Fremde Federn

Inflation, MINT-Mangel, Altenheime

Diese Woche unter anderem in den Fremden Federn: Altenheime als Geldmaschine, wieso Deutschland beim (Nicht-)Klimaschutz schon wieder auf Vor‑Corona-Stand ist und warum jeder Inflation anders wahrnimmt.

Foto: Jojo Bombardo via Flickr (CC BY-ND 2.0)

In den „Fremden Federn“ stellen wir einmal pro Woche in Kooperation mit dem Kuratorendienst piqd eine Auswahl von lesenswerten journalistischen Fundstücken mit wirtschaftspolitischem Bezug zusammen. piqd versteht sich als eine „Programmzeitung für guten Journalismus“ – was relevant ist, bestimmen keine reichweitenoptimierten Algorithmen, sondern ausschließlich ausgewählte Fachjournalisten, Wissenschaftler und andere Experten.

Warum jeder Inflation anders wahrnimmt

piqer:
Rico Grimm

Dieser Podcast zeigt, wie wenig Ahnung wir von Wirtschaft haben. Mit „wir“ meine ich uns tatsächlich uns alle. Denn darin spricht die deutsche Verhaltensökonomin Ulrike Malmendier von der Universität Berkeley über ihre Studien: Sie erforscht Inflationserwartungen – und konnte zeigen, dass selbst US-amerikanische Notenbanker mit den besten Daten der Erde von ganz banalen Dingen geprägt werden, etwa dem eigenen Geburtsjahr.

Warum ist das wichtig? Inflationserwartungen sind Schlüsseldaten für die großen ökonomischen Entscheidungen der Regierungen, der Zentralbanken und ja auch für die Investitionsentscheidungen von Privatleuten. Wer Inflation erwartet, kauft eher Gold, Bitcoins und Immobilien. Wer sie nicht erwartet, investiert eher in Tech-Aktien.

Malmendier, die zu den meistzitierten Ökonom:innen der Welt gehört, zeigt in ihrer Arbeit, dass die entscheidende Variable für Inflationserwartungen eigene Erfahrungen mit Inflation sind. Wer zum Beispiel in den Hochinflationsjahren der 1970er/1980er schon erwachsen war, fürchtet sich heute eher vor Inflation als die Jüngeren, die seit Jahren de facto Null-Inflation haben. Der Clou daran ist, dass das eben auch für Profis gilt: Selbst bei den Währungshütern in den Zentralbanken lässt sich dieses Muster erkennen.

Deutsche CO2-Emissionen steigen 2021 enorm an

piqer:
Ralph Diermann

Die erneuerbaren Energien drängen die Kohlekraftwerke ins Aus? Schön wär’s – im laufenden Jahr können sich die Kraftwerksbetreiber die Hände reiben: Im ersten Halbjahr haben allein die Braunkohlekraftwerke 38 Prozent mehr Strom erzeugt als im gleichen Zeitraum 2020. In der zweiten Jahreshälfte dürfte es ähnlich aussehen.

Das geht aus einer Kurzstudie des Think Tank Agora Energiewende hervor, über die Klimareporter jetzt berichtet. Die Experten haben untersucht, wie es um die deutschen CO2-Emissionen in diesem Jahr bestellt ist. Und kommen zu einem niederschmetternden Ergebnis: Der Ausstoß wird 2021 wohl so stark steigen wie in den vergangenen 30 Jahren nicht (was natürlich auch damit zu tun hat, dass die Emissionen 2020 wegen der Pandemie vergleichsweise gering waren). Das Klimaziel für 2020 – das im letzten Jahr so gerade noch erreicht wurde – werden wir wohl weit verfehlen. Dabei ist nicht der Stromsektor allein für dieses miserable Ergebnis verantwortlich. Auch im Verkehr, der Industrie und im Gebäudesektor schießen die Emissionen in die Höhe.

