Fremde Federn

Inflation, Öl-Embargo, Xi Jinping

Diese Woche unter anderem in den Fremden Federn: Die Revolution der Umschulung hat begonnen, was das Öl-Embargo gegen Russland bedeutet und warum man Volkswirtschaft auch vom Volk her denken sollte.

Foto: Jojo Bombardo via Flickr (CC BY-ND 2.0)

In den „Fremden Federn“ stellen wir einmal pro Woche in Kooperation mit dem Kuratorendienst piqd eine Auswahl von lesenswerten journalistischen Fundstücken mit wirtschaftspolitischem Bezug zusammen. piqd versteht sich als eine „Programmzeitung für guten Journalismus“ – was relevant ist, bestimmen keine reichweitenoptimierten Algorithmen, sondern ausschließlich ausgewählte Fachjournalisten, Wissenschaftler und andere Experten.

Inflation

piqer:
Thomas Wahl

Nein, wir haben keine Inflation zu befürchten, so die Modern-Monetary-Theory.

Die Sorge, dass schuldenfinanzierte Investitionen des Staates die Inflation nach oben treiben könnten, sei unbegründet, ….. Allein ein Blick auf die Zeit nach der Finanzkrise, auf die 2010er-Jahre, zeige das ….

Und nun ist sie da. Sicher nicht allein durch Staatsverschuldung und Niedrigzinsen, die aber nicht unbeteiligt sind. Das Wirtschaftsmagazin „brand eins“ widmet dem Thema „Preise und Inflation“ nun einen Schwerpunkt. Am Beginn des Interviews mit dem Wirtschaftswissenschaftlers Stephan A. Jansen steht die Frage: „Ist Inflation immer eine Gefahr?“ Mit der klaren Antwort, natürlich nicht grundsätzlich. Es gilt:

Preise haben in Marktwirtschaften eine zentrale Funktion: die dezentrale Lenkung des Nachfrageverhaltens. Die aktuell steigenden Preise sagen uns genau das – wir müssen unsere Nachfrage ändern. Das wiederum hat Folgen für unser Leben und am Ende auch für die Produktionsweise unserer Volkswirtschaft.

Man kann sicher neben der Nachfrage auch die Produktion ändern, sie etwa effizienter gestalten. Aber es stimmt, steigende Preise signalisieren Knappheit und fordern Veränderungen. Die heutige Situation, die Stimmung ist ähnlich wie in den 70er Jahren.

Damals hatten wir wie jetzt auch einen sogenannten Angebotsschock – die Nachfrage ist höher als das Angebot. Hinzu kam ebenfalls eine deutliche Steigerung der Energiekosten.

Der Staat reagierte mit dem üblichen Mix an Maßnahmen:

  • Steigerung des Angebots
  • Senkung der Nachfrage
  • Preiskontrollen des Staates

Jansen vertritt die Meinung, dass dieser Maßnahmenmix damals nicht besonders gut funktioniert habe. Seiner Meinung (über die man streiten sollte) war eine begleitende Kampagne „Whip inflation now!“ wichtiger:

Dahinter stand eine junge Frau, Sylvia Porter. Direkt hat die Kampagne zwar nichts bewirkt, doch sie trug zu einer breiten, nach einem anderen Amerika klingenden Ideensammlung bei: Fahrgemeinschaften, Urban Farming, Vermeidung von Lebensmittelvernichtung und die Selbstverpflichtung von Unternehmen, Kosten nicht vollständig an die Konsumenten durchzureichen.

Er sieht darin einen frühen Hinweis darauf, dass man Volkswirtschaft auch vom Volk her denken kann. Und auch darauf, dass Bevölkerungen ihre Vorstellungen vom Wohlstand ändern können.

Inflation wäre dann so etwas wie die Entwertung einer früheren Version des Kapitalismus – um einer besseren Version willen. Die Deutschen waren in den Siebzigerjahren schon einmal zu einigem Konsumverzicht bereit.

