Fremde Federn

Erdgas, Inflation Reduction Act, Coinfessions

Diese Woche unter anderem in den Fremden Federn: Ein europäischer „Marshall-Plan“ für die Ukraine, wie die Industrie Erdgas einspart und was Bidens großes Klimapaket bringt.

Foto: Jojo Bombardo via Flickr (CC BY-ND 2.0)

In den „Fremden Federn“ stellen wir einmal pro Woche in Kooperation mit dem Kuratorendienst piqd eine Auswahl von lesenswerten journalistischen Fundstücken mit wirtschaftspolitischem Bezug zusammen. piqd versteht sich als eine „Programmzeitung für guten Journalismus“ – was relevant ist, bestimmen keine reichweitenoptimierten Algorithmen, sondern ausschließlich ausgewählte Fachjournalisten, Wissenschaftler und andere Experten.

Wie die Industrie Erdgas einspart

piqer:
Daniela Becker

Nach dem Überfall der Ukraine protestierte die Industrie heftig gegen ein Embargo von russischem Gas. Geht nicht, hieß es. Die Wirtschaft können das nicht überleben. Horrorszenarien wurden an die Wand gemalt, obwohl es Stimmen aus der Wissenschaft gab, die verdeutlichten: Es würde zwar hart, aber machbar wäre es durchaus.

Nun ist überdeutlich, wovor schon vor Monaten gewarnt wurde. Wladimir Putin wird die Gasversorgung nutzen, um Druck auf die Europäische Union und das besonders abhängige Deutschland auszuüben. Sprich: Er dreht den Gashahn nach Belieben auf und zu. Und siehe da: Sehr viele Betriebe haben doch Möglichkeiten gefunden, im großen Stil Erdgas einzusparen.

Da gehen Unternehmen auch schon mal ungewöhnliche Wege: Der Mainzer Spezialglashersteller Schott etwa hat sich mit Propangas eingedeckt, um zu verhindern, dass die teuren Schmelzwannen bei einem Gasausfall irreparablen Schaden nehmen. Propangas wird nicht aus der Erde gefördert, sondern entsteht unter anderem bei der Raffinerie von Öl in Deutschland. Um sich die nötigen Mengen aus dem begrenzten Angebot zu sichern und die Konkurrenz nicht aufzuschrecken, hat sich Schott sozusagen klammheimlich in den letzten Wochen einen entsprechenden Vorrat zusammengekauft, eingelagert und erfolgreich getestet. Dafür hat Schott nach eigenen Angaben zusätzlich einen zweistelligen Millionenbetrag investiert. Vorstandschef Frank Heinricht versteht die Summe als Versicherung, um gegen noch größere Schäden gefeit zu sein.

Offenlegung: Ich hatte ein frühes Gasembargo befürwortet. Deswegen spricht mir aus dem Herzen, was der zitierte Wirtschaftsprofessor Benjamin Moll im Text äußert:

„Anpassung kostet Zeit. Es wäre noch viel mehr möglich gewesen, wenn die Industrie schon im März auf Hochdruck angefangen hätte, anstatt erst mal Lobbyismus zu betreiben.“

Wichtig wäre nun aber vor allem, dass die Politik klimafreundliche Transformation fördert und überall dort, wo klimafreundliche Alternativen gefunden werden, dafür sorgt, dass es kein Zurück zu Erdgas geben wird.

Die russische Ökonomie implodiert – nur nicht sofort

piqer:
Thomas Wahl

Ein Expertenteam um die Yale Unversität bestreitet, dass Russland die westlichen Sanktionen mehr oder weniger gut übersteht. Die Autoren, die selbst Russisch sprechen, nutzen für ihre Analyse der wirtschaftlichen Aussichten Russlands (die erste unabhängige seit Beginn des Krieges) unkonventionelle Datenquellen, etwa Hochfrequenz-Verbraucherdaten, Cross-Channel-Prüfungen, Veröffentlichungen von Russlands internationalen Handelspartnern und Data Mining komplexer Schifffahrtsdaten. Damit umgehen sie die selektiv veröffentlichten offiziellen russischen Daten, die auch seit Beginn des Krieges nicht mehr aktualisiert wurden. Daher haben viele der

rosigen Wirtschaftsprognosen die wirtschaftlichen Freisetzungen aus den frühen Tagen der Invasion, als die Sanktionen und der Rückzug auf Unternehmen nicht voll wirksam waren, irrational extrapoliert. Selbst diese veröffentlichten günstigen Statistiken sind angesichts des politischen Drucks, den der Kreml auf die korrupten statistischen Institutionen ausgeübt hat, zweifelhaft.

