Fremde Federn

Greenflation, kolonialer Wasserstoff, Bürgergeld

Diese Woche unter anderem in den Fremden Federn: Inwiefern das Bürgergeld (nicht) vom Arbeiten abhält, wie Nike mit ineffizienter Online-Werbung seinen Vorsprung verlor und warum Menschen in den USA immer weniger Kinder kriegen.

Foto: Jojo Bombardo via Flickr (CC BY-ND 2.0)

In den „Fremden Federn“ stellen wir einmal pro Woche in Kooperation mit dem Kuratorendienst Forum (früher piqd) eine Auswahl von lesenswerten journalistischen Fundstücken mit wirtschaftspolitischem Bezug zusammen. Formum.eu versteht sich als eine „Programmzeitung für guten Journalismus“ – was relevant ist, bestimmen keine reichweitenoptimierten Algorithmen, sondern ausschließlich ausgewählte Fachjournalisten, Wissenschaftler und andere Experten.

Treibt der Klimaschutz die Inflation an?

piqer:
Jürgen Klute

Treibt der Klimaschutz die Inflation an? Dieser Frage ging die Bertelsmanstiftung mittels einer Studie nach (die komplette englischsprachige Studie unter dem Titel „Carbon Prices and Inflation in a World of Shocks“ ist kostenfrei hier als PDF-Download erhältlich). Sie erschien bereits am 1. Juli 2024, hat aber offensichtlich in der bundesdeutschen Medienlandschaft bisher kaum Resonanz gefunden. Um so erfreulicher ist es, dass András Szigetvari diese auf die Bundesrepublik bezogene Studie im Wiener Standard vorgestellt hat. Immerhin, so Szigetvari, dürften die Aussagen der Studie weitgehend auch auf Österreich übertragbar sein.

Hintergrund ist, dass die EU ab 2027 den Zertifikatehandel für CO2-Emissionen deutlich ausweitet. Ab dann werden auch Gebäude und der Verkehrssektor in dieses System einbezogen, die bisher davon ausgenommen sind. Das bedeutet, dass Unternehmen, die Benzin und Diesel verkaufen oder Gas oder Heizöl an die Haushalte liefern, ab 2027 an einem eigenen Zertifikatehandelssystem, dem „ETS 2“, teilnehmen müssen.

Die Studie untersucht die möglichen Auswirkungen auf die Inflationsrate. Die EZB hat den politischen Auftrag, diese innerhalb der Eurozone knapp unter 2% zu halten. Übersteigt die Inflationsrate diese Schwelle, muss die EZB darauf reagieren. Die EZB kann ausschließlich geopolitisch auf eine mögliche klimaschutzbedingte Inflationssteigerung reagieren. Das würde aber schnell zu sozialen Spannungen und zur Gefährdung der dringen nötigen Klimaschutzpolitik der EU führen.

Dementsprechend hat die Studie auch nach politischen Alternativen zu den Handlungsmöglichkeiten der EZB gefragt. Aus Sicht der Studie ist es recht einfach möglich, durch eine kluge Politik der Bundesregierung (und natürlich auch der Regierungen der anderen EU-Mitgliedsländer), die möglichen inflationären Wirkungen des „ETS 2“ zu vermeiden – wenn es denn politisch gewollt ist und mit dem politischen Handeln nicht bis 2027 gewartet wird.

Wie das „ETS 2“ die Inflation beeinflussen und mit welchen konkreten politischen Handlungsmöglichkeiten die Bundesregierung dem aus Sicht der Verfasser:innen der Studie entgegensteuern kann, hat András Szigetvari in seinem Beitrag gut zusammengefasst.

Liegt das Schicksal Europas in Deutschlands Händen?

piqer:
Emily Kossak

Wer sorgt für Stabilität in der Welt, wenn Trump wiedergewählt wird und die USA sich aus der Ukraine und/oder der NATO zurückziehen? Der amerikanische Blogger und Journalist Noah Smith sagt: Schaut man sich die Bevölkerungszahl, die Wirtschaftskraft und den Wohlstand aller EU-Länder an, bleibt nur Deutschland übrig. Auch wenn weder die EU noch die NATO einen Anführer hat oder zwingend braucht, prophezeit Smith:

Deutschland ist so groß und wichtig, dass, wenn es nicht die Führung der EU und der NATO übernimmt, diese steuerungslos und träge werden.

