Datenanalyse

Gibt es einen Zusammenhang zwischen Arbeitslosigkeit und AfD-Erfolgen?

Als ein gängiges Erklärungsmuster für den Aufstieg rechtspopulistischer Parteien wird in anderen europäischen Ländern immer wieder die Lage am Arbeitsmarkt angeführt. Gilt das auch im Fall der Alternative für Deutschland?

Spätestens seit dem letzten Sonntag gibt es auch in Deutschland eine rechtspopulistische Partei, die im etablierten Parteienspektrum für Wirbel sorgt. Die Alternative für Deutschland (AfD) hat in drei Bundesländern Stimmenanteile in zweistelliger Höhe gewinnen können.

Als ein gängiges Erklärungsmuster für den Aufstieg solcher Parteien wird in anderen europäischen Ländern immer wieder die prekäre Lage am Arbeitsmarkt angeführt. So kann etwa der französische Front National (FN) vor allem in Regionen mit hoher Arbeitslosigkeit punkten. Hier ein Chart, der den Zusammenhang zwischen dem Abschneiden des FN und der Arbeitslosenquote in den jeweiligen Regionen bei der ersten Runde der französischen Regionalwahlen im letzten Jahr zeigt.

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Quelle: The Market Monetarist

Kann dieses Modell auch den Erfolg der AfD erklären?

Wählerbefragungen am Wahlsonntag kamen zu dem Schluss, dass die AfD vor allem bei Arbeitslosen punkten konnte. In Sachsen-Anhalt hätten 38% aller Arbeitslosen ihr Kreuz bei der AfD gemacht.

Um das zu überprüfen, haben wir nach dem Muster des FN-Charts die AfD-Zweitstimmenanteile in allen 94 Stadt- bzw. Landkreisen der drei Bundesländer ausgewertet und mit den jeweiligen Arbeitslosenquoten (Stand Februar 2015) abgeglichen. Hier die Ergebnisse:

In Baden-Württemberg gibt es keinerlei Zusammenhang zwischen dem Abschneiden der AfD in einem Stadt- bzw. Landkreis und der jeweiligen Arbeitslosenquote. Der Korrelationskoeffizient (r) liegt unter 0,05. Statistisch lässt sich damit kein Zusammenhang nachweisen. Bezeichnenderweise fuhr die AfD ihr bestes Ergebnis (25,2%) im Ostalbkreis ein, dessen Arbeitslosenquote mit 3,8% noch unter dem baden-württembergischen Landesdurchschnitt (4,0%) liegt.

AfD_Baden_Württemberg_Arbeitslosenquote_Zweitstimmen_Landtagswahl
AfD-Zweitstimmenanteile auf Basis der vorläufigen Endergebnisse (Stand 14. März 2016) und Arbeitslosenquoten (Stand Februar 2016). Quellen: Statistisches Landesamt Baden-Württemberg, Bundesagentur für Arbeit, Makronom

In Sachsen-Anhalt sieht es ähnlich aus. Der Korrelationskoeffizient liegt hier bei 0,13. Wie eingangs erwähnt, soll die AfD laut Wählerbefragungen in Sachsen-Anhalt bei Arbeitslosen einen Stimmenanteil von 38% erzielt haben. Dies entspräche maximal knapp 50.000 Menschen (in Sachsen-Anhalt gibt es 125.763 registrierte Arbeitslose). Insgesamt fielen aber auf die AfD rund 271.000 Zweitstimmen. Selbst wenn nicht nur gut ein Drittel, sondern sogar jeder einzelne Arbeitslose die AfD gewählt hätte, gäbe es immer noch fast 150.000 Stimmen, die von Nicht-Arbeitslosen kommen.

AfD_Sachsen_Anhalt_Arbeitslosenquote_Zweitstimmen_Landtagswahl
AfD-Zweitstimmenanteile auf Basis der vorläufigen Endergebnisse (Stand 14. März 2016) und Arbeitslosenquoten (Stand Februar 2016). Quellen: Statistisches Landesamt Sachsen-Anhalt, Bundesagentur für Arbeit, Makronom

In Rheinland-Pfalz gibt es bei einem Korrelationskoeffizienten von 0,36 noch den stärksten Zusammenhang, der sich aber immer noch unterhalb der in den Sozialwissenschaften üblichen Definition einer zumindest mittleren Korrelationsstärke von mindestens +/- 0,5 bewegt:

AfD_Rheinland_Pfalz_Arbeitslosenquote_Zweitstimmen_Landtagswahl
AfD-Zweitstimmenanteile auf Basis der vorläufigen Endergebnisse (Stand 14. März 2016) und Arbeitslosenquoten (Stand Februar 2016). Quellen: Statistisches Landesamt Rheinland-Pfalz, Bundesagentur für Arbeit, Makronom

Ein etwas anderes Bild ergibt sich, wenn man alle 94 Stadt- und Landkreise, in denen am Sonntag gewählt wurde, gemeinsam betrachtet. Hier liegt der Korrelationskoeffizient immerhin bei 0,49. Das würde durchaus für einen Zusammenhang zwischen AfD-Abschneiden und Arbeitslosigkeit sprechen.