Demnach wäre die vom Kreml behauptete und im Westen oft geglaubte weitgehende Unwirksamkeit der Sanktionen ein Märchen. Hier einige der neun Mythen, die mit den Argumenten der Analyse (hier findet man die Charts mit allen Daten zur Studie) widerlegt wurden.

Mythos 1: Russland kann seine Gasexporte umleiten und statt nach Europa an Asien verkaufen.

Das erscheint zwar theoretisch zunächst einleuchtend, ist aber mittelfristig unrealistisch. So sind die russischen Kapazitäten für Flüssig-Erdgas auf 10% der Gesamtmenge begrenzt. Die russischen Gasexporte sind also weiterhin auf ein System fester Pipelines angewiesen.

Die überwiegende Mehrheit der russischen Pipelines gehen nach Europa; diese Pipelines, die ihren Ursprung in Westrussland haben, sind nicht an ein separates entstehendes Pipeline-Netzwerk anschließbar, die Ostsibirien mit Asien verbinden, das nur 10 Prozent der Kapazität des europäischen Pipelinenetzes enthält. Tatsächlich repräsentierten die 16,5 Milliarden Kubikmeter Gas, die Russland im vergangenen Jahr nach China exportierte, weniger als 10 Prozent der 170 Milliarden Kubikmeter Erdgas, die Russland nach Europa schickte.

Mythos 2: Da Öl fungibler ist als Gas, kann Putin einfach mehr nach Asien verkaufen.

Auch das ist nicht ganz falsch – Halbwahrheiten sind halt oft die besten Lügen. Mit Europa verliert Russland auch beim Öl seinen Primärmarkt. Aber China und Indien wissen genau, wie dringend Russland sein Öl verkaufen muss. Und so bekommen sie einen beispiellosen Rabatt von etwa 35 Dollar auf Ölkäufe im russischen Ural, obwohl der historische Spread nie über 5 Dollar lag – nicht einmal während der Krimkrise 2014. Da Russland im Vergleich zu den anderen großen Ölproduzenten relativ teurer produziert, ist das extrem schmerzhaft. Wie zu erwarten, hat daher

selbst das russische Energieministerium seine Prognosen der langfristigen Ölförderung nach unten korrigiert. Es besteht kein Zweifel, dass Russland, wie viele Energieexperten vorhergesagt haben, seinen Status als Energiesupermacht verliert, mit einer unwiderruflichen Verschlechterung seiner strategischen wirtschaftlichen Position als ein einst zuverlässiger Rohstofflieferant.

Mythos 3: Russland ersetzt westliche Unternehmen und Importe durch solche aus Asien.

Laut der Analyse sind die russischen Importe in den letzten Monaten um über 50 Prozent zurückgegangen. Und China hat seine Exporte in russische Märkte keinesfalls in dem Maße erhöht, wie erhofft. Im Gegenteil,

laut den jüngsten monatlichen Veröffentlichungen der chinesischen Allgemeinen Zollverwaltung sanken die chinesischen Exporte nach Russland von Anfang des Jahres bis April um mehr als 50 Prozent und fielen von über 8,1 Milliarden Dollar monatlich auf 3,8 Milliarden Dollar.

Es scheint, dass chinesische Unternehmen Angst haben, gegen US-Sanktionen zu verstoßen, und so ihre großen Märkte zu verlieren. Die möchte man nicht wegen marginalen Positionen auf dem russischen Markt opfern. Hier rächt sich die schwache wirtschaftliche Position Russlands im globalen Handel.