Wie kommt Smith darauf? Sein Aufruf, Deutschland müsse die Führungsposition in Europa übernehmen, speist sich einerseits aus dem hohen Ansehen, das Deutschland in der Welt genießt. Andererseits stützt Smith seine Forderung auf die Gefahr durch Russland. Laut ihm schlittern Deutschland und Europa schlafwandelnd in eine Katastrophe:

Da Amerika weitgehend aus dem Spiel ist, steht Europa allein vor dem Kampf gegen Putin und sein neues russisches Reich.

Ich stimme fast keiner der Behauptungen von Smith zu: weder, dass Deutschland heute ein Verteidiger von Frieden und Freiheit ist, noch der Behauptung, dass Deutschland ein liberaler Nationalismus gut tun würde (Smiths Feststellung, Deutschland befände sich bereits in einem Wirtschafts- und Cyberkrieg gegen Russland, ist zumindest eine Überlegung wert). Lesenswert ist der Text trotzdem, da er einen Einblick in ausländische Diskurse über Deutschland verschafft.

Und egal ob man ein starkes Deutschland als ein Heilsversprechen oder eine Bedrohung versteht, wirft der Text eine Frage auf, über die es sich lohnt nachzudenken: Bedeutet die Neuverteilung von globaler Macht (durch den Niedergang einer Supermacht wie den USA) zwingend eine Bedrohung?

Kolonialer Wasserstoff aus Namibia?

piqer:
Jürgen Klute

Die Bundesregierung und Teile der deutschen Wirtschaft sehen in grünem – also mit Solarstrom erzeugtem – Wasserstoff eine Alternative zur Elektromobilität. Es ist unumstritten, dass es Bereiche gibt, in denen derzeit fossile Energieträger nicht durch Elektrizität ersetzt werden können. Dort wird Wasserstoff als Alternative vorerst nötig sein. Wasserstoff als Energieträger für den Massenverkehr gilt nach heutigem Wissensstand als äußerst ineffizient und sehr teuer, da die Produktion von Wasserstoff ein Mehrfaches an Strom erfordert als die direkte Nutzung von Strom für Elektromotoren in Autos.

Manche Verteidiger der Wasserstofftechnologie verweisen dann auf die negativen sozialen und ökologischen Folgen des Abbaus der Rohstoffe, die derzeit für leistungsfähige Batterien benötigt werden. Dieser Hinweis ist zwar berechtigt. Aber er blendet aus, dass die Produktion von grünem Wasserstoff kaum weniger negative Folgewirkungen hat.

Albert Shilongo zeigt diese negativen Folgewirkungen am Beispiel Namibias auf, in dem die Bundesregierung grünen Wasserstoff für die bundesdeutsche Wirtschaft produzieren lassen will. Denn in Deutschland reichen weder Flächen noch Sonne und Wind aus, um die für die Produktion von ausreichend grünem Wasserstoff nötigen Mengen an klimaverträglich erzeugtem Strom zu produzieren (Quellenangaben dazu finden sich hier in meiner Antwort auf den Kommentar von Ral Schnitzler). Vor dem Hintergrund des Völkermords an den Herero und Nama, den Deutschland im Gebiet des heutigen Namibia vor über 100 Jahren verübt und zu verantworten hat, bekommt das Ansinnen der Bundesregierung noch eine zusätzliche Brisanz, wie Shilongo darlegt. Shilongo zeigt aber auch mögliche Alternativen zu einem neokolonialistischem Produktionsmodell auf.

Hält das Bürgergeld vom Arbeiten ab?

piqer:
Jürgen Klute

Die aktuelle Führungsebene der CDU und die FDP schießen sich gerade auf Bürgerinnen und Bürger ein, deren Einkommen knapp über oder unterhalb der offiziellen Armutsgrenze liegen. Die offizielle Armutsgrenze liegt laut EU-Standard bei 60 Prozent des mittleren Bedarfs-gewichteten Einkommens der Bevölkerung in Privathaushalten. Das dahinter liegende Interesse ist offensichtlich: Die Schuldenbremse erzwingt weitere Einsparungen in den öffentlichen Haushalten. In diesem Teil der Gesellschaft ist es leichter, Einsparungen durchzusetzen, als in anderen Teilen, die das durchaus ohne substantiellen Schaden verkraften könnten, Steuerbelastungen durchzusetzen.

