Es gibt viele Gründe, die Konjunktur zu beobachten. Wir können zum Beispiel dabei sehr schön lernen, wie unsere kapitalistischen Volkswirtschaften funktionieren. Der wichtigere Sinn liegt jedoch darin, rechtzeitig Rezessionen zu erkennen, bei denen viele Beschäftigte ihren Job verlieren. Das ist umso wichtiger, weil die Mehrheit der deutschen Wähler aus welchen Gründen auch immer Parteien bevorzugt, die erst in akuten Krisen anfangen, über stabilisierende Eingriffe des Staates in das Wirtschaftsgeschehen nachzudenken.
Nun wissen wir aber, dass der Arbeitsmarkt oftmals erst dann kippt, wenn eine Rezession nicht mehr zu übersehen ist. Das liegt daran, dass nicht alle Wirtschaftszweige gleichzeitig in eine Konjunkturkrise abrutschen. Zuerst spüren es die Hersteller von Investitionsgütern in der Industrie und am Ende die Produzenten von Konsumgütern und die Dienstleister. Daher sagen Ökonomen gerne auch, dass der Arbeitsmarkt ein nachlaufender Indikator wäre. Das mag so auch für die Zahl der Beschäftigten oder die Arbeitslosenquote stimmen, die ja einen Querschnitt der Gesamtwirtschaft abbilden.
Gleichwohl lassen sich aber Wendepunkte auf dem Arbeitsmarkt doch recht früh erkennen. In den USA werden zum Beispiel wöchentlich die Erstanträge auf Arbeitslosengeld veröffentlicht. Diese Zahlen haben den Vorteil, dass sie keinen Querschnitt aller Branchen beim Jobaufbau messen, sondern sich allein auf die steigende Arbeitslosigkeit konzentrieren. Der folgende Chart zeigt einen simplen Vergleich der Monate, als die vorherige Rezession im Dezember 2007 begann, mit der aktuellen Entwicklung.
US-Arbeitsmarkt: Deprimierende Parallelen zwschen 2008 und 2016
In der Tat deutet sich derzeit an, dass der US-Arbeitsmarkt bald kippen dürfte, wenn die amerikanische Wirtschaft nicht bald doch noch die Kurve kriegt. Ähnliches erkennen wir in Deutschland, wo sich ein Blick auf die Zahl der konjunkturbedingten Kurzarbeiter lohnt. Klar erreicht sie erst inmitten einer Rezession ihren Höhepunkt. Doch auch hier zeigt die Entwicklung jeweils in den Monaten vor einer Rezession, dass sich auf dem Arbeitsmarkt eine Wende abzeichnen könnte. Aktuell liegen wir sogar über dem Niveau kurz vor Beginn der Rezession des Jahres 2008.
Deutschland: Konjunkturelles Kurzarbeitergeld seit 2011
Auch wenn die deutsche Volkswirtschaft bislang noch keine erhöhte Rezessionswahrscheinlichkeit ausstrahlt, sollten wir diese Signale doch sehr ernst nehmen. Denn klar ist doch eins: Auch der Konjunkturzyklus in Deutschland befindet sich in einer Spätphase, obwohl Europa den Zyklus mit seiner Austeritätspolitik verkrüppeln lassen hat. Wäre ich zum Beispiel eine deutsche Gewerkschaft oder ein Ökonomen, der von einer deutschen Gewerkschaften bezahlt wird, dann würde ich doch versuchen, die Öffentlichkeit wach zu rütteln und das sehr laut.
Denn genau jetzt könnten wir die Weichen stellen, wie mit Staatseingriffen in der Krise die Wirtschaft in eine bestimmte Richtung gelenkt wird. Es muss ja nicht immer die Abwrackprämie sein, die zuletzt die Autoindustrie gestützt hat. Es ließen sich zum Beispiel Branchen ausmachen, deren Förderung die absurde Exportabhängigkeit Deutschlands reduzieren würde, von ökologischen oder sozialen Investitionen ganz zu schweigen. Doch niemand bei den deutschen Gewerkschaftsfreunden versucht die Öffentlichkeit zu alarmieren. Sowas hier macht mich ratlos und fassungslos:
Man sollte nie aus einer Kennziffer weitreichende Schlüsse ziehen.Zudem ist der Arbeitsmarkt nachlaufend. https://t.co/B9Cb9Crrhc
— Gustav A. Horn (@GustavAHorn) 2. Februar 2016
Gut möglich, und es ist auch klar, dass der Nachholbedarf bei den privaten Investitionen in Europa und die steigenden Staatsausgaben für die Flüchtlinge die nahende Rezession der Weltwirtschaft in Europa abfedern werden. Doch verlassen können wir uns darauf nicht. Angesichts des wachsenden Rechtsrucks auf dem europäischen Kontinent ist das Schweigen der Gewerkschaften unbegreiflich und unerträglich. Wenn nicht einmal ein relevanter Interessensverband seinen Mund aufkriegt, wer soll es dann tun?
Ein Interessensverband darf auch einmal zu durchaus seriösen Übertreibungen neigen, denn genau dazu ist er auch da. Wir kennen alle die mitunter weniger seriöse Datengrundlage bei den Unternehmenslobbyisten. Und wer fürchtet, dass möglicherweise übereilte Warnrufe der Gewerkschaften eine Konjunkturpanik verstärken könnten, der sollte sich derzeit nur einmal die Finanzmärkte anschauen. Denn das erledigen die Investoren schon ganz von alleine, die brauchen dafür gar keine Gewerkschaften. Im Gegenteil, die Anleger reagieren sogar schlauer als unsere Gewerkschaftsfreunde.
Zum Autor:
André Kühnlenz ist Redakteur beim Wirtschaftsblatt in Wien. Außerdem bloggt er auf weitwinkelsubjektiv.com, wo dieser Beitrag zuerst erschienen ist.