Essay

Ist eine kapitalistische Demokratie überhaupt möglich?

Nicht nur in den USA gibt es eine zunehmende Polarisierung der politischen Lager. Das hängt auch mit der wachsenden Ungleichheit zusammen. Linke und Rechte müssen wieder einen gemeinsamen Nenner finden – oder wir riskieren eine ernsthafte soziale und ökonomische Funktionsstörung.

Foto: Tom Thai via Flickr (CC BY 2.0)

Klassische Ökonomen sind der Meinung, dass es das Wohlbefinden von Menschen steigert, wenn sie mehr Wahlmöglichkeiten haben. Allerdings haben Verhaltensökonomen entdeckt, dass Menschen es eher bevorzugen, ihre Wahlmöglichkeiten in Form von wenigen Optionen und klaren Unterschieden zu betrachten. Das gilt auch für die Politik: Die Marktkräfte veranlassen politische Kandidaten dazu, eine klare Wahl zwischen sogenannten linken und sogenannten rechten Optionen anzubieten. Dazwischen gibt es jede Menge Freiraum.

In den USA ist diese politische Polarisierung mittlerweile dermaßen stark ausgeprägt, dass die Anhänger verschiedener Lager so unterschiedliche Weltbilder haben, als kämen sie aus verschiedenen Ländern. Tatsächlich kommen sie zunehmend aus anderen Nachbarschaften.

Das können wir auch in Europa beobachten. Die Linke scheint so viel mehr links zu sein, die Rechte so viel mehr rechts. Wenn unsere Länder aber eine Zukunft als zusammengehörende und sich gegenseitig unterstützende Einheiten haben sollen, können wir uns nicht kontinuierlich auseinanderentwickeln. Wir müssen einen gemeinsamen Nenner finden – oder wir riskieren eine ernsthafte soziale und ökonomische Funktionsstörung.

Gemeinsamer Nenner

Sowohl die Linken als auch die Rechten würden wohl Abraham Lincolns Beobachtung zustimmen, dass es das legitime Ziel einer Regierung ist, für eine Gemeinschaft das zu leisten, was sie nicht für sich selbst leisten kann. Allerdings unterscheiden sich die Lager in der Auffassung, wer diese Gemeinschaft zusammenstellen sollte. Etwas vereinfacht gesagt denken die (sogenannten) Rechten, dass die Regierung eine Politik zum Vorteil der „Eigentümer“ einer Nation machen sollten, während die (sogenannten) Linken wollen, dass die Politik die Interessen derjenigen priorisieren sollte, die in ihr leben. Im gängigen Sprachgebrauch besteht die Rechte also weitestgehend aus Kapitalisten und die Linke aus Sozialisten.

In der echten Welt ist natürlich keine Partei ausschließlich links oder rechts. Allerdings ist diese Klassifizierung aufschlussreich, um zu überlegen, wohin uns die zunehmende Spaltung führen wird.

Da sich die Blickwinkel der Rechten und der Linken unterscheiden, ist es nur logisch, dass sie eine unterschiedliche Politik vorschlagen. Da sich die Legitimität der Rechten sehr stark vom Eigentumsbegriff ableitet, ist die Durchsetzung des Rechtsstaates und insbesondere die Wahrung der Eigentumsrechte eines ihrer Hauptziele. Dagegen betrachtet die Linke die heutigen Besitzverhältnisse oftmals als das Ergebnis früherer Ungerechtigkeiten. Linksgerichtete Parteien sehen daher die „soziale Gerechtigkeit“ als Ergänzung zum Strafrecht – das erstere ist aus ihrer Sicht progressiv, während das letztere eher den Status quo aufrechterhält.

Darüber hinaus hängt die Ausrichtung des rechten und des linken Spektrums stark davon ab, ob ein Land demokratisch ist oder nicht. Es liegt in der Natur der Demokratie, dass in einem demokratischen Land vom Staat erwartet wird, dass er die Ansichten seiner Bürger berücksichtigt. Die Rechten bevorzugen gewöhnlich einen „schlanken Staat“, der idealerweise nicht viel mehr tut, als durch Strafjustiz und bewaffnete Kräfte die innere und äußere Sicherheit zu gewährleisten. Wenn die Demokratie aber nur schwach oder nicht existent ist, könnten die Wirtschaftseliten die nationale Regierung für ihre eigenen Zwecke untergraben. In so einem Fall werden die Rechten durchaus auch mit einem starken Staat zufrieden sein.

