Fremde Federn

EU-Seidenstraße, kippende Arktis, Kakovka-Stausee

Diese Woche unter anderem in den Fremden Federn: Die unerhörte Geschichte des Kakovka-Stausees, wie Europas Antwort auf die chinesische Seidenstraße aussieht und welche Folgen die demografische Schrumpfung hat.

Foto: Jojo Bombardo via Flickr (CC BY-ND 2.0)

In den „Fremden Federn“ stellen wir einmal pro Woche in Kooperation mit dem Kuratorendienst piqd eine Auswahl von lesenswerten journalistischen Fundstücken mit wirtschaftspolitischem Bezug zusammen. piqd versteht sich als eine „Programmzeitung für guten Journalismus“ – was relevant ist, bestimmen keine reichweitenoptimierten Algorithmen, sondern ausschließlich ausgewählte Fachjournalisten, Wissenschaftler und andere Experten.

Europas Antwort auf Chinas „Seidenstraße“

piqer:
Jürgen Klute

Seit Jahren arbeitet die chinesische Regierung an dem Projekt „Seidenstraße“. Ziel des Projektes ist es einerseits, die chinesische Wirtschaft so zu entwickeln, dass sie von der sogenannten verlängerten Werkbank westlicher Unternehmen an die Spitze der globalen Produktions- und Wertschöpfungsketten aufsteigt. Andererseits will die chinesische Regierung ihren politischen Einfluss auf globaler Ebene stärken. Bisher hat die chinesische Regierung durchaus Erfolg mit dieser Strategie.

Bis vor Kurzem hat die Europäische Union dieser Entwicklung eher passiv zugeschaut. Doch mittlerweile ist die EU aktiv geworden: Die EU-Kommission hat im Herbst 2021 die Global-Gateway-Initiative als europäische Antwort auf das Seidenstraßenprojekt angekündigt. Bis 2027 sollen 300 Milliarden Euro in dieses EU-Infrastrukturprojekt auf globaler Ebene fließen.

FR-Redakteur Tobias Schwab hat in einem Interview mit der Politikwissenschaftlerin Svea Koch eine Bestandsaufnahme über die bisherige Entwicklung und auch über die Risiken dieses ambitionierten Projektes gemacht.

Ergrauende Volkswirtschaften

piqer:
Thomas Wahl

Ein Thema, das schon lange (meist im Hintergrund) schwelt, hin und wieder bewusst wird (etwa wenn der Arbeitskräftemangel drückt) und dann angesichts aktueller Desaster wieder aus dem Blick gerät – das Altern gerade der entwickelten Gesellschaften. Jedenfalls ist es nie richtig im Bewusstsein einer möglicherweise letzten Generation angekommen. Es ist ja nicht nur das Problem der schrumpfenden Wirtschaft, das da auf uns zukommt. Es geraten damit auch all unsere sozialen Institutionen ins Wanken.

Der ECONOMIST nimmt zunächst Italien und Japan als Aufhänger für den demografischen Rückgang und seine wirtschaftlichen Folgen:

In beiden Ländern fiel die Fruchtbarkeitsrate (die Anzahl der Kinder, die eine typische Frau im Laufe ihres Lebens hat) in den 1970er Jahren unter 2,1. Dieses Niveau wird als Ersatzrate bezeichnet, die eine Bevölkerung im Laufe der Zeit stabil hält. Alles, was niedriger ist, wird schließlich zu einer rückläufigen Bevölkerung führen, was sowohl in Italien als auch in Japan seit etwa einem Jahrzehnt der Fall ist. … Anfang dieses Jahres warnte Japans Premierminister Kishida Fumio, dass das Land aufgrund der fehlenden Babys „kurz davor steht, seine sozialen Funktionen nicht mehr aufrechterhalten zu können“.

Aber diese Länder sind nicht die einzigen und nicht mehr die extremsten Beispiele für den demografischen Niedergang. Auch in Deutschland ging die Zahl der Geburten in den 60er-Jahren stark zurück und 2020 lag die Geburtenrate nur noch „bei 1,53 Kindern pro Frau. Damit ist sie – nach einem kurzen Anstieg zwischen 2014 und 2016 – das vierte Jahr in Folge gesunken.“

Südkorea als erschreckendstes Beispiel hatte im Jahr 2022 eine Fruchtbarkeitsrate von nur 0,8. Ist diese Rate unter 1 bedeutet dies, dass die nächste Generation weniger als die Hälfte der Größe ihrer Elterngeneration betragen wird. Hatte man 2012 noch prognostiziert, dass Südkoreas Bevölkerung bis zum Ende des aktuellen Jahrhunderts sich von 52 Millionen heute auf 41 Millionen reduzieren würde, deuten neuere Prognosen

darauf hin, dass die Bevölkerung im selben Zeitraum um mehr als die Hälfte auf nur 24 Mio. sinken wird.