Was damals allerdings sehr gut funktioniert hat, war die schnelle und deutliche Erhöhung der Leitzinsen durch die Bundesbank, was das Sparverhalten der Bürger steigerte und die Nachfrage senkte. Das führte zwar kurz in eine Rezession,

Deutschland kam aber schneller, preisstabiler und gesamtwirtschaftlich besser als der Rest der Welt durch den Angebotsschock der Ölkrise.

Was die Notenbanken heute stattdessen tun, ist laut Jansen „Too little, too late“. Wir sehen immer noch die Nachwirkungen der Niedrig-Negativ-Zinsen und den Anleihenrückkauf. Deren Zeit war bereits vorbei, bevor der Krieg begann. Die jetzt erwarteten Zinserhöhungen (in Großbritannien, Neuseeland und den USA erwarten Beobachter eine Zinserhöhung von 2 bis 3,5 Prozent) käme damit mehr als ein Jahr zu spät. Man hätte das früher wissen müssen und dementsprechend auch handeln können:

Aus den vergangenen hundert Jahren kennen wir Phasen mit negativen Realzinsen – die beiden Weltkriege, die Ölkrise und die Zeit nach der jüngsten Finanzmarktkrise. Allen gemein: Inflation. Es gab also kein Verständnisproblem, es fehlte nur der Handlungsimpuls – vor allem wegen des schwarzen Schwans Corona und den damit einhergehenden Lieferketten-Problemen.

Den Schock des Ukraine-Krieges hingegen hätten allerdings höchstens „Diplomaten und die Menschen in Osteuropa vorausahnen“ können. Wie auch immer, die Handlungsspielräume der Notenbanken werden bei einer sich ohnehin abschwächenden Konjunktur nun immer kleiner. Die Absatz-, Kapital- und Arbeitsmärkte in unseren Volkswirtschaften stehen vor der wachsenden Herausforderungen eine adäquate Anti-Inflationspolitik zu finden.

Nehmen wir die Arbeitsmärkte. Hier werden westliche Industriestaaten die viel zitierte Preis-Lohn-Spirale zu spüren bekommen. Gerade in Ländern wie Deutschland, Österreich, Großbritannien oder den USA, wo der Fachkräftemangel Lohnsteigerungen zusätzlich erzeugt. Auch profitieren verschiedene Interessengruppen von einer Inflation, was die Bekämpfung erschwert. Jansen zitiert hier aus dem Buch von Carmen Reinhart, der Harvard-Professorin und Chefökonomin der Weltbank, „Acht Jahrhunderte Finanzkrisen“:

Dahinter stehen tatsächlich Interessen: Einerseits ist die auf Wiederwahl angelegte Politik nicht sonderlich motiviert, durch steigende Zinsen oder Steuern wissentlich Kapitalmarkteinbrüche mit teilweise erheblichen Vermögensverlusten und Arbeitslosigkeit herbeizuführen. Zudem profitieren die verschuldeten Staaten ebenso von einer Inflation wie private Unternehmen – denn sie helfen bei der Entschuldung.

Aber es wird die Armen mehr treffen als die Reichen, Ungleichheiten werden wieder steigen und Konflikte wie der „arabische Frühling“ oder die französischen Gelbwesten lassen Grüßen. Wir stehen, so Jansen, nach einer langen Zeit schleichender Inflation nun am Beginn einer Jahrhundert-Inflation. Es könnte aber auch

der Anfang eines preisverdächtigen Kapitalismus werden, der die sozial- und klima-innovative Wende auslöst – einfach weil das Alte unerträglich teuer wurde. Die Energie-, Mobilitäts- und Landwirtschaftswende hätte es längst gebraucht, sie wurde unter anderem durch das billige Gas aus Russland verlangsamt. Wladimir Putins Angriff könnte auch der Impuls für eine neue, sich regionalisierende Globalisierung sein.

Nur ist das nicht allein eine Frage des Geldes für Investitionen, sondern ist durch die Realwirtschaft selbst limitiert – durch ganz materielle Ressourcen an Arbeitskraft, Energie und Rohstoffen.

