In den „Fremden Federn“ stellen wir einmal pro Woche in Kooperation mit dem Kuratorendienst piqd eine Auswahl von lesenswerten journalistischen Fundstücken mit wirtschaftspolitischem Bezug zusammen. piqd versteht sich als eine „Programmzeitung für guten Journalismus“ – was relevant ist, bestimmen keine reichweitenoptimierten Algorithmen, sondern ausschließlich ausgewählte Fachjournalisten, Wissenschaftler und andere Experten.
Die Gasindustrie hat mitgeschrieben: Wie die Gasumlage entstand
piqer:
Rico Grimm
Wie nur konnte es passieren, dass die Bundesregierung ein Hilfspaket für vom Bankrott bedrohte Gaskonzerne schnürt, das nun aber auch von Firmen in Anspruch genommen werden kann, die Milliardengewinne machen?
Dieser Artikel bei Business Insider liefert eine Antwort: Der Vorschlag für die Gasumlage stammte von der Gasindustrie und den Ratingagenturen, die mit einer Abstufung der Kreditwürdigkeit drohten.
„An den rechtlichen Details der Verordnung tüftelten aber nicht nur die Beamten aus Wirtschafts- und Finanzministerium sowie Vertreter Unipers, sondern sogar die Bosse zweier großer Energiekonzerne persönlich.“
Paul Krugman über Gaspreis- und sonstige Steigerungen
piqer:
Thomas Wahl
Nobelpreisträger Krugman beobachtet in seiner Meinungskolumne bei der New York Times die amerikanische und internationale Wirtschaftspolitik. In dem aktuellen Artikel geht es um die Rohstoffpreise bei Öl, Gas und Getreide – getrieben durch den russischen Einmarsch in die Ukraine.
Zunächst erzählt er aus seiner Zeit vor 40 Jahren als „chief international economist“ in der Reagan-Administration. Er erinnert sich an Beratungen auf Kabinettsebene über
europäische Pläne zum Bau einer Pipeline […], die die Gasimporte aus der Sowjetunion erheblich erhöhen würde. Einige Beamte suchten nach Wegen, das Projekt zu verhindern, allerdings hatte niemand gute Ideen. Aber diese Beamten lagen nicht falsch, als sie befürchteten, dass die Abhängigkeit von sowjetischem – später russischem – Gas eine strategische Verwundbarkeit schaffen würde.
Krugman sieht Russland zwar als eine drittklassige Wirtschaftsmacht. Aber als Rohstofflieferant bekommt das Land, genau wie die Ukraine, globales ökonomisches Gewicht. Und so stiegen weltweit mit dem Krieg diese Rohstoffpreise.
In jüngerer Zeit ist jedoch ein Großteil des Preisschocks aus dem Krieg zurückgegangen. Nach Angaben der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen haben die weltweiten Lebensmittelpreise den größten Teil ihres Kriegsanstiegs wieder abgegeben.
Ähnliches gilt auch (etwas weniger) für Öl. Was Krugman darauf zurück führt, dass landwirtschaftliche Rohstoffe und Öl im Wesentlichen auf den Weltmärkten gehandelt werden. Was den Handelsströmen und den Preisen in beide Richtungen Volatilität und Flexibilität verleiht.
Zum Beispiel kann Russland sein Öl nach Indien statt nach Europa verkaufen, und Europa kann wiederum Öl aus dem Nahen Osten kaufen, das sonst nach Indien gegangen wäre. Fügen Sie eine gute US-Weizenernte und Faktoren wie die schwache Ölnachfrage aus dem beunruhigten China hinzu, und der allgemeine Rohstoffpreisschock erweist sich als kleiner als von vielen befürchtet.
Was die von Krugman gezeigten Statistiken auch beweisen. Für europäisches Erdgas gilt das jedoch nicht. Der Grund: Der (Erd-)Gasmarkt ist eben nicht vollständig global.
Der billigste Weg, Gas zu transportieren, ist normalerweise über Pipelines, wodurch die Welt in separate regionale Märkte geteilt ist, die durch die Gebiete definiert sind, in denen die Pipelines liegen. Die wichtigste Alternative besteht darin, Gas in verflüssigter Form zu versenden. So gelangt es auf Märkte, die nicht von Pipelines bedient werden, aber dies erfordert speziell entwickelte Schiffe und Terminals, die in einer Krise nicht schnell (zusätzlich Th.W.) verfügbar sind.
Und so schießen diese Gaspreise im Gegensatz zu Öl und Nahrungsmitteln weiter durch die Decke. Es zeigt sich also, grundsätzlich besitzen entwickelte Volkswirtschaften eine große Anpassungsfähigkeit. Auch das Gasproblem wird Europa lösen, nur nicht so schnell.
