Fremde Federn

Faltungsgrenzen, Temperaturrekorde, Planet Wrecker

Diese Woche unter anderem in den Fremden Federn: Hintergründe zum Konflikt im Nahen Osten, die wuchernde Verwestlichung der Welt und wie die Menschheit innerhalb der planetaren Grenzen leben kann, ohne auf Fortschritt und Entwicklung zu verzichten.

Foto: Jojo Bombardo via Flickr (CC BY-ND 2.0)

In den „Fremden Federn“ stellen wir einmal pro Woche in Kooperation mit dem Kuratorendienst piqd eine Auswahl von lesenswerten journalistischen Fundstücken mit wirtschaftspolitischem Bezug zusammen. piqd versteht sich als eine „Programmzeitung für guten Journalismus“ – was relevant ist, bestimmen keine reichweitenoptimierten Algorithmen, sondern ausschließlich ausgewählte Fachjournalisten, Wissenschaftler und andere Experten.

Die wuchernde Verwestlichung der Welt

piqer:
Thomas Wahl

Nicht nur die Verwestlichung der Welt beschleunigt sich, auch die Interpretation darum spitzt sich zu. Die einen sagen:

Der Kolonialismus ist zwar tot, lebt aber fort als Kulturimperialismus. Der Westen drückt dem Süden noch immer seine Werte und Sichtweisen auf, entmündigt und erniedrigt ihn. Flankiert wird die Anklage von den üblichen Verdächtigen wie Kapitalismus und Rassismus. Was die Seminare und Regale füllt, ist Wissenschaft als «blame game»: Schuldzuweisung und Selbstbezichtigung – nostra culpa. Der Westen ist Täter, der Rest bleibt Opfer.

Josef Joffe meint in der NZZ hingegen, der Grund für den Vormarsch westlicher Ideen, Verhaltensweisen und Technologien ist ganz einfach:

Kopiert wird, was funktioniert. Der Westen bleibt trotz seinen vielen Verfehlungen ein Vorbild der Moderne.

Es gibt viele westliche Erfindungen, die sich mit der Moderne ausgebreitet haben, der Kolonialismus jedoch ist nichts originär westliches. Weder das gewaltsame Wachstum des Großherzogtums Moskau, das sich bis zum Pazifik ausdehnte und dabei unzählige Völker unterjochte, noch Chinas tausendjährige Herrschaft über Vietnam und die heutige über Tibeter und Uiguren lassen sich darauf zurückführen.

Schon gar nicht Japans mörderischen Raubzug durch Asien ab 1931, der Tokio 8,5 Millionen Quadratkilometer einbrachte. Heute kann der Eurozentrismus nur mit dialektischen Verrenkungen begründen, warum Kriege und Binnenkonflikte zum Beispiel viele afrikanische Länder quälen. Deren Schurken sind keine Weissen. Diese aber sitzen allein auf der Anklagebank, nicht die Pharaonen, die schon in «Exodus» Sklaven hielten, arabische Eroberer, die bis Spanien vordrangen, türkische Sultane, die es bis Wien schafften. Versklavung ist keine Sache der Pigmentierung.

Das eigentliche Rätsel ist aber, so Joffe: Wieso gelingt „postkolonialer“ Kultur und Wirtschaft diese Verwestlichung der Welt? Ohne Gewalt und selbst da, wo ganz andere Herrschaftsverhältnisse walten – siehe z.B. China, Vietnam oder Indien? Wer „treibt die Schnellesser von Delhi bis Nairobi in einen McDonald’s“. Wer zwingt Menschen weltweit, Netflix zu sehen oder Mercedes zu fahren? Wolkenkratzer entstanden zuerst in New York. Heute wetteifern Dubai, Mekka oder Kuala Lumpur um die Höhenrekorde.

