Unsere Gesellschaft befindet sich inmitten eines tiefgreifenden Transformationsprozesses. Im Zentrum: die Wirtschaft und die Suche nach Wegen zur Nachhaltigkeit. Die nächsten Jahre werden entscheiden, ob uns dieser Wandel by disaster passiert – oder by design gelingt.
Die Debattenreihe Economists for Future (#econ4future) widmet sich den damit verbundenen ökonomischen Herausforderungen und diskutiert mögliche Lösungsansätze. Die Beiträge analysieren Engführungen in den Wirtschaftswissenschaften und Leerstellen der aktuellen Wirtschaftspolitik. Zugleich werden Orientierungspunkte für ein zukunftsfähiges Wirtschaften aufgezeigt und Impulse für eine plurale Ökonomik diskutiert, in der sich angemessen mit sozial-ökologischen Notwendigkeiten auseinandergesetzt wird.
Die Kooperation zwischen Economists for Future e.V. und Makronom startete mit der ersten Ausgabe 2019. Seitdem ist jährlich eine neue Reihe mit wechselnden Themenschwerpunkten erschienen. Die mittlerweile sechste Staffel beleuchtet nun Aspekte rund um das Thema Überfluss. Hier finden Sie alle Beiträge, die bisher im Rahmen der Serie erschienen sind.
Seit 2020 befindet sich Europa in einer Teuerungskrise, die bestehende Ungleichheiten massiv verschärft. Während die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie nachgelassen haben, spüren viele Menschen weiterhin das erhöhte Preisniveau, spätestens seit der russischen Invasion der Ukraine. Diese Krise betrifft jedoch nicht alle gleich: Insbesondere einkommensschwache Haushalte spüren die Auswirkungen, da sie einen überproportional hohen Anteil ihres Einkommens für lebensnotwendige Güter wie Lebensmittel und Energie aufwenden müssen – Bereiche, die besonders starke Preissteigerungen verzeichneten.
Im Frühjahr 2023 wiesen Lebensmittelpreise einen Anstieg von 22,3% im Vergleich zum Vorjahresmonat auf (Abbildung 1) – ein Zuwachs, der seit Jahrzehnten seinesgleichen sucht. Zwar ist die jährliche Inflationsrate seither gesunken, jedoch bleiben Lebensmittelpreise weiterhin hoch, denn sinkende Inflation bedeutet lediglich, dass Preise langsamer steigen. Anfang 2024 gab die durchschnittlichen EU-Bürger*innen etwa 30% mehr für Lebensmittel aus als noch Anfang 2021. Die Energiepreise stiegen 2022 teilweise sogar um mehr als 40% im Vergleich zum Vorjahresmonat, bevor sie 2023 leicht zurückgingen. Dem gegenüber konnten Löhne bisher die Preisentwicklung nicht einholen: EU-weit stiegen die Löhne im Durchschnitt nur um etwa 5% bis 6% jährlich.
Während Menschen mit niedrigem Einkommen unter der Teuerungskrise leiden, verzeichnen manche Unternehmen Rekord- bzw. sogenannte Übergewinne. Übergewinne sind Jahresgewinne, die 10% der gesamten Vermögenswerte eines Unternehmens übersteigen. Im Jahr 2022 erwirtschafteten Unternehmen weltweit etwa 2,2 Billionen Euro an Übergewinnen (Abbildung 2), zusätzlich zu normalen Gewinnen. Diese Gewinne werden teilweise an Eigentümer*innen ausbezahlt. Oxfam schätzt, dass Dividendenauszahlungen zwischen 2020 und 2023 um 45% stiegen. Dies verstärkt die ökonomische Ungleichheit und führt zu einem Teufelskreis, denn (Vermögens-)Ungleichheit erhöht wiederum den Preisdruck, unter dem jene mit geringem Einkommen besonders leiden.
Es ist kein Zufall, dass die Teuerungskrise mit hohen Gewinnen einhergeht – wird sie doch zumindest teilweise von hohen Gewinnen verursacht. Unternehmen nutzen ihre (temporäre) Marktmacht und erhöhen Preise stärker als nötig (siehe z.B. hier und hier). So zeigt eine IWF-Arbeit, dass Gewinne in der Eurozone bis zu 45% der Inflation seit 2022 ausmachen.
