Fremde Federn

Globale Lieferketten, Seenotrettung, Gesellschaft des Zorns

Diese Woche unter anderem in den Fremden Federn: Wenn Datenmonopolisten die Geldpolitik steuern, warum der Kampf um den Tory-Parteivorsitz auch ein Kampf um den „wahren Brexit“ ist und was Deutschland von Griechenland lernen kann.

Foto: Jojo Bombardo via Flickr (CC BY-ND 2.0)

In den „Fremden Federn“ stellen wir einmal pro Woche in Kooperation mit dem Kuratorendienst piqd eine Auswahl von lesenswerten journalistischen Fundstücken mit wirtschaftspolitischem Bezug zusammen. piqd versteht sich als eine „Programmzeitung für guten Journalismus“ – was relevant ist, bestimmen keine reichweitenoptimierten Algorithmen, sondern ausschließlich ausgewählte Fachjournalisten, Wissenschaftler und andere Experten.

Was Deutschland von Griechenland lernen kann

piqer:
Dirk Liesemer

Seit Mitte April fordert das griechische Parlament offiziell Reparationszahlungen für Schäden des Zweiten Weltkrieges. Die Rede ist von 290 Milliarden Euro. Bislang wurden jegliche Forderungen von der Bundesregierung strikt zurückgewiesen. Es hieß ganz offiziell, dass alles längst abschließend geregelt sei. Als Zeitungsleser konnte sich einem der Verdacht aufdrängen, die Griechen würden eine maßlose Forderung stellen. Doch die Lage ist offenbar viel weniger eindeutig.

Im am Mittwoch bekannt gewordenen Sachstandsbericht der Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages steht: „Die Position der Bundesregierung ist völkerrechtlich vertretbar, aber keineswegs zwingend.“ Um Rechtsklarheit zu schaffen, raten die Experten, den Streit vom Internationalen Gerichtshof in Den Haag entscheiden zu lassen. Mit anderen Worten: Die griechischen Forderungen waren also viel weniger absurd, als man es hierzulande gerne hätte. Man darf gespannt sein, wie die Debatte zwischen Griechenland und Deutschland weiter verlaufen wird.

Statt einen Text zu piqen, der sich mit dem Für und Wider der griechischen Forderungen auseinandersetzt (von denen es eine Menge im Netz gibt), möchte ich auf eine aktuelle Kolumne von Mark Schieritz hinweisen: Darin geht es vor allem um das demokratische Selbstverständnis in Griechenland und die Wahl des neuen Premierministers Kyriakos Mitsotakis. Schieritz schreibt:

„In Sachen Demokratie können wir womöglich von ihnen etwas lernen. Das sollte vielleicht von deutscher Seite bei künftigen Verhandlungen bedacht werden.“

Ich denke, den letzten Satz sollte man nicht nur bei Verhandlungen über Kredite im Kopf behalten, sondern auch im Hinblick auf die Repartionsforderungen.

Ist das Abkommen zwischen der EU und dem Mercosur gut oder schlecht?

piqer:
Dirk Liesemer

Nach 20 Jahren Verhandlungen haben die EU und der südamerikanische Staatenverbund Mercosur den Aufbau der weltweit größten Freihandelszone vereinbart. Da sollte man doch meinen, dass es eine ganze Menge Beiträge gibt, die sich ausführlich mit dem Pro und Contra befassen. Zu meiner Verwunderung habe ich nicht allzu viel gefunden, was über ein paar Absätze hinausgeht. Immerhin hat sich der österreichische Standard ein wenig mit dem Thema befasst. Ich habe hier ein Für und Wider verlinkt und möchte aber vor allem gleich noch auf ein Interview mit der brasilianischen Forscherin Larissa Mies Bombardi aufmerksam machen, die als Professorin für Geografie an der Universidade de São Paulo unterrichtet und einen 290 Seiten langen, gut dokumentierten Atlas über die Verwendung von Agrargiften in ihrem Land publiziert hat. Sie stellt fest:

Es gibt einen Vergiftungskreislauf. Der Großteil der Pestizide kommt aus den USA und der EU. Chemiekonzerne wie Bayer und seine US-Tochter Monsanto oder Syngenta exportieren in Drittländer auch Pestizide, die in Europa verboten sind. Der Großteil dieser Chemikalien und des Schadens wird natürlich hier in Brasilien angerichtet, aber ein Teil kommt über Exporte in Form von Nahrungsmitteln wieder zurück nach Europa.