Angesichts dieser Debatte hat sich nun der Chef des Deutschen Instituts der Wirtschaft (DIW) in Berlin, Marcel Fratzscher, in diese Debatte eingemischt. In seiner Kolumne in DIE ZEIT hat er sich die Argumente der Gegner des Bürgereinkommens vorgenommen und er entkräftet sie mit statistisch fundierten Zahlen. Hier eine kleine Leseprobe:

Fakt ist jedoch auch, dass die Totalverweigerer eine kleine Gruppe sind: Gemessen an den Sanktionen sind das etwa 16.000 von den 5,5 Millionen Beziehern. Dies sind 16.000 zu viel, aber sie sind mit 0,4 Prozent eben auch eine verschwindende kleine Minderheit aller Bürgergeldbezieher. Auch daher ist der Populismus gegen Menschen im Bürgergeld so perfide: Es wird eine große Mehrheit in Kollektivhaftung für eine kleine Minderheit genommen und ihre legitimen Bedürfnisse dadurch delegitimiert.

Wie in dem Text anklingt, rechtfertigt Fratzscher keineswegs einen betrügerischen Umgang mit Transferleistungen, sondern er ordnet die statische Relevanz der Missbrauchsfälle ein und entlarvt damit in diesem wie auch in weiteren Punkten die Interessen von Merz, Spahn, Lindner & Co. und liefert somit einen substantiellen Beitrag zur Debatte.

Maduro’s Linksdiktatur und ein venezolanischer Weg zur Demokratie

piqer:
Thomas Wahl

Venezuela hat gewählt. Und alles spricht dafür, dass die Wahl vom amtierenden Präsidenten und linken Autokraten Nicolás Maduro gestohlen wurde. Die Gewalt eskaliert. In einem Land, das über die weltgrößten Ölvorkommen verfügt, aber seit Jahrzehnten heruntergewirtschaftet wird. Ein Land, in dem der Durchschnittslohn monatlich 130 Dollar beträgt, mehr als 50 % der Menschen unter dem Existenzminimum leben und fast acht Millionen vor Armut, Korruption und Unterdrückung geflohen sind. Ein Land, in dem gleichzeitig die korrupten Profiteure des Systems in Saus und Braus leben:

Reich geworden sind sie …. im korrupten Umfeld des staatlichen Erdölkonzerns Petróleos de Venezuela (PDVSA). Täglich setzt er Millionen um, obschon Venezuela nur noch einen Bruchteil des Öls fördert, das es vor zwanzig Jahren aus dem Boden geholt hat. Dank Ländern wie Russland und China kann Maduro sein Öl trotz internationaler Sanktionen auf den Markt bringen, wovon auch seine Günstlinge profitieren. Die meisten sind unter vierzig Jahre alt und werden höchstens dann bekannt, wenn ihre Namen im Zusammenhang mit internationalen Geldwäscheskandalen auftauchen. Vor einigen Jahren verprassten sie ihre Millionen noch in Paris, New York oder Monaco. Weil im Zuge der Sanktionen aber auch ihr Bewegungsradius eingeschränkt wurde, haben sie sich zu Hause eine Luxusblase erschaffen.

Sicher, Venezuela war immer eines der korruptesten Länder Lateinamerikas. Wie die NZZ schreibt, waren schon in den 1970er Jahren für jeden Staatsauftrag 10 Prozent Schmiergeld zu zahlen. Hugo Chávez ersetzte dann die öffentlichen Ausschreibungen durch eine vom Militär kontrollierte Auftragsvergabe, die noch undurchschaubarer ist. Chavez, der 1998 seine erste Wahl gewann und dreimal in Folge wiedergewählt wurde, konnte sicher von sich behaupten, demokratisch legitimiert zu sein. Wie damit auch große Teile seiner Bolivarischen Revolution.

Chávez’ Bolivarische Revolution bezog sozialistische und marxistische Ideen ein und nutzte nach der Verstaatlichung der Schlüsselindustrien den Ölreichtum Venezuelas zur Finanzierung seiner Vorstellung vom „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“ in der Sozialpolitik sowie einer Klientelpolitik.

Diese Legitimation kann man nach wiederholten Versuchen Maduro’s das gewählte Parlament abzusetzen und mehreren Vorwürfen von Wahlfälschungen, von dem nun diktatorisch herrschenden Maduro sicher nun nicht mehr behaupten. Aber was liest man z.B. in vielen deutschen Medien:

Amtsinhaber Maduro sagt, er habe die Wahl gewonnen, …“ (ZDF)

„Der autoritäre Staatschef wittert ein Komplott. Er will die Macht nicht abgeben.“ (SZ)

Nach teilweise blutigen Protesten und internationalen Appellen hat Venezuelas Präsident Maduro den Obersten Gerichtshof aufgefordert, die Ergebnisse der Präsidentenwahl zu überprüfen. (tagesschau)

Ein Schelm, der dieser Wortwahl Absicht unterstellt. Oder stimmt doch, was die WELT vermutet?