Und so widerlegen bzw. relativieren die Forscher weitere Mythen, wie

  • der russische Inlandskonsum der Verbraucher bleibe stark,
  • globale Unternehmen hätten sich nicht wirklich aus Russland zurückgezogen,
  • Putin erwirtschaftet dank hoher Energiepreise Haushaltsüberschüsse
  • Hunderte von Milliarden Dollar an Reserven sichern die Finanzen des Kremls auf längere Zeit,
  • der Rubel ist gerade die leistungsstärkste Währung der Welt,
  • die Sanktionen gegen Russland haben dem Land zwar geschadet, aber sie sind nun überstanden.

Die zusammenfassende Schlussfolgerung am Ende der Analyse lautet daher

Defeatist headlines arguing that Russia’s economy has bounced back are simply not factual — the facts are that, by any metric and on any level, the Russian economy is reeling, and now is not the time to step on the brakes.

Das sollten wir immer im Hinterkopf haben, wenn wir in Deutschland über die nächsten Schritte nachdenken und dabei die russischen Argumente abwägen.

Siehe auch in der taz.

Ein europäischer „Marshall-Plan“ für die Ukraine

piqer:
Jürgen Klute

Kürzlich hatte ich hier einen Artikel von der taz-Wirtschaftsredakteurin Ulrike Herrmann empfohlen, in dem sie sich für einen „Marshall-Plan“ zum Wiederaufbau der Ukraine nach dem Kriegsende aussprach und in dem sie diese Position auch mit tragfähigen Argumenten unterlegte.

Heute möchte ich hier einen Artikel empfehlen, der zwar ein paar Tage vor dem von Herrmann erschien, ihn aber gut ergänzt. In diesem ausführlichen Textbeitrag hat sich der Deutschlandfunk mit den bisherigen Planungen der EU zum Wiederaufbau der Ukraine nach Kriegsende befasst. Es geht in dem Beitrag sowohl um die zu erwartende Höhe der Kosten für den Wiederaufbau, wie auch um die Frage, wer eine führende Rolle in diesem Projekt einnehmen soll und wie es zu finanzieren ist. Die EU-Kommission, die eine führende Rolle für die EU beim Wiederaufbau reklamiert, tendiert zu einem „Marshall-Plan“ für die Ukraine. Das heißt, dass die Staatengemeinschaft den Hauptteil der Kosten übernimmt.

Die Gründe für dieses zuschussbasierte Modell wie auch die Gründe gegen die Vergabe von Wiederaufbaukrediten an die Ukraine hat Ulrike Herrmann in ihrem o.g. Beitrag gut erläutert und dargestellt. Dennoch gibt es gerade aus Deutschland (das nach 1945 am meisten vom damaligen Marshall-Plan profitierte und das sich ohne ihn wohl kaum wirtschaftlich von den Kriegsfolgen hätte erholen können) Widerstand gegen eine gemeinschaftliche zuschussbasierte Finanzierung des Wiederaufbaus.

Ein weiteres Thema, dass der Beitrag des Deutschlandfunks behandelt, ist die Frage, ob und in wie weit Russland als Aggressor in diesem Krieg an den Kosten für den Wiederaufbau der von ihm angegriffenen und ein erheblichen Teilen zerstörten Ukraine beteiligt werden kann.

Was bringt Bidens großes Klimapaket?

piqer:
Ralph Diermann

Fast 370 Milliarden US-Dollar sieht der Inflation Reduction Act für den Klimaschutz vor, den Präsident Biden jetzt durch den Kongress bringen will. Die Chancen dafür stehen sehr gut, da sich Biden auf Kosten einiger Zugeständnisse auch die Unterstützung des fossilnahen demokratischen Senators Joe Manchin gesichert hat, der zuvor bereits ein ambitionierteres Klimaschutzpaket von Biden torpediert hatte.