Besonders beunruhigend in den Augen der Agora-Experten ist, dass diese Entwicklung nicht nur durch coronabedingte Nachhofeffekte begründet ist, sondern auch durch strukturelle Defizite bei Energiewende und Klimaschutz. So kommt der Ausbau der Wind- und Solarenergie viel zu langsam voran, und auch bei Verkehr, Industrie und Gebäuden geschieht bei weitem zu wenig. Letzteres hat zur Folge, dass die Emissionen in diesen Sektoren auch mittelfristig nicht ausreichend sinken werden – denn es dauert Jahre, bis mögliche Maßnahmen wie etwa eine höhere Förderung für die energetische Sanierung von Gebäuden Wirkung zeigen.

Nun kommt es auf die nächste Bundesregierung an, das Steuer doch noch herum zu reißen: Sie müsse dem Agora-Chef Patrick Graichen zufolge innerhalb der ersten 100 Tage „das größte Klimaschutz-Sofortprogramm auf den Weg bringen, das es in der Bundesrepublik je gegeben hat“.

Ist das jetzt der Klimawandel? Friederike Otto findet die Antwort

piqer:
Alexandra Endres

Noch vor ein paar Jahren ließ sich die Frage kaum seriös beantworten – jedenfalls nicht schnell genug, um die immer kürzeren Aufmerksamkeitsspannen der medialen Öffentlichkeit zu nutzen: Welche Rolle spielt der Klimawandel für extreme Hitze, Trockenheit und zerstörerische Waldbrände, Wirbelstürme, Sturzregen und verheerende Überschwemmungen?

Also: Welcher Anteil der außergewöhnlichen Wetterlagen lässt sich noch mit den üblichen Schwankungen erklären, die auch ohne das Einwirken des Menschen in der Natur auftreten würden? Und was wäre ohne den Ausstoß von klimaschädlichen Gasen durch die Menschheit nicht möglich?

Mittlerweile lässt sich das durch aufwändige Computersimulationen schnell berechnen. Attributionsforschung wird das genannt. Die Methode wurde von einer kleinen Gruppe von Klimawissenschaftler*innen entwickelt und ihre Ergebnisse spielten im jüngsten Bericht des Weltklimarats IPCC eine prominente Rolle.

Friederike Otto, eine der Leitautorinnen des IPCC-Berichts, ist eine von diesen bahnbrechenden Klimawissenschaftler*innen. Sie sagt über ihre Methode, die mittlerweile laut dem Klimaforscher Ed Hawkins ein „Routineunterfangen in der wissenschaftlichen Gemeinschaft“ sei:

“It’s extremely powerful to communicate just what climate change means, here and now. To really bring climate change home,” Otto said in a phone call while walking her dog near her home in Oxford, England.

Der gepiqde Text widmet sich Otto und ihrer Arbeit:

The last time climate scientists pooled their collective research in 2014, attribution was treated as a promising, but exploratory field. Now, the IPCC says: „On a case-by-case basis, scientists can now quantify the contribution of human influences to the magnitude and probability of many extreme events.“

Otto, a lead author on the report, said that recognition was a “very, very proud” moment.

Das Stück ist lesenswert für alle, die sich dafür interessieren, wie Wetter und Klima nun tatsächlich zusammenhängen, und wie Klimaforschung funktioniert – und mit welchen Beschränkungen sie manchmal kämpft.

Das öffentliche Interesse an der Forschung von Otto und ihrem Team ist enorm groß und wächst mit der Anzahl der auftretenden Wetterextreme. Finanziell und personell ist ihre Arbeit allerdings offenbar nicht besonders gut ausgestattet:

Despite its broad acceptance as a scientific method and its significant command of media attention, WWA remains a renegade, almost unfunded outfit, staffed by volunteers. Otto pays for the upkeep of the website herself.