Nicolás Maduro wird in zahlreichen Medien als „autokratisch“ bezeichnet. Das ist korrekt. Doch anderes als bei anderen Politikern wie Donald Trump, Jair Bolsonaro oder Javier Milei, die medial als rechtsextrem, rechtspopulistisch oder rechtslibertär definiert werden, fehlt in der Berichterstattung über die drei linksextremen Autokratien und Diktaturen Kuba, Venezuela und Nicaragua meist der kleine, aber entscheidende Zusatz „links“. Das legt die Vermutung nah, dass damit linke Ideologien von Morden, Folter und Vertreibung verbal und medial entkoppelt werden sollen. Also ist Nicolás Maduro in vielen Berichten eben nur „autokratisch“ und nicht „links autokratisch“.

Wir haben es hier also mit dem Abgesang (hoffentlich) eines linksextremen Experimentes zu tun. Das aber nur nebenbei. Die Frage, die der eigentlich hier empfohlene Artikel aus „Foreign Affairs“ stellt, ist eine andere: Gibt es trotz Maduros Anspruch auf den Wahlsieg immer noch einen Weg zur Demokratie in Venezuela? Die Antworten auf diese Fragen sind natürlich aus dem Blickwinkel einer Zeitschrift formuliert, die sich selbst als politisch neutral sieht, die aber wohl eine US-amerikanische Sichtweise der Dinge bevorzugt.

Offensichtlich hat dieses linksextreme Regime auf unterdrückerische Methoden gesetzt, mit Betrug und Einschüchterung versucht, die Wähler zu regierungskonformen Abstimmungen zu bewegen. Es gibt unzählige Berichte über Unregelmäßigkeiten in den Wahllokalen. Die nationale Wahlkommission (NEC) steht Maduro nahe und agiert intransparent. Aber so Foreign Affairs auch:

Bislang war Maduro ein gerissener, effektiver und risikoscheuer Autokrat, insbesondere nachdem er die Stärke der Opposition bei den Parlamentswahlen 2015 unterschätzt hatte. Dementsprechend scheint es unwahrscheinlich, dass er dieses Mal eine relativ wettbewerbsfähige Wahl zulassen wollte – wettbewerbsfähig genug, um dem Chavismo, der von Maduros Vorgänger und Mentor Hugo Chávez gegründeten Bewegung, zum ersten Mal seit einem Vierteljahrhundert einen echten Wahlsieg zu verschaffen.

Es ist Maduro nicht gelungen, wie in den Präsidentschaftswahlen 2018 die Opposition zu spalten und die Wähler zu demobilisieren. Das liegt einerseits in der Einigkeit der Opposition, andererseits aber auch am internationalen Druck.

In den letzten zehn Jahren haben Washington und seine Partner das Maduro-Regime sowohl mit der Peitsche (z. B. Sanktionen) als auch mit Zuckerbrot (z. B. Aufhebung der Sanktionen) zu wettbewerbsfähigen Wahlen gedrängt. Ohne diese anhaltenden Bemühungen der verschiedenen US-Regierungen hätte die venezolanische Opposition die Wahlen 2024 möglicherweise ganz boykottiert, wie sie es in der Vergangenheit getan hat. Auch wenn Maduro seine Niederlage nicht eingesteht, hat eine relativ kompetitive Wahl die Unbeliebtheit Maduros deutlich gemacht.

Das ist nun für alle sichtbar. Diesen Schwung gilt es jetzt für die Zukunft zu nutzen und den Druck zu erhöhen, so Foreign Affairs. Wobei sich in der Vergangenheit offensichtlich die amerikanischen Politiker über Parteigrenzen aktiv zu einer solchen langfristigen Politik bekannt haben.

