Unsere Gesellschaft befindet sich inmitten eines tiefgreifenden Transformationsprozesses. Im Zentrum steht die Wirtschaft – und die Suche nach Wegen zur Nachhaltigkeit. Die nächsten Jahre werden entscheiden, inwiefern dieser Wandel by disaster geschieht oder uns by design gelingt.
Die Debattenreihe #econ4future widmet sich den damit verbundenen ökonomischen Herausforderungen und diskutiert mögliche Lösungsansätze. Die Beiträge analysieren Engführungen in den Wirtschaftswissenschaften und Leerstellen in der aktuellen Wirtschaftspolitik. Zugleich zeigen sie Orientierungspunkte für ein zukunftsfähiges Wirtschaften auf und geben Impulse für eine plurale Ökonomik, die sozial-ökologische Notwendigkeiten ernst nimmt.
Die Kooperation mit Economists for Future e.V. begann im September 2019. Seitdem erscheint jährlich eine neue Staffel mit wechselnden Themenschwerpunkten. Die siebte Ausgabe widmet sich der Frage, wie sich soziale Sicherheit im Spannungsfeld von Klimakrise und wirtschaftlicher Transformation neu denken lässt. Was braucht es aus ökonomischer Perspektive, um sozialer Spaltung sowie dem Erstarken autoritär-nationalistischer Tendenzen entgegenzuwirken? Und wie können Wohlfahrtsstaat, Eigentumsverhältnisse, Versorgungssysteme und Institutionen so gestaltet werden, dass demokratischer Zusammenhalt, ökologische Stabilität und ökonomische Resilienz gestärkt werden?
Alle bisher erschienenen Beiträge der Economists for Future-Reihe finden Sie hier.
Klimawandel und Einkommensungleichheit gehören zu den großen Herausforderungen unserer Zeit – werden jedoch oft getrennt voneinander diskutiert. Der aktuelle klimapolitische Diskurs konzentriert sich meist auf die Reduktion von Emissionen, wogegen in der Sozialpolitik die Verteilungsgerechtigkeit im Vordergrund steht. Eine nachhaltige Transformation gelingt jedoch nur, wenn beide Ziele verfolgt werden. Dabei sollten politische Maßnahmen berücksichtigen, wie ökologische und soziale Dynamiken ineinandergreifen, etwa wenn Klimaschutz neue Ungleichheiten schafft oder soziale Reformen den Energieverbrauch beeinflussen. So besteht auch ein Gestaltungsspielraum, der positive Wechselwirkungen ermöglicht.
Die Art und Weise, wie wir Nachhaltigkeit messen, leitet die Politikempfehlungen. Es gibt derzeit zwei gängige Herangehensweisen: Entweder werden die Ziele statistisch getrennt und damit unabhängig voneinander analysiert, oder die Nachhaltigkeitsindikatoren werden zu Indizes zusammengefasst. Dadurch werden komplexe Zusammenhänge zwar vergleichbar und leicht kommunizierbar, die gegenseitigen Abhängigkeiten zwischen diesen Nachhaltigkeitsdimensionen jedoch verdeckt. Eine solche Reduktion läuft Gefahr, das Problem falsch zu spezifizieren und dadurch ineffektive oder fehlgeleitete Politiken nach sich zu ziehen. Um eine nachhaltige Zukunft gestalten zu können, braucht es daher Zielgrößen, die soziale und ökologische Ziele gemeinsam abbilden, sowie statistische Modelle, die dieses Zusammenspiel sichtbar machen.
Multidimensionale Zielgrößen für Nachhaltigkeit
Auch wenn Nachhaltigkeit längst ein politisches Leitbild ist, bleibt sie ohne klare, messbare Grenzen vage. Nur wenn wir wissen, wo die sozialen und ökologischen Schwellen liegen, können wir erkennen, ob sich eine Gesellschaft innerhalb eines nachhaltigen Rahmens bewegt, und entsprechende politische Maßnahmen gestalten.
