Am 16. August 2022 unterzeichnete US-Präsident Joe Biden das Gesetz zur Verringerung der Inflation, den Inflation Reduction Act (IRA). Auf den ersten Blick nicht sofort erkennbar, handelt es sich hierbei um eine Industriepolitik, mit der unter anderem der Ausbau erneuerbarer Energien, die Erneuerung der Energieinfrastruktur als auch die Produktion klimafreundlicher Industriegüter (z.B. Elektroautos) vorangetrieben werden soll. Dafür werden über einen Zeitraum von zehn Jahren 370 Milliarden Dollar ausgegeben.
Der IRA hat die Debatte um eine Industriepolitik mit Subventionen neu entfacht. Insbesondere in Europa sorgt man sich, in einer zukünftigen grünen Weltwirtschaft ins Hintertreffen zu geraten. Die Sorgen werden insbesondere durch die protektionistischen Elemente des IRA verstärkt. Gleichzeitig wird aber oftmals außer Acht gelassen, dass die EU mit der sogenannten Aufbau- und Resilienzfazilität (ARF) ebenfalls ein industriepolitisches Instrument zum grünen und digitalen Umbau einsetzt. Von der Größe her ist die ARF mit 800 Milliarden Euro, davon etwa 200 Milliarden für den Umbau Richtung ökologischer Wirtschaft, zumindest in Ansätzen mit dem amerikanischen IRA vergleichbar.
Aktuell steht im Mittelpunkt der europäischen Debatte, wie Europa auf den IRA antworten soll. Im Zuge des im Februar von der EU-Kommission vorgestellten Green Deal Industrial Plans dreht sich die Debatte um die Schaffung eines European Sovereignity Funds. Zudem stehen Ausnahmen im europäischen Beihilferecht im Raum, womit Mitgliedsstaaten Unternehmen Subventionen in gleicher Höhe gewähren könnten wie sie sie in den USA durch den IRA erhielten (Matching).
Es sieht also danach aus, dass wir vor einem Wettbewerb um klimafreundliche Investitionen zwischen Europa und den USA stehen. In diesem Beitrag wollen wir die Rechtfertigung von Subventionen, deren Wirkungsweise und Effekte aufzeigen. Zudem erfolgt eine Einordnung der derzeitigen Positionen Europas und der USA.
Sind staatliche Subventionen ordnungspolitisch überhaupt rechtfertigbar?
Ordnungspolitisch ist eine Subvention gerechtfertigt, wenn eine bestimmte wirtschaftliche Aktivität einen positiven externen Effekt hat, die der Markt ohne zusätzliche Anreize nicht im gewünschten Maße ausschöpft. Ist das bei Maßnahmen zur ökologischen Transformation der Wirtschaft der Fall?
Primär liegen im Bereich der Umweltnutzung negative externe Effekte vor. Sie sprechen dafür, dass die entsprechenden Aktivitäten mit einem staatlichen Preis belegt werden, z. B. einer Mengensteuer. Deren Höhe entspricht der Differenz zwischen den privaten und den gesamtgesellschaftlichen Kosten (also eine monetäre Bewertung des negativen externen Effekts).
Umweltschutz-Maßnahmen haben hingegen positive externe Effekte: Wenn Person A einen Wald aufforstet, erzielt sie dadurch Erlöse, wenn sie später das Holz verkauft. Der ökonomischer Wert des Aufforstens ergibt sich aus dem Holzpreis. Daneben stiftet ein Wald jedoch weiteren gesamtwirtschaftlichen Nutzen, also z. B. Erholungsleistung (Naherholung und Tourismus), Nahrungsmittelproduktion (Tiere, Beeren, Pilze etc.) und Ökosystemleistungen (Kohlenstoffspeicherung, Wasserfilterung und damit Trinkwasserproduktion, Luftreinigung, Erosionsschutz, Schutz der Artenvielfalt etc.). Um hier zu einem aus gesamtwirtschaftlicher Sicht optimalen Aktivitätsniveau zu kommen, muss der Staat Waldbesitzern eine Subvention zahlen, deren Höhe dem monetären Wert der sozialen Zusatznutzen entspricht.
Welche Effekte haben staatliche Subventionen?
Staatliche Subventionen stellen jedoch Eingriffe in den Markt dar, die sowohl die Angebots- als auch die Nachfrageseite adressieren können. Beim amerikanischen IRA handelt es sich hauptsächlich um Eingriffe auf der Angebotsseite, bei der europäischen ARF und weiteren in Diskussion stehenden Politikmaßnahmen verhält es sich ähnlich. Mit Instrumenten wie Steuererleichterungen und Investitionsprämien können Unternehmen günstiger produzieren. Dies führt zu einer Verschiebung der Angebotskurve nach unten – unabhängig von der Nachfrage kann die Output-Menge zu einem günstigeren Preis angeboten werden. Bei einer unveränderten Nachfragefunktion entsteht dadurch ein neues Marktgleichgewicht: Es werden mehr Güter und Dienstleistungen bei einem geringeren Gleichgewichtspreis nachgefragt. Damit kommt es zu einer Ausweitung der Produktion und der Nachfrage.