Man kann auch sagen: Wir richten uns hier schön in einer Wohlfühlblase ein und kümmern uns nicht weiter darum, wie wir den Rest der Welt mit unseren Giftexporten zugrunde richten. Ob und wann der Freihandelsvertrag zustande kommt, ist derzeit übrigens unklar: Frankreich ist noch nicht bereit, das Abkommen zu ratifizieren.

Der Kampf um den Tory-Parteivorsitz ist auch ein Kampf um den „wahren Brexit“

piqer:
Silke Jäger

Am 23. Juli wissen wir, wer der neue Tory-Vorsitzende und Premierminister Großbritanniens wird: Jeremy Hunt, der amtierende Außenminister, oder Boris Johnson, der Ex-Außenminister – dem man seinerzeit die Oberaufsicht über Geheimdienst und Verfassungsschutz klammheimlich entzogen hatte, weil man ihn für ein Sicherheitsrisiko hielt (hier dazu ein sehr interessanter Text, der auch Aufschlussreiches über die Verbindungen zwischen Geld und Macht und internationale Netzwerke erzählt).

Die Stimmzettel an circa 160.000 Tory-Mitglieder sind verteilt, der Wahlkampf der beiden geht weiter. Johnson hat die besseren Karten, denn man traut ihm eher zu, dass er den Brexit hinkriegt. Er argumentiert dementsprechend: 17,4 Millionen Briten hätten eindeutig für No Deal gestimmt, als sie 2016 ihr Kreuz bei „EU-Austritt“ machten.

Das alles passt ziemlich perfekt zu Johnsons Image: schamlos hochriskante Verrücktheiten machen und andere die Scherben zusammenkehren lassen. Sein Favoriten-Status hat aber auch damit zu tun, dass die Torys seit ungefähr zwölf Monaten eine Beitrittsschwemme erleben: Es sollen reihenweise ehemalige UKIP-Anhänger eingetreten sein. Die werden, so die Vorhersage, ordentlich Druck machen, eine Allianz mit der bei der Europawahl sehr erfolgreichen Brexit-Partei einzugehen, sollte es zu Neuwahlen kommen.

Doch bevor das passiert, will Johnson im Notfall zuerst Parlamentssitzungen vertagen, damit die Abgeordneten den No Deal nicht noch einmal verhindern können. Dann sind mehrere Szenarien denkbar: Vom Misstrauensvotum schon in der ersten Woche nach seinem Amtsantritt bis zu einem alternativen Parlament. Jedenfalls gibt es unter den Abgeordneten einige, die parteiübergreifend zusammenarbeiten, um auf alle Kapriolen vorbereitet zu sein.

Rory Stewart, der überraschend weit beim Vorentscheid zum Parteivorsitz gekommen war, spielt dabei eine wichtige Rolle. Dieser Text stellt seine Pläne und Ideen vor. Es wird deutlich: Der Mann hat noch nicht aufgegeben.

Die Stadt der Zukunft: Mehrfachnutzung öffentlicher und privater Gebäude

piqer:
Michael Hirsch

Die Architekturkritikerin Laura Weißmüller erregt seit geraumer Zeit mit bemerkenswert progressiven Artikeln und Berichten in der Süddeutschen Zeitung Aufsehen. Ganz gleich ob es um aktuelle soziale Probleme des Mietenwahnsinns und der Gentrifizierung, um visionäre Architekturentwürfe oder um gelungene Beispiele der Erzeugung von öffentlichem Raum durch Architektur und Städtebau geht: Immer beschäftigt sich Weißmüller mit progressiven Alternativen zur traurigen Lage der Stadt der Gegenwart.