In einer bald erscheinenden Studie widmen wir uns speziell der Rolle von Marktmacht und Profiten für die Teuerung im Lebensmittel- und Energiesektor. Diese Sektoren sind von besonderer Bedeutung zum Verständnis der Teuerungskrise, da sie einkommensschwache Haushalte besonders treffen und Energie in fast allen anderen Sektoren als Input verwendet wird. Dadurch steigen die Kosten in fast allen Sektoren ebenfalls. Einige unserer Erkenntnisse sind bereits hier zu finden.
Der Anstieg der Energieinflation ist vor allem auf die russische Invasion in der Ukraine Anfang 2022 zurückzuführen. Jedoch sind enorm hohe (Über-)Gewinne auch ein Mitgrund für höhere Preise. Unsere Analyse zeigt, dass sich die Gewinne von 65 europäischen Energieunternehmen von 2019 bis 2023 versiebenfacht haben (Abbildung 3).
Die bekannten Ursachen für den Anstieg der Lebensmittelpreise in der EU waren Lieferkettenengpässe, steigende Energiekosten sowie mit der Klimakrise verbundene extreme Wetterereignisse. Doch auch die Marktmacht von Unternehmen entlang der Lebensmittelversorgungskette ist ein entscheidender Preistreiber: In Sektoren wie dem Lebensmittelrohstoffhandel spekulieren Agrarkonzerne mithilfe von Finanzinstrumenten strategisch auf Marktturbulenzen und generieren dadurch hohe Gewinne, die in der Folge höhere Nahrungsmittelpreise verursachen und die globale Nahrungsmittelkrise zuspitzen.
Marktmacht und Spekulation spielen auch in anderen Sektoren entlang der Lebensmittellieferkette eine profit- und preistreibende Rolle. Hier ein paar Auszüge aus unserer Studie, basierend auf Firmendaten:
- Düngemittel: Die Gewinne von 9 großen Düngemittelfirmen stiegen von 15 Milliarden US-Dollar (2020) auf etwa 44 Milliarden (2022), parallel zu stark steigenden Düngemittelpreisen. Ein Großteil dieser Gewinne ist zudem auf Spekulation zurückzuführen.
- Transport: Drei globale Allianzen dominieren 80% des Containerhandels und betreiben etwa 95% der Schiffskapazität auf Ost-West-Routen. Die Gewinne der neun größten Reedereien stiegen von 14,7 Milliarden US-Dollar (vor der Pandemie) auf 117,1 Milliarden (2022), wobei die Median-Gewinnmarge von 2,5% auf 48% stieg.
- Lebensmittelhersteller: Große Konzerne wie Unilever, PepsiCo oder Mondelez verzeichnen Gewinnmargen deutlich über 10%, Nestlé sogar über 20% Gewinnmarge über die letzten Jahre hinweg. Unternehmen wie Nestlé haben offenbar erkannt, dass sie ihre Gewinne durch Preiserhöhungen stabil halten können, selbst wenn dies zu einem Rückgang der Verkaufszahlen führt.
- Lebensmittelhandel: In vielen EU-Ländern herrschen oligopolistische Strukturen mit hoher Supermarktkonzentration, besonders in Finnland, der Schweiz, Österreich und Bulgarien. Eine zunehmende Konzentration ist in Finnland, den Niederlanden, Deutschland und Schweden zu beobachten.
Was können wir tun, um dem Preistreiber Profit entgegenzuwirken?
Ein in diesem Zusammenhang heiß diskutierter Ansatz sind Preiskontrollen. Dabei könnten Staaten Höchstpreise festlegen oder Preissteigerungen begrenzen. Solche Maßnahmen hätten das Potenzial, Preisschwankungen zu dämpfen und dadurch Anreize für spekulative Dynamiken zu verringern. Politisch betrachtet sind Preiskontrollen somit speziell für systemrelevante Güter wie Energie und Grundnahrungsmittel attraktiv. Länder wie Spanien, die Slowakei und Frankreich reagierten auf die Teuerung mit Energie-Preiskontrollen und wiesen im Vergleich eine relativ geringere Energiepreisinflation auf.
Ein weiterer Ansatz ist die stärkere Regulierung des Rohstoffhandels. Dazu gehören das Verbot von Indexfonds-Investitionen in Lebensmittelrohstoffe sowie die Einführung einer Finanztransaktionssteuer auf Geschäfte mit Rohstoffderivaten. Angesichts der Dominanz weniger Akteur*innen in diesen Sektoren könnten Reformen auch die Zerschlagung von Monopolen und die Förderung der Beteiligung kleiner Landwirt*innen und Produzent*innenorganisationen an Rohstoffmärkten umfassen. Solche Maßnahmen könnten dazu beitragen, Preisschwankungen zu dämpfen und eine gerechtere Verteilung der Gewinne in der Lebensmittel- und Energieversorgungskette zu erreichen.