Gleichgewichtsverschiebung unter Subvention
Betrachtet man lediglich ein einzelnes Land, so kommt es zu den oben ausgeführten Effekten. Damit können das Angebot und die Nachfrage etwa nach bestimmten klimafreundlichen Gütern wie erneuerbare Energie oder Elektroautos erhöht werden.
Tatsächlich stehen aber viele Länder miteinander im Wettbewerb, womit es zu Interdependenzen bei der Einführung von Politikmaßnahmen kommt. Führt ein Land A Subventionen ein, so können seine Unternehmen günstiger anbieten und erlangen dadurch einen komparativen Vorteil. Damit stehen aber die Unternehmen in allen anderen Ländern unter Druck und könnten mit einer Standortverlagerung in das Land mit den Subventionen reagieren. Die anderen Länder sind somit geneigt nachzuziehen und ähnliche Subventionen einzuführen.
Um einen komparativen Vorteil seiner Unternehmen weiterhin zu gewährleisten, wird Land A wiederum veranlasst sein, die eigenen Subventionen zu erhöhen. Daraus resultiert die Interdependenz zwischen den Ländern: Ein Wettlauf zwischen den Ländern um die höchsten Subventionen entsteht.
Was sind die positiven Effekte von Politikmaßnahmen wie dem IRA?
Politikmaßnahmen wie der IRA tragen jedenfalls dazu bei, den Umbau in Richtung einer klimafreundlichen Wirtschaft zu beschleunigen. Durch die Subventionierung der Produktion von klimafreundlichen Gütern kann das Hemmnis hoher Anlaufkosten überwunden werden. So könnte schneller eine kritische Masse mit entsprechend geringeren Stückkosten generiert werden. Insbesondere China konnte mit dieser Strategie bedeutende Weltmarktanteile wie etwa bei der Produktion von Photovoltaikpanelen gewinnen.
Aus Sicht der globalen Klimaziele ist es sehr zu begrüßen, wenn Volkswirtschaften wie die USA, die nach wie vor einen bedeutenden Anteil im Ausstoß von Treibhausgasen haben und in der Vergangenheit ob ihrer laxen Umweltpolitik vielfach gescholten wurden, mit Politikmaßnahmen wie dem IRA den grünen Wandel beschleunigen. Jede Reduktion des Treibhausgasausstoßes in den USA hat auch positive externe Effekte für Europa.
Der durch Politikmaßnahmen wie dem IRA entfachte Wettbewerbsgedanke kann außerdem eine weitere positive Externalität entfalten: Andere Teile der Welt müssen größere Anstrengungen für die ökologische Transformation ihrer Wirtschaft unternehmen. Daraus könnte auch ein wünschenswerter Wettbewerb von intelligenten Politikmaßnahmen zur Erreichung dieses Ziels entstehen. Auch Europa kann in dieser Hinsicht seine bisherigen Anstrengungen noch verstärken und verbessern.
Was sind die negativen Effekte von Politikmaßnahmen wie dem IRA?
Die Einführung von Subventionen kommt mit der Gefahr, dass Unternehmen bei einem späteren Wegfall der Subventionen nicht mehr wirtschaftlich arbeiten können. Gerade bei großvolumigen Subventionen ist zu erwarten, dass diese nicht langfristig gewährt werden können. Es besteht damit ein Risiko, dass Unternehmen und ganze Industriebereiche entstehen, die ohne Subventionen nicht überlebensfähig sind. Ein Negativbeispiel in dieser Hinsicht stellt die deutsche Photovoltaikindustrie dar, die massiv subventioniert wurde und mit dem Wegfall der Subventionen (und der aufkeimenden Konkurrenz in Asien) nicht mehr wettbewerbsfähig war und fast vollständig weggebrochen ist.
Eine unmittelbare Konsequenz für Europa kann sich daraus ergeben, dass der IRA auch protektionistische Züge enthält. So erhalten die amerikanischen Konsumenten nur dann Zuschüsse für den Kauf eines Elektroautos, wenn es in Nordamerika hergestellt wurde. Bei den erforderlichen Batterien muss ein erheblicher Teil der Produktion ebenfalls entweder aus Nordamerika stammen oder aus Ländern, mit denen die USA ein Freihandelsabkommen haben. Das kann für europäische Unternehmen ein Anreiz sein, Investitionen nicht in der EU, sondern in den USA zu tätigen. Das gilt insbesondere für margenschwache und besonders mobile Unternehmen. Für die EU bedeutet dieser Kapitalabzug den Verzicht auf heimische Wertschöpfung und Arbeitsplätze.