In diesem Artikel ist der Anlass für ihre Diskussion konkreter Utopien einer lebenswerteren Stadt eine aktuelle Ausstellung in der Architekturgalerie der Pinakothek der Moderne in München. Unter der Überschrift Alles unter einem Dach spaziert die Autorin mit den Lesern durch die Ausstellung Zugang für alle, in welcher die wegweisende Geschichte des progressiven Städtebaus in São Paulo seit den Entwürfen von Oscar Niemeyer in den 1950er Jahren anschaulich erlebbar wird.

Im Mittelpunkt steht die mehrfache Nutzung von öffentlichen wie privaten Gebäuden. Im Kontext wachsender und dichter werdender Städte könnte dieses Konzept wegweisend für den Urbanismus der Zukunft werden: Anstatt Gebäude nur für eine Nutzung zu errichten (z. B. Schulen, Kindergärten, Bürogebäude usw.), könnte es viel mehr gemischte Nutzungen geben, die sowohl den knappen Raum effizienter nutzen, als auch den öffentlichen Raum beleben und Gelegenheiten für Begegnungen und soziale Durchmischung eröffnen.

Globale Lieferketten – aber als Waffe?

piqer:
Michael Seemann

Neulich schrieb ich hier in Bezug auf den Handelskrieg der USA gegen Huawei über Lieferketten und warum Huaweis Ausweg in die Unabhängigkeit nicht so leicht ist, wie sich das manche vorstellen.

Der folgende Artikel nimmt die Lieferketten-Problematik ins nächste Level und fragt, welche geostrategische Bedeutung diese auch über den konkreten Handelskrieg hinaus haben. China hat über die letzten Jahre seinen Einfluss auf die globale Logistik strategisch ausgebaut und neben den eigenen Infrastrukturen noch große Anteile an großen Logistik-Unternehmen, Häfen und Redereien weltweit eingekauft. Hinzu kommt, dass alle diese Unternehmen mit Hard- und Software von Huawei ausgestattet werden – was zumindest theoretisch einen Zugriff auf das gesamte Informations-Management der Globalisierung erlaubt.

Eigentlich dürfte all dies keinen Grund zur Sorge bereiten. Es sind ja schließlich unterschiedliche Unternehmen, die unterschiedliche Dinge auf unterschiedlichen Ebenen von Wertschöpfungsketten bereitstellen. Bedenkt man aber, wie wenig selbstständig chinesische Unternehmen im Zweifelsfall agieren, lässt sich auch eine integrierte Megastruktur darin erkennen, die so zunehmend in eine Position der totalen Kontrolle von weltweiten Lieferketten kommt.

Ich bin dabei unentschieden, wie sehr eine solche Lesart des Agierens von chinesischen Firmen einer generellen Paranoia geschuldet ist. Schließlich ist China – und damit seine Firmen und Logistik-Dienstleister – einfach sehr erfolgreich am Weltmarkt unterwegs, da ergeben sich nun mal Abhängigkeiten. Oder ist es im Gegenteil naiv, keine geostrategische Agenda hinter Chinas Gebaren zu vermuten?

Wie man es auch sieht: Die Macht, die sich aus Chinas Investitionen ergibt, ist real und könnte früher oder später als Hebel gebraucht werden. Vielleicht schon bald, wenn der Handelskrieg andauert.

Wichtigste Beobachtung für mich ist jedenfalls mal wieder, wie wenig das Ökonomische vom Politischen zu trennen ist, auch wenn wir immer wieder so tun, als gäbe es einen „freien Markt“ auf der einen und „souveräne Staaten“ auf der anderen Seite. Beides ist falsch – beide befinden sich in gegenseitiger Abhängigkeit und benutzen einander als Hebel. Zumindest lässt sich vermuten, dass sich die marxistisch gebildeten Chinesen dessen immer wesentlich bewusster waren als der neoliberale Westen.