Kleinbauern – die Lösung für die globale Nahrungsproduktion?

piqer:
Thomas Wahl

Oft liest man z. B. das Hohelied der Kleinbauern:

„Die meiste Nahrung auf der Welt wird von den 500 Millionen Kleinbauern produziert.“

Der gleiche Text zeigt auch: Auf dem Kontinent Afrika sind 62% der Bevölkerung in der Landwirtschaft tätig. Und doch (oder gerade deswegen?) ist der Anteil der Hungernden mit 20% der Menschen dort am höchsten. Die kleinteilige Landwirtschaft ist offensichtlich unproduktiv und kann die eigene Bevölkerung, obwohl mehrheitlich mit Nahrungsproduktion beschäftigt, nicht versorgen.

„Our World in Data“ widmet nun eine statistische Analyse der Frage, welchen Anteil die kleinbäuerliche Landwirtschaft in der globalen Agrarproduktion hat. Und konstatiert zunächst auch:

Most (84%) of the world’s 570 million farms are smallholdings; that is, farms less than two hectares in size. Many smallholder farmers are some of the poorest people in the world. Tragically, and somewhat paradoxically, they are also those who often go hungry.

Sagt dann aber, dass die Behauptung der „UN Food and Agriculture Organization (FAO)“, das „small-scale farmers produce over 70% of the world’s food needs“ falsch oder zumindest grob irreführend sei.

In other reports it has said that smallholder and family farms (which raises issues of how these terms are defined) produce 70-80% of the world’s food. This would mean that small farms produce nearly all of the world’s food. This has become a zombie statistic: one that has been repeated by many other organizations despite there being no evidence to support it.

Die Organisationen betrachten die Begriffe „Small Farms“ und „Family Farms“ als austauschbar, obwohl es sich, was die Betriebsgröße angeht, um sehr unterschiedliche Phänomene handelt. Eine im Artikel herangezogene Studie, die erstmals einen nach Betriebsgröße geordneten, offenen Datensatz über die weltweite Lebensmittelproduktion erstellt hat, kommt zu ganz anderen Ergebnissen.

Smallholder farmers produce 29% of the world’s crops, measured in kilocalories. Less than half of previous claims. They do so using around one-quarter (24%) of the world’s agricultural land. They account for a bit more crop production than land use because smaller farms tend to achieve higher yields. This is very labor-intensive work; smaller farms get higher land productivity, but lower labor productivity.These farms account for an even greater share of the world’s food supply – one-third (32%) of it. This is because smaller farms tend to allocate a larger share of their crops towards food, rather than animal feed or biofuels.

Um nun die oben genannten 70-80% Anteile zu erreichen, muss man nach den Daten der Studie Betriebsgrößen bis zu 200 Hektar mit einbeziehen. Es zeigt sich, auch wenn gut 30% der weltweiten Nahrungsmittelproduktion durch kleine Landwirte immer noch ein beträchtlicher Anteil ist: es ist nicht einmal die Hälfte des angenommenen und propagierten Wertes.

Dabei ist die Annahme, dass Familienbetriebe in der Landwirtschaft 70-80% der Weltnahrung produzieren, wahrscheinlich richtig. Nur dass diese Betriebe nicht allein aus Kleinbauern bestehen.

The definition of a family farm is broad: it’s one that is operated by an individual or group of individuals, where most labor is supplied by the family. This means they can be of any size – many family farms are large. Orders of magnitude larger than our under-two-hectare smallholders. They find that family farms produce around 80% of the world’s food. To be clear: small farms produce one-third of the world’s food. Family farms – of any size – produce 80%. These terms should not be used interchangeably because they are very different.

Es zeigt sich auch, dass die durchschnittliche Farmgröße eines Landes positiv mit dem Wohlstand (BIP pro Kopf) korreliert. Zum Schluss betont „Our World in Data“ wie wichtig die Steigerung der Produktivität in der kleinbäuerlichen Landwirtschaft ist, um die ärmsten Länder auf ein mittleres Einkommensniveau zu heben. Auch wenn sie nur 30% der weltweiten Nahrungsmittel produzieren – die meisten landwirtschaftlichen Betriebe der Welt sind Kleinbauern, die zu den Ärmsten der Welt gehören. Aber es gilt auch:

We should avoid the romanticization of a future where most still spend their time working the fields for small returns. That would be a future where hundreds of millions continue to live in poverty.

