Tarifpolitik

Wie hoch ist der Tarifabschluss in der Metallindustrie tatsächlich?

Der IG Metall wird gelegentlich vorgeworfen, dass ihr jüngster Tarifabschluss kaum mehr als eine Nullrunde darstellen würde. Um aber die Bedeutung einer vereinbarten Lohnerhöhung vor dem Hintergrund der ökonomischen Rahmendaten bewerten zu können, muss sie auf die jeweiligen Kalenderjahre umgerechnet werden. Eine Analyse von Thorsten Schulten.

Foto: mw238 via Flickr (CC BY 2.0)

Am 6. Februar 2018 haben sich die Tarifvertragsparteien in der Metall- und Elektroindustrie in Baden-Württemberg auf ein umfangreiches Tarifpaket verständigt, das verschiedene Entgelt- und Arbeitszeitkomponenten miteinander kombiniert. Dazu gehören unter anderem:

  • eine Pauschalzahlung von 100 Euro für die Monate Januar bis März 2018,
  • eine Erhöhung der Tarifentgelte ab dem 1. April 2018 um 4,3%,
  • die Einführung eines tariflichen Zusatzgeldes von 27,5% eines Monatsentgeltes sowie eines tarifdynamischen Festbetrages von 400 Euro. Beides wird jährlich und erstmals im Juli 2019 gezahlt,
  • ein individueller Anspruch auf befristete Reduzierung der Arbeitszeit auf bis zu 28 Stunden pro Woche inklusive Rückkehrrecht auf eine Vollzeitstelle von 35 Stunden,
  • die Möglichkeit für Beschäftigte, die Kinder erziehen, Angehörige pflegen oder besonders belastete Arbeitszeiten haben, anstelle des tariflichen Zusatzentgeltes acht zusätzliche freie Tage zu wählen,
  • eine Ausdehnung der Möglichkeit für die Unternehmen, die Arbeitszeiten für einen bestimmten Beschäftigtenanteil auf bis zu 40 Stunden zu verlängern.

Die Komplexität des Tarifabschlusses bringt es mit sich, dass die öffentliche Kommentierung des Abschlusses mitunter recht unterschiedlich ausfällt. Dies gilt insbesondere für die Frage, wie die vereinbarten Entgelterhöhungen zu bewerten sind. So vertreten beispielsweise Heiner Flassbeck und Michael Paetz die These, dass die im Metallabschluss vereinbarten Entgeltkomponenten „im besten Fall gut 3 Prozent pro Jahr“ ausmachen. In anderen Online-Portalen ist zu lesen, dass die IG Metall nach Abzug der Inflationsrate „kaum mehr als eine Nullrunde gelungen sei“.

Berechnung der kalenderjährlichen Tariferhöhung

Im Tarifarchiv des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung berechnen wir regelmäßig die auf das Kalenderjahr bezogene Erhöhung der Tarifentgelte in Deutschland. Hierzu werden jedes Jahr mehr als 1.500 Tarifverträge ausgewertet. Für jeden einzelnen Tarifvertrag berechnen wir, wie sich das Tarifentgelt in einem Jahr gegenüber dem Vorjahr verändert hat. Die so gewonnenen Daten über die kalenderjährliche Erhöhung der Tarifentgelte werden dann – gewichtet mit den jeweiligen Beschäftigtenzahlen – zu Branchen- und gesamtwirtschaftlichen Daten aggregiert und können danach mit anderen jahresbezogenen Daten wie z.B. der Preis- und Produktivitätsentwicklung verglichen werden (weitere methodische Erläuterungen finden Sie hier).

Bezogen auf den aktuellen Tarifabschluss in der Metall- und Elektroindustrie kann dies anhand einer kleinen Modellrechnung des WSI-Tarifarchivs verdeutlicht werden. Wie der weiter unten folgenden Tabelle entnommen werden kann, haben wir als Ausgangspunkt eine mittlere Entgeltgruppe des bisher gültigen Entgelttarifvertrages  der Metallindustrie in Baden-Württemberg gewählt. Diese entspricht der sogenannten „Eckentgeltgruppe“, in der FacharbeiterInnen und Fachangestellte nach dreijähriger Berufsausbildung eingruppiert sind. Die tarifvertragliche Grundvergütung (d.h. ohne Zulagen und Sonderzahlungen) betrug in dieser Entgeltgruppe im Jahr 2017 insgesamt 37.101 Euro.