Südkorea ist sicher der krasseste Fall, aber die neuesten Daten und Prognosen verdeutlichen, dass der demografische Rückgang global wird.

Im Jahr 2010 verzeichneten 98 Länder und Gebiete Fruchtbarkeitsraten von unter 2,1. Bis 2021 stieg die Zahl auf 124, also auf mehr als die Hälfte der Länder, für die die UNO Daten erhebt …. Bis 2030 erwartet sie, dass die Zahl 136 erreichen wird.

Waren in der Vergangenheit die Altersstrukturen der Bevölkerung wie eine Pyramide aufgebaut – jede neue Generation war zahlreicher als ihre Vorgänger – dreht sich die Pyramide nun auf die Spitze. Ältere Generationen werden durch zunehmend kleinere Kohorten ersetzt. Diesen Prozess kann man in weiten Teilen der Welt beobachten. Zum Beispiel ist

die Zahl der Chinesen im Alter zwischen 21 und 30 Jahren bereits von 232 Millionen auf ihrem Höhepunkt im Jahr 2012 auf 181 Millionen im Jahr 2021 gesunken. Dieser Rückgang wird sich in den 2040er Jahren rapide beschleunigen, sodass China Mitte der 2050er Jahre weniger als 100 Millionen Menschen in dieser Altersgruppe haben wird. Die Bevölkerung Europas in dieser Alterskategorie wird im selben Zeitraum von etwa 85 Millionen auf unter 60 Millionen sinken.

Viele der wohlhabenderen Staaten versuchen, ihre sinkenden Geburtenraten durch Zuwanderung auszugleichen. Was allerdings kulturelle Offenheit voraussetzt. Und immer wieder auch politische Spannungen erzeugt.

Aber da der demografische Rückgang beginnt, immer mehr Länder zu betreffen, werden gebildete Migranten schwieriger zu finden sein, zumal sich der Rückgang der einheimischen Bevölkerung in vielen reichen Ländern beschleunigt. Für China mit einer Bevölkerung von etwa 1,4 Milliarden ist die Vorstellung, dass genügend Einwanderer gefunden werden könnten, um die Auswirkungen schwindenden Geburtenraten umzukehren, geradezu absurd, ….

Das bedeutet, zunehmend ältere Bevölkerungen werden überall dort höhere Aufwendungen (öffentlich oder privat), Renten und Gesundheitsversorgung erfordern. Dem werden immer weniger Menschen im Erwerbsalter gegenüberstehen, die diese Ressourcen erzeugen können.

Die reiche Welt hat derzeit etwa drei Menschen zwischen 20 und 64 Jahren für jeden über 65. Bis 2050 wird dieses Verhältnis auf weniger als zwei zu eins schrumpfen. Das erfordert ein späteres Rentenalter, höhere Steuern oder beides.

Noch hat Deutschland die Chance, junge und gut ausgebildete Migranten aufzunehmen. Aber Politik und Gesellschaft reagieren träge und oft inadäquat.

Allerdings werden die gesellschaftlichen Folgen der demographischen Schrumpfung viel komplexer sein als das, was sich direkt in geringerem Wirtschaftswachstum ankündigt. Es könnte die sinkende Fähigkeit zu Innovation und Produktivitätssteigerung sein, die sich als noch fataler herausstellt.

Jüngere Menschen haben mehr von dem, was Psychologen als „fluide Intelligenz“ bezeichnen, was sich auf die Fähigkeit bezieht, neue Probleme zu lösen und sich mit neuen Ideen auseinanderzusetzen. Ältere Menschen verfügen über eine „kristallisierte Intelligenz“, die auf einem im Laufe der Zeit aufgebauten Wissensschatz über die Funktionsweise der Dinge beruht. Es gibt keine genauen Grenzwerte, aber die meisten Studien deuten darauf hin, dass die fluide Intelligenz im frühen Erwachsenenalter ihren Höhepunkt erreicht und mit 30 Jahren abnimmt.