Was ist eigentlich eine Rezession?

piqer:
Frank Lübberding

Seit dem Jahr 2009 gab es in Deutschland einen kontinuierlichen Aufschwung. Schon die Dauer ist für einen solchen Konjunkturzyklus außergewöhnlich. Das gilt nicht zuletzt beim Vergleich der Wachstumsraten mit den anderen großen Volkswirtschaften in Europa: Frankreich, Italien, Spanien oder die Niederlande.

Deutschland hatte diese Sondersituation seinem exportorientierten Wirtschaftsmodell zu verdanken. Zwar hatte der Zusammenbruch der Finanzmärkte im Jahr 2008 für die deutsche Volkswirtschaft besonders gravierende Auswirkungen beim Rückgang des BIP. Aber sie profitierte dafür auch später von den weltweiten Stabilisierungsprogrammen. Mittlerweile sind die Anzeichen für eine Rezession  unübersehbar. Nicht zuletzt die Umsatz- und Gewinnwarnung von BASF gilt als Indikator für eine „Industrie im Abwärtssog.“ Die Verunsicherung hat auch Folgen für Nachbarländer wie die Schweiz.

Allerdings scheint man bei uns vergessen zu haben, was eine Rezession überhaupt ist. Das Interview mit dem Ifo-Ökonomen Timo Wollmershäuser gibt darauf interessante Hinweise. Denn wir hatten es vor zehn Jahren nicht mit dem typischen Konjunkturzyklus zu tun, sondern mit einem globalen Nachfrage- und Investitionskollaps. Ursache war der desaströse Vertrauensverlust in praktisch alle Anlageklassen des globalen Finanzmarktes. Das ist mit der heutigen Situation nicht vergleichbar. Deshalb wird es jetzt darauf ankommen, ob und wie sich die Rezession der Industrie in unsere anderen volkswirtschaftlichen Sektoren durchfressen wird.

Was aber an dem Interview vor allem bemerkenswert ist: Laut Wollmershäuser befindet sich die Industrie schon seit einem Jahr in dieser Lage. Es könnte damit auch heute mehr sein als eine übliche Rezession – nämlich einen Strukturbruch im deutschen Exportmodell ankündigen, der mehr sein wird als der unvermeidliche Abschwung nach einem zehnjährigen Boom. Es soll allerdings Zeitgenossen geben, die diesen Bruch nicht abwarten können. Wir wünschen dabei gutes Gelingen.

Wenn Datenmonopolisten auch noch die Geldpolitik steuern

piqer:
Gunnar Sohn

Die kritische Masse, die man braucht, um auch im Finanzgeschäft zum Gorilla zu werden, also zum Alleinherrscher, habe Facebook sicherlich, schreiben die Wirtschaftswissenschaftler Hanno Beck und Aloys Prinz in einem Gastbeitrag für die FAZ. Andere internetbasierte Zahlungssysteme könnten schrumpfen und vom Markt verschwinden.  „Dank des doppelten Netzwerkeffektes könnte Libra die Funktion einer Weltwährung erreichen, mit allen Vor- und Nachteilen. Facebook wäre dann ein doppelter Gorilla.“ Und nicht nur das. „Die Libra Association könnte zu einem Großgläubiger von Staaten aufsteigen, sei es über die von ihr gehaltenen Fremdwährungen oder die kurzlaufenden Staatsanleihen, die zur Deckung von Libra dienen. Kauf und Verkauf dieser Papiere können je nach Größenordnung zu deutlichen Preisbewegungen an den entsprechenden Märkten führen. Im Extremfall könnte dies die Geld- und Fiskalpolitik in einigen Ländern und Regionen beeinträchtigen, auch wenn dies von Libra nicht beabsichtigt ist“, schreiben Beck und Prinz.

