Fremde Federn

Exportwahn, Panama, Brexit-Jahr

Diese Woche unter anderem in den Fremden Federn: Wie man Google oder Facebook regulieren könnte, mit welcher Strategie Yanis Varoufakis die Globalisierung reparieren will und warum die Ungleichheit in Deutschland trotz stetigem Wirtschaftswachstum nicht zurückgeht.

Foto: Jojo Bombardo via Flickr (CC BY-ND 2.0)

In den „Fremden Federn“ stellen wir einmal pro Woche in Kooperation mit dem Kuratorendienst piqd eine Auswahl von lesenswerten journalistischen Fundstücken mit wirtschaftspolitischem Bezug zusammen. piqd versteht sich als eine „Programmzeitung für guten Journalismus“ – was relevant ist, bestimmen keine reichweitenoptimierten Algorithmen, sondern ausschließlich ausgewählte Fachjournalisten, Wissenschaftler und andere Experten.

Die Ungleichheit zwischen Arm & Reich bleibt

piqer:
Ali Aslan Gümüsay

Zwar übertreibe die Studie von Piketty und anderen ForscherInnen, welche die Ungleichheit in Deutschland 2013 mit 1913 gleichsetzt, und trotzdem: der Spalt zwischen Arm und Reich bleibe in den letzten Jahren trotz Wirtschaftswachstum konstant, so Kolja Rudzio.

Das habe drei Gründe:

  1. Vom Aufschwung haben viele Menschen auch aus mittleren und oberen Einkommensschichten profitiert, die nun mehr arbeiten.
  2. Mehr Frauen insbesondere aus mittleren und oberen Einkommensschichten wurden berufstätig, während Frauen in Arbeiterfamilien schon früher vermehrt gearbeitet haben.
  3. Von Trends wie Globalisierung & technischer Fortschritt profitieren überproportional Berufe wie Manager oder Ingenieure im Vergleich zu Arbeitern.

Drei Lösungsansätze werden skizziert:

  1. Umverteilung über Steuern und Sozialleistungen – aber es werde schon viel verteilt.
  2. Regulation des Marktes wie durch Mindestlohn – aber diese Eingriffe haben häufig nicht intendierte Konsequenzen. Beim Mindestlohn profitieren so z.B. SchülerInnen, Studierende und Rentner, die aber nicht unbedingt in einkommensschwachen Familien leben.
  3. Prävention von Ungleichheiten, bevor sie auftritt. Hier preist der Autor Bildung und Bildungspolitik.

Der Artikel bietet eine gute erste Übersicht. Es fehlen Aspekte wie das Überdenken bestimmter gesellschaftlicher Dienstleistungen. So könnten Kitas, Kunst & Kultur kostenfrei oder günstiger angeboten werden. Warum gibt es keine Studiengebühren, aber im Grunde „Kitagebühren“? In England sind Museen meist kostenlos. Gerade die Faktoren Kind, Mobilität (öffentlicher Verkehr) und kulturelle Teilhabe bedürfen meines Erachtens ein Überdenken & Überarbeiten.

Und natürlich kann man über ein gesellschaftliches Grundeinkommen weiter nachdenken wie auch über die Positionierung und die Rolle von Arbeit – es geht nicht nur um materielle sondern auch immaterielle, gefühlte Ungleichheit.

Tatsächlich sinnvolle Vorschläge zur Plattformregulierung

piqer:
Michael Seemann

Derzeit wird viel über die Regulierung von Plattformen geredet. Leider ist wenig Substanz dabei, denn das Problem ist schwieriger, als normale Unternehmen zu regulieren.

Das Hauptproblem: Plattformen ziehen ihre Markt- und sonstige Macht aus den Netzwerkeffekten. Die Netzwerkeffekte nutzen aber vor allem den Nutzer/innen. Jede/r Messengerbenutzer/in hat ein Interesse daran, dass alle über die Plattform, die er/sie benutzt, erreichbar sind. Alte Ideen, wie die Zerschlagung zu großer Unternehmen würden also vor allem den Konsument/innen schaden, was nicht Sinn der Sache sein kann.

