Fremde Federn

Holzpreis, Krypto-Präsident, Monopolisten

Diese Woche unter anderem in den Fremden Federn: Frust über Joe Bidens Klimapolitik, wer Amazons kostenlose Lieferung wirklich bezahlt und warum es im Welthandel gerade so viele Flaschenhälse gibt.

Foto: Jojo Bombardo via Flickr (CC BY-ND 2.0)

In den „Fremden Federn“ stellen wir einmal pro Woche in Kooperation mit dem Kuratorendienst piqd eine Auswahl von lesenswerten journalistischen Fundstücken mit wirtschaftspolitischem Bezug zusammen. piqd versteht sich als eine „Programmzeitung für guten Journalismus“ – was relevant ist, bestimmen keine reichweitenoptimierten Algorithmen, sondern ausschließlich ausgewählte Fachjournalisten, Wissenschaftler und andere Experten.

Frust über die Klimapolitik der neuen US-Regierung

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Ralph Diermann

War ja eigentlich klar, dass Joe Biden die himmelhohen Erwartungen an seine Klimapolitik kaum wird erfüllen können. Und in der Tat, nach einem knappen halben Jahr zeigt sich deutlich: Die neue Regierung kann längst nicht so viel bewegen, wie sie angekündigt hatte. Der Guardian legt nun eine Bestandsaufnahme vor (die allerdings nicht vollständig ist).

Auf der Haben-Seite stehen große Fortschritte wie die Rückkehr zum Pariser Klimaabkommen, der Widerruf von Baugenehmigungen für die Öl-Pipeline Keystone XL oder der Einstieg in die Offshore-Windenergie. Auf zwei anderen zentralen Feldern gab es zuletzt aber große Rückschläge. So haben mehrere Gerichte der Regierung untersagt, Pachtverträge für das Erschließen von Öl- und Gasvorkommen auf öffentlichem Grund außer Kraft zu setzen. Solche Fördervorhaben sind für ein Viertel aller Treibhausgas-Emissionen der USA verantwortlich. Klimaschützer werfen der Biden-Administration nun vor, dass sie nicht alles juristisch Mögliche tue, das Bohren nach Öl und Gas zu verhindern.

Enttäuscht zeigen sich Klimaschützer auch darüber, dass von Bidens ursprünglich zwei Billionen US-Dollar schwerem Infrastrukturprogramm nicht mehr allzu viel übrig bleibt. Dieses Paket hätte enorme Investitionen in Klimaschutz-Maßnahmen möglich gemacht. In Verhandlungen mit den Republikanern haben sich die Demokraten nun aber darauf eingelassen, das Paket zu halbieren. Wobei niemand ernsthaft damit rechnen konnte, dass Biden sein Paket unverändert durch den Kongress bekommt.

Huch, der Holzpreis

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Rico Grimm

Es geht gerade eng zu in der Weltwirtschaft: zu wenige Chips für die Autobauer, zu wenig Holz für die Häuslebauer, zu wenig Kautschuk, Kupfer, Öl – zu wenig von allem. Deswegen stiegen die Rohfstoffpreise in den vergangenen Monaten rasant. Vor allem gestiegene Benzin- und Ölpreise machten Schlagzeilen über Finanzmedien hinaus. Inzwischen hat sich die Situation etwa beim Holz wieder etwas entspannt. Aber trotzdem werden die Preise für lange Zeit vermutlich nicht mehr auf das Vorkrisenniveau zurückkehren. Warum die Preise so stark stiegen – und was das für die Globalisierung bedeutet, erklärt in diesem Interview die Wirtschaftsprofessorin Lisandra Flach.

Zwei Dinge kommen zusammen:

1. Die Corona-Lockdowns und Grenzschließungen ließen die Produktion in allen möglichen Branchen einbrechen. Gleichzeitig wiederum zog der Konsum dank staatlicher Hilfen und Nachholeffekte konstant an. Bis heute sind die Kapazitäten aber noch nicht wieder da, wo sie vor der Krise waren.

2. Ähnliches gilt für den Flaschenhals für alle Güter: den Transport. Monatelang konnten große Containerschiffe ihre Ladung nicht löschen, lungerten in den Gewässern vor den großen Welthäfen herum – während gleichzeitig eben die Nachfrage nach Transporten anzog. Außerdem sei die Branche extrem stark konzentriert, so Flach. Weswegen sie sich nicht schnell genug an die neue Lage angepasst habe.