Es sei kaum zu erwarten, dass eine einmal etablierte digitale Weltwährung die übrigen Währungen unverändert zurücklassen würde. „Entweder passen sie sich an, oder sie verschwinden, oder aber Libra wird als Weltwährung übernommen. Eine solche Entwicklung wäre mit einer unabhängigen Geld- und Fiskalpolitik souveräner Staaten kaum vereinbar.“ Und da sollten jetzt die Ökonomen und Wirtschaftspolitiker ins Grübeln kommen, bei all den Skandalen, die der Zuckerberg-Konzern in den vergangenen Jahren verursacht hat. Es gibt eine Tendenz im Silicon Valley zur Aushöhlung des Staates. Öffentliche Kontrolle, anstrengende und zeitraubende Gesetzgebungsverfahren stören die Business Punker. Als Ergebnis bekommen wir repressive Toleranz, wie es Herbert Marcuse formulierte. Repräsentiert von Vulgär-Kapitalisten wie Donald Trump. Antidemokratische Systemzersetzung im Geiste egozentrischer Machtspiele á la Peter Thiel.

Die Mär vom Pull-Faktor der Seenotrettung

piqer:
J. Olaf Kleist

Ein Argument, dass häufig gegen die private Seenotrettung gerichtet wird, behauptet, dass die Rettung erst Migrant*innen anlocken würde: Die Schlepper würden die Boote den Seenotrettern direkt vor den Bug schicken und – wenn sie nicht eh zusammenarbeiten – so würden sich die Retter mit Schleppern gemein machen. Tatsächlich gibt es aber keinerlei Belege für diese weit verbreitete These. Die SZ hat hier mit einigen der führenden Migrationsforscher*innen Deutschlands gesprochen und sie alle stimmen darin überein: Dass Seenotrettung zu mehr Migration führe, was in der Forschung unter die grobe Kategorie des „Pull-Faktors“, also Migrationsgründe im Zielland, fallen würde, lässt sich einfach nicht belegen. Vielmehr legen Studien das Gegenteil nahe: Ohne Seenotrettung waren 2014 etwa weit mehr Boote unterwegs als später mit.

Dabei ist das Reden über Pull-Faktoren auch eine Ablenkung von den eigentlichen Ursachen, die Menschen in Libyen aufs Boot treiben, nämlich Kriege, Konflikte und menschenverachtende Lager. Frank Düvell fügt hinzu:

Zwar kamen dieses Jahr in absoluten Zahlen weniger Menschen übers Mittelmeer als früher. Die Gefahr, dabei zu sterben, steigt laut Hohem Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR) aber seit Jahren. 2015 kam einer von 269 Migranten ums Leben. 2018 starb einer von 51 Geflüchteten, und in diesem Jahr schon einer von 42. Je weniger Rettungsschiffe kreuzen, desto mehr Menschen sterben.

Dem ist noch eine Zahl hinzuzufügen: 3.071 Menschen sind dieses Jahr in Italien gelandet. Das sind verschwindend wenige. Letztes Jahr kamen allein im Monat Juni mehr Menschen in Italien an. Die Aufregung um Seenotrettung entbehrt nicht nur jeder faktischen und statistischen Grundlage, sie lenkt auch von der Verantwortung ab, die die EU für Migrant*innen in Libyen hat.

„Gesellschaft des Zorns“ – Radiogespräch mit der Soziologin Cornelia Koppetsch

piqer:
Charly Kowalczyk

Die Restaurierung der alten Ordnung sei ein zentrales Versprechen der Rechtspopulisten, meint die Darmstädter Soziologin Cornelia Koppetsch. Denn die gesellschaftlichen Veränderungen durch die Globalisierung der letzten Jahrzehnte haben große Verunsicherung unter vielen Menschen verursacht. Die Analyse dazu liefert sie in ihrem Buch „Die Gesellschaft des Zorns“.