Ein anderes Problem sind die Daten. In Europa glaubt man, dass man die Plattformmacht am besten dadurch eingrenzt, indem man die Weiterverarbeitung und den Austausch von persönlichen Nutzerdaten einschränkt. Wie ich nicht müde werde zu betonen, ist das Gegenteil der Fall. Die Macht der Plattformen zementiert sich nicht an der Datenweiterleitung, sondern deren Gegenteil, ihrer Monopolisierung. Facebook und Google haben keinerlei Interesse, ihren Datenschatz mit anderen zu teilen und genau das ist das Problem. Eine sinnvolle Regulierung muss die Datenflüsse erzwingen, muss Wettbewerber die Möglichkeit geben, am Datenschatz von den Großen zu partizipieren.

Dieser Aufruf des Economist, die Plattformen zu regulieren ist einer der ganz wenigen, der diese beiden zentralen Einsichten verstanden hat und macht auf Grundlage dessen tatsächlich zielführende Vorschläge. So sollte man zwar Plattformen nicht zerschlagen, sie aber daran hindern, potentielle Wettbewerber aufzukaufen. Außerdem sollten Nutzer/innen in die Lage versetzt werden, freigiebiger ihre Daten von der einen zur anderen Plattform zu transferieren, oder Zugriffsrechte darauf zu vergeben. Die Vorschläge haben sicher selbst noch einige Fußangeln, aber darauf kann man zumindest aufbauen.

Die deutsche Zeitbombe

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Eric Bonse

Den meisten Zeitungen war es kaum noch eine Meldung wert: Deutschland hat 2017 erneut den weltweit größten Leistungsbilanz-Überschuss erwirtschaftet. Während der Überschuss in China schrumpft, häuft das größte EU-Land immer größere Forderungen gegenüber dem Ausland an.

Kein Problem, beschwichtigt die Bundesregierung in Berlin. Der Überschuss sei einfach Ausdruck der hohen Wettbewerbsfähigkeit. Selbst die Regierung in Paris, die die deutschen Export-Exzesse lange kritisierte, hält still. Und der EU-Kommission, die den Überschuss begrenzen sollte, sind die Hände gebunden.

Denn Überschüsse sind – anders als Defizite – im EU-Recht nicht mit Sanktionen belegt. Ex-Finanzminister Wolfgang Schäuble hat zudem durchgesetzt, dass für Überschüsse in der EU eine höhere Schwelle (sechs Prozent des BIP) gilt als für „Defizitsünder“ (drei Prozent).

Deutschland muss also keine Strafen fürchten. Dennoch bleibt der Exportwahn ein Problem. Denn dem deutschen Überschuss stehen französische, griechische oder amerikanische Defizite gegenüber. Irgendwann wird dies wieder zu einer Krise führen. Warum das so ist, erklärt dieser Artikel.

Warum die Globalisierung am Ende ist und wie es jetzt weitergehen kann

piqer:
Antje Schrupp

In diesem Grundsatztext umschreibt Yanis Varoufakis, Wirtschaftswissenschaftler, ehemals griechischer Finanzminister und linker Aktivist mit Ambitionen auf das Europaparlament, seine Erzählung für den Zustand der globalen Ökonomie. Kurz gefasst: Die Globalisierung ist am Ende, die momentan an den Wahlurnen so erfolgreichen Rechten mit ihren Re-Nationalisierungs-Bestrebungen werden das Elend nur noch vergrößern, umso wichtiger ist es, dass die Linken nun eine vernünftige politische Strategie finden.

Mit seiner Analyse stellt sich Varoufakis vor allem gegen eine in traditionellen linken Parteien und Gewerkschaften noch immer verbreitete Sicht, wonach früher alles besser war und der Neoliberalismus unser aller Leben verschlechtert hat. Denn dabei wird übersehen, dass ein „Weiter so“ in den 1980er Jahren keine Option war. Der prosperierende Sozialstaat war nicht nachhaltig konzipiert und musste zwangsläufig an sein Ende kommen, gleiches gilt nach Varoufakis aber auch für die derzeitige Periode des neoliberal freigesetzten Kapitalismus. Denn das so extrem ungleich verteilte Geld führt dazu, dass für die Menschen lebensnotwendige Dinge nicht mehr produziert werden, während gleichzeitig ein Überfluss an schädlichen und sinnlosen Dingen und Aktivitäten herrscht.