Abgesehen von den unmittelbaren Maßnahmen zur Bekämpfung der Teuerungskrise müssen wir auch über einen gerechteren Weg nachdenken, mit den Krisengewinner*innen umzugehen. Im Jahr 2022 stiegen vor allem Übergewinne stark an, insbesondere bei Unternehmen in den Sektoren Lebensmittel, Energie und Transport sowie bei globalen Konzernen wie Apple und Amazon.
Ein Vorschlag, mit hohen (Über-)Gewinnen umzugehen, ist die progressive Besteuerung dieser (Über-)Gewinne bzw. von Kapitaleinkommen allgemein. Die Besteuerung von Arbeitseinkommen in den meisten Ländern ist progressiv gestaltet, im Gegensatz zu Kapitaleinkommen und Gewinnen, die bis auf sehr wenige Ausnahmen linear besteuert werden. Eine Variante davon schlagen wir in dieser Studie vor. Diese Steuer basiert auf der Einteilung von Gewinnen in normale Gewinne (bis 10% Rendite auf Vermögenswerte), Basis-Übergewinne (10-15% Rendite) und Super-Übergewinne (über 15% Rendite). Eine solche progressive Besteuerung von Gewinnen auf EU-Ebene könnte dem Staatenbündnis 126 Milliarden Euro jährlich einbringen und den finanziellen Spielraum zur Bekämpfung der Teuerungskrise erhöhen. Tabelle 1 zeigt Unternehmen, die diese Steuer treffen würde.
Einnahmen einer EU-weiten progressiven Übergewinnsteuer von ausgewählten Unternehmen
Eine weitere Maßnahme sind allgemeine Vermögenssteuern. Die obersten 10% der globalen Vermögensverteilung besitzen 85% des gesamten Nettofinanzvermögens. Das Vermögen der fünf reichsten Männer der Welt verdoppelte sich seit 2020 auf mehr als 850 Milliarden US-Dollar. In der Eurozone (plus Ungarn und Polen) liegt der Anteil des reichsten Prozents der Haushalte bei 32% des Gesamtvermögens, in Ländern wie Österreich sogar bei 41%. Eine Vermögenssteuer wäre eine Möglichkeit für Krisengewinner*innen, einen fairen Beitrag zu leisten und sich mit jenen, die am stärksten unter dieser Krise leiden, solidarisch zu zeigen. Relativ konservative Modelle, die nur 3% der Bevölkerung betreffe, könnten bis zu 300 Milliarden Euro in der Eurozone (plus Ungarn und Polen) erzielen.
Zusammenfassend zeigt sich, dass die Teuerungskrise der letzten Jahre in Europa nicht nur von externen Schocks wie der russischen Invasion in die Ukraine verursacht wurde, sondern von hohen Profiten verstärkt wurde. Während einkommensschwache Haushalte besonders unter den steigenden Kosten leiden, erzielen viele Unternehmen Rekordgewinne. Um diesen Trends entgegenzuwirken, sind politökonomische Maßnahmen wie Preiskontrollen, Regulierung von Spekulation sowie fiskalische Maßnahmen wie eine progressive Besteuerung von Gewinnen oder Vermögen dringend erforderlich. Solche Maßnahmen haben nicht nur das Potenzial, die Last dieser Krise gerechter zu verteilen, sondern können auch langfristig zu einem faireren und ausgeglicheneren Wirtschaftssystem führen.
Zu den AutorInnen:
Ines Heck lehrt und forscht an der University of Greenwich. Ihre Schwerpunkte liegen in der Vermögens- und Verteilungsforschung, Steuervorschläge und der Feministischen Ökonomik bzw. in der Lehre quantitativer Methoden.
Thomas Rabensteiner ist Lecturer in Economics an der University of Greenwich und forscht in den Bereichen Arbeitsökonomie und Industrielle Beziehungen. Als Mitglied des Centre for Political Economy, Governance, Finance and Accountability (PEGFA) trägt Thomas zur Forschung über Wege zu einer ökologisch nachhaltigeren, sozial- und geschlechtergerechteren Wirtschaft bei.