Die eigentliche Frage ist, wie Europa auf die extremen Problemen reagieren wird, vor denen Viele durch die steigenden Energierechnungen stehen werden. Da wird Krugman Recht behalten – das ist keine schwierige Prognose: „Die Politik der Gaspreise dürfte in den nächsten Monaten extrem turbulent sein.“
Die nächste Frage ist schwerer zu beantworten – Krugman versucht es dennoch:
Wird es Putins wirtschaftlicher Erpressung gelingen, den Widerstand des Westens gegen seine Aggression zu untergraben? Wahrscheinlich nicht. Unter anderem haben die Länder, die angesichts des russischen Drucks am wenigsten entschlossen zu sein scheinen – hallo, Deutschland – auch am wenigsten getan, um die Ukraine zu unterstützen, so dass es keine große Rolle spielt, ob sie die Nerven verlieren.
Mal sehen, ob und wie Verhandlungen, Umlagen oder Preisdeckel helfen. Wir werden es erleben …
Gesucht: Wärmepumpen
piqer:
Rico Grimm
Dieser Text nimmt uns dorthin mit, wo Deutschlands Kampf gegen die Klimakrise entschieden wird: ins Haus von Andreas Büttgen in Buir nahe Aachen. Der Mittfünfziger hat seit 20 Jahren eine Gastherme im Haus und will diese nun eintauschen gegen eine Wärmepumpe. Was Büttgen und seine Bekannten, die auch interessiert sind, dabei erleben, ist im Moment symptomatisch für ganz Deutschland. Alle wollen Wärmepumpen, aber es gibt zu wenige. Und zu wenige, die sie auch installieren können. Und dann geht auch noch ein Lieferant pleite. Und eine Förderung läuft aus. Und was ist mit den Geräuschen der Wärmepumpen-Propeller; sind die vielleicht zu laut für die Nachbarn?
Ihr merkt schon: Beim Kampf gegen die Klimakrise sind wir jetzt in den Mühen der Ebene angelangt. Was aber, wenn man es recht bedenkt, eine wirklich fantastische Nachricht ist.
Klimaschutz ist kein Umweltthema
piqer:
Ralph Diermann
Wir wissen, dass wir kurz davor sind, die Kipppunkte des Planeten zu erreichen – warum zum Teufel tun wir so wenig dafür, das zu verhindern? Über diese Frage sprechen die ZEIT-Redakteure Laura Cwiertnia und Uwe Jean Heuser mit Johan Rockström, Direktor des Postdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) und einem der weltweit renommiertesten Wissenschaftler auf diesem Feld.
Rockström erklärt dies unter anderem mit einem Kardinalfehler der Klima-Kommunikation: Immer noch werde der Klimawandel als Umweltproblem behandelt. Damit steckt die Klimakrise in der öffentlichen Debatte genauso in einer Kategorie wie etwa soziale oder wirtschaftliche Fragen. Dabei ist sie doch „Meta-Thema“: Ohne ein stabiles Klima gibt es nirgendwo sonst Stabilität, sei es bei der Ernährung, bei der Gesundheit, bei den Arbeitsplätzen oder bei der internationalen Sicherheit, so Rockström. Löst man die Klimakrise aus dem Umweltkontext, sei es zudem leichter, konservative Bündnispartner zu gewinnen – schließlich ist der Klimaschutz heute vielerorts Teil eines ideologischen Konflikts, erklärt der Wissenschaftler.
Interessant auch, dass Rockström in der Debatte, wie die Klimakrise dargestellt werden sollte, für Schonungslosigkeit plädiert: Sie müsse als das Desaster beschrieben werden, das sie ist. Rockström befürchtet nicht, dass die Menschen auf negative Informationen über das Klima mit Ignoranz oder Depressionen reagieren. Vielmehr werde die realistische Darstellung zum Ansporn für Veränderung, erwartet der Forscher.
Wie der Gaspreis den Strompreis in die Höhe treibt
piqer:
Jürgen Klute
Explodierende Gas- und Strompreise bestimmen derzeit die öffentlichen und politischen Diskussionen. Viele Bürgerinnen und Bürger stellen sich nicht nur die Frage, ob es im Winter genug Energie zum Heizen ihrer Wohnungen gibt, sondern sie fragen sich auch, ob sie die Kosten für Energie noch bezahlen können.
Ein Punkt spielt in den Diskussionen immer wieder eine Rolle: Die Koppelung des Strompreises an den Gaspreis. Wiederholt haben Politiker aus anderen EU-Mitgliedsländern eine Entkoppelung des Strompreises vom Gaspreis gefordert. Aktuell wiederholte der tschechische Minister für Industrie und Handel Jozef Sikela laut der belgischen Zeitung „De Morgen“ diese Forderung am 29. August 2022 und er hofft, dass auf dem für den 9. September in Brüssel vorgesehenen Dringlichkeitsgipfel des Ministerrates für Energiefragen eine Einigung in dieser Frage erzielt werden kann. Lange hat die Bundesregierung ablehnend auf diese Forderung reagiert. Mittlerweile scheint sie ihre ablehnende Position aber zu revidieren, wie einem Bericht des europäischen Nachrichtenportals „Euractiv“ vom 29.08.2022 zu entnehmen ist.