Hardware wie Telefon, Auto, Flugzeug oder Magnetresonanztomografie wurde im Westen erfunden; heute regiert sie die Welt. Warum? Kopiert wird, was funktioniert, übrigens auch im Westen, wo die einen seit Jahrhunderten von den anderen borgen – oder klauen. Doch geht es nicht nur um Techno- und Mode-Tand, sondern auch um die «Software». Warum streben asiatische Talente in deutsche und amerikanische Musikhochschulen? Warum möchten ehrgeizige Nepalesen oder Äthiopier lieber am MIT oder in Cambridge studieren als in Moskau oder Mumbai?

Fragen über Fragen. Ist es dem Kolonialismus tatsächlich gelungen, den Waren- und Konsum-Fetischismus in die Hirne der „Verdammten der Erde“ zu implementieren? Hat der weiße Mann den anderen Kulturen erst deren angebliche Defizite eingeredet, um diese dann durch westlich-kapitalistische Konsumbedürfnisse zu ersetzen?

Glauben diese angeblich Manipulierten tatsächlich an ihre Rückständigkeit und eifern deshalb dem Westen nach? Den fürsorglichen Kritikern des Eurozentrismus würden sie entgegenschleudern: «Ihr haltet uns für so minderbemittelt, wie es eure Vorväter taten, als sie uns mit ihrer ‹mission civilisatrice› zu beglücken gedachten. Wir importieren, was nützt – wie seit Anbeginn der Menschheit.»

Oder ist es nicht eher so, dass der freie Wille, die Selbstbestimmung auch im globalen Süden wächst? So wie Adam beim Biss in den Apfel eigenmächtig gegen das göttliche Verbot handelte? Sollten Renaissance, Reformation, Rechtsstaat und (demokratische) Revolution nur im weißen Europa funktioniert haben und funktionieren? Nein, das bipolare Weltbild vom Kampf zwischen dem Guten und dem Bösen aus dem Westen ist aberwitzig einseitig.

Der Westen ist beides: Traktor und Tank, Gedankenfreiheit und Guillotine, Penicillin und Giftgas, Michelangelo und Mussolini. Allerdings hat der Westen nicht den Kolonialismus erfunden, wie es die geschichtsvergessende Eurozentrismus-These darstellt. Die Sklaverei hat England schon 1807 geächtet; sie existiert noch heute in Afrika. Die Bilanz? Der Westen hat die moderne Welt geformt und tut es heute mehr denn je, obwohl die Kolonialherrschaft längst abgeschafft ist. Er bleibt das Modell, leider auch für die Stalins, Pol Pots und Saddam Husseins. Sein Magnetismus wird erst schwinden, wenn China und andere Grossmächte mit Filmen wie «Barbie» und «Oppenheimer» weltweit Milliarden einnehmen – und Harvard und Oxford entthronen.

So wie auch der Süden beides umfasst – traditionsreiche Kulturen und große Imperien in einer langen Geschichte. Und auch dort kann der freie Wille fürchterliches hervorbringen – wie die Hamas. Insofern muss zusammenwachsen, was zusammengehört – wirtschaftlich, politisch und kulturell. Und was wahrscheinlich oft gar nicht so unterschiedlich ist? Arbeiten wir daran, das Zusammenwachsen halbwegs zivilisiert zu gestalten, zu lenken. Bipolare Erklärungen helfen dabei nicht.

„Wenn Wachstum bedeutet, dass unser Leben besser wird, …

piqer:
Alexandra Endres

… dann habe ich nichts dagegen.“ Das sagt der Physiker Anders Levermann im Spiegel-Interview mit Susanne Götze (paid content).

Levermann leitet die Abteilung Komplexitätsforschung am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK), und er hat gerade ein Buch geschrieben, das am kommenden Donnerstag, den 19.10., erscheint. In „Die Faltung der Welt“ beschreibt er, wie die Menschheit innerhalb der planetaren Grenzen leben kann, ohne auf Fortschritt und Entwicklung zu verzichten.

Ich erforsche seit Jahrzehnten komplexe Systeme und deren Verhalten. Als Physiker lernt man von der Chaostheorie, dass es unendliche Bewegung im endlichen Raum gibt. Auch wenn das theoretisch klingt, so kann es helfen, klimapolitische Lösungen zu finden.

