Christine Lagarde, die geschäftsführende Direktorin des Internationalen Währungsfonds (IWF) und frühere französische Finanzministerin, steht ein Prozess wegen der Vernachlässigung ihrer Aufsichtspflicht bevor. Aber das hat sie nicht davon abgehalten, für eine zweite Amtszeit zu kandidieren, was Vertreter einiger der wichtigsten IWF-Mitgliedsstaaten prompt begrüßten.
Die Bedeutung des ersten Ranges im IWF wird allerdings häufig überbewertet. Unterstützer und Kritiker des IWF neigen gleichermaßen dazu, eine Veränderung in der Führung mit der Aussicht auf organisatorische Veränderungen in Verbindung zu bringen. Der letzte Chef war Dominique Strauss-Kahn, der unter kontroversen Umständen aus dem Amt ausschied.
Aber der IWF beschäftigt mehr als 2.500 gut ausgebildete und hochbezahlte professionelle Ökonomen. Studien zeigen, dass dieses Personal, das den Maschinenraum des Schiffes füllt, mehr Einfluss auf die politischen Entscheidungen ausübt als das Management oder der Vorstand, indem die Direktoren, die die einzelnen Mitgliedsstaaten repräsentieren, das letzte Wort haben. Dennoch haben wir immer noch die fast schon angeborene Tendenz zu glauben, dass „große Frauen“ oder „große Männer“ Geschichte schreiben.
Wer den IWF anführt mag für die in der Organisation Beschäftigten eine große Rolle spielen. Aber die öffentlichen Diskussionen über das, was die Organisation tatsächlich tut, wird nicht dadurch unterstützt, dass man wie besessen auf die Karrierekurve der Top-Managerin schaut. Beispielsweise gibt es zwei viel diskutierte substanzielle Probleme, die alles andere als neu sind: Führungsschwäche und politische Fehler.
Ein europäisches Schiff in internationalen Gewässern
Bezüglich des Führungspostens weiß jeder instinktiv, dass es absurd ist, den Pool der Kandidaten durch den Ursprung ihrer Personalausweise zu begrenzen. Der IWF-Chef ist aufgrund einer ungeschriebenen Regel immer ein Europäer gewesen (fünf von elf waren Franzosen). Währenddessen wurde die Weltbank immer von einem Amerikaner geführt. Demzufolge kontrollieren die politischen Eliten aus der wohlhabenden Minderheit aller Länder zwei institutionelle Stützen des globalen wirtschaftlichen Regierungssystems.
Habe ich nicht vorhin gesagt, dass die Wahl des Anführers nicht besonders wichtig sei? Ja, aber sie könnte zu einem Symbol des tiefergehenden Wandels werden, wenn andere Länder eigene Kandidaten mit einer realistischen Siegchance für den IWF-Vorsitz aufstellen würden.
Ein geschäftsführender Direktor aus einer anderen Region, der nicht die privilegierte Gruppe der High-Income-Länder repräsentieren würde, könnte alternative Stimmen innerhalb des Währungsfonds stärken; er oder sie könnte die Einstellung von mehr Ökonomen vorantreiben, die nicht von einigen wenigen US-amerikanischen oder britischen Elite-Universitäten ausgebildet wurden. Wie ein tüchtiger Kapitän würde so ein Direktor sich sowohl um das Schiff kümmern als auch die Gewässer kennen, in denen es segelt.
Bessere Fracht ausliefern
Als er die Nase von der vernichtenden Kritik in der Folge der Asienkrise von 1997 voll hatte, ging Kenneth Rogoff, zu diesem Zeitpunkt Chef der IWF-Forschungsabteilung, in die Öffentlichkeit, um ein paar Dinge klarzustellen. Laut Rogoffs Auffassung wurde der IWF zu Unrecht als der „globale Sündenbock Nummer 1“ präsentiert. Ein gutes Jahrzehnt später steht der Währungsfonds erneut im Rampenlicht und ist etwas weniger unpopulär. In der anhaltenden Austeritätsdebatte war der IWF zeitweise, wenn auch nicht durchgängig, eine moderierende Stimme.
Aber der Vorbehalt besteht darin, dass ein Schiff nicht nur aufhören kann, unwillkommene Ladung zu transportieren, sondern auch darin versagen kann, die benötigte Fracht auszuliefern. Intellektuell die schädlichen Effekte der Austerität zu debattieren bedeutet nicht automatisch, auch überzeugende Alternativen voranzutreiben.
Der Währungsfonds hat begonnen, ersteres zu tun – aber nicht letzteres. Die wachsende Notlage in der europäischen „Heimat“ – Griechenland ist vielleicht das dramatischste Beispiel – ist eine Warnung an alle innerhalb und außerhalb des IWF die glauben, dass es nur darum geht, ein paar wenige anormale Volkswirtschaften zu reparieren.
Der IWF hat den Auftrag „zur Förderung und Erhaltung hoher Level von Beschäftigung und Realeinkommen und zur Entwicklung der produktiven Ressourcen aller seiner Mitglieder“ beizutragen. Wie sollten uns daher nicht davon ablenken lassen, welcher (europäische) Bürokrat die einflussreiche Organisation anführt, sondern uns lieber dafür interessieren, was der IWF tut oder eben nicht tut, um seine Hauptziele zu erreichen.
Zum Autor:
Matthias Kranke ist Doktorand an der University of Warwick mit den Forschungsschwerpunkten IWF und Weltbank.
Dieser Artikel wurde zuerst von The Conversation auf englisch veröffentlicht und von der Makronom-Redaktion unter Zustimmung von The Conversation ins Deutsche übersetzt.