Doch was bringen all die Milliarden tatsächlich für den Klimaschutz? Dazu hat der Guardian einige Experten befragt. Die überschlagen sich mit Lob: „massiver Wendepunkt“, „historische Bedeutung“, „Turbo für die Energiewende“, heißt es bei ihnen. So enthält das Paket unter anderem Steuernachlässe bei Investitionen in Klimaschutz-Technologien, Zuschüsse für Elektroautos, Wärmedämmung und Wärmepumpen sowie Incentives für den Ausbau der Fertigung von Erneuerbare-Energien-Anlagen in den USA (und auch für den Weiterbetrieb alter AKWs). Die US-Emissionen könnten damit bis 2030 gegenüber 2005 um 31 bis 44 Prozent sinken, haben die unabhängigen Marktforschungsunternehmen Rhodium Group und Energy Innovation ausgerechnet. Ohne das Paket läge das Minus nur bei 24 bis 35 Prozent.

Allerdings stellt der Guardian auch heraus, dass das Paket einige Passagen enthält, die kontraproduktiv für den Klimaschutz sind. So wird es künftig leichter, Genehmigungen für Gas- und Ölbohrungen zu erhalten – ein Zugeständnis, mit dem Biden Manchins Zustimmung erkauft hat. Vor allem aber: Für das Erreichen der Klimaziele reicht das Paket längst nicht aus. Der Autor zitiert Anand Gopal von Energy Innovation:

“Is this legislation the size of what we need for the climate? No. Is it extraordinary given the politics and the Senate we have? Yes, it’s incredible.“

Der Markt für CO2-Speicherung expandiert – ein Bericht aus Texas

piqer:
Ole Wintermann

Dieser #LongRead by WIRED beschreibt die Bemühungen einer Region und der dortigen wirtschaftlichen Akteure im Süden der USA, den Wandel von einer ölabhängigen hin zu einer zukunftsfähigen Wirtschaftsstruktur zu organisieren.

Es geht darum, dass die Ölindustrie versucht, die Abhängigkeit von der Ölförderung zu vermindern. Gemeinsam mit Start-ups und Risikokapital will man den Untergrund, der dort seit 100 Jahren ausgebeutet wird, nun nutzen, um große Mengen gebundenes CO2 unterirdisch zu speichern. Datenbasierte Kenntnisse der Geologie in diesem Gebiet sollen verwendet werden, um entsprechende Lagerkapazitäten für CO2 zu identifizieren.

Als deutscher Leser war ich doch etwas verwundert, wie sehr die marktwirtschaftliche Logik diese relativ neue Tätigkeit der Ölkonzerne bereits erfasst hat:

„Major pipeline operators, which see human-generated CO2 as a huge new market; renewable-energy developers who once lambasted fossil fuels but now want to decarbonize them for profit; and landowners who sense a new way to monetize their dirt. A stampede for capital, land rights, and regulatory approval is underway.“

Klimaschutz ist – anders als vom konservativen Lager in Deutschland in entsprechenden Medien immer wieder behauptet – kein Element einer „Verbotspolitik“, sondern eine Möglichkeit, Geld zu verdienen. Hierbei ist ganz entscheidend, dass die US-Regierung dieses neue Betätigungsfeld bereits vor Jahren mit Steuergutschriften angeschoben hat. Es zeigt sich: „Regulierung“ im Sinne der Definition von Spielregeln ist elementar für das Entstehen eines Marktes. Inzwischen gibt es dort Flächen-Versteigerungen für das Speichern von CO2.

Gibt es Kritisches anzumerken? Den Schaden, den CO2 anrichtet, erst einmal geschehen zu lassen, um das CO2 dann nachträglich wieder der Luft zu entziehen, scheint nicht besonders smart. Das Argument, diese „dumme“ Technik dennoch anzuwenden, scheint aber valide:

„Carbon storage is a “blunt” and “dumb” approach to curbing climate change. “You’re basically just landfilling,” he says, not decoupling the economy from the production of heat-trapping gases. But with it, he adds, “you buy the time to use the scalpel to do all the cool stuff.“

Die stark mit der konservativen Partei verbundene Ölindustrie in Texas wandelt sich also langsam, um die Transformation hin zu Nachhaltigkeit zu ermöglichen – wenngleich „nur“ aus ökonomischen Gründen. Konservative, sozialdemokratische und liberale Politik hierzulande muss noch viel dazulernen.