Die Frage muss sein: Was können wir uns leisten? Die Antwort liegt nicht in den Finanzen begründet, sondern in der Realwirtschaft. Wenn Dich jemand fragt: Wie willst Du für das Infrastrukturprojekt bezahlen? Dann antwortest Du: Indem ich hunderttausend Bauarbeiter einstelle, Tonnen an Stahl einkaufe, die freien Kapazitäten in den Betrieben nutze – so bezahle ich das: Mit realen Ressourcen.

Haben wir diese Ressourcen noch?

Gucken wir mal: Wo Europas Gas nun herkommen soll (außer aus Katar)

piqer:
Rico Grimm

Das wurde von der Öffentlichkeit nicht so sehr beachtet, wie die Reise von Wirtschaftsminister Robert Habeck nach Katar, wo er neue Lieferverträge für Flüssiggas abschließen wollte: Bundeskanzler Olaf Scholz war auch im Senegal. Das westafrikanische Land hat relativ große Vorkommen an Erdgas, die noch weitestgehend unerschlossen sind. Außerdem hat es den unschlagbaren Vorteil, dass es keine ruchlose Autokratie ist, sondern eine funktionierende stabile Demokratie.

Bei der Wirtschaftswoche können wir aus der Luft einen Blick auf die Erschließung der Gasvorkommen werfen. In der immer wieder sehenswerten Reihe „Von Oben“ zeigt das Magazin Satellitenaufnahmen. Wir sehen Wellenbrecher mitten im Meer, in einer chinesischen Werft das Schiff, das dann hinter diesen Wellenbrechern andocken wird und die Vorbereitungen, auch ein benachbartes Ölfeld zu erschließen. Faszinierend!

Was das Öl-Embargo gegen Russland bedeutet

piqer:
Theresa Bäuerlein

Nach vielen Diskussionen haben sich die 27 EU-Staats- und Regierungschefs doch noch auf einen Kompromiss für ein Ölembargo gegen Russland verständigt. Beim Gipfeltreffen zur Ukraine in Brüssel haben sie beschlossen, bis Ende des Jahres mehr als zwei Drittel der russischen Öl-Lieferungen in die EU mit einem Einfuhrverbot zu belegen. Auch Ungarns Regierungschef Viktor Orbán, der die Einigung lange blockiert hat, stimmte letztlich zu.

Es ist ein Teilembargo. Erst mal soll kein russisches Öl mehr über den Seeweg geliefert werden. Über Pipelines darf es zunächst noch weiter gehen – wie lange, ist unklar.

Dieser Text bietet einen sehr guten Überblick über die wichtigsten Fragen, zum Beispiel:

  • Wie viel Öl bekommt Deutschland von Russland? (35 Prozent zu Beginn des Krieges, Ende April noch 12 Prozent.)
  • Könnte Deutschland komplett unabhängig werden? (Schwierig, aber es gäbe Wege)
  • Warum steigen die Preise aktuell so stark? (Es kommt jetzt schon weniger Öl aus Russland, viele Ölhändler und Raffinerie-Betreiber kaufen außerdem kein russisches Öl mehr.)
  • Welche Reserven hat die Bundesrepublik? (Seit 1966 hat Deutschland eine sogenannte nationale Ölreserve, die reichen soll, um Deutschland 90 Tage zu versorgen. Aber Robert Habeck hat einen Teil davon bereits Anfang März freigegeben.)

Warum die fossilen Energien ein Fluch für Russland sind

piqer:
Ralph Diermann

Wladimir Sliwjak, Träger des Alternativen Nobelpreises, gehört zu den Gründern der russischen Umweltorganisation Ecodefense – und steht damit automatisch in Fundamentalopposition zum Regime Putins. Welche Bedeutung die fossilen Energien und auch nuklearer Brennstoff für Russland haben, warum sie ein Fluch für das Land sind und wie der Staat Druck auf die Umweltbewegung ausübt, schildert Sliwjak in einem beeindruckenden Interview mit taz-Redakteur Bernhard Pötter.

