Vor diesem Termin fürchten sich die „deutschen Ajatollahs der Ordnungspolitik“ (Wolfgang Münchau) seit langem: Wenn am 10. März der Rat der Europäischen Zentralbank zu seiner nächsten Sitzung zusammenkommt, wird Bundesbank-Präsident Jens Weidmann kein Stimmrecht haben.
Die Sorge besteht darin, dass die EZB ihre expansive Geldpolitik noch weiter ausdehnt, wenn der Falke Weidmann nur mit am Tisch sitzt, aber nicht mit abstimmen darf.
„Falken“ sind im Zentralbank-Jargon Notenbanker, die sich eher für eine straffere Geldpolitik aussprechen, also im Zweifel für Zinserhöhungen und gegen „unkonventionelle Maßnahmen“ wie die Anleihenkaufprogramme (QE) sind. Auf der anderen Seite stehen die „Tauben“: Sie sind im Zweifel eher für eine Lockerung der Geldpolitik. Mario Draghi beispielsweise gilt als Taube.
Jens Weidmann dagegen ist so etwas wie der Oberfalke unter den europäischen Geldpolitikern. Zwar hat er in der Vergangenheit durchaus auch für Zinssenkungen gestimmt, aber gerade gegen das QE-Programm der EZB leistete er immer wieder starken öffentlichen Widerstand.
Und genau dieses QE-Programm könnte bei der Sitzung im März noch weiter ausgedehnt werden. Dahingehend wurden jedenfalls vielfach die Äußerungen von EZB-Präsident Mario Draghi nach der letzten Zinssitzung im Januar interpretiert. Zur Debatte steht ebenfalls, den bereits negativen Zins, den Geschäftsbanken für ihre Einlagen bei der EZB bezahlen müssen, noch weiter zu senken.
Das Rotationsverfahren im EZB-Rat
Der Grund für das fehlende Stimmrecht Weidmanns ist das Rotationssystem im EZB-Rat, dass 2015 in Kraft getreten ist. Um eine effektive Entscheidungsfindung zu gewährleisten, rotieren die Stimmrechte im EZB-Rat, sobald die Zahl der Euro-Mitgliedsstaaten und somit auch die Zahl der nationalen Notenbank-Gouverneure größer als 18 ist. Das ist seit dem Euro-Beitritt Litauens Anfang 2015 der Fall.
Das Verfahren sieht vor, dass die sechs Mitglieder des EZB-Direktoriums ihr Stimmrecht immer behalten. Die Präsidenten der nationalen Notenbanken werden in zwei Gruppen unterteilt: In der ersten Gruppe befinden sich die größten fünf Eurostaaten Deutschland, Italien, Frankreich, Spanien und die Niederlande. Sie haben vier Stimmrechte, die Rotation sieht also vor, dass jedes Land jeden fünften Monat aussetzen muss – und im März ist dies eben Deutschland. Die restlichen 14 Ländern haben insgesamt elf Stimmrechte. Drei ihrer Mitglieder müssen drei Monate hintereinander aussetzen (wer wann genau aussetzen muss, zeigt diese Übersicht).
Weidmann wird also am 10. März lediglich an der Diskussion im EZB-Rat teilnehmen dürfen aber eben kein Stimmrecht haben. Aber ändert das tatsächlich etwas an den Mehrheitsverhältnissen im EZB-Rat?
Eher nicht. Denn neben Weidmann müssen auch zwei Notenbank-Präsidenten aussetzen, die im Lager der Tauben verortet werden: Der Grieche Yannis Stournaras und der irischen Notenbankchef Philip R. Lane. Zusätzlich dazu hat auch Ardo Hansson, Präsident der Notenbank von Estland, kein Stimmrecht, er gilt wie Weidmann als Falke. Sowohl die Tauben als auch die Falken müssen also auf zwei Stimmen verzichten.
Laut einer Analyse der Commerzbank ist es ohnehin keinesfalls so, dass die Befürworter einer lockeren Geldpolitik vom Rotationsverfahren profitieren würden – im Gegenteil. „Im Schnitt gilt, dass die Tauben im Rat durch die Rotation der Stimmrechte etwas mehr an Einfluss verlieren als die Falken“, so Michael Schubert, der bei der Commerzbank für die EZB zuständige Analyst. Schubert beobachtet regelmäßig die Äußerungen der 25 Ratsmitglieder. Laut seiner Einschätzung setzt sich der EZB-Rat derzeit aus 14 Tauben, sechs Falken und fünf Neutralen zusammen.
Auf Basis von Schuberts Einschätzungen haben wir folgende Übersicht erstellt, die zeigt, wie sich die Lager aufgrund des Rotationsverfahrens bei den Zinssitzungen in diesem Jahr verändern:
Stimmenverhältnisse im EZB-Rat 2016
Der Chart mach deutlich, dass das Rotationssystem an den Mehrheitsverhältnissen im EZB-Rat nicht sonderlich viel ändert. Wenn überhaupt geht es zu Lasten der Tauben, deren Mehrheit gegenüber den Falken geringer ausfällt, als wenn es kein Rotationsverfahren gäbe. Im April müssen sogar vier Tauben gleichzeitig aussetzen, während die Falken an drei von sieben Sitzungen mit voller Schwarmstärke abstimmen können. Der „gefährlichste“ Termin für die Gegner einer expansiven Geldpolitik ist dagegen die Sitzung am 21. Juli, wenn drei Falken kein Stimmrecht haben und gleichzeitig alle 14 Tauben abstimmen dürfen.
Befürchtungen (bzw. Hoffnungen), dass das Rotationssystem die Möglichkeit für eine noch expansivere EZB-Geldpolitik bietet, haben also keine echte Grundlage. Ohnehin hat die EZB in der Vergangenheit gewichtige Entscheidungen – die Ausweitung von QE wäre definitiv eine – nur getroffen, wenn im Rat dafür eine breite Mehrheit zustande kam.