Die große Bitcoin-Show des Nayib Bukele

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Jannis Brühl

El Salvadors Präsident zeigt sich online mit Laseraugen – ein Zeichen für seine Hingabe an den Bitcoin. Das ist aber mehr als ein Meme oder ein persönlicher Spleen. Nayib Bukele hat den Bitcoin zu einem nationalen Zahlungsmittel seines Landes erhoben. Seine Interessen und sein Talent als ehemaliger Werber für die ganz große Show beleuchtet mein Kollege Christoph Gurk in diesem Porträt. Dabei erklärt er die Komplexität eines von Gewalt geprägten Landes, in dem der widersprüchliche, in keine Schublade passende Bukele zu autoritären Methoden greift – und jetzt auch noch zu Krypto:

Der Bitcoin-Vorstoß hat die ganze Kritik und das angeknackste Image nun zumindest international wieder gekittet. Bukele, der Werber und PR-Mann, hat sich mal wieder neu inszeniert, und nun lässt er sich als Held und wagemutigen Vorreiter feiern. Niemand redet mehr über die Korruptionsaffären seiner Regierung oder die Misshandlung von Häftlingen. Stattdessen aber über Kryptowährungen und, genau, auch das: Laseraugen.

Weil El Salvador ein tragisches, aber auch etwas verrücktes Land ist und Bukele ein Exzentriker, liest sich das Ganze teils wie ein Polit-Thriller und teils wie Comedy – viel Spaß. Wer mehr über die Frage von Geldüberweisungen von Migranten in die Heimat lesen will – eines von Bukeles Hauptargumenten für den Bitcoin – kann dazu hier meinen kleinen Text zum Thema lesen.

Dezentral denken, Bitcoin kapieren

piqer:
Jannis Brühl

Die Hochs und Tiefs des Bitcoin und seine irrlichternden Verfechter lenken einen manchmal vom Wesentlichen ab: dass die Technologie der Blockchain durchaus interessant ist. In diesem Text beleuchtet Ijoma Mangold das logisch-philosophische Konzept dahinter – und das trägt zum Verständnis, warum die Blockchain zumindest in diesem Fall nicht nur kein snakeoil ist, sondern wirklich etwas Neues. Es ist ein Aufruf zum dezentralen Denken, was in einer Gesellschaft mit mehr oder weniger funktionierenden zentralen Institutionen gar nicht so einfach fällt. Aber das ist das zentrale Prinzip:

Im Kern des Glaubensbekenntnisses der Bitcoiner steht Dezentralität. Der Bitcoin ist Peer-to-Peer, ein Netzwerk, das keine Steuerungsinstanz kennt. Was der Bitcoin ist, bestimmt die Mehrheit der Netzwerkteilnehmer. Deswegen ist er auch schwer anzugreifen, zum Beispiel durch Regierungen. Es gibt nicht den einen Kopf, den man abschlagen könnte, um das Ungeheuer auszuschalten – man müsste schon das Internet selbst abstellen.

Mangold beschreibt die Ideengeschichte des verschlüsselten Geldes, von rechten Libertären, die der Regierung die Kontrolle über das Geld entreißen wollten (eine ziemlich riskante Idee) und die Cryptoanarchisten, die hinter unknackbaren mathematischen Computerrätseln unsichtbar für den Staat werden wollten. In der irrwitzigen Idee der Bitcoin-Blockchain ist aus diesen Ideen etwas entstanden, was man laut Mangold nur begreifen kann, wenn man Dezentralität begreift. Ein schöner Text, der die Essenz der Krypto-Träume (und -Phantastereien) destilliert.

Wer Amazons kostenlose Lieferung wirklich bezahlt

piqer:
Rico Grimm

Kostenloser Versand ist der Gott des Internethandels.

Ein Satz wie ein Donnerschlag – ein wahrer Satz, den Matt Stoller, Anti-Monopol-Aktivist, zum Ausgangspunkt seiner höchst lesenswerten Analyse über Amazon macht.

In den USA, in der EU und auch in China haben Regierungen begonnen, die Geschäftspraktiken der großen Tech-Plattformen unter die Lupe zu nehmen. Ein Vorwurf steht im Raum: Amazon, Facebook, Apple, Alibaba etc. nutzen ihre Größe, um unfaire Geschäftspraktiken durchzusetzen, sie agieren wie Monopolisten.