Für ökologische Belastungsgrenzen – etwa beim CO₂-Ausstoß – existieren mittlerweile etablierte wissenschaftliche Ansätze. Anders sieht es bei den sozialen Dimensionen aus. Zum Beispiel lässt sich Einkommensungleichheit als zentrale Kenngröße für soziale Nachhaltigkeit nutzen, da sie unter anderem mit dem Demokratiegrad, der Gesundheit und dem gesellschaftlichen Zusammenhalt zusammenhängt. Es gibt jedoch keine belegte Größe, die ein sozial akzeptables Maß an Einkommensungleichheit definiert. Bislang beruhen Schwellenwerte für Einkommensungleichheit meist auf (wohlüberlegten) Vermutungen statt auf belastbaren Daten.
Aus diesem Grund definieren wir, basierend auf einem internationalen Datensatz, einen GINI-Grenzwert von 25,7%. Dieser ergibt sich aus dem unteren Quantil der GINI-Verteilung jener Länder, die den höchsten Demokratiegrad aufweisen. Dieser Grenzwert für Einkommensungleichheit ist damit realistisch und steht mit politischer Stabilität im Zusammenhang. Jedoch ist auch unser Maß nur eine erste empirische Annäherung, die auf die Notwendigkeit fundierter Studien hinweist. In Kombination mit dem maximalen CO₂-Ausstoß, der zur Erreichung des 1,5-Grad-Ziels erforderlich ist, ergibt sich ein Bereich, in dem potenziell soziale Gerechtigkeit und ökologische Tragfähigkeit gleichzeitig erfüllt sind.
Die Definition eines nachhaltigen Bereichs anhand zweier Kenngrößen beschreibt eine zweidimensionale Zielgröße, die keine Indexbildung erfordert. Durch die Analyse der gemeinsamen Verteilung, also der Frage, wie CO₂-Ausstoß und Einkommensungleichheit statistisch miteinander variieren, lässt sich ihr Zusammenhang direkt erfassen. Die jeweiligen Messgrößen bleiben dabei erhalten, ohne auf eine gemeinsame Kennzahl zusammengefasst zu werden. Methodisch lassen sich solche Beziehungen bislang vor allem zwischen zwei Dimensionen abbilden. Das ist ein wichtiger Fortschritt gegenüber eindimensionalen Analysen, bietet aber auch die Möglichkeit, statistische Modelle für komplexere Zusammenhänge zu entwickeln.
Die Ergebnisse zeigen, dass zwar einige Länder in einzelnen Dimensionen nachhaltige Werte erreichen – sich jedoch kein Land derzeit im von uns definierten potenziell nachhaltigen Bereich befindet. Meist wird einer der Schwellenwerte überschritten, häufig sogar beide. Auf Basis dieser bidimensionalen Zielgröße lassen sich Transformationspfade identifizieren, die zeigen, wie sich Länder in Richtung eines sozial und ökologisch nachhaltigen Gleichgewichts entwickeln können.
Die Grenzen des Durchschnitts und der Mehrwert von Verteilungsmodellen
Die bisherige Literatur liefert sehr unterschiedliche theoretische und empirische Erklärungen für den Zusammenhang zwischen Einkommensungleichheit und Emissionen. Einige Studien finden positive Zusammenhänge, sprich Synergien, in denen geringere Ungleichheit auch geringere Emissionen bedeutet. Diese können beispielsweise durch politische Handlungsspielräume von Eliten oder durch Nachahmungseffekte entstehen. Andere zeigen negative Zusammenhänge, sogenannte Trade-offs, bei denen mehr Gleichheit mit höheren Emissionen einhergeht. So kann etwa eine stärkere Umverteilung die Kaufkraft einkommensschwacher Haushalte erhöhen und dadurch den Energieverbrauch insgesamt steigen lassen. Wieder andere Arbeiten deuten auf entkoppelte Entwicklungen hin, in denen soziale und ökologische Dynamiken unabhängig voneinander verlaufen (siehe Dorn et al. 2024 für eine detaillierte Diskussion).