Entscheidend dafür ist, dass dem Entwicklungsdrang der Menschen harte Grenzen gesetzt werden. Dann sucht er sich innerhalb dieser Grenzen andere, neue Wege. Die Bewegung bleibt, aber sie „faltet sich zurück in den Raum“, sagt Levermann, und so bahnt sich der Fortschritt eben einen anderen, neuen Weg:

Menschen sind kreativ, weil sie Grenzen haben. Wir hören nur begrenzt Frequenzen, komponieren aber immer neue Musik. Ähnlich ist es in der Malerei mit Farben oder beim Kochen. Unsere Sinne sind beschränkt, aber wir holen ständig neue Facetten aus ihnen heraus. Das schaffen wir nur, weil wir innerhalb eines Raumes der Möglichkeiten unseren Pfad »falten«. (…) Begrenzung macht innovativ und fortschrittlich.

Wer jetzt an die FDP denkt, an den CO₂-Handel und „Technologieoffenheit“, liegt nicht ganz falsch. In einer sich faltenden Welt schreibt niemand vor, was innerhalb der Grenzen möglich ist, die FDP wird das mögen. Das heißt aber auch, dass jede(r) selbstverständlich Fehler machen darf (Susanne Götze fragt an dieser Stelle nach Wasserstoffheizungen und E-Fuels). Entscheidend ist, dass die harten Grenzen unverrückbar bleiben. Das wiederum wäre mit der FDP, so wie sie sich derzeit darstellt, wohl nicht zu machen.

Die Idee der Faltung klingt erst einmal ziemlich abstrakt. Levermann gibt aber auch praktische Beispiele dafür, wie sie in die Politik umgesetzt werden könnte. Mit dem EU-Emissionshandel funktioniere sie schon, sagt er. Auch der ursprüngliche Entwurf des Gebäudeenergiegesetzes sei „ganz im Sinne der Faltung“ gewesen. Und wenn es darum gehe, Grenzwerte für Chemikalien festzulegen, könnte der Staat – statt jedem neuen Stoff, der entwickelt wird, hinterherzurecherchieren, um mögliche Gefahren zu prüfen – einfach festlegen: „Niemand darf etwas in die Umwelt einbringen, was Natur oder Menschen schadet.“ Damit läge die Beweispflicht bei den Unternehmen. Sie müssten deutlich vorsichtiger agieren.

Wachstum und Kapitalismus sind für Levermann also nicht das Problem. Die zunehmende Ungleichheit aber sehr wohl. Faltungsgrenzen, sagt er, würden „Megakonzerne wie Amazon und Google… wieder in den Markt (und Wettbewerb) zurückholen“, und sie würden die Einkommensungleichheit begrenzen. Wie soll das in einer globalen Wirtschaft, in denen Staaten sich auf gemeinsame Regeln einigen müssen, funktionieren?

Alle wirklich grundlegenden wirtschaftlichen Änderungen müssen national mit einer Art verallgemeinertem Lieferkettengesetz kombiniert werden. Die Faltungsgrenze könnte dabei sein, dass in einem Land keine Produkte mehr verkauft werden dürfen, deren Herstellung den Gesetzen des Landes widerspricht.

Wie realistisch es ist, die Idee der Faltung auf die globale Wirtschaft zu übertragen? Ich habe keine Ahnung. Aber das Konzept scheint mir eine spannende Möglichkeit, die Wachstumsdebatte in der Klimakrise anders zu führen, und zwar jenseits der alten Grenzen zwischen Kapitalisten und Antikapitalisten. Vielleicht eröffnet das ja neue Wege. Ganz im Sinne der Chaostheorie. Noch einmal Levermann:

Grenzen sind nicht das Ende der Wirtschaft oder unseres Wohlstands, sondern deren Garant. Sie sind der Anfang von etwas Neuem. Wir hören nicht auf zu produzieren und zu leben, wir tun es nur anders. Es kann weiter rasant vorangehen, nur unter anderen Vorzeichen. Es geht nicht um ein Zurück oder ein Weniger, sondern darum, es anders zu machen. Sehen Sie es als Herausforderung, neue Technologien und Lebensweisen zu entwickeln – innovativ statt regressiv.

