Die Zahl der Menschen, die während der Coronavirus-Pandemie auf öffentlichen Plätzen Fahrrad fahren oder zu Fuß gehen, ist in die Höhe geschossen. Städte von Bogota bis Berlin und Vancouver haben Radwege und öffentliche Wege ausgebaut, um dem zusätzlichen Verkehr gerecht zu werden. In Paris werden 650 Kilometer Fahrradwege errichtet, um die Peripherie an die Stadt anzubinden. Aber wird – und sollte – sich das Bild wieder normalisieren, wenn die Krise vorbei ist? Das ist eine Schlüsselfrage, die sich jetzt stellt, da die genauen Auswirkungen der Pandemie auf die Kohlenstoffemissionen deutlich werden.
Unser neuer Forschungsbeitrag zeigt, wie COVID-19 die Emissionen in einer Reihe von Wirtschaftssektoren weltweit beeinflusst hat. Wir fanden heraus, dass die eingeschränkten Aktivitätsniveaus Anfang April in der Spitze zu einem Rückgang der täglichen globalen Emissionen um 17% im Vergleich zum Vorjahreszeitraum geführt haben. Die Analyse ist nützlich, da wir den tiefgreifenden Strukturwandel berücksichtigen, der erforderlich ist, um die globale Wirtschaft auf Null-Emissionen umzustellen.
Nehmen Sie zum Beispiel unsere ruhigeren Straßen. Der Rückgang des Straßenverkehrs ist eine der Hauptursachen für den weltweiten Emissionsrückgang. Wenn wir also das Radfahren und das Arbeiten von zu Hause aus fördern, um die Gesundheitskrise zu überwinden, werden unsere Klimaziele weitaus leichter zu erreichen sein.
Ein Blick auf die Zahlen
In unserer Studie haben wir gemessen, wie die Pandemie die täglichen Kohlendioxidemissionen in 69 Ländern, die 97% der weltweiten Emissionen und sechs Wirtschaftssektoren abdecken, beeinflussen.
Dazu war es erforderlich, neue, sehr detaillierte Daten auf unterschiedliche Weise und aus verschiedenen Quellen zu sammeln. So untersuchten wir beispielsweise die Aktivitäten im Land- und Luftverkehr anhand von Daten von TomTom und iPhone-Richtungsangaben, Aufzeichnungen über den Autobahnverkehr und Flughafenabflüge. Wir verwendeten tägliche Daten, um Veränderungen im Stromverbrauch abzuschätzen. Und wir erstellten einen Index des Niveaus und der Größe der in jedem Land betroffenen Bevölkerung, um die weltweit verfügbaren Daten zu extrapolieren.
Der Höhepunkt der Pandemie
Auf dem Höhepunkt der Krise Anfang April führte die verringerte Aktivität zu einem Rückgang der täglichen globalen Emissionen um 17% im Vergleich zum Tagesdurchschnitt im Jahr 2019. Dieser Rückgang betrug 17 Millionen Tonnen Kohlendioxid von den 100 Millionen Tonnen, die im vergangenen Jahr täglich ausgestoßen wurden. Die täglichen Gesamtemissionen in diesem Zeitraum entsprachen in etwa denen von 2006. Die Tatsache, dass die Welt heute unter „Lockdown“-Bedingungen genauso viel emittiert wie unter normalen Bedingungen vor nur 14 Jahren, unterstreicht den raschen Anstieg der Emissionen in dieser Zeit.
Der Straßenverkehr trug mit 43% am meisten zum Emissionsrückgang bei. Die nächstgrößten emissionsreduzierenden Bereiche waren der Energiesektor (Elektrizität und Wärme für Gebäude und Industrie) und die Industrie (verarbeitende Industrie und Materialproduktion wie Zement und Stahl). Diese drei Sektoren waren für 86% des Rückgangs der täglichen Emissionen verantwortlich. Der Spitzenwert des täglichen Rückgangs der weltweiten Luftverkehrsemissionen (60%) war der größte aller von uns analysierten Sektoren. Der Beitrag des Luftverkehrs zum gesamten Emissionsrückgang betrug jedoch nur 10%, da der Sektor nur 3% der globalen Emissionen ausmacht (hier sind allerdings zusätzliche Erderwärmungseffekte des Flugverkehrs nicht berücksichtigt). Im Wohnsektor stellten wir einen geringen Anstieg der globalen Emissionen fest. Dies dürfte offensichtlich dadurch zu erklären sein, dass die Menschen zu Hause blieben.
Der Ausblick für 2020
Wir haben auch bewertet, wie sich die Pandemie auf die Kohlendioxid-Emissionen im restlichen Verlauf des Jahres 2020 auswirken wird. Dies wird natürlich davon abhängen, wie stark die Beschränkungen in den kommenden Monaten ausfallen und wie lange sie andauern. Wenn die weltweit aktivierten Kontakt- und Ausgangssperren Mitte Juni enden, schätzen wir, dass die gesamten Kohlendioxidemissionen im Jahr 2020 gegenüber 2019 um etwa 4% sinken werden. Wenn für den Rest des Jahres weiterhin schwache Beschränkungen gelten, würde die Reduzierung etwa 7% betragen. Wenn wir die verschiedenen Pandemie-Szenarien und die Unsicherheiten in den Daten berücksichtigen, beträgt die gesamte Bandbreite des Emissionsrückgangs 2 bis 13%.
Wir verwenden einen zweiten Ansatz zur Schätzung des Emissionsrückgangs im Jahr 2020 auf der Grundlage des vom Internationalen Währungsfonds prognostizierten Rückgangs des globalen Bruttoinlandsprodukts (BIP) um 3%. Mit dieser Zahl und dem langfristigen Rückgang der Kohlenstoffintensität der Weltwirtschaft um 2,7% (emittierter Kohlenstoff pro Euro geschaffenen Wohlstand) würden die globalen Emissionen um 5,7% zurückgehen – dieser Wert liegt genau in der Mitte unserer Schätzungen unter Verwendung des datenreichen Ansatzes.