Hier nun wird es vertrackt: Denn in der gängigen Theorie und auch gemäß geltendem US-Recht ist ein Monopol nur dann schädlich, wenn dadurch die Preise für Konsumenten viel höher sind als sie es sein müssten (siehe z.B. den deutschen Gewürzmarkt). Aber wir Nutzer:innen müssen nichts zahlen, um Googles Dienste zu nutzen oder auf Facebook herumzuhängen, auch bei Amazon ist von Wucherpreisen nichts zu spüren – jedenfalls nicht für uns Kund:innen, oder?

Und doch hat in den USA nun der erste große Anti-Monopol-Prozess gegen Amazon begonnen. Matt Stoller nimmt sehr genau auseinander worum es geht. Der Vorwurf:

[Die Staatsanwaltschaft] behauptet, dass Amazon nicht nur die Konkurrenten erdrückt, sondern dabei auch die Verbraucherpreise *erhöht*.

Wenn das stimmen würde, wäre das ein Paukenschlag. Zum ersten Mal könnte Big Tech mit dem klassischen Monopolrecht begegnet werden. Was genau soll Amazon tun und was hat der kostenlosen Versand damit zu tun?

Amazon zwingt Drittverkäufer defacto für seine Versandkosten zu zahlen, indem es ihnen Provisionen abverlangt, die bis zu 45% erreichen

Was manche vielleicht gar nicht wissen: Nicht alles, was auf Amazon verkauft wird, verkauft auch Amazon. Die Seite ist eine Mischung aus Händler und Plattform für andere Händler. Das kann sie sein, weil sie so viel Kundschaft hat. Die Dritthändler lassen sich auf Amazons Bedingungen ein, um diese Kundschaft zu erschließen.

Dabei wiederum wichtig aus Sicht der Händler: Wo das eigene Produkt auf der Webseite auftaucht. Auf Seite drei der Suchergebnisse, wo niemand hinklickt oder in der „Buy Box“, einem speziellen Layout-Element auf der Seite, das zu 80 Prozent der Verkäufe führt? Alle wollen in die Buy Box. Und hier kommt der Haken: Wer Amazon bezahlt, um die Logistik abzuwickeln, landet mit höherer Wahrscheinlichkeit in dieser Box. Wie gleichen die Dritthändler diese höheren Preise aus? Indem sie selbst die Preise erhöhen.

Voilà, ein Monopol.

Überwachungs-KI am Arbeitsplatz: Segen oder Fluch?

piqer:
Ole Wintermann

„Ist die Nutzung von künstlicher Intelligenz (KI) am Arbeitsplatz, um vonseiten des Arbeitgebers die Arbeit der Beschäftigten zu ‚monitoren‘, kritisch zu sehen?“, fragt ein aktueller Beitrag auf Politico.eu.

Uber-Fahrer müssen sich mit einem Selfie in der App anmelden, bevor sie aktiv werden. Die KI überwacht die Bewertung des Fahrers durch die Nutzer. Häufen sich schlechte Bewertungen, so wird dem Fahrer gekündigt. Was wiegt schwerer: Die negativen Konsequenzen für den Fahrer oder die Qualitätssicherung für die Kundinnen?

Amazon hat Aufsehen erregt, als es Überwachungskameras in den Lieferwagen installiert hat, um angeblich nur das Fahrverhalten der Fahrerinnen verbessern zu wollen. Das Unternehmen betont, dass dieses Ziel tatsächlich erreicht worden ist. Des Weiteren will Amazon mit einem neuen System die Muskelbeanspruchungen tracken, um einseitige Belastungen der Beschäftigten zu verhindern. Der Autohersteller Ford hat mit Hilfe von KI in Armbändern garantieren können, dass der soziale Abstand in Zeiten der Pandemie eingehalten worden ist.

Auf der (behaupteten) Haben-Seite der Anwendung solcher Techniken stehen also potenziell mehr Gesundheitsschutz, höhere Produktivität, Transparenz und Leistungsgerechtigkeit. Diese durchaus positiven Auswirkungen werden jedoch durch den Verlust eines Teils der Privatsphäre und der Autonomie individuellen Handelns aufgewogen. Zudem ist ein Einspruch gegen die KI-basierten Entscheidungen kaum umzusetzen, da Arbeitnehmerinnen immer gegen die scheinbar kühle Logik der KI argumentieren müssen.