Das Bewusstsein der Dringlichkeit – Temperaturrekorde 2023

piqer:
Dominik Lenné

Eines ist klar: 2023 wird das nächste Allzeit-Hoch der global gemittelten Lufttemperatur in Bodennähe sein, und 2024 hat wegen El Niño das Zeug dazu, das Level mindestens zu halten.¹ In einem vorigen Piq wurde berichtet, wie sich das bereits im Juni mit ungewöhnlich hohen Meerestemperaturen abzeichnete – der Verlauf hätte sich noch abschwächen können, das hat er nicht getan.

Die globale Mitteltemperatur lag in den letzten Jahren ein wenig unter dem – wohlgemerkt ansteigenden – Erwartungswert² und verschiebt sich dieses Jahr in einem deutlichen Sprung über den Erwartungswert.

Der Sprung ist so bemerkenswert, dass er den Berkeley Earth-Mitarbeiter und Carbon Brief-Autor Zeke Hausfather zu dem zu einem Twitter-Hashtag gewordenen Ausruf „Gobsmackingly Bananas!“ bewegte. Er schrieb dazu einen New-York-Times-Kommentar, in dem er eine Beschleunigung des Temperaturanstiegs³ vermutete. Den Kommentar wollte ich eigentlich piqen – ich wählte aber diesen anderen Artikel, weil er einen wesentlich breiteren Überblick bietet.

Er stellt Äußerungen von elf verschiedenen bedeutenden Klimawissenschaftlern zusammen und ermöglicht so eine ausgewogenere Beurteilung der Lage. Man streitet sich etwas, ob der diesjährige Temperatursprung so ungewöhnlich ist, dass er einen neuen Modus des Klimas ankündigt, oder ob er zwar groß ist, aber noch im Rahmen des Erwartbaren liegt.

Deutlich ist aber, dass die Wissenschaft zurzeit keine schlüssige Erklärung für diesen Sprung hat:

“For four decades it’s been going as predicted,” he wrote on X (the platform formerly known as Twitter). “But we don’t understand the surprise upward leap that is happening now. And that worries me.” (Stefan Rahmstorf)

Ich sehe das als nicht so ungewöhnlich. Ein Teil der Variabilität des Klimasystems ist zufällig, was ein anderes Wort dafür ist, dass wir keine gute Erklärung dafür haben. Dazu kommt, dass unsere Modelle etliche Mechanismen nicht oder nicht gut abbilden. So sind etwa die Emissionen durch die massiven Waldbrände, wie die in Kanada und die Torfbrände in Indonesien, noch nicht enthalten.

Über das Ausmaß der Wirkung der Aerosole auf die Wolkenbildung gibt es Meinungsverschiedenheiten. Der Klimaforscher der ersten Stunde James Hansen und sein Team sagen, sie sei bisher stark unterschätzt. Das ist zwar umstritten, aber deswegen nicht einfach von der Hand zu weisen. Damit hätte die Verminderung der Aerosole durch Entschwefelung unserer Rauchgase – durch weniger Wolkenbildung und vermindertes Albedo – eine deutlich stärkere Erwärmung zur Folge als angenommen. Was bedenklich ist, dass früher solche Temperatursprünge im Gefolge der El-Niño-Phase der ENSO-Oszillation im Südpazifik auftraten, während er 2023 bereits davor kam, mit einem weiteren Anstieg durch die aktuelle El-Niño-Phase in 2024 zu erwarten.

Jedenfalls zeigt die Sache, dass die Unsicherheiten in der Klimamodellierung, die von den Abstreitern gern als Argument für deren Nutzlosigkeit angeführt werden, auch in der falschen Richtung wirken können, nämlich nach oben.

