Analyse

Gibt es einen Zusammenhang zwischen Populismus und Ungleichheit?

Die Auffassung, dass die auseinanderklaffende Einkommensverteilung ursächlich für den Aufstieg populistischer Bewegungen sei, ist weit verbreitet – und zweifelhaft. Eine Analyse von Helmut Reisen.

Globalisierung, Ungleichheit, Populismus: Es könnte mehr als einen Elefanten im Raum geben. Foto: Pixabay

Das Jahr 2016 hat viele mit der Wahl von Präsident Trump in den USA und der Brexit-Abstimmung im britischen Referendum schockiert. Seitdem wird oftmals davon ausgegangen, dass die zunehmende Ungleichheit den Aufstieg des Populismus bei einer Reihe von Wahlen, insbesondere in Europa, erklären könnte.

Branko Milanovic´ berühmtes Elefanten-Schaubild wird oft herangezogen um zu argumentieren, dass die Globalisierung, wie auch durch das Stolper-Samuelson-Theorem suggeriert, der Mittelschicht in fortgeschrittenen Ländern zum Nutzen Chinas und anderer Schwellenländer geschadet hat.

Quelle: Branko Milanovic: Global Inequality – A New Approach for the Age of Globalization

Der finnische Think-Tank SITRA hat allerdings Zweifel an dieser These angemeldet: So wären es 1988 vor allem wohlhabende Lateinamerikaner und Menschen aus der Mittelschicht des Westens gewesen, die das 75. bis 85. Perzentil der globalen Einkommensverteilung dominierten – jedoch bestand die gleiche Gruppe im Jahr 2008 hauptsächlich aus Chinesen der Mittelschicht. Somit könne man das Elefanten-Schaubild nicht blind dafür verwenden, um die Effekte der Globalisierung auf die Einkommensverteilung zu beschreiben oder den Aufstieg der Populisten in den westlichen Ländern zu erklären.

In einem brillanten Artikel in der New York Times hat der Ökonom Jonathan Rothwell unlängst gezeigt, dass die Vereinigten Staaten in der Ungleichheit-Liga der OECD-Länder führend sind. Dort haben die reichsten 1% ihren Anteil am Volkseinkommen seit 1980 etwa verdoppelt, auf 20% im Jahr 2014. In Europa ist es Großbritannien, wo die reichsten 1% ihren Anspruch auf das Nationaleinkommen am stärksten ausgeweitet haben, von 6 auf 14%. (Der Artikel weist im Übrigen auch einige weit verbreitete Missverständnisse zurück, indem er zeigt, dass ein Anstieg des internationalen Handels – gemessen als Import- oder Exportanteil am BIP – mit mehr Einkommensgleichheit und nicht mit Ungleichheit verbunden ist.)

Ungleichheit und Populismus

Die Erzählung, dass die Zunahme der Einkommensungleichheit die Ursache für Populismus ist, wurde 2017 durch die Wahlergebnisse in Österreich oder Tschechien, also vergleichsweise egalitären Ländern, die trotzdem für Populisten gestimmt haben, angekratzt. Zuvor hatten sich bereits Ungarn und Polen, zwei schnell wachsende Länder mit ähnlichen Merkmalen, dem Rechtspopulismus zugewandt.

Mittels einer Korrelationsanalyse wollte ich die „Ungleichheit führt zu Populismus“-These überprüfen. Dafür habe ich neben den Daten zur Einkommensverteilung den Timbro Authoritarian Populism Index herangezogen. Die Macher des Index behaupten, die einzige umfassende europaweite Studie vorgelegt zu haben, die den Aufstieg des autoritären Populismus in Europa untersucht, indem sie Wahldaten seit dem Jahr 1980 analysierten. Wie ihre Daten zeigen, hat der „autoritäre Populismus“ den Liberalismus überholt und sich als dritte ideologische Kraft in der europäischen Politik hinter den konservativ-christlichen Parteien und der Sozialdemokratie etabliert. Es werden nur Zahlen für Europa angegeben.

Ich habe die Zahlen aus dem Artikel der New York Times und dem Timbro-Index zusammengetragen. Das erlaubt mir, eine Berechnung der Spearman-Rangkorrelation zwischen Anstieg bzw. Höhe der Einkommensungleichheit und dem Timbro Populism Index durchzuführen (mehr zur Methodik und den Resultaten finden Sie hier). Das Ergebnis ist einigermaßen überraschend: Die Korrelation zwischen dem Timbro-Populismus-Index und dem Anstieg des prozentualen Anteils am Nationaleinkommen, der von den Top 1% gehalten wird, ist – wenn auch statistisch unbedeutend – negativ.

Das heißt: Ich muss die Nullhypothese zurückweisen, dass es eine Korrelation zwischen dem Timbro-Populismus-Index und dem Anstieg der Einkommensungleichheit von 1980-2016 bzw. ihrer Höhe im Jahr 2016 gibt. Meine Berechnungen implizieren sicher keine Kausalität und gelten auch „nur“ für ein Panel von 12 europäischen Ländern. Sie können jedoch darauf hindeuten, dass auch andere Entwicklungen populistische Abstimmungen begünstigen, wenn Menschen glauben, dass ihre Lebensweise bedroht ist. In jedem Fall sollten wir uns davor hüten, den wachsenden Zuspruch für populistische Bewegungen allzu monokausal über eine gestiegene Ungleichheit zu erklären. Sonst laufen wir möglicherweise Gefahr, am Thema vorbeizureden.

 

Zum Autor:

Helmut Reisen war bis 2012 Forschungsdirektor am Development Centre der OECD in Paris. Seitdem betreibt er die unabhängige entwicklungspolitische Beratungsfirma ShiftingWealth Consulting und den Blog Weltneuvermessung, wo dieser Beitrag zuerst in einer früheren Version erschienen ist.