Der MINT-Fachkräftemangel ist hausgemacht

piqer:
Anja C. Wagner

Da die Wasserstandsmeldungen zu den MINT-Engpässen nicht abreißen und ganz offensichtlich sich niemand an den Kern des Problems heranwagt, versuche ich mich einmal an einer Kontextualisierung.

Das gängige Narrativ

Der Fachkräfteengpass in den MINT-Berufen nähert sich laut einer Bedarfsanalyse des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) wieder dem Vorkrisenniveau an. Zu diesen Berufen zählen Fachkräfte in den Bereichen Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik unterteilt in 36 Berufskategorien. (…) Der größte Engpass zeigt sich in den Energie- und Elektroberufen mit 48.200, in den Bauberufen mit 31.000 und den IT-Berufen mit 29.000 fehlenden Arbeitskräften. (…) Zusätzlich zur absehbaren konjunkturellen Erholung kommen strukturelle Effekte auf den MINT-Arbeitsmarkt zu. (…) Zum anderen deuten die Digitalisierung und neuen Klimaziele daraufhin, dass die Unternehmen in erheblichem Umfang zusätzliches Fachpersonal benötigen. (…) Das IW empfiehlt die Digitalisierung der Bildungseinrichtungen voranzubringen, die MINT-Bildung an Schulen zu stärken sowie mehr Frauen für MINT-Berufe zu gewinnen.

Warum fehlt es an Frauen in den MINT-Berufen?

Die ZEIT brachte es in einer Headline vom 24. Juni 2021 gut auf den Punkt: „Mädchen bevorzugen Deutsch [und Englisch] als Leistungskurs, Jungen Mathe.“ Während 43,3% der männlichen Abiturienten Mathematik als Leistungskurs wählten, entschieden sich 2020 fast 45% der Abiturientinnen für Englisch und 41,7% für Deutsch als Leistungskurs. Noch gravierender ist der Unterschied bei der Wahl von Physik: „Physik rangierte bei den Jungen mit 10,4% auf Platz acht, bei den Mädchen mit 1,9% auf Platz zwölf.“

Damit liegt eine Ursache für den fehlenden Frauenanteil in hochqualifizierten IT-Berufen klar auf der Hand bzw. bildet sich dies bereits bei der Wahl des Studiengangs Informatik ab: Nur 25% aller Studienanfänger:innen waren auch 2019 weiblichen Geschlechts, so Berechnungen der Bitkom. Dieses Verhältnis wird sich bis zum Abschluss des Bachelors noch einmal verschlechtern, da Frauen gerade bei Informatik die höchsten Abbruchquoten haben. Halten sie da durch, ist die Abbruchquote im Masterstudium deutlich geringer.

Studien in den USA offenbaren, dass dies v. a. auf die Didaktik in Mathematik zurückzuführen sind. Frauen, die Informatik als Studienfach wählen, bringen durch ihre erfolgreiche Schulzeit zwar ein gewisses Selbstvertrauen mit. Stoßen sie dann aber auf erste Schwierigkeiten beim Lösen höherer Mathe-Aufgaben, geben sie zu schnell auf, weil sie denken, sie wären offenbar doch kein Mathe-Typ, was sie bislang dachten. Frauen können kein Mathe, heißt es ja bekanntlich. (Dasselbe Problem ließe sich für kulturelle Minderheiten beschreiben, aber das würde hier zu weit führen.)

All dies kann man gut im Buch von Jo Boaler zu Das neue Lernen dezidiert nachlesen – ich hatte hier letzthin bereits über sie geschrieben.