Gesellschaften benötigen in ihren Institutionen und Unternehmen sicher beide, sich oft ergänzenden Fähigkeiten. Junge Menschen, die neue Ideen für neue Herausforderungen finden, und ältere Fachleute mit vielen Erfahrungen. Aber im Innovationsprozess stehen sich diese nicht gleichwertig gegenüber. Zu erwarten ist also ein Rückgang der Innovationsfähigkeit alternder Gesellschaften – eine Fähigkeit, die zur Lösung des demografischen Umbruchs eigentlich dringend notwendig wäre.

Einige Forscher glauben, dass ein solcher demographisch bedingter Rückgang der Innovation in Teilen der Welt bereits im Gange ist. James Liang, ein chinesischer Ökonom und Demograf, stellt fest, dass das Unternehmertum in älteren Ländern deutlich niedriger ist: Ein Anstieg um eine Standardabweichung des Durchschnittsalters in einem Land, was etwa 3,5 Jahren entspricht, führt zu einem Rückgang der Unternehmerquote um 2,5 Prozentpunkte (der Anteil der Erwachsenen, die ihr eigenes Unternehmen gründen). Das ist ein großer Effekt, wenn man bedenkt, dass die globale Entrepreneurship-Rate im Jahr 2010 bei etwa 6,1 % lag. … Dieses Phänomen, so Liang, könnte die Ursache für Japans „Unternehmervakuum“ sein. Noch im Jahr 2010 waren japanische Erfinder nach Angaben der Weltorganisation für geistiges Eigentum, einer Agentur der Vereinten Nationen, in 35 großen Branchen weltweit führend bei der Erteilung von Patenten. Im Jahr 2021 ist Japan nur noch in drei Branchen führend. Das Land ist nicht nur hinter China zurückgefallen, das inzwischen die meisten Spitzenplätze belegt, sondern auch hinter Amerika.

Innovation ist auch einer der Wege, um die Klimaerwärmung aufzuhalten. Alternde Gesellschaften könnten das wohl nur bedingt leisten. Sie altern aber auch nicht so schnell, dass der CO2-Ausstoß dadurch wirksam sinkt. Es gab in vielen reichen Ländern teure Versuche, die Geburtenraten zu steigern. Sie blieben weitgehend wirkungslos, um den demografischen Rückgang zu stoppen. Das Zeitalter der Ratlosigkeit scheint mir sehr real. Die Hoffnung stirbt zuletzt.

Europäisches Parlament will Orbán nicht als EU-Ratspräsidenten

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Jürgen Klute

Turnusmäßig bekäme Ungarn vom 1. Juli bis 31. Dezember 2024 die rotierende EU-Ratspräsidentschaft. Damit würde der ungarische Ministerpräsident und erklärte EU-Gegner sowie Feind liberaler Demokratien Viktor Orbán für sechs Monate das Gesicht der Europäischen Union nach innen und nach außen. Eine deutliche Mehrheit des Europäischen Parlaments (EP) ist davon nicht begeistert und hat kürzlich in einer – leider rechtlich nicht bindenden – Resolution den EU-Rat aufgefordert, eine Lösung zu finden. Lösung heißt in diesem Kontext wohl zu verhindern, dass Ungarn die Ratspräsidentschaft übernimmt.

Thorsten Fuchshuber zeichnet in seinem Beitrag für die Luxemburger Zeitung WOXX den Konflikt zwischen dem EP und der ungarischen Regierung nach und zeigt Möglichkeiten auf, wie u. U. die turnusmäßig ungarische Ratspräsidentschaft verhindert werden könnte.

Eine gute Ergänzung zu dem Beitrag von Fuchshuber ist Artikel „EU-Parlament will ungarische Ratspräsidentschaft 2024 verhindern“ von Stefan Grobe in EURONews. Dieser Artikel benennt u. a. die Abstimmungsergebnisse der benannten EP-Resolution.