Abgesehen von theoretischen Ansätzen stützen sich die meisten empirischen Studien auf lineare Regressionsmodelle, um den Zusammenhang zu erklären. Im Kern fragen sie: „Wie wirkt sich eine Zunahme der Ungleichheit im Durchschnitt auf die Emissionen aus?“ Solche Modelle haben den Vorteil, dass sie leicht verständliche und schnell kommunizierbare Ergebnisse liefern. Sie zeigen, ob mehr Ungleichheit tendenziell mit höheren oder niedrigeren Emissionen einhergeht. Genau darin liegt jedoch auch ihre Schwäche: Der Blick auf den Durchschnitt glättet die empirische Vielfalt. So kann in einigen Ländern mehr Gleichheit mit steigenden Emissionen einhergehen, in anderen Kontexten hingegen führt geringere Einkommensungleichheit zu niedrigeren CO2-Emissionen. Der Mittelwert verschleiert diese gegensätzlichen Dynamiken und erweckt den Eindruck eines linearen Zusammenhangs, obwohl in Wirklichkeit komplexe, kontextabhängige Beziehungen bestehen.
Der Zusammenhang zwischen Einkommensungleichheit und CO₂-Emissionen wird von einer Vielzahl von Einflussfaktoren bestimmt – etwa vom Einkommensniveau, der Struktur der Energieträger, der wirtschaftlichen Entwicklung oder dem strukturellen Wandel. Diese Mechanismen können gleichzeitig wirken und sich gegenseitig verstärken oder abschwächen. Es gibt also nicht einen eindeutigen kausalen Zusammenhang, sondern ein Netz überlagerter Wirkungsbeziehungen, das sich je nach Kontext verändert. Betrachtet man den Zusammenhang als bedingte Verteilung, entsteht ein Geflecht aus Wechselwirkungen, das sich dynamisch mit diesen Einflussgrößen verändert.
Mit Verteilungs-Copula-Modellen lassen sich solche komplexen Beziehungen modellieren. Sie erfassen die gesamte gemeinsame Verteilung unserer beiden Zielgrößen und ermöglichen so die Analyse ihrer Wechselwirkungen über die unterschiedlichen Einflussfaktoren hinweg. Dadurch wird sichtbar, dass Einkommen und Emissionen nicht proportional wachsen, sondern häufig nichtlinear miteinander verbunden sind. Der Zusammenhang zwischen Emissionen und Einkommensungleichheit kann je nach Kontext starke Synergien aufweisen, die jedoch abflachen oder sogar in Trade-offs umschlagen, sobald sich zentrale Einflussgrößen verändern.
Die Resultate einer weltweiten Studie
Für unsere Analyse haben wir Daten aus 109 Ländern zwischen 1960 und 2019 ausgewertet. Diese Ergebnisse verdeutlichen das vielschichtige Bild. In Hocheinkommensländern lässt sich im Durchschnitt kein eindeutiger Zusammenhang zwischen Ungleichheit und Emissionen erkennen. Doch dieser Durchschnitt täuscht. Denn zum Beispiel schneiden Demokratien, die einen geringen Nutzungsanteil an fossilen Energien haben, tendenziell besser ab, wenn es darum geht, Emissionen und Ungleichheit gleichzeitig zu verringern.
In Ländern mit mittlerem Einkommen hingegen zeigt sich häufig ein negativer Zusammenhang. In diesem Fall deutet dies darauf hin, dass weniger Ungleichheit mit höheren Emissionen einhergeht. Der Grund liegt oft in der starken Abhängigkeit von fossilen Energieträgern, um die wirtschaftliche Entwicklung zu ermöglichen. Mehr soziale Teilhabe bedeutet bislang auch einen höheren Energieverbrauch und damit einen höheren CO₂-Ausstoß.
In Niedrigeinkommensländern ist der Zusammenhang schwächer oder sogar umgekehrt. Viele Haushalte sind vom energieintensiven Konsum der „CO₂-Ökonomie“ ausgeschlossen, was die Dynamik zwischen Einkommen, Teilhabe und Emissionen grundlegend verändert.