Es ist nicht leicht, in den Vereinigten Staaten eine überparteiliche Politik zu finden. Aber das Vorgehen Washingtons gegenüber Venezuela liefert ein bemerkenswertes Beispiel. Im Jahr 2014 verabschiedete der US-Kongress den Venezuela Defense of Human Rights and Civil Society Act und leitete damit die Sanktionspolitik der Vereinigten Staaten gegenüber Venezuela ein. Im Jahr darauf erließ Präsident Barack Obama eine Durchführungsverordnung zur Ausweitung des Sanktionsregimes. Und Präsident Donald Trump baute auf dieser Strategie auf, indem er versprach, „maximalen Druck“ auszuüben und ab 2019 noch weitreichendere Wirtschaftssanktionen gegen Maduros Regierung zu verhängen, mit besonderem Augenmerk auf das staatliche Erdöl- und Erdgasunternehmen Petróleos de Venezuela, S.A. (PDVSA). Im selben Jahr erkannte Trump zusammen mit 59 anderen Staatschefs Juan Guaidó, den Sprecher der venezolanischen Nationalversammlung, als Interimspräsidenten des Landes an.

Im Anschluss gab es auch eine Reihe von persönlichen Sanktionen und Strafanzeigen gegen Maduro und 14 seiner Mitarbeiter wegen Korruption, Drogenhandel, Drogenterrorismus und anderer Verbrechen. Dazu kam, dass internationale Organisationen auf die Unterdrückung In Venezuela aufmerksam wurden. Anfang 2019 zeigte der UN-Menschenrechtsrat schwere Menschenrechtsverletzungen auf.

Zwei Jahre später eröffnete der Internationale Strafgerichtshof eine Untersuchung gegen Venezuela wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

Andererseits drängte die Biden-Regierung zusammen mit der mexikanischen und der norwegischen Regierung auf Verhandlungen zwischen dem Maduro-Regime und der Opposition. Diese Gespräche führten zu einer Absichtserklärung mit einem Entwurf für die Zulassung fairer Präsidentschaftswahlen.

Nach einem dreijährigen Boykott der Staats- und Kommunalwahlen, der weithin als Farce angesehen wurde, nahm die Opposition die Wahlpolitik wieder auf. Maduro akzeptierte sogar eine Wahlbeobachtungsmission der Europäischen Union, die zur umfassendsten Diagnose des mangelhaften Wahlsystems des Landes führte.

Als eines von mehreren „Zuckerbroten“ lockerte Biden 2022 einige Sanktionen und erteilte Chevron eine Lizenz für die Ölförderung in Venezuela.

Außerdem ließ die Regierung zwei Neffen von Maduros Frau frei, die wegen Drogenvergehen in einem US-Bundesgefängnis saßen. Für Maduro und seine Verbündeten waren diese Zuckerbrot und Peitsche ein Vorgeschmack auf das, was sie erwartete, wenn sie weiterhin Fortschritte auf dem Weg zu relativ freien Wahlen machten.

Diese und andere Strafverschonungen werden auch als Hinweis an Maduro gesehen:

Eine relativ freie Wahl zuzulassen, könnte als seine eigene „Komm-aus-dem-Gefängnis-frei“-Karte dienen. Für die Opposition könnte sich der Bau einer goldenen Brücke zur Amnestie für Maduro am Ende als entscheidend erweisen, um seinen Rücktritt sicherzustellen.

Die Opposition ist damit, wie die Wahlen gezeigt haben, jetzt stärker als je zuvor. Insgesamt empfiehlt der Autor Jose Ignacio Hernández weiterhin, den internationalen Druck aufrechtzuerhalten, um die Venezolaner für eine Zukunft nach dem Chavismus zu unterstützen.

Washington und andere externe Akteure müssen Maduro eine klare Botschaft übermitteln: Ein revanchistisches Regime, das versucht, sich an die Macht zu klammern, obwohl es kein legitimes öffentliches Mandat hat, wird nicht in der Lage sein, die Beziehungen zur Außenwelt zu normalisieren oder die Versprechen einzuhalten, die es privaten Investoren gegeben hat.

Aber es gilt auch, einen „Übergangsrahmen“ zu schaffen, der Maduros Kosten für Abgang von der Macht senkt. So hat die Opposition signalisiert, dass sie zu einer Amnestie für Maduro und seine Verbündeten bereit wäre, um damit einen geordneten und nachhaltigen Übergang zu gewährleisten.

Wie „Nike“ mit ineffizienter Online-Werbung seinen Vorsprung verlor

piqer:
Rico Grimm

Die US-amerikanische Sportschuh-Firma „Nike“ war einmal das Synonym für Fitness, Athletik und Wettkampf. Die Firma sponsorte die Größten des Sports, entwarf immer wieder neue revolutionäre Produkte und verdiente so sehr viel Geld. All das endete im Jahr 2020. Die Firma verdient immer noch sehr viel Geld, aber cool ist Nike schon lange nicht mehr und es verliert in allen Kategorien Marktanteile.