Auch für die Politik der linken Seite macht es einen Unterschied, wie demokratisch ein Land ist. Wenn es relativ undemokratisch ist, wird das unternehmerische und private Eigentum den Staat untergraben. Ist ein Land aber demokratisch, werden linksgerichtete Parteien in der Regel eine progressive Besteuerung und die Verteilung des wirtschaftlichen Wachstums befürworten. Außerdem steht die Linke öffentlichem – und somit demokratisch kontrolliertem – Eigentum generell positiver gegenüber. Dabei handelt es sich beispielsweise um die Infrastruktur und die Gesundheitsversorgung, die das Gemeinwohl dem privaten Profit überordnet.

Je größer die Ungleichheit, desto schwieriger wird es für Linke und Rechte, sich zu einigen

Wenn der Reichtum von immer mehr Länder von immer weniger Leuten besessen wird, gibt es mehr Unterschiede zwischen einer Politik, die den Kapitalisten nützt und einer Politik, die den Bürgern nützt. Je größer die Ungleichheit, desto schwieriger wird es für Linke und Rechte, sich zu einigen. Wenn ein Großteil des nationalen Kapitals sich in ausländischen Händen befindet, könnten sogar rechtsgerichtete Regierungen ausländische Interessen, sogar die von ausländischen Regierungen, über die Bedürfnisse ihrer eigenen Bürger stellen.

Man sagt, dass diejenigen, die das Gold haben, die Regeln machen. Und wenn die Vermögensungleichheit zunimmt, könnte sogar eine Schein-Demokratie erodieren, sobald die Kapitalisten anfangen ihr Kapital einzusetzen, um sicherzustellen, dass das Land sich in ihrem Interesse entwickelt. So wird beispielsweise argumentiert, dass die USA inzwischen keine Demokratie, sondern eine Oligarchie sind. Auch gibt es einige, die sagen, dass die Demokratie in Großbritannien am Abklingen ist.

Kapitalistische Demokratie oder demokratischer Kapitalismus?

Der Aufstieg populistischer Politiker ist sehr stark der effektiven Entmündigung von vielen, wenn nicht sogar von allen Menschen in angeblichen Demokratien geschuldet. Anti-Establishment-Politiker werden per Definition Erfolg haben, wenn die allgemeine Öffentlichkeit sich vom Establishment betrogen fühlt. Daher können wir keine sicheren Staaten auf der Basis von Austerität, Armut, Verzweiflung und Spaltung aufbauen.

Weil der Kapitalismus genauso destruktiv wie konstruktiv sein kann, muss er von moralischen und demokratischen Prinzipien begrenzt werden – und nicht andersherum

Es gibt einen besseren Weg: 1955 argumentierte der Psychologe Erich Fromm, dass ein nachhaltiger Prozess nur dann eintreten kann, wenn Veränderungen gleichzeitig in den ökonomischen, sozio-politischen und kulturellen Sphären vorgenommen werden. Fromm war der Meinung, dass ein auf eine Sphäre begrenzter Fortschritt destruktiv für den Fortschritt in allen Sphären wäre. Die globale Finanzkrise von 2008 hat dieser Analyse recht gegeben. Auf ähnliche Weise argumentierte der Philosoph Michael Novak, dass eine kapitalistische Demokratie nicht möglich ist – allerdings ist ein demokratischer Kapitalismus möglich. Weil der Kapitalismus genauso destruktiv wie konstruktiv sein kann, muss er von moralischen und demokratischen Prinzipien begrenzt werden – und nicht andersherum.

Linke und Rechte sind sich in vielen Ländern darin einig, dass der Zustand ihres Staates fragil ist. Die Lösung besteht nicht darin, die gleiche Wirtschaftspolitik weiterzuführen und sich kontraproduktiv auf ein Wachstum um jeden Preis zu fixieren, sondern vielmehr die Demokratie zu stärken – und nicht nur die Demokratie, sondern auch unsere moralischen und kulturellen Institutionen. Wenn wir es nicht schaffen, dass unsere Länder für jeden funktionieren, werden sie irgendwann für niemanden mehr funktionieren.

 

Zum Autor:

Kevin Albertson ist Lehrbeauftragter für Wirtschaftswissenschaften an der Manchester Metropolitan University.

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Dieser Artikel wurde zuerst von The Conversation in englischer Sprache veröffentlicht und von der Makronom-Redaktion unter Zustimmung von The Conversation ins Deutsche übersetzt.The Conversation