Hier sehen die Autorinnen Politik und Gewerkschaften in der Pflicht, ein entsprechendes Gegengewicht zu den Arbeitgeberinnen zu bilden. So verbietet die EU, dass personenrelevante Entscheidungen allein auf Basis einer KI getroffen werden. Letztentscheidend muss immer ein Mensch sein. Einzelne Länder der EU verabschieden zudem noch strengere Gesetze, die im Kern darauf abzielen, dass die technischen Grundlagen der KI, die zu einer personenrelevanten Entscheidung führen, den Gewerkschaften gegenüber offengelegt werden müssen. Die Gewerkschaften stehen nun aber auch in der Pflicht, diese verantwortungsvolle Rolle mit Leben zu füllen.

Was dem Text leider fehlt, ist eine offene Debatte über die tatsächlichen Netto-Nutzen einer solchen KI. Transparenz über Arbeitsproduktivität kann ja durchaus ein nicht zu vernachlässigender Baustein für leistungsgerechte Bezahlung sein; besserer Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz ist ein immens drängendes Problem, das mithilfe von KI angegangen werden kann. Wie wollen wir entscheiden, ob Schaden oder Nutzen schwerer wiegen?

Vielleicht die wichtigste Frage unserer Zeit: Wie lernst du?

piqer:
Anja C. Wagner

Die persönliche Neugierde kontinuierlich aufrechtzuerhalten, um sich in den dynamischen Entwicklungen unserer Zeit immer wieder zurechtzufinden, ist eine große Herausforderung.

Lernen zu lernen haben die wenigsten im klassischen Bildungssystem gelernt – und ist von daher der am höchsten bewertete Online-Kurs auf class central: Die University of California San Diego bietet auf Coursera Learning How to Learn: Powerful mental tools to help you master tough subjects kostenfrei an – bislang haben sich fast 3 Millionen Menschen dort eingetragen. Dies nur als Vorab-Info zu dem verlinkten Artikel, falls man sich fragt, wie man denn lernen lernen soll, wenn man es nie gelernt hat.

Der HBR-Artikel empfiehlt nämlich den Personalabteilungen in den Unternehmen, den Jobsuchenden eine einfache Frage zu stellen: Wie lernen Sie?

Daran könne man ablesen, ob Menschen offen sind für Neues, wie sie sich weiterentwickeln, wie gut sie sich kennen, welche Formate sie nutzen usw. usf. Sie müssen das lebenslange Lernen tatsächlich beherrschen, nicht nur theoretisch antizipieren können. Entsprechend hat dies nichts mit der ausufernden Zertifikatskultur gemein 😉

Lebenslanges Lernen wird inzwischen allgemein als wirtschaftlicher Imperativ und „einziger nachhaltiger Wettbewerbsvorteil“ angesehen. Jobkandidat*innen und Mitarbeiter*innen, die ihre Fähigkeiten überdenken, aktualisieren und verbessern, sind die Leistungsträger*innen, besonders auf lange Sicht. Sich mit der Frage zu beschäftigen, wie wir lernen, bringt eine harte, pragmatische Kante in den wichtigen, aber nebulösen Begriff des ‚Growth Mindsets‘.

Nun könnten wir gleich abwinken und diesen personalisierten Wachstumsbegriff in die neoliberale Vergangenheit senden. Derweil: Auch jenseits der Erwerbsarbeit schadet ein kontinuierliches Growth Mindset nicht, wenn wir im Interesse der Bewältigung der Klimakrise, der Verteidigung unserer Demokratie und einer solidarischen Wirkungsweise uns weiterentwickeln jenseits dessen, was wir lange Zeit für nahezu gottgegeben hielten.

Wenn man verstehen will, was sich draußen verändert (und es ist eine ganze Menge), dann scheint es geboten, in einen zirkulären Weiterbildungsprozess zu verfallen. Nur dann können wir als kollektive Intelligenz unsere Umwelt mitgestalten und uns mit unseren jeweiligen Talenten aktiv einbringen.

Wir müssen wohl alle offener werden, selbstkritischer auch und darauf achten, ob uns unsere Umgebungen eher hemmen oder fördern in unserer individuellen Weiterentwicklung. Nicht um mehr Geld zu verdienen, sondern um die größte Wirkungskraft zu entfalten.

Auf jeden Fall achten zunehmend Arbeitgeber*innen auf diese Kompetenz – und ihr solltet Unternehmen auch danach bewerten, ob sie euch dabei unterstützen. Davon handelt dieser Artikel und gibt Tipps, wie man vielleicht ein positives Lernverhalten entwickelt.