Der Markt für Strom und Gas (wenn mensch hier überhaupt von einem Markt reden kann), ist hoch reguliert und kompliziert. Und so mancher und manche mögen sich angesichts dieser Debatten fragen, wie die Preise für Gas und Strom zustande kommen und wie sie miteinander verkoppelt sind.
Auf diese Fragen bietet der hier empfohlene Artikel von Nina Magoley auf dem Webportal des WDR gut verständliche und nachvollziehbare Antworten.
Wer führt die EU durch die große Krise?
piqer:
Eric Bonse
Die EU steht vor einem heißen Herbst. Der Krieg in der Ukraine, die Sanktionen gegen Russland, die Energiekrise und die Inflation sorgen in vielen EU-Ländern für soziale Unruhe und politische Instabilität. Doch ausgerechnet jetzt fehlt es an „Leadership“, in Brüssel herrscht ein bedenkliches Machtvakuum.
Dies ist die These von Mujtaba Rahman, einem ausgezeichneten Kenner der Europapolitik. Kanzler Scholz sei zu zögerlich und zu schwach, um zu führen, meint er. Präsident Macron habe nicht mehr genug Rückhalt, und Italiens Premier Draghi werde schon bald von der politischen Bühne verschwinden.
Besonders originell ist das nicht. Die „großen drei“ der EU haben schon vor dem Krieg an Einfluss verloren, selbst Ex-Kanzlerin Merkel hat am Ende nicht mehr viel bewegt. Dennoch ist klar, dass ohne bzw. gegen Deutschland, Frankreich und Italien nichts geht in Europa. Die anderen Länder sind zu klein.
Auch Brüssel kann das Machtvakuum nicht füllen. EU-Kommissionschefin von der Leyen ist im Dauerclinch mit Ratspräsident Michel, zudem läuft sie sich für ihre Wiederwahl 2024 warm – mit “populären” Themen wie der Ukraine. Eine Antwort auf die kommende große Krise haben sie beide nicht …
Die politische Stimmungslage in der EU
piqer:
Jürgen Klute
Die politische Stimmungslage in Form von Wahlumfragen wird in der Bundesrepublik regelmäßig erhoben und berichtet. Entsprechende Umfragen auf Ebene der Europäischen Union führen dagegen eher ein Schattendasein. Bis zur nächsten Neuwahl des Europäischen Parlaments dauert es zwar noch etwas (Frühjahr 2024). Aber zu schauen, wie die aktuelle politische Stimmungslage angesichts der vielfältigen Krisen in Europa ist, ist interessant und auch wichtig, um abschätzen zu können, in welche Richtung sich die politischen Machtkonstellationen derzeit bewegen.
Manuel Müller stellt regelmäßig auf seinem Blog „Der (europäische) Föderalist“ unter dem Titel „Wenn an diesem Sonntag Europawahl wäre“ einen entsprechenden Überblick für die EU zusammen. Der letzte Überblick datiert vom 23. August 2022. Danach legen EVP (entspricht in der BRD der CDU/CSU) und Grüne zu (mehr verrate ich an dieser Stelle nicht).
Müller stellt dankenswerterweise nicht nur statistische Zahlenwerke zur Verfügung, sondern er kommentiert auch die Entwicklungen und ordnet sie politisch ein. Diese Analysen stellt Müller ungefähr im Zweimonatsrhythmus zur Verfügung. Wer sich also für die politische Stimmungslage innerhalb der EU interessiert, dem sei hier empfohlen, regelmäßig einen Blick auf den Blog „Der (europäische) Föderalist“ von Manuel Müller zu werfen.
Deutschland als globale Geldwaschmaschine
piqer:
Jürgen Klute
Vor ein paar Tagen berichteten deutschen Medien, dass Bundesfinanzminister Christian Lindner eine neue Behörde gegen Geldwäsche installieren will. Stellvertretend sei hier auf diesen Artikel „Kampf gegen Geldwäsche Lindner und die dicken Fische“ im Manager Magazin vom 24.08.2022 verwiesen. Aus Bayern gab es laut diesem Artikel gleich Kritik der Art, dass eine „Mammutbehörde“ nicht zielführend sei. Gerhard Schick, der frühere Grüne MdB und Finanzexperte und heutige geschäftsführende Vorstand der NGO Finanzwende e.V. kritisierte hingegen am 27. August in Spiegel, dass Lindner in der Konzeption der neuen Behörde den Bereich Steuerkriminalität wohl nicht zufällig ausspare.