Was vor vier Jahren passierte, beschreibt dieser LinkedIn-Post en détail. Wer sich für Marketing, Vertrieb und die digitale Aufmerksamkeitsökonomie interessiert, interessiert sich auch für diesen Post. Denn Nike begann im Jahr 2020 einen Turnaround: weg von großen werbewirksamen Sponsoring-Verträgen und anschließenden Verkäufen in den Schuhläden dieser Welt, hin zu digitalem Direktvertrieb. Die Strategie ging während des Lockdowns für ein paar Monate auf und implodierte in den Jahren danach.

Denn digitale Werbung (die Werbung, die du bei Google, Insta, Twitter usw. siehst), ist ein hartes, teures, ineffektives Geschäft, wo viel mit Rabatten hantiert werden muss, die wiederum die Marke und die Marge beschädigen. Nike blieb auf Hunderttausenden Schuhen sitzen. Moneyquote aus dem LinkedIn-Text:

Wie in den vierteljährlichen Gewinnmitteilungen angekündigt, lag der Lagerbestand am 31. Mai 2021 bei 6,5 Mrd. $. Am 31. Mai 2022 lag er bei 8,5 Mrd. $. Am 30. November 2022 erreichte er 10 Mrd. $. Nike wusste nicht mehr, was es produzieren sollte, wann es produzieren sollte, wohin es liefern sollte.

Die Analyse geht noch tiefer, aber die Lektion ist klar: nur weil etwas messbar ist, muss es nicht besser sein. Denn, ja klar, kann ich bei digitaler Werbung die Klicks zählen und weiß hingegen bei einem großen Marken-Event nicht genau, wie es ankommt. Aber gerade für Lifestyle-Marken wie Nike ist diese nicht zählbare Coolness das Entscheidende.

Warum kriegen die Menschen in den USA immer weniger Kinder?

piqer:
Theresa Bäuerlein

 

Rechte Politiker:innen und prominente Konservative haben in den letzten Jahren kinderlose Menschen immer wieder kritisiert und sie als selbstverliebt und vom traditionellen Familienleben abgehoben dargestellt. Eine kürzlich vom Pew Research Center durchgeführte Umfrage zeigte, dass eine wachsende Zahl von Erwachsenen glaubt, dass sie wahrscheinlich nie Kinder haben werden. Diese Umfrage bezieht sich auf die USA, aber in fast allen Industrieländern gehen die Geburtenraten zurück. Was steckt dahinter?

Studien über die Gründe für den Geburtenrückgang in den USA lassen keine dramatische Veränderung des Kinderwunsches erkennen. Viele Amerikaner:innen geben in ihren Teenager- und 20er-Jahren immer noch an, dass sie zwei Kinder haben möchten, so Sarah Hayford, Direktorin des Instituts für Bevölkerungsforschung an der Ohio State University. Die Tatsache, dass viele dieser Erwachsenen diese Ziele nicht verwirklichen, bedeute wahrscheinlich, dass äußere Faktoren die Elternschaft erschweren.

„Ich denke, die Probleme liegen eher auf gesellschaftlicher und politischer Ebene“, glaubt Harvard-Soziologin Mary Brinton. Sie und andere Forschende gehen davon aus, dass das Phänomen vor allem auf Faktoren wie steigende Kinderbetreuungskosten, teuren Wohnraum und einen allgemeinen Pessimismus in Bezug auf die Zukunft zurückzuführen ist.

Eine Studie von Soziolog:innen in den Niederlanden ergab, dass Menschen, die die Aussichten der künftigen Generation für „viel schlechter als heute“ hielten, seltener Eltern werden wollten.

Da zudem immer weniger Frauen zu Hause bleiben, um Kinder großzuziehen, kann das Fehlen von Unterstützung für berufstätige Familien – wie bezahlter Mutterschaftsurlaub und verlässliche Kinderbetreuung – Paare dazu bringen zu glauben, dass sie nicht bereit für die Elternschaft sind, so Karen Benjamin Guzzo, Familiendemografin an der Universität von North Carolina.

Die Entscheidung, Kinder zu bekommen, sei der „ultimative Vertrauensbeweis“ in die Zukunft.