Russland konnte den Krieg gegen die Ukraine nur deshalb starten, weil der Export fossiler und nuklearer Energieträger angesichts hoher Energiepreise in den letzten Jahren so viel Geld in seine Kassen gespült hat – und weil die Abhängigkeit von russischem Gas, Öl und Uran den Handlungsspielraum vieler Staaten massiv einschränkt, so Sliwjak. Daher könne ein Embargo das Regime hart treffen. Zumal es an Infrastruktur fehlt, die Energieträger statt an westliche an andere Staaten zu verkaufen.

Der stete Geldfluss aus den Importländern sorgt dafür, dass die Regierung keinerlei Interesse an einem ökonomischen Umbau hat, sagt Sliwjak. Dabei böte das riesige Land gewaltige Chancen: „Wir könnten eine Supermacht der Erneuerbaren sein“, sagt der Umweltschützer.

Sliwjak selbst lebt heute wie viele seiner Mitstreiter im Westen, weil die Regierung ihn als „feindlichen Agenten“ eingestuft hat. Für seine Forderungen nach einem Rückzug aus den fossilen Energien drohten ihm in Russland 10 bis 15 Jahre Haft.

Was, wenn Chinas Präsident einfach nicht so kompetent ist?

piqer:
Rico Grimm

Seitdem Chinas Aufstieg begann, schauen wir in Deutschland mit einer Mischung aus Furcht und Respekt auf das Land. Furcht vor der Größe, der neuen Macht, unserer Abhängigkeit. Respekt vor dem, was das Land in so kurzer Zeit erreicht hat. Die größte Errungenschaft wahrscheinlich: Hunderte Millionen Menschen aus der Armut geholt zu haben.

Eine Einstellung aber fehlt: Gesunde Skepsis.

Die liefert uns der US-amerikanische Ökonom und Twitter-Tausendsassa Noah Smith in diesem schon etwas älteren, aber wieder hochrelevanten Stück. Denn China befindet sich gerade in einer selbstverschuldeten Zwillings-Krise aus ewigen Corona-Lockdowns und einbrechendem Wachstum.

Smith leitet in seinem Text sauber und nachvollziehbar her, warum Xi Jinping, Chinas jetziger Präsident, der auf Lebenszeit ernannt werden will, dem Land eher geschadet als genutzt hat. Er hat auf den Errungenschaften seiner Vorgänger aufgebaut.

Ich halte Texte wie diese für extrem wichtig, weil sie helfen, eine wirklich realistische Perspektive zu gewinnen. Wenn alle einer Meinung sind, braucht es diesen frischen Blick.

Die Revolution der Umschulung ist gestartet

piqer:
Anja C. Wagner

Bis gestern (26. Mai 2022) fand das 22. World Economic Forum Annual Meeting in Davos statt. Viel Kritik kann man daran üben, aber mitunter begegnen einer dann doch interessante Gesprächsrunden, die es aufzugreifen lohnt.

So auch dieser 45-Minuten-Talk rund um das Global Skills Framework, das das WEF seit Anfang 2021 aufzubauen versucht.

Die Beschreibung des Talks

Beim Recruiting ist ein skillbasierter Ansatz fünfmal effektiver für den beruflichen Erfolg von Berufsanfänger:innen als eine Konzentration auf Qualifikationen.
Welches sind die wichtigsten Voraussetzungen für einen gemeinsamen Rahmen, der die Skills in den Mittelpunkt des Talentmanagements stellt und es dem Einzelnen ermöglicht, sich zu entfalten, und dem Unternehmen, erfolgreich zu sein?

Die Speaker:innen

  • Zanny Minton Beddoes (Editor-in-Chief, The Economist) als Moderatorin
  • Josephine Teo (Minister for Communications and Information, Ministry of Communications and Information (MCI) of Singapore)
  • Manny Maceda (Chief Executive Officer, Bain & Company Inc.)
  • Shobana Kamineni (Executive Vice-Chairperson, Apollo Hospitals Enterprise Ltd, India)
  • Allen Blue (Co-Founder and Vice-President, Products, LinkedIn Corporation)

Zum Hintergrund

Nach Berechnungen des WEF müssen sich bis zum Jahre 2025 ca. 50 % aller Erwerbstätigen umschulen. Und ca. 40 % der zentral benötigten Skills ändern sich voraussichtlich in den nächsten 5 Jahren. Das bedeutet in Zahlen:

  • Zirka 1 Milliarde Menschen werden sich zeitnah weiterbilden müssen.
  • Etwa 120 Millionen haben sich bereits auf den Weg gemacht.