Für die grüne Transformation der Wirtschaft sind insbesondere Innovationsfähigkeit und privates Kapital gefragt. Diese sind aber gleichzeitig global begrenzt. Dadurch kann es zu einem Nullsummenspiel kommen: Politikmaßnahmen fallen immer großzügiger aus, die gewünschte Wirkung eines erhöhten Outputs entfaltet sich aber nicht mehr. Das Verhältnis des durch Subventionen generierten zusätzlichen Angebots ist nicht mehr gesellschaftlich optimal.
Die USA brauchen Kapitalimporte dringender als die EU
Eine höhere Attraktivität für europäische Investitionen kann durchaus ein Motiv der USA für die Regelungen im IRA sein. Die USA zeichnen sich durch eine relativ geringe Sparquote aus – sowohl im Vergleich zu den heimischen Investitionen als auch im Vergleich zum Sparverhalten der EU. Der Blick auf die Durchschnittwerte des Zeitraums von 2017 bis 2021 zeigt:
- In den USA war die gesamtwirtschaftliche Sparquote kleiner als die gesamtwirtschaftliche Investitionsquote. Um das hohe Investitionsvolumen realisieren zu können, benötigten die USA Nettokapitalimporte und damit ein Leistungsbilanzdefizit.
- In der EU lag die Sparquote hingegen über der Investitionsquote. Daraus resultierten ein Nettokapitalexport und ein Leistungsbilanzüberschuss.
Da die EU in Zukunft ebenfalls seine ökologische Transformation vorantreiben will, werden in Europa entsprechend hohe heimische Investitionen erforderlich. Hinzu kommt, dass nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine auch wieder mehr Mittel in die Produktion von militärischer Ausrüstung gesteckt werden. Beides bindet finanzielle Mittel in Europa. Diese Entwicklung könnte sich für die USA als problematisch erweisen, weil das Land zur Finanzierung der für die ökologische Transformation erforderlichen Investitionen auf Kapitalimporte aus der EU angewiesen ist. Daher müssen die USA dann auch Anreize für diese Kapitalimporte setzen.
Spar- und Investitionsquote von EU und USA in Prozent des BIP
Leistungsbilanz von EU und USA in Prozent des BIP
Fazit: Wettbewerb könnte grüne Transformation beschleunigen, EU einigermaßen gut aufgestellt
Die USA haben mit dem IRA ein großes Paket an Maßnahmen zur Transformation ihrer Wirtschaft in Richtung Klimaneutralität implementiert. Ein wesentlicher Teil dieser Maßnahmen sind Subventionen zur Förderung klimafreundlicher Technologien, Produktionsverfahren und Industriegüter. Dadurch sieht sich insbesondere die EU ihre Vorreiterrolle in einer zukünftigen grünen Ökonomie gefährdet, was durch die protektionistischen Elemente des IRA teilweise auch berechtigt ist. In Europa wird deshalb aktuell intensiv darüber diskutiert, mit welchen Maßnahmen man gegensteuern soll. Es steht daher möglicherweise ein Wettbewerb um Subventionen zwischen der EU und den USA im Raum.
Kommt es zu einem industriepolitischen Wettbewerb zwischen der EU und den USA, so könnte die Transformation zu einer grünen Wirtschaft beschleunigt werden, indem Anlaufkosten vergemeinschaftet werden. Gleichzeitig besteht aber die Gefahr einer Subventionierung von Gütern und Dienstleistungen, die langfristig wirtschaftlich nicht rentabel sind. Trotz Wettbewerbs dürfen deshalb die globalen Klimaziele als übergeordnete Leitplanken nicht aus den Augen verloren werden, um einen schädlichen Wettbewerb – wie bis vor kurzem bei der Unternehmensbesteuerung der Fall – zu vermeiden.
Im direkten industriepolitischen Wettbewerb mit den USA ist die EU einigermaßen gut aufgestellt. Mit der ARF, aber auch weiteren Instrumenten wie beispielsweise den Important Projects of Common European Interest (IPCEI) hat die grüne Transformation der Wirtschaft in Europa längst begonnen. Auch hinsichtlich der Kapitalausstattung zur Finanzierung dieses Umbaus weist die EU – im Unterschied zu den USA – noch Spielräume zur Aktivierung heimischen Kapitals für zusätzliche Investitionen auf.
Zu den Autoren:
Thomas Schwab ist Project Manager im Programm Europas Zukunft der Bertelsmann Stiftung. Er arbeitet zu den Auswirkungen des grünen und digitalen Wandels auf die wirtschaftliche Entwicklung Europas.
Thieß Petersen ist Senior Advisor der Bertelsmann Stiftung und Lehrbeauftragter an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt/Oder.