Mit der Einmalzahlung von 100 Euro im März 2018 und der Erhöhung der Entgelte um 4,3% ab April 2018 erhöht sich die tarifvertragliche Grundvergütung für das Jahr 2018 auf 38.586 Euro. Dies entspricht einem jahresbezogenen Zuwachs von 4,0%. Im Jahr 2019 kommt es im Juli zur erstmaligen Zahlung des tarifvertraglichen Zusatzgeldes von 27,5% des Monatsentgeltes, was in diesem Fall einem Betrag von 891,17 Euro entspricht. Hinzu kommt der vereinbarte Festbetrag von 400 Euro. Damit erhöht sich die tarifvertragliche Grundvergütung des Jahres 2019 in dieser Entgeltgruppe auf 40.178 Euro, was einer jährlichen Zuwachsrate von 4,1% entspricht.

Tarifvertragliche Grundvergütungen in der
Metall- und Elektroindustrie Baden-Württemberg

Eckentgeltgruppe E7 (Facharbeiter nach dreijähriger Berufsausbildung) ohne Zulagen und Sonderzahlungen

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* inkl. Einmalzahlung von 100 Euro. ** ab April 2018: Erhöhung um 4,3%. *** inkl. tarifliches Zusatzentgelt von 27,5% des Monatsverdienstes plus 400 Euro Festbetrag. **** Rundungsdifferenzen möglich. Quelle: Berechnungen des WSI-Tarifarchivs

Da der aktuelle Tarifabschluss in der Metallindustrie sowohl eine Einmalzahlung als auch einen tarifdynamischen Festgeldbetrag von 400 Euro pro Jahr enthält, ist damit eine soziale Komponente verbunden, die zu einer überdurchschnittlichen Erhöhung in den unteren Entgeltgruppen führt. So liegt die kalenderjährliche Tariferhöhung hier nochmal einige Zehntel Prozentpunkte höher. In den höheren Entgeltgruppen liegt sie hingegen knapp unterhalb von 4%.

Der Tarifabschluss führt nicht nur zu einem kräftigen Anstieg der Reallöhne, sondern auch zu einem klaren Überschreiten des Verteilungsspielraums und entsprechender Umverteilung zugunsten der Beschäftigten

Würde man nun nicht nur die tarifvertraglichen Grundvergütungen, sondern auch Sonderzahlungen wie Weihnachts- und Urlaubsgeld berücksichtigen (wie dies z.B. die IG Metall in ihren Informationen  zum Tarifabschluss macht), so würde in der Entgeltgruppe 7 die Tariferhöhung im Jahr 2018 ebenfalls bei 4% liegen, sich im Jahr 2019 jedoch von 4,1 auf 3,7% verringern. Laut Tarifvertrag beträgt das Urlaubsgeld 50% des Urlaubsentgelts und das Weihnachtsgeld 55% eines Monatsentgelts. Mit einer prozentualen Lohnerhöhung steigen demnach auch beide Sonderzahlungen. Der für 2019 vereinbarte Festgeldbetrag verändert hingegen die Höhe der Sonderzahlungen nicht. Da aufgrund der Berücksichtigung von Weihnachts- und Urlaubsgeld sich die Gesamtlohnsumme für 2019 jedoch erhöht, fällt die soziale Komponente des Festgeldbetrages etwas weniger ins Gewicht und die jahresbezogene Erhöhung ist einige Zehntel Prozentpunkte niedriger.

Unterm Strich kann jedoch festgehalten werden, dass der Abschluss in der Metallindustrie den Beschäftigten sowohl 2018 als auch 2019 Tariferhöhungen von um die 4% pro Jahr beschert. Angesichts einer für 2018 prognostizierten Inflationsrate von etwa 1,5% und einem Produktivitätswachstum von 1% führt dies nicht nur zu einem kräftigen Anstieg der Reallöhne, sondern auch zu einem klaren Überschreiten des Verteilungsspielraums und entsprechender Umverteilung zugunsten der Beschäftigten. Dies gilt auch dann, wenn man statt der aktuellen Jahreswerte die Zielinflationsrate der EZB (1,9%) und die Trendproduktivität (1%) als neutralen Verteilungsspielraum zugrunde legt.

 

Zum Autor:

Thorsten Schulten ist der Leiter des WSI-Tarifarchivs des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung und lehrt als Honorarprofessor an der Universität Tübingen. Auf Twitter: @ThorstenSchult6