Damit liefern diese Modelle kein einfaches, politisch leicht kommunizierbares Ergebnis, sondern ein komplexes, realitätsnahes Bild gesellschaftlicher Entwicklung. Gerade darin liegt aber auch ihr Mehrwert, denn sie ermöglichen differenzierte, empirisch fundierte Politikansätze, die soziale und ökologische Transformation gemeinsam denken. Auch wenn sie zunächst komplex wirken, bieten sie die Möglichkeit, die Gesellschaft in ihren Facetten besser zu repräsentieren und kontextspezifische Maßnahmen zu entwickeln. Dies kann zu Akzeptanz differenzierten Maßnahmen beitragen.
Kontextspezifische Wege zu mehr Nachhaltigkeit
Unsere Untersuchung zeigt: Es gibt nicht den einen Weg in eine nachhaltige Zukunft, sondern vielfältige Pfade mit Zielkonflikten und Synergien. Diese hängen unter anderem vom Einkommensniveau, Wirtschaftsstruktur und politischem Kontext eines Landes ab. Die Analysen einzelner Länder zeigen zudem, dass sich die Zusammenhänge selbst innerhalb der drei Ländergruppen unterscheiden und sich je nach Einflussfaktor auch innerhalb der Länder verändern können.
Auf den ersten Blick scheinen die Ergebnisse vertraut: Reiche Länder haben höhere Emissionen, ärmere geringere und mehr soziale Teilhabe geht oft mit höherem Energieverbrauch einher. Doch der eigentliche Erkenntnisgewinn liegt nicht in diesen bekannten Mustern, sondern in ihrer Differenzierung, die diese aufbrechen. Die Verteilungsregression ermöglicht so eine neue Ebene der Analyse und damit die Entwicklung von Politikempfehlungen, die die Vielfalt der Situationen einbeziehen können. So wird sichtbar, dass sich die Beziehung zwischen Ungleichheit und CO₂-Emissionen über Einkommensgruppen, politische Systeme und Energiestrukturen hinweg – aber auch innerhalb dieser Dimensionen – verändern kann.
Im Zuge unserer Analyse bedeutet das zum Beispiel in Hocheinkommensländern, zentrale Treiber wie eine sozial ausgewogene Energiewende und den Umbau des Dienstleistungssektors, insbesondere in Bereichen wie Pflege, Bildung und Soziale Arbeit, zu nutzen. In Niedrigeinkommensländern erfordert eine gerechte Entwicklung hingegen Investitionen, die ökologischen Fortschritt mit sozialer Teilhabe verbinden.
Mit solchen vielfältigen, kontextspezifischen Wegen lässt sich eine realistischere Grundlage für politische Entscheidungen schaffen. Wer soziale und ökologische Ziele wirklich zusammenbringen will, braucht Daten und Methoden, die deren Wechselwirkungen sichtbar machen und sich ändernde Situationen differenziert abbilden. Verteilungsstatistik eröffnet genau diese Perspektive: weg vom glättenden Durchschnitt hin zu einer empirisch fundierten Sicht auf gesellschaftliche Vielfalt. Das erfordert Mut und die Bereitschaft, komplexe Zusammenhänge verständlich zu vermitteln. Doch gerade dadurch kann Politik an Glaubwürdigkeit gewinnen, weil sich unterschiedliche Bevölkerungsgruppen in den Politikmaßnahmen und den intendierten Ergebnissen wiederfinden. Nur wenn wir lernen, diese Vielfalt zu messen und zu verstehen, können wir eine Wirtschaft gestalten, die ökologisch tragfähig und sozial gerecht zugleich ist.
Zu den Autorinnen:
Franziska Dorn ist Postdoktorandin am Institut für Sozioökonomie der Universität Duisburg-Essen. Sie forscht zur Messung von Lebensstandards jenseits des Mittelwerts, mit Schwerpunkt auf Zeit- und Einkommensarmut sowie auf dem Zusammenhang zwischen sozialer und ökologischer Nachhaltigkeit.
Simone Maxand ist Juniorprofessorin für Statistik an der Europa-Universität Viadrina und Faculty Member der Berlin School of Economics. Sie forscht zu statistischen Methoden und deren Anwendung im Bereich der Klimaökonomik und Nachhaltigkeit.






