Laut dem Pariser Klimaabkommen und dem UN-Gap-Bericht müssen die globalen Emissionen bis 2030 jährlich um etwa 3% bzw. 8% sinken, um den Klimawandel deutlich unter 2 bzw. 1,5 Grad zu begrenzen. Diese Reduzierung steht im Einklang mit den prognostizierten Emissionsrückgängen in diesem Jahr. Daher wird die Stabilisierung des globalen Klimasystems Veränderungen in unserem Energie- und Wirtschaftssystem von außergewöhnlichem Ausmaß erfordern – vergleichbar mit den Störungen, die COVID-19 mit sich bringt.
Eine Weggabelung
Wie können wir also den aktuellen Emissionsrückgang zu einem Wendepunkt machen? Eine langsame wirtschaftliche Erholung könnte die Emissionen für ein paar Jahre senken. Aber wenn sich das Muster früherer globaler Wirtschaftskrisen wiederholt, werden sich die Emissionen in absehbarer Zeit von den diesjährigen Tiefstständen erholen.
Aber das muss nicht so sein. Die jüngste erzwungene Unterbrechung bietet eine Gelegenheit zu untersuchen, wie die Strukturen, die unseren Energie- und Wirtschaftssystemen zugrunde liegen, verändert werden können. Dies könnte uns auf den Weg zur Dekarbonisierung der Weltwirtschaft bringen.
Lassen Sie uns noch einmal die zusätzlichen Menschen betrachten, die jetzt zu Fuß gehen und Fahrrad fahren. Was wäre, wenn die Regierungen jetzt die Chance ergreifen würden, solch aktives, emissionsarmes Reisen zu unterstützen und es dauerhaft zu machen? Was wäre, wenn wir die Elektrifizierung der Mobilität (öffentliche Verkehrsmittel, Autos, Fahrräder, Motorroller) beschleunigen, um die Transportmöglichkeiten zu erweitern und gleichzeitig die saubere Luft in den Städten zu erhalten? Persönliche Lebensstilentscheidungen zur Reduzierung des Kohlenstoff-Fußabdrucks sind gerade im Mobilitätsbereich am wirkungsvollsten.
Ermutigende Beispiele sind die Pop-up-Fahrradwege in den Berliner Stadtteilen Kreuzberg und Charlottenburg. Sie machen die gesunde und klimaschonende Mobilität sicherer, und machen sie auch für Kinder und weniger sportliche Radfahrer zugänglich. Wichtig ist aber auch die Anbindung der Vororte – hier sind Fahrradschnellstraßen nach Kopenhagener und Pariser Vorbild eine Möglichkeit.
Für die Autoindustrie lässt sich eine Kaufprämie für Verbrenner und auch Plug-in-Hybride schwerlich rechtfertigen, da diese den klimaschädlichen Kapitalstock weiter erhöhen. Stattdessen könnte die Automobilindustrie unterstützt werden, indem sie niedrig verzinste Kredite für den Aufbau oder die Umwandlung zu E-Auto-Produktionslinien erhält. Eine Ausweitung der Shared Pooled Mobility, also von digital vernetzten Sammeltaxis wie dem Berlkönig, Clevershuttle und Moia auf die Vororte, wäre auch möglich. Dies wäre ein wichtiger Schritt, um auch Normalpendler*Innen den Zugang zu digitaler und flexibler Mobilität zu ermöglichen und gleichzeitig die Autobelastung der Städte zu senken.
Die Krise hat den Weg für weitere strukturelle Veränderungen geebnet. Menschen und Unternehmen konnten testen, welche Reisen unerlässlich sind und wann eine alternative Fernkommunikation gleich oder effizienter sein könnte. Die erzwungene Reduzierung des Energie- und Materialverbrauchs bietet allerdings keine langfristigen Anreize für die Verringerung der Treibhausgasemissionen. Wege mit geringem Energie- und Materialbedarf, z.B. durch eine intelligente mobile Steuerung und die Integration mehrerer Geräte, die den Energieverbrauch verringern, führen jedoch zu einer ökologisch nachhaltigeren Entwicklung, während sie gleichzeitig Wohlbefinden, Einkommen und Aktivität steigen lassen.
Wir können uns dafür entscheiden, rasch zum alten „Normalzustand“ zurückzukehren, wo die Emissionen dem gleichen Pfad folgen werden. Aber wenn wir uns anders entscheiden, könnte 2020 der unaufgeforderte Anstoß sein, der den Emissionstrend umkehrt.
Zu den AutorInnen:
Felix Creutzig leitet eine Arbeitsgruppe am MCC Berlin und ist Professor für nachhaltige Stadtökonomie an der TU Berlin. Für den Weltklimarat ko-koordiniert er ein Kapitel zu Nachfrage, Dienstleistungen und sozialen Aspekten des Klimaschutzes.
Pep Canadell ist Chef-Wissenschaftler der Commonwealth Scientific and Industrial Research Organisation (CSIRO) und Geschäftsführer des Global Carbon Project.
Corinne Le Quéré ist Royal Society Research Professorin für Klimawissenschaften an der University of East Anglia.
Pierre Friedlingstein ist für Professor für mathematische Modellierung des Klimasystems an der University of Exeter.
Glen P. Peters ist Forschungsleiter des Center for International Climate Research (CICERO).
Rob Jackson ist Vorsitzender der Commonwealth Scientific and Industrial Research Organisation (CSIRO).
Yuli Shan ist Research Fellow an der Universität Groningen.