Der MINT-Fachkräftemangel ist also ein strukturelles Problem, das bereits in der Schule angelegt ist und auch nicht unbekannt ist. Seltsamerweise trifft dieses Phänomen aber nicht auf alle Länder zu. Laut Bundeszentrale für politische Bildung:

Für den Bereich der Mathematik ist die internationale Befundlage weniger einheitlich. Hier zeigte sich in PISA 2018 für 13 der 37 OECD-Länder kein Geschlechtsunterschied und für drei Länder (Finnland, Norwegen, Island) eine Überlegenheit der Mädchen. In den übrigen 21 OECD-Ländern erzielten die Jungen signifikant höhere Testergebnisse, so auch in Deutschland.

Darüber hinaus schließen Schülerinnen in Deutschland häufiger mit besseren Abitur-Noten ab – nur eben nicht in Mathe und Physik.

Fassen wir zusammen:

Wer landet schlussendlich in hoch qualifizierten IT-Berufen? Es sind vorzugsweise weiße, deutsche (Bio-)Männer, die im Übrigen kein gesteigertes Interesse an einer Frauenförderung in diesem Sektor zeigen, wie ich in einer Evaluation las, die ich aber nicht öffentlich machen kann.

Und dieses Ergebnis ist hausgemacht seitens eines Bildungssystems, das bekanntlich sehr frühzeitig Kinder in Förderschulen und Gymnasien unterteilt. Wir wissen, diese Zuteilungen sind stark soziokulturell geprägt. Zudem kommt das oben beschriebene Problem.

Aber jede:r kann Mathe (und anderes) lernen, das zeigen Jo Boaler und andere regelmäßig auf. Stattdessen haben wir uns entschieden, bereits frühzeitig einen großen Talentepool auszufiltern zugunsten der vorzugsweise männlichen Nachfolger der bestehenden Mittel- und Oberschicht.

Google kürzt Gehälter von im Home Office tätigen Beschäftigten

piqer:
Ole Wintermann

Nachdem in den letzten 1,5 Jahren Millionen von Beschäftigten weltweit die Vorteile des Home Office (Flexibilität, Selbstbestimmung, Umwelt- und Zeiteinsparung, Vereinbarkeit) infolge der Pandemie erfahren und wirtschaftsschwache Regionen durch Umzüge von Familien in diese preiswerteren Gegenden profitieren konnten, sind es nun ausgerechnet die Tech-Konzerne, die “zurückschlagen”.

Google, Facebook und Twitter haben anscheinend (Kultur-?)Probleme damit, dass ihre Angestellten ihren Arbeitsort zunehmend selbst wählen können. Obgleich gerade erst Sundar Pichai von Google verkündet hatte, dass Google zukünftig den Beschäftigten deutlich mehr Flexibilität in der Wahl des Arbeitsortes überlassen werde, kommt nun eine Nachricht von Google, die all diese Entwicklungen droht zunichtezumachen.

Das Unternehmen führt einen Pay Calculator ein, der den Beschäftigten zeigt, wie sich ihr Einkommen verändert, wenn sie umziehen. Die Einkommenseinbußen, die sich für Menschen und vor allem Familien ergeben, die in eine Region mit niedrigeren Lebenshaltungskosten umziehen, sind beträchtlich und liegen zwischen 5% und 25% des bisherigen Einkommens. Neben der rechtlichen Bedenklichkeit bezüglich der Aberkennung eines bereits zugestandenen Gehalts bei unveränderter Tätigkeit dürfte diese Unternehmenspolitik weitreichende städteräumliche, umweltpolitische und unternehmenskulturelle Auswirkungen haben. Es dürfte für die Beschäftigten zu Recht nicht nachvollziehbar sein, wieso ein und dieselbe Tätigkeit unterschiedlich entlohnt wird, während zur gleichen Zeit im Zuge der Diversitätsbemühungen gleiche Bezahlungen für gleiche Tätigkeiten in den Vordergrund geschoben wurden.

Remote Work bleibt also augenscheinlich im Kern eine Machtfrage. Kurzsichtiger könnten Unternehmen nicht agieren. Dass es auch anders geht, zeigen Zillow und Reddit, die eine solche unterschiedliche Entlohnung ablehnen.

