einen realen Datensatz zu replizieren, sondern ihn gezielt zu verzerren (Bias). Ein Unternehmen, das unter Druck steht, bspw. hohe Recyclingquoten zu erreichen, könnte ein Modell mit Daten füttern, die nur die effizientesten Prozessschritte oder die besten Chargen von Materialien beinhalten. Das daraus generierte synthetische Datenmodell würde dann eine Welt simulieren, in der diese idealen Bedingungen immer herrschen. Es produziert Daten, die eine nahezu perfekte Kreislaufführung vorgaukeln – eine sogenannte „Überanpassung” (Overfitting) an das gewünschte Ergebnis – und nicht an das reale.
Diese Praxis ist die technologische Eskalation des klassischen Greenwashings. Während herkömmliches Greenwashing oft nur vage, nicht belegbare Behauptungen in der Marketingsprache aufstellt, liefert KI-gestütztes Greenwashing nun präzise, komplexe und auf den ersten Blick überzeugende Datensätze, die eine nicht existierende Nachhaltigkeitsperformance belegen sollen.
Die Täuschung ist nicht nur viel subtiler, sondern auch viel weitreichender: Eine Kommune oder ein Entsorgungsunternehmen könnte synthetische Daten generieren, die eine Recyclingquote von 80% für Kunststoffe ausweisen, obwohl in Wirklichkeit aufgrund von Verunreinigungen oder technischen Problemen nur 50% erreicht werden. Die synthetischen Daten würden die „Ausschussraten” einfach wegrechnen oder die Effizienz der Sortieranlagen künstlich erhöht darstellen. Dies dient direkt der Erfüllung gesetzlicher Vorgaben wie der EU-Verpackungsrichtlinie (94/62/EG), die ambitionierte Recyclingquoten vorschreibt, ohne dass eine lückenlose, fälschungssichere Überwachung tatsächlich existiert.
Für das Funktionieren einer echten Kreislaufwirtschaft ist ein liquider Markt für Rezyklate essenziell. Synthetische Daten könnten hier verwendet werden, um hohe Handelsvolumen, stabile Preise und eine hohe Nachfrage nach recycelten Materialien zu simulieren. Dies könnte Investoren dazu verleiten, in nicht rentable Recyclinganlagen zu investieren, oder die Politik davon abhalten, korrigierende Maßnahmen zu ergreifen, weil die Daten ja „belegen”, dass der Markt bereits perfekt funktioniert.
Datenintegrität als Schlüssel für erfolgreiche Governance
Die Folgen eines solchen datenbasierten Betrugs wären systemisch und langfristig. Kapital fließt in ineffiziente oder gar nicht existierende Kreislaufsysteme, anstatt in echte Innovationen und Verbesserungen der physischen Infrastruktur. Ganze Regulierungen könnten auf Basis einer fiktiven Datenlage erlassen oder evaluiert werden und so zu einem stillen Scheitern der gesamten lokalen, nationalen und globalen Kreislaufwirtschaftsstrategie führen. Das größte Opfer wäre jedoch das Vertrauen: Skandale um manipulierte Umweltdaten würden das Vertrauen von Verbrauchern, Investoren und der Zivilgesellschaft in das Konzept der Kreislaufwirtschaft als Ganzes langfristig erschüttern – wobei fraglich ist, inwiefern das verlorene Vertrauen zurückgewonnen werden kann.
Die ambivalente Natur synthetischer Daten stellt die Kreislaufwirtschaft vor eine fundamentale Bewährungsprobe. Einerseits bieten sie unbestreitbare Chancen für Innovation und Datenschutz. Andererseits ermöglichen sie Greenwashing und Betrug mit einer Präzision und Glaubwürdigkeit, die bisher unmöglich war.
Die eigentliche Frage ist aber nicht technologischer, sondern governance-technischer Natur. Der Erfolg der Kreislaufwirtschaft wird künftig weniger vom technologischen Fortschritt abhängen als vielmehr von der Fähigkeit der Gesellschaft, robuste Rahmenwerke für Datenintegrität, lückenlose Transparenz und unabhängige Verifizierung zu etablieren. Nur wenn sichergestellt ist, dass digitale Anwendungen der Kreislaufwirtschaft klar reguliert sind, kann dieses zentrale Zukunftsmodell sein volles und vor allem reales Potenzial entfalten. Die größte Herausforderung einer technologisierten Kreislaufwirtschaft wird es sein, Vertrauen als wertvollste Ressource zu bewahren.
Zur Autorin:
Nicole Stein ist Tech Entrepreneurin und Forscherin mit den Schwerpunkten Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Sie promovierte in Wirtschaftswissenschaften mit Schwerpunkt auf Konsumentenverhalten in der Kreislauftwirtschaft an der Bergischen Universität Wuppertal und setzt ihre praxis-orientierte Forschung als Research Associate am Innovation Industrial Ecology Research Lab der Universität Tel Aviv fort.