Als linke Strategie schlägt Varoufakis nun „Internationalismus“ vor: Internationale Strukturen, die den wirtschaftlich mächtigen Akteuren politische Vorgaben machen und diese auch effektiv durchsetzen können auf der einen Seite, Bewegungsfreiheit und Mobilität von Menschen in einer vernetzten Welt andererseits. Eine bedenkenswerte Diskussionsgrundlage, wie ich finde.

Was Altmaier nicht sagt (und Merkel nicht macht)

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Eric Bonse

Es ist gerade eine schöne Zeit für die deutsch-französische Freundschaft. Pünktlich zum 55. Jahrestag des Elysée-Vertrages ist Kanzlerin Merkel nach Paris gereist, auch ihr Kanzleramtsminister Altmaier war da. Gemeinsam mit Frankreich werde man die Eurozone wetterfest machen, heißt es in Berlin.

Doch den schönen Worten müssten Taten folgen – und zwar schnell, warnt Frankreichs Finanzminister Bruno Le Maire. Bis Juni fordert er deutsche Zugeständnisse bei der schon 2012 vereinbarten Bankenunion. Es sei genug geredet worden, nun müssten Taten folgen, so Le Maire im Interview.

Das ist eine deutliche Mahnung an Altmaier und Merkel. Denn sie stehen gerade bei der Bankenunion auf der Bremse. Für das Publikum feiern sie die deutsch-französische Freundschaft, hinter den Kulissen blocken sie die französischen Forderungen ab. Hier steht, was Paris wirklich erwartet.

Werden wir Ende 2018 immer noch über den Brexit reden müssen?

piqer:
Silke Jäger

Ian Dunt gibt auf diese Frage zwar keine eindeutige Antwort, zeigt aber, warum die Antwort Nein lauten könnte. Dunt ist einer der Hosts der Remainiacs-Podcasts und fasst hier zusammen, wo wir stehen beim großen Special-Deal-Brexit-Verhandlungsprozess. Die Pseudo-Klarheit der 1. Verhandlungsphase war für eine kleine Weihnachts-Verschnaufpause gut. Nun nimmt 2018 langsam Fahrt auf, und wir ahnen: Es wird DAS Brexit-Jahr. Zumindest in Großbritannien. Man darf sich auf ordentlich Dramatik einstellen, das Land ringt schließlich mit sich selbst.

In Form eines virtuellen Gesprächs erfahren wir in circa 5 Minuten, wo das Brexit-Projekt genau hakt. Im Prinzip sind das alles alte Bekannte, vorneweg die Grenzproblematik in Irland. Was diesen Text aber so lesenswert macht, ist die Leichtigkeit und die Klarheit, mit der Dunt die komplexe Materie sortiert. Dabei legt er den Finger genau auf die schmerzhaftesten Stellen.

Davon gibt es einige, denn die Tory-Regierung hat mit dem Abschluss der 1. Phase einem Weg zugestimmt, dem sie zu Hause ständig widerspricht. Dort werden immer noch rote Linien gezogen, die laut Vertrag obsolet geworden sind. Allein das Wording ist so vage, dass man allen alles verkaufen kann. Dunt spitzt zu:

 At some point, something has got to give. By preventing this debate in December they’ve basically just kicked the problem into this year, when the consequences of talks breaking down are even more severe.

Wir lesen auch etwas über eine EU-Regel, über die bisher erstaunlich laut geschwiegen wurde. Sie heißt „Most Favoured Nation“ und sie sorgt dafür, dass die EU kein Interesse daran hat, den Briten ihren Special Deal zu gewähren.

Und schließlich: Welche Rolle spielt die Labour-Taktik und ein im Raum stehendes 2. Referendum bei dem zu erwartenden harten Aufschlag im Sommer oder Herbst? Viel wird davon abhängen, wie sich die öffentliche Meinung in GB verändert. Im Moment berufen sich die Torys auf den Willen des Volkes. Doch der ist naturgemäß im Fluss.