Arktisches Meereis: Das nächste Kippen

piqer:
Nick Reimer

An den Polen erhitzt sich die Erde deutlich schneller als etwa am Äquator, weshalb es in Arktis und Antarktis längst zu Tauen begonnen hat: Rund um den Nordpol geht das Eis seit Jahren zurück, 2022 brachte die drittgeringste Meereisbedeckung am Nordpol, die jemals gemessen wurde. Diese Meereisbedeckung gilt in der Wissenschaft als ein Kippelement: Die hellen Eisflächen haben einen deutlich höheren Rückstrahleffekt als die dunklere Wasseroberfläche. Dieser sogenannte Albedo-Effekt macht die Entwicklung unaufhaltsam: Ist das Eis einmal verschwunden, reflektiert das darunter liegende dunkle Wasser viel weniger Sonnenstrahlen.

Man kann das gut mit einem Spiegel illustrieren: Helles Meereis wirft wie ein solcher sehr viel Energie in den Weltraum zurück. Ohne dieses „Spiegeleis“ dringt die Sonnenenergie in den dunkleren Ozean ein. Im arktischen Sommer scheint die Sonne rund um den Nordpol 24 Stunden am Tag. Geht die Eisfläche zurück – „der Spiegel“ – heizt sich das Wasser immer weiter auf, was noch mehr schwimmendes Eis auf dem Ozean schmelzen lässt und dadurch noch mehr Sonnenenergie in den Ozean gelangt. Ein Teufelskreis.

Mit Auswirkungen für unser Wetter: Die arktische Meereisbedeckung bestimmt entscheidend die Kraft des Jetstream. Wie eine endlose Sinuskurve mäandert dieser Höhenwind von West nach Ost über die Nordhalbkugel und bestimmt so unser Wetter. Angetrieben wird der Jetstream wie jeder Wind von einer Temperaturdifferenz, die Druckunterschiede erzeugen: in diesem Fall jener zwischen Tropen und Nordpol. Weil der Nordpol aber immer wärmer wird, verliert der Jetstream seine Kraft – und mäandert eben manchmal nicht mehr. Zu den wissenschaftlichen Erkenntnissen hatte ich schon 2016, 2017 ff. gepiqd.

Wir müssten ergo hoffen, dass sich die arktische Eisbedeckung wieder schließt, statt immer weiter abzutauen – und der Jetstream so wieder mehr Kraft gewinnt. Doch das Gegenteil ist der Fall, wie Arbeiten von Forschern der Pohang University of Science and Technology in Korea ergaben: Demnach läuft das Abtauen in der Realität wesentlich schneller, als von den Klimamodellen prognostiziert, das Meereis der Arktis könnte schon in den 2030er-Jahren im Sommer fast völlig verschwinden. Das ist zehn Jahre früher, als Klimamodelle bisher voraussagten.

Lars Fischer wertet bei Spektrum die Forschungsarbeit aufschlussreich auf.

Die unerhörte Geschichte des Kakovka-Stausee

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Achim Engelberg

Manchmal können Katastrophen zu Symbolen werden. Der Untergang der Titanic im Jahre 1912 entwickelte sich zum mahnenden Zeichen eines aufkommenden Katastrophenzeitalters, die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl (ukrainisch Cornobyl) von 1986 war ein böses Omen für den Zerfall der Sowjetunion und die Gefahren auch der friedlichen Atomnutzung. Die Katastrophe nach dem Bruch des Kachowka-Staudamms muss nicht, hat aber das Zeug, ein Menetekel unserer Epoche zu werden.

Zuvor muss das Unheil wahrgenommen werden, was der Bilderreise und dem Film in der NZZ gut gelingt. Allerdings bleibt vieles noch im Dunkeln:

Die Bilder enthüllen die sichtbare Verwüstung, die durch die gravierenden Wassermengen entlang der Flussufer verursacht wurde.

Besorgniserregend bleiben jedoch die vielen langfristigen Folgen, welche noch im Verborgenen liegen.

Vor einiger Zeit erzählten Ihor Pylypenko und Daria Malchykova in der Zeitschrift OSTEUROPA die unerhörte Geschichte des Kachowka-Stausee. Schon vor rund einem halben Jahr befürchteten sie die jetzigen Katastrophe. Hier ihre Zusammenfassung ihres Beitrags:

Der in den 1950er Jahren geschaffene Kachovka-Stausee im Südosten der Ukraine hat erhebliche Bedeutung für die Energie- und die Agrarwirtschaft des Landes. Das mit Wasser aus dem See gekühlte Atomkraftwerk Zaporižžja und ein nahegelegenes Kohlekraftwerk produzierten vor Russlands Überfall auf die Ukraine knapp 30 Prozent des in der Ukraine erzeugten Stroms. Auch hat der Stausee seit den 1960er Jahren die Errichtung eines weitverzweigten Kanalsystems ermöglicht, das der Wasserversorgung von Millionen Menschen und der Bewässerung riesiger Agrarflächen dient. Russland hat den von der Ukraine nach der Krimannexion im Jahr 2014 gesperrten Nord-Krim-Kanal unmittelbar nach dem Einmarsch im Februar 2022 wieder geöffnet. Jetzt lassen die Besatzungstruppen jedoch in großen Mengen Wasser aus dem Kachovka-Stausee ab. Es steht zu befürchten, dass sie im Falle eines erzwungenen Rückzugs die Staumauer bei Nova Kachovka sprengen werden.

In diesem Interview, das Andriy Garasym mit dem Chefingenieur Mykola Kalinin führte, begründet der Experte, warum er an eine gezielte Sprengung glaubt. Dabei enthüllt er, dass der Damm so gebaut war, dass er auch einen Atomschlag überstehen könnte.

Eine verheerende Katastrophe, die selbst wenn sie nicht durch eine Sprengung erfolgt sein sollte, doch menschengemacht ist in einem Zeitalter der menschengemachten Klimakatastrophe.

Zum Abschluss noch ein Beitrag von Peter Pomerantsev aus dem GUARDIAN: Angesichts von Bildern „biblischer Zerstörung“ fragt er nach dem Grund. Das Ausmaß der Schäden ergibt militärisch keinen Sinn. Seine Antwort ist verstörend.

So sieht’s aus in Deutschlands Heizungskellern

piqer:
Jannis Brühl

Die Diskussion um die Regierungspläne zu modernen Heizungen wird ziemlich weit weg von den Einzelfällen geführt. Die ursprünglichen grün-roten Pläne mögen entfernt von der Praxis vieler Menschen sein, vor allem von denen auf dem Land. Die Gegenkampagne von Opposition und Stammtisch ist dafür maximal polemisch und beruht auf Panikszenarien sowie dem Verweis auf den Schwager des Cousins des Schwagers …

Höchste Zeit, mit einem Praktiker zu sprechen. Das hat mein SZ-Kollege Jan Schmidbauer getan. Er hat den bayerischen Heizungsbauer Josef Pflügl zu dessen Kunden begleitet. Die hadern mit Habeck, stehen der Wärmepumpe skeptisch gegenüber und beschäftigen sich derzeit gefühlt mehr mit Heizungen als mit anderen wichtigen Dingen im Leben.

Für mich, der die Debatte bislang nicht in allen Nuancen mitverfolgt hat, ein sehr lebensnaher Überblick über das Thema, der frei von dem sonst sehr präsenten Wutschaum ist. Und das bei einem wichtigen Thema, das ja nur eines von vielen sein wird, in dem staatliche Steuerung für den Klimaschutz mit persönlichen Lebensplänen, Finanzen und Überzeugungen kollidiert.

Redest du dir nur ein, dass du deinen Job magst?

piqer:
Theresa Bäuerlein

Kurz bevorstehende Wochenenden sind vielleicht eine gute Gelegenheit, dieses Interview zu lesen und sich durch den Kopf gehen zu lassen. Allerdings besteht dann die Gefahr, dass du am Montag eventuell nicht zur Arbeit erscheinst. Das Gespräch ist mit dem Philosophen Michael Cholbi. Er sagt: Die meisten Menschen reden sich ihre Arbeit schön. Und zwar ganz einfach deswegen, weil sie keine andere Wahl haben.

Im Kapitalismus wird jeder ermutigt, Arbeit als wichtig anzusehen. Arbeit ist das Zentrum unseres Lebens. Der Beruf gilt als sinnstiftend, gibt Anerkennung, Freunde, vermittelt manchmal sogar den Partner […] In dieser Kultur haben wir keine andere Möglichkeit, als uns mit der Arbeit anzufreunden.

Er rät, das gründlich infrage zu stellen.

Wir sollten uns fragen, welchen Wert der Job für uns hat. Und ob die positiven Gefühle ihm gegenüber gut begründet sind oder ob sie nur ein Produkt unserer Sozialisation sind.

Einst steht fest: Wenn du deinen Job nach dem Lesen dieses Interviews immer noch magst, dann magst du ihn wirklich.