Die Soziologin macht es mit ihren Thesen niemandem wirklich leicht. Das wird deutlich im anregenden und auch ein wenig aufregenden Deutschlandfunk Kultur-Gespräch. Die Mehrheitsgesellschaft müsse sich mit den Rechtspopulisten und ihren Wählerinnen und Wählern auseinandersetzen. „Der Liberalismus oder diejenigen, die ihn vertreten, meinen das eigentlich auch gar nicht böse: Sie sind aufrichtig überzeugt, dass es für alle gut ist, sich vegetarisch zu ernähren, keine Dieselfahrzeuge zu fahren, die Umwelt nicht zu verschmutzen, an das Klima zu denken und andere Menschen nicht auszugrenzen – nur unterstellen sie, dass andere Menschen eben unter ähnlichen Bedingungen leben wie sie selbst, und das ist eben nicht richtig.“ Es helfe nicht, fügt die Soziologin hinzu, alles besser zu wissen.

Viele haben durch den Neoliberalismus in der Gesellschaft an Boden verloren und fühlen sich zu Recht ausgegrenzt. Auch der Anstieg der Mieten sorge für immer homogenere Gemeinschaften in Stadtvierteln. Manche bewegen sich in der globalisierten, transnationalen Gesellschaft wie Fische im Wasser, anderen steht das Wasser bis zum Hals. Cornelia Koppetsch fordert vehement dazu auf, den Erfolg von Rechtspopulisten und der AfD auf allen Ebenen der Gesellschaft zu analysieren. Im Radiogespräch betont sie, dass man um Gottes Willen die Antworten der Rechtspopulisten nicht gut finden muss, aber dennoch erkennen müsse, dass sie Themen ansprechen, die für uns alle relevant sind.

Es lohnt sich, das Gespräch im Radio nachzuhören.

Sind Zehn-Euro-Flüge nach Mallorca ein ökologischer Frevel?

piqer:
Frank Lübberding

In Nordrhein-Westfalen beginnen bald die Sommerferien. Bekanntlich ist Urlaubszeit gleich Reisezeit. Entsprechend wird auf den Flughäfen in unserem Land Hochbetrieb herrschen. In früheren Jahren konnte die Luftfahrtbranche schon einmal die von uns Medien gefürchtete Sommerpause mit Schlagzeilen füllen. Es gab Streiks oder Verspätungen. Bisweilen strandeten Urlauber auf Flughäfen, weil ihre Fluglinie in Konkurs gegangen war.

Heute wollen wir uns aber mit der Stichhaltigkeit des unten zitierten Tweets von „Fridays for future Düsseldorf“ beschäftigen. Er steht pars pro toto für ein häufig zu hörendes Argument: Fliegen wäre aus umweltpolitischer Perspektive zu billig – und dafür sind solche Angebote zum Symbol geworden. Aber stimmt das überhaupt? Nur zum Vergleich: Für einen aktuellen VW Golf VII müsste man für die 1.636 km (Düsseldorf – Mallorca) mit Betriebskosten von mindestens 750 Euro rechnen, ohne Berücksichtigung der Fährkosten und eines Gehalts für den Fahrer. Ein auf dieser Strecke eingesetzter Airbus A 320 oder A 321 mit 200 Sitzplätzen ist zweifellos teurer. Für 2.000 Euro kann keine Fluggesellschaft nach Mallorca fliegen. In Wirklichkeit sind diese Preise kein Beleg für Umweltschädigung, sondern für ökonomische und ökologische Effizienz.

Der betriebswirtschaftliche Mechanismus wird von Claus Hecking in diesem drei Jahre alten Zeit-Artikel gut erläutert. Er sorgt für eine hohe Auslastung der Flüge und senkt damit die CO2-Emissionen pro Passagier. An der ökologischen Effizienz dieses Mechanismus ändere sich selbst dann nichts, wenn man etwa mit einer CO2-Steuer das Preisniveau für den Flugverkehr erhöhte. So dürfen weiterhin alle Kunden mit gutem Gewissen nach günstigen Flugpreisen suchen. Es ist ein sinnvoller Marktmechanismus. Aber natürlich kann man auch mit dem Auto oder der Bahn bis Barcelona fahren, um später die Fähre zu nutzen. Alternativ wäre noch Urlaub auf Balkonien oder in Bad Meingarten möglich. Auf jeden Fall wünschen wir gute Erholung.