Zusammenfassend: Die Menschheit wird nicht untergehen, aber unsere Handlungen haben Wirkungen. Klarheit über diese – soweit dies möglich ist – ist das Mindeste.

——

¹ Tatsächlich war das zu erwarten, da wir im Mittel alle 4,2 Jahre so ein absolutes Maximum sehen – ein Effekt eines linearen Anstiegs, dem statistische Variationen überlagert sind.

² Das hängt mit der gerade vergangenen langandauernden La-Niña-Phase der Wettersystem-Oszillation ENSO (El Niño Southern Oscillation) zusammen. In ihr ändert sich die Wassertemperatur im Südpazifik stark, was nicht nur Einfluss auf viele regionale Wettersysteme hat, sondern auch auf die globale Mitteltemperatur.

³ Seit 1980 ist der Temperaturanstieg der oberflächennahen Atmosphäre bemerkenswert linear und es ist fraglich, ob der 2023-Sprung signifikant genug ist, um das zu ändern. Bemerkenswert deshalb, weil die Rate der Energieaufnahme der Erde in dieser Zeit deutlich anstieg. Ein Teil dieser zusätzlichen Energie ist in Verdunstung von Meerwasser umgesetzt worden und steckt jetzt als mehr Wasserdampf in der Atmosphäre.

Hintergründe zum Konflikt im Nahen Osten

piqer:
Dirk Liesemer

Eines gleich vorweg: Der gepiqte Text stammt vom Mai 2022 und wurde von der „Blätter“-Redaktion noch einmal auf die Startseite gehoben, was man aber vielleicht durch einen Hinweis hätte deutlich machen sollen. Natürlich behandelt der Text nicht den jüngsten Überfall der Terrortruppe Hamas auf Israel, weshalb man keine Antworten auf aktuelle Fragen erwarten kann. Vielmehr gehen die Autoren Micha Brumlik und Gerd Krell auf die jahrzehntelange Konfliktgeschichte im Nahen Osten ein, was einem bei der Einordnung mancher Aussagen hilft, die in diesen Tagen zu lesen sind. Ich will die Ausführungen an dieser Stelle nicht näher zusammenfassen, schon weil man den Text in Gänze lesen sollte.

Öl- und Gasförderungen: Dies sind die fossilen 20 Planet Wrecker

piqer:
Ole Wintermann

Der UN-Generalsekretär hat sie „Planet Wreckers“ genannt: Es sind die ZerstörerInnen des für den Menschen wichtigen Klimas. Gemeint hat er damit die VertreterInnen der fossilen Industrie, seien es staatliche oder privatwirtschaftliche Akteure. Die NGO „Oil Change International“ hat sich einmal genauer die bis zum Jahr 2050 geplanten Förderungen von Öl und Gas angeschaut und ist dabei zu spannenden Ergebnissen gelangt:

  • Nur 20 Länder weltweit werden bis 2050 verantwortlich sein für 90% der mit den geplanten Förderungen am Ende verbundenen CO2-Emissionen.
  • Australien, UK, die USA, Norwegen und Kanada sind für 51 % der Emissionen verantwortlich.
  • Die damit einhergehende Verschmutzung unserer Atmosphäre mit CO2 entspricht den Emissionen von 1.100 Kohlekraftwerken, die über ihre übliche Nutzungsdauer hinweg betrieben würden.
  • Aufgrund dessen würde das CO2-Budget für das 1,5 Grad Ziel um 190% überschritten werden.
  • Selbst der vollkommene Verzicht auf neue Erschließungen würde zu einem Überschreiten des Budgets um 140% führen.

Die NGO betont, wie wichtig es ist, absolut jeden Neubau von fossiler (Öl, Gas) Infrastruktur einzustellen. Zudem warnt die NGO vor dem Trugschluss, sich durch die gleichzeitige Entwicklung von Techniken zur Extraktion von CO2 aus der Luft aus der Budget-Problematik befreien zu können. Der Link führt zur Langfassung der Analyse, die aufschlussreiche Info-Grafiken sowie ausführliche Länderberichte enthält.