Schaut mensch auf diese Mini-Diskussion (das Thema ist schon längst aus dem Fokus der medialen Aufmerksamkeit wieder verschwunden), erweckt sie den Eindruck einer etwas unvermittelten und innerdeutschen Diskussion. Das ist aber keineswegs der Fall. Das internationale EU-weite Nachrichtenportal Euractiv veröffentlichte am 26. August den hier empfohlenen Artikel, was in den deutschen Medien kaum oder gar keine Erwähnung fand: Die Financial Action Task Force (FATF), eine globale Organisation, in der sich Länder von den Vereinigten Staaten bis China zusammengeschlossen haben, um die Finanzkriminalität zu bekämpfen, hat in ihrem jüngsten Bericht mangelnde Vorkehrungen und Verfolgung von Geldwäsche seitens der zuständigen deutschen Behörden scharf kritisiert. Die beanstandeten Defizite sind in dem Artikel aufgeführt. U. a. heißt es:
„Die FATF sagte, Deutschland habe im Jahr 2020 etwa 1.000 Personen wegen Geldwäsche strafrechtlich verfolgt, obwohl mehr als 37.000 Ermittlungen eingeleitet wurden.“
Folge dieser dramatisch und peinlich schlechten Bewertung der für Geldwäsche zuständigen deutschen Behörden ist, „dass Deutschland in den kommenden Jahren jährlich über seine Fortschritte bei der Beseitigung von Mängeln berichten muss“. Verantwortlich für diese Missstände sind selbstverständlich nicht nur die Behörden. Die letztliche Verantwortung haben die Bundesregierung und der Bundestag, die sich seit Jahren diesem Thema nicht stellen wollen.
Dieser Artikel ist kein großartiger Text, aber m. E. verdient er Aufmerksamkeit. Jedenfalls für politisch Interessierte und Demokratinnen und Demokraten. Denn hier geht es um ein transparentes und ethisch verantwortbares Wirtschaften und darum, Bundestag und Bundesregierung endlich dazu zu bringen, Ihrer Verantwortung Rechnung zu tragen. Aber das Thema stößt offensichtlich selbst in deutschen Leitmedien nur auf ein nachrangiges Interesse.
Alter hilft, ein erfolgreiches Unternehmen zu gründen
piqer:
Anja C. Wagner
Gerne werden mit Start-ups die jüngeren Generationen assoziiert. Sie gelten als frisch, innovativ, kreativ, offen für Neues und experimentierfreudig. Mit älteren Menschen hingegen verbinden die meisten Behäbigkeit, Beharrungsvermögen und Langeweile. Was zugegebenermaßen oft auch zutrifft.
Aber nicht bei allen! Davon handelt der hier verlinkte Artikel, der auf die wissenschaftliche Studie Age and High-Growth Entrepreneurship aus dem Jahre 2020 verweist.
Die Studie zeigt, dass die Wahrscheinlichkeit, als Gründer*in erfolgreich zu sein, mit dem Alter bis zum Alter von 60 Jahren zunimmt. Je älter Sie werden, desto wahrscheinlicher sind Ihre Erfolgschancen. Ein 50-jähriger Gründer hat eine doppelt so hohe Wahrscheinlichkeit, ein florierendes Unternehmen zu gründen, das entweder an die Börse geht oder eine erfolgreiche Übernahme tätigt, wie ein*e 30-jähriger Gründer*in. Und man braucht nicht unbedingt Erfahrung als Unternehmer*in, um eine*r zu werden. Die meisten erfolgreichen Gründer*innen haben vor der Gründung ihres Unternehmens in einem Unternehmen oder in einem anderen Beruf gearbeitet.
Na, bitte. Als Empfehlung für eventuell gründungswillige Personen heben sie drei entscheidende Faktoren hervor:
1. Man sollte den Bereich, in dem man gründen möchte, in der Tiefe kennen. Etwas Neues zu kreieren, benötigt die grundlegende Kenntnis des Status quo.
2. Man war in der Branche bereits erfolgreich, idealerweise in Corporate Jobs. So weiß man, was besser gemacht werden kann. (Was mit Punkt 1 stark korreliert.)
3. Man benötigt viel intrinsische Motivation, um am Ball zu bleiben. Der potenzielle Geldverdienst ist ein extrinsischer Motivator, der eine*n kaum über die Durststrecken trägt.
Wer also meint, gefangen zu sein in einem langweiligen Job, der hat nunmehr keine Ausreden mehr. Es ist lange nicht zu spät, mit etwas Neuem zu starten und die Welt etwas besser zu machen. Verdient hätte sie es bekanntlich …