Sollten wir unsere Lebenszeit nicht sinnvoller verbringen als mit „Arbeit“?

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Ole Wintermann

Die Digitalisierung bietet uns jeden Tag sowohl Chancen als auch Risiken bei der Ausübung unserer Berufe. Das größte Risiko – der Verlust des Arbeitsplatzes – geht mit der größten Chance einher – endlich die wertschätzende Arbeit machen zu können, für die man als Mensch selbst steht. Gegenwärtig ist zu beobachten, dass, je nachdem, welche Variante für einen selbst zutrifft, entweder das Prekariat infolge befristeter und schlecht bezahlter Tätigkeiten oder aber die Überlastung durch hybride Tätigkeiten droht. Der recht umfangreiche Text bietet einen umfassenden historischen Einblick in die Entwicklung der Fixierung unserer Gesellschaft auf das Konstrukt “Arbeit”.

Die Post-Work-Bewegung hat das Ziel, diesem Dilemma dadurch zu entkommen, dass sie die Bedeutung von “Arbeit” als menschliches Konstrukt extrem kritisch beleuchtet: “Work is … how we give our lives meaning when religion, party politics and community fall away.” Die ideologische Bedeutung von “Arbeit” sieht sie als das Ergebnis des Zusammentreffens von protestantischer Arbeitsethik, der Atomisierung des Arbeiters in der industriellen Produktion und der Herrschaft des Massenkonsums über die Produktionsbedingungen. Das Konstrukt “Arbeit” dient der Machterhaltung der politischen und wirtschaftlichen Eliten: “I do think there is a fear of freedom – a fear among the powerful that people might find something better to do than create profits for capitalism.”

Am Beispiel beschäftigungsarmer Gesellschaften in den sich entwickelnden Ländern und der Fähigkeit der Menschen, mit einem ungewollt hohen Maß an Freizeit konfrontiert zu sein und diese sinnstiftend zu strukturieren, geht es den Post-Work-Vertretern darum, auf die durch ein Zuviel an Arbeit brachliegenden Fähigkeiten der Menschen in den entwickelten Ländern hinzuweisen. Hinzu kommt die notwendige Umgestaltung unserer Innenstädte, die allein auf Arbeit (Bürotürme) und Konsum (Einkaufszentren) und nicht auf das Soziale einer Gemeinschaft ausgerichtet sind.

Ist Panama plötzlich doch kein Steuerparadies?

piqer:
Eric Bonse

Es klingt unglaublich: Zwei Jahre nach dem Skandal um die „Panama-Papers“ haben die EU-Finanzminister Panama von ihrer schwarzen Liste der Steuerparadiese gestrichen. Auch sieben weitere Länder wurden vom Pranger genommen. Damit macht sich die EU unglaubwürdig, kritisieren Abgeordnete von der Linken bis hin zur CSU.

Doch ganz so einfach ist die Sache nicht. Denn die schwarze Liste war von Anfang an dazu gedacht, Druck auf „unkooperative“ Staaten auszuüben. Sobald die Steueroasen Besserung geloben, kommen sie auf eine „graue Liste“, auf der auch die Schweiz steht. Dort bleiben sie unter Beobachtung – bis sich die Zusammenarbeit tatsächlich verbessert.

Der eigentliche Skandal liegt ganz woanders: Die EU misst mit zweierlei Maß. Ihre eigenen Steueroasen und Briefkastenfirmen wurden von vornherein vom „Listing“ ausgenommen. Selbst jene Länder, gegen die die EU-Kommission wegen allzu großzügiger Besteuerung von Konzernen wie Apple oder Amazon vorgeht, müssen keine Strafe fürchten.

Im schlimmsten Fall droht ihnen die Nachzahlung der zu wenig kassierten Steuern – also ein Geldgewinn! Doch noch nicht einmal das konnte die EU bisher durchsetzen. Denn die Steuerpolitik unterliegt immer noch nationaler Hoheit. Man sollte daher nicht über „Brüssel“ schimpfen, sondern auf die Finanzminister, die Fortschritte blockieren.