Was wir heute über die Wirkung von Remote Work wissen

piqer:
Theresa Bäuerlein

Es gibt immer wieder Erdbeben in der Arbeitswelt, die bleibende Spuren hinterlassen. Die massenhafte Teilnahme von Frauen in der Arbeitswelt war eins, der Aufstieg der Computertechnik ein anderes. Und zuletzt die Pandemie. In diesem Artikel geht es darum, welche Auswirkung der Boom der Remote Work, oder des Homeoffice, drei Jahre später hat.

Die ersten Ergebnisse zeigen ein gemischtes wirtschaftliches Bild. Viele Arbeitnehmer:innen und Unternehmen haben von der Fernarbeit wirklich profitiert – es sind aber auch Kosten und Nachteile entstanden.

Im Großen und Ganzen ergibt sich das folgende Bild: Die Geschäfte in den Innenstädten haben gelitten, da viele Menschen nicht mehr pendeln. Dennoch konnten einige Arten von Unternehmen, wie Lebensmittelgeschäfte, in den Vororten Fuß fassen. Gleichzeitig stiegen die Mieten in erschwinglichen Märkten, da Fern- und Hybridarbeiter die teuren städtischen Wohnungen verließen.

In den USA führte die Pandemie zu einem vorübergehenden Anstieg der Mieten in zuvor erschwinglichen Gebieten, da viele Fernarbeiter die teuersten Wohnungsmärkte verließen, sobald sie die täglichen Pendelfahrten aufgaben. Wenn der Bau diese neue Nachfrage aufholt, werden die Mieten wieder sinken, sagen Ökonom:innen jedoch.

Berufstätige Mütter haben im Allgemeinen von der Flexibilität der Fernarbeit profitiert – mehr von ihnen waren in der Lage, im Berufsleben zu bleiben. Allerdings scheint die Fernarbeit auch mit erheblichen Nachteilen verbunden zu sein, wenn es um den beruflichen Aufstieg von Frauen geht.

Claudia Goldin, die diese Woche mit dem Alfred-Nobel-Gedächtnispreis für Wirtschaftswissenschaften ausgezeichnet wurde, hat gezeigt, dass Frauen dazu neigen, Arbeitsplätze mit größerer Flexibilität zu suchen – damit sie sich um den Haushalt kümmern können.

Was die Produktivität betrifft, ergibt sich ein extrem gemischtes Bild.

In einigen Arbeiten wurde ein Produktivitätsrückgang zwischen 8 und 19 Prozent festgestellt, in anderen ein Rückgang von 4 Prozent bei einzelnen Arbeitnehmer:innen; wieder andere Untersuchungen ergaben Produktivitätssteigerungen von 13 Prozent oder sogar 24 Prozent.

Dabei kommt es offenbar auf die Herangehensweise von Arbeitgeber:innen an, d. h. wie gut Führungskräfte für die Unterstützung von Mitarbeite:innen im Homeoffice geschult sind und ob diese die Möglichkeit haben, sich ab und zu persönlich zu treffen.

Frauen sehen sich möglicherweise auch mehr unverdienten Fragen zu ihrer Produktivität ausgesetzt, egal wo sie arbeiten. In einer Reihe von Studien mit mehr als 2 000 Teilnehmern fanden Forscher in Wisconsin und Kanada heraus, dass sowohl Männer als auch Frauen eher Frauen als Männer verdächtigten, sich vor der Arbeit zu drücken. Einige dieser Beschäftigten arbeiteten von zu Hause aus, andere nicht.

Wenn die Studienteilnehmer anhand von Videoaufnahmen sahen, dass eine weibliche Angestellte nicht an ihrem Schreibtisch saß, wurde dies in 47 Prozent der Fälle auf etwas Nicht-Arbeitsbezogenes zurückgeführt; bei Männern waren es nur 34 Prozent der Fälle.