Der „Reskilling Revolution“ kommt insofern seitens des WEF eine vergleichbare Bedeutung zu wie dem Kampf gegen den globalen Analphabetismus. Aber dieser Revolution kann man nicht (ausschließlich) über eine Anpassung von curricularen Abschlüssen begegnen, sondern es braucht neuer Verfahren, um die Skills schneller in den Vordergrund zu rücken. „Skills first“-Ansatz, darüber sprachen sie in dieser Runde.

Einige Ergebnisse im Überblick

  • Der sog. Fachkräftemangel drückt überall und lässt Unternehmen zunehmend kreativer beim Recruiting werden.
  • Es geht um ein Upskilling in Kompetenznähe. Will heißen: Was man bereits kann oder persönlich an Skills mitbringt, soll für neue Arbeitskontexte leichtfüßig erschlossen und weiterqualifiziert werden.
  • Soft Skills kommt mindestens eine vergleichbare Bedeutung zu wie den Hard Skills.
  • Hard Skills sind vielleicht noch lehrbar, Soft Skills entwickeln sich in der Praxis, zum Beispiel am Arbeitsplatz o. ä.
  • Erste Studierende entscheiden sich bereits gegen klassische Qualifikationskarrieren und gehen selbst gewählte Wege. Weil sie es können.
  • Die Bildungsinstitutionen sollten Menschen auch dabei unterstützen, ihre Stärken zu finden, damit sie diese weiterqualifizieren können. Nicht nur auf Wissenstransfer und Prüfungen derselben setzen.
  • Menschen benötigen qualitative Unterstützung seitens interessierter anderer Menschen, die ihnen datenbasiert helfen, richtige Entscheidungen für sich selbst zu treffen.
  • Es braucht gerechtere Entlohnungen, um Menschen entlang ihrer (wo auch immer erworbenen) Skills zu bezahlen, statt Abschlüsse zu honorieren, die wenig Aussagekraft haben, ob diese Person die Zukunft der Gesellschaft oder des Unternehmens wirklich nachhaltig mitgestalten kann.

Das Fazit

Das Bildungssystem steht selbst vor einer großen Revolution, dessen es sich in Deutschland kaum bewusst zu sein scheint. Zu sehr kämpfen sie um ihre alten Pfründe.

Aber es führt kein Weg daran vorbei: Die benötigten Skills gilt es sich (wie auch immer) anzueignen. Und im Netz existieren dazu vielfältige Möglichkeiten. Damit hat man aktuell gute Jobchancen mit exquisitem Salär. Wohlan dem, die oder der weiß, wie man sich adäquat selbst gesteuert weiter qualifizieren kann. Viel Erfolg!

Der Einsatz von Robotern in der Pflege bietet großes Potenzial

piqer:
Ole Wintermann

“Hi, I’m Pepper, I hope you are having a wonderful day. Would you like to relive some of your memories from the past? (..) Remember the day you got married? It’s been 52 yrs. That’s a really long time. So much must’ve happened since then. Do you remember, it was the summer of 1970 and the weather was great. The ceremony was beautiful, and the food, it was amazing.”

Dies ist keine Szene aus der fernen Zukunft, sondern Teil der Funktion des Roboters Pepper, der derzeit in Pflegeheimen in den USA eingesetzt wird. Im weiteren Verlauf der oben beschriebenen Szene werden die Erinnerungen der Bewohnerinnen mit entsprechenden privaten Fotos aus dieser Zeit unterlegt. Gemeinsam mit dem Roboter schwelgen die Bewohnerinnen in Erinnerungen.