AfD_Landkreise_Stadtkreise_Arbeitslosenquote_Zweitstimmen_Landtagswahl
Zweitstimmenanteile auf Basis der vorläufigen Endergebnisse (Stand 14. März 2016) und Arbeitslosenquoten (Stand Februar 2016). Quellen: Jeweilige Statistische Landesämter Baden-Württemberg, Bundesagentur für Arbeit.

Allerdings halten wir diese Interpretation nicht für statistisch valide: Denn aufgrund der Gebietsstrukturen ist die Stichprobengröße für Sachsen-Anhalt mit 14 Stadt- und Landkreisen wesentlich kleiner als etwa in Baden-Württemberg, wo es 44 dieser Gebietseinheiten gibt (Rheinland-Pfalz: 36). Gleichzeitig ist das „Bestimmtheitsmaß“ (R²) sehr gering ist – das bedeutet, dass dieser Zusammenhang auch zu 76% durch andere Faktoren erklärbar ist.

Dieses Bild bestätigt sich auch, wenn man die Zusammenhänge zwischen Arbeitslosigkeit und AfD-Erfolgen auf überregionaler Ebene betrachtet. Für den folgenden Chart haben wir für alle Bundesländer, die nicht am letzten Sonntag gewählt haben, die jüngsten Umfragewerte herangezogen (gemäß der Webseite Wahlrecht.de):

AfD_Bundesländer_Arbeitslosenquote_Zweitstimmen_Umfragen_Landtagswahl
Quellen: Statistisches Landesämter, Bundesagentur für Arbeit, Wahlrecht.de, Makronom

Auch diese Berechnung hat nur einen Korrelationskoeffizienten von 0,16 ergeben. Das Bestimmtheitsmaß liegt bei gerade einmal 0,02. Man könnte auch formulieren, dass die Zustimmung zur AfD nur zu 2,5% durch die Arbeitslosenquote erklärt werden kann.

Unsere Ergebnisse deuten somit sehr stark daraufhin, dass die AfD unter den rechtspopulistischen bzw. offen rechtsradikalen europäischen Parteien eine Ausnahme darstellt: Die AfD-Erfolge bei Wahlen und Umfragen lassen sich offenbar nicht durch eine übermäßige Unterstützung durch sozial „Abgehängte“ – in unserer Analyse definiert über die Arbeitslosenquote – erklären. Somit ist es auch zumindest fraglich, ob Forderungen wie die von SPD-Chef Sigmar Gabriel nach einem „Solidaritätsprojekt für unsere eigene Bevölkerung“ tatsächlich neue AfD-Erfolge verhindern könnten.

Die AfD ist kein (rein) ökonomisches Phänomen

Unser persönlicher Eindruck aus Gesprächen mit AfD-Sympathisanten ist eher folgender: Die Erfolge der Rechtspopulisten haben mit ökonomischen Problemen und den individuellen Einkommensverhältnissen höchstens am Rande zu tun. Die „Mitte“-Studien der Universität Leipzig belegen, dass rechtspopulistische Einstellungen auch in der Mittelschicht verbreitet sind.

Dafür spricht auch das wirtschaftspolitische Programm der Partei, dass alles andere als ein Programm für die unteren Gesellschaftsschichten darstellt (Abschaffung des Mindestlohns etc.). Dass der Erfolg der AfD also ein Resultat der in Deutschland immer weiter aufklaffenden „Gerechtigkeitslücke“ ist, wie etwa Freitag-Herausgeber Jakob Augstein meint, hört sich zunächst plausibel an, könnte sich aber als Trugschluss erweisen oder zumindest nur einen kleinen Teil des „Phänomens AfD“ erklären.

Die Flüchtlingskrise mag vielleicht der Brandbeschleuniger für die hohen Stimmengewinne der AfD sein. Es ist auch möglich, dass die Unterstützung für die AfD zurückgeht, nachdem sich die größten Ängste der Bevölkerung vor Ort nicht bewahrheitet haben (dies legen jedenfalls die Ergebnisse einer kürzlich veröffentlichten Studie am Beispiel der österreichischen FPÖ nahe).

Wir sind aber vielmehr der Meinung, dass der Erfolg der AfD eher das Resultat einer Anti-Establishment-Haltung ist, wie sie sich in den USA derzeit in Form von Donald Trumps Erfolgen in noch viel größerem Ausmaß zeigt. Es geht um eine abstrakte Ablehnung „des Systems“, das von „Eliten“ für „Eliten“ gemacht wird, in dem „die Masse“ bzw. „das Volk“ außen vor bleibt.

Dieses Gefühl der „Desintegration“ manifestierte sich in den letzten Jahren in einer Politikverdrossenheit, die sich gerade auf regionaler Ebene in einer geringeren Wahlbeteiligung widerspiegelte. Die AfD schafft es offenbar genau wie Trump, dieses Gefühl zu kanalisieren und die Menschen wieder an die Wahlurnen zu bringen – unabhängig von ihrer Einkommenssituation.

Daher sind wir auch skeptisch, dass die AfD tatsächlich eine “Eintagsfliege“ sein wird. Denn ökonomische Realitäten, z. B. auf dem Arbeitsmarkt, lassen sich politisch verändern – wenn man denn will. Bei einer über Jahre, wenn nicht Jahrzehnte, hinweg aufgebauten Frustration gegenüber „dem System“ ist das ungleich schwieriger.