Wenn Pflege Profit bringen soll, leidet die Qualität

piqer:
Antje Schrupp

Bis vor wenigen Jahrzehnten war professionelle Altenpflege in Europa fast ausschließlich eine Dienstleistung von Einrichtungen der Wohlfahrtsverbände – Kirchen, Arbeiterwohlfahrt und andere gemeinnützige Organisationen. Doch mit dem Neoliberalismus der 1980er Jahre wurde der Markt für private Unternehmen geöffnet. Inzwischen sind in Großbritannien 76 Prozent aller Heime in privater Hand, in Spanien sogar 80 Prozent, in Deutschland betreiben gewinnorientierte Unternehmen 43 Prozent aller Pflegeeinrichtungen.

Hatte die Öffnung für private Dienstleister anfangs tatsächlich dazu beigetragen, die behäbigen Strukturen der traditionellen Pflege aufzulockern und sie strukturell zu verbessern, hat sich dieser Effekt nach einer Gemeinschaftsrecherche von Investigate Europe inzwischen ins Gegenteil verkehrt. Vielerorts sind nicht mehr kleine Unternehmen, sondern riesige internationale Konzerne in das Geschäft mit der Pflege eingestiegen, die das Ganze in erster Linie als Renditeobjekt sehen. Vor allem aufgrund von zu niedriger Personaldecke leidet oftmals die Qualität und damit die Würde der betreuten Menschen erheblich. Gelder, die von Privatpersonen und der öffentlichen Hand in die Pflege gesteckt werden, werden so teilweise direkt in Gewinne umgeleitet.

Die ersten Länder – etwa Österreich – wollen daher die Altenpflege wieder dem privaten Gewinninteresse entziehen.

Leben im „Szene-Kiez“, aber das Kind kommt auf eine andere Schule

piqer:
Mohamed Amjahid

Diese vierteilige Reportage vom ARD-Mittagsmagazin begleitet eine weiß-deutsche Mutter aus Neukölln über Wochen bei einer wichtigen Phase ihres Lebens. Sie befindet sich in einem Gewissenskonflikt: Gerne lebt sie mit ihrer Familie im Szene-Kiez, nur ihren Sohn möchte sie nicht auf die benachbarte „Problemschule“ schicken. Deswegen hat sie sich bei mehreren Schulen beworben und bisher nur Absagen bekommen.

In der Reportage wird die besagte Schule ebenfalls vorgestellt: 90 Prozent der Kinder kommen aus Haushalten, in denen nicht Deutsch als Muttersprache gesprochen wird. Was vorurteilsmäßig dazu führt, dass diese Schule ein schlechtes Image hat. Doch Lehrer*innen, Sozialarbeiter*innen, Wissenschaftler*innen, Eltern und die Schulleitung betonen: Es fließen sogar mehr Mittel in den Schulunterricht, es gibt mehr Pädagog*innen und die Schule ist weder besser noch schlechter als andere Grundschulen. Einen objektiven Grund, seine Kinder hier nicht hinzuschicken, gibt es nicht.

Die weiß-deutsche Mutter kümmern diese Fakten aber wenig. Sie behauptet, dass sie sich wegen Corona die besagte Schule im Kiez nicht als Hospitantin anschauen und sich darüber ein eigenes Bild machen könne. In mehreren Szenen sieht man sie hin- und herüberlegen, ob sie ihren Sohn doch nicht auf die Einzugsschule nebenan schicken soll. Doch eine Szene verrät doch ihre Intention: Als der Sohn einen Platz in der entfernten Privatschule bekommt, zu der sie demnächst mühsam pendeln muss, fällt ihr ein Stein vom Herzen. Sie sagt:

„Ich weiß noch nicht, wen ich zuerst anspringen soll vor Freude (…) Da bin ich egoistisch. Da denke ich an meine Familie im Kleinen, als an die Gesellschaft im Großen.“

Man könnte diesen Egoismus auch mit einem Wort abkürzen: Rassismus.

Die komplette Doku kann man hier an einem Stück sehen.