Der Text gibt einen umfassenden Überblick über die Möglichkeiten des aktuellen Einsatzes von Robotern in Pflegeheimen. Dabei geht es den Verantwortlichen grundsätzlich darum zu betonen, dass die Roboter keine Arbeitskräfte komplett ersetzen können, sondern stets nur unterstützend für einzelne Tätigkeiten eingesetzt werden.

Darunter sind Roboter, die

  • der Unterhaltung der Heimbewohnerinnen dienen,
  • einen Teil der schweren Hebetätigkeiten der Beschäftigten übernehmen,
  • den Angestellten beim Servieren des Essens helfen,
  • ein Auge auf ungewöhnliche Verhaltensweisen der Bewohnerinnen werfen,
  • den Besuch einer Video-Sprechstunde beim Arzt ermöglichen,
  • die Einnahme der Medikamente überwachen,
  • die direkte Verbindung zu Notärzten im Falle eines Unfalls herstellen,
  • Yoga-Kurse durchführen,
  • oder die Kommunikation mit Familienangehörigen herstellen.

Die Pandemie hat den Einsatz von Robotern in Pflegeheimen in den USA verstärkt. In der Zeit der Pandemie haben unglaubliche 400.000 Beschäftigte die Pflegeeinrichtungen verlassen.

Durch die Roboter werden die Beschäftigten von schweren körperlichen und ermüdenden wiederholenden Dialogen entlastet, die Bewohnerinnen haben die Möglichkeit, unterhalten zu werden und mit Freunden zu kommunizieren, der Fachkräftemangel wird adressiert.

Eine interessante Perspektive auch für deutsche Pflegeheime.

Wie Elon Musk tickt

piqer:
Jannis Brühl

Dann machen wir’s mal wie ein contrarian: In Zeiten des immer absurder werdenden Elon-Musk-Theaters um Twitter und anderes lohnt es sich, zu sehen, was ihn tatsächlich besonders macht. Deshalb piqe ich den womöglich einzig guten Fan-Boy-Text über Musk. Geschrieben wurde er 2015, als Musk noch etwas weniger Menschen aufgeregt hat; und zwar von Tim Urban von der Webseite waitbutwhy.com. Der lange Blogeintrag lohnt sich, weil er einem noch einmal ins Gedächtnis ruft, was Musk zu Musk macht, jenseits der ganzen lauten Culture-War-Twitter-Erregung der vergangenen Monate.

Tim Urban hat die rare Fähigkeit, die Dinge extrem ausgiebig und fast schon übertrieben in ihre Basiseinheiten herunterzubrechen und damit dem Leser neue Erkenntnisse zu bescheren – auch und vor allem über ihn, den Leser, selbst.

Urban hatte damals viel mit Musk und seinem Umfeld geredet und hat dann eine ganze Serie über den Unternehmer geschrieben. In diesem Beitrag beschreibt er Musks Denken, seine spezielle „Software“: Dass er nicht nur wissenschaftliche Dinge, sondern alle Dinge wie ein Wissenschaftler analysiert. Das mache ihn ungeheuer innovativ, schreibt Urban, der

When you or I look at kids, we see small, dumb, cute people. When Musk looks at his five kids, he sees five of his favorite computers. When he looks at you, he sees a computer. And when he looks in the mirror, he sees a computer—his computer. It’s not that Musk suggests that people are just computers—it’s that he sees people as computers on top of whatever else they are.
And at the most literal level, Elon’s right about people being computers. At its simplest definition, a computer is an object that can store and process data—which the brain certainly is.
And while this isn’t the most poetic way to think about our minds, I’m starting to believe that it’s one of those areas of life where MuskSpeak can serve us well—because thinking of a brain as a computer forces us to consider the distinction between our hardware and our software, a distinction we often fail to recognize

Um Musk zu verstehen, hilft dieser Text ungemein – und man lernt auch noch etwas über das eigene Denken – und vor allem das eigene Bedenkenträgertum. Alles natürlich aufgelockert mit den berühmten, lustigen waitbutwhy-Zeichnungen. Ich gebe aber zu: Es ist Lektüre für Leute mit viel Zeit (die man sich für gute Longreads allerdings immer (!) nehmen sollte).