Option Rationierung – ein Blick in die Vergangenheit

piqer:
Dominik Lenné

Die politischen Dekarbonisierungs-Maßnahmen sind dreierlei: Investitionen subventionieren, Emissionen teuer machen und Ge- und Verbote, d. h. Ordnungsrecht. In einem kürzlichen piq von Jürgen Klute benennt die Caritas-Klimaschutzreferentin Astrid Schaffert die ersten beiden als sozial ungerecht und plädiert für Ordnungsrecht bis hin zum Extrem der Rationierung von Energie.

Dieser piq über einen wirklich interessanten Text der britischen Organisation Rapid Transition Alliance beleuchtet dasselbe Thema von einer anderen Seite. Er blickt in eine vergangene Periode, in der es Rationierung real in großem Maßstab gab: den Zweiten Weltkrieg, hier beschränkt auf Großbritannien und die USA.

Der Rohstoff- und Nahrungsmittelimport war vor dem Krieg bedeutend gewesen. Nun wurden die Transportkapazitäten knapp, teils durch die U-Boot-Gefahr, teils weil sie für kriegswichtige Güter benötigt wurde, und auch die Produktion ziviler Güter wurde stark vermindert. Was also tun? Rationierung war die einzige Möglichkeit, halbwegs sicherzustellen, dass die Reichen den Markt nicht mit ihrer Kaufkraft leerkauften.

Benzin wurde als erstes rationiert, dann kamen Kleidung, Möbel und eine Reihe von Nahrungsmitteln. Brot wurde interessanterweise während des Krieges nicht rationiert, aber subventioniert. Private Kraftfahrzeugnutzung war kaum noch möglich; allgemein wurde Verschwendung bekämpft, Rohstoffe wie etwa Metalle wurden der Produktion zugeführt, Küchenabfälle konsequent zur Schweinefütterung verwendet.

Die Rationierung veränderte natürlich den Gesamtbedarf an Nahrungsmitteln kaum, aber ihre Verteilung und Zusammensetzung. Die Diät war ernährungswissenschaftlich ermittelt und hatte einen überraschenden Nebeneffekt: die Leute waren allgemein gesünder, besonders die Armen und die Schwangeren, und die Kindersterblichkeit sank merklich.

Wichtig an all dem ist, dass die Rationierung von einer großen Mehrheit akzeptiert wurde, auch wenn sie dann doch überwacht werden musste. Ein Grund dafür ist die existenzielle nationale Gefahrensituation, die ganz unabweisbar für alle erkennbar war, aber auch die Gerechtigkeit der für Arm und Reich gleichen Maßnahme.

Was hat das uns heute zu sagen?

Die Klimakrise ist für viele noch keine existenzielle Krise. Rationierung wird als eine extreme Maßnahme der Verwaltung des Mangels angesehen – deshalb dürfte für sie im Hauptstrom der Gesellschaft keine Bereitschaft zu finden sein. Dabei haben wir mit dem europäischen Cap-&-Trade-System für Emissionen* bereits eine zunehmende Knappheit, bei der ebenfalls das Problem auftritt, dass die Reichen den Markt leerkaufen können.

Die Gaskrise wird schon als drängender empfunden und so werden hier Rationierungsmaßnahmen auch eher akzeptiert – und sie sind tatsächlich bereits als Möglichkeit in Gesetzesform gegossen.

——

* Die Europäische Emissionshandelssysteme (EU-ETS und das kommende EU-ETS2) sind sogenannte Cap-&-Trade-Systeme: Die Gesamtemission wird absolut begrenzt, die Emissionspakete werden gehandelt, um ihre „ökonomisch optimale“ Verteilung sicherzustellen. „Ökonomisch optimal“ heißt hier allerdings auch, dass die unteren Schichten komplett ausgekauft werden können, weil die Einkommensverteilung eben auch als „ökonomisch optimal“ gilt. Allerdings ist der Zugang zu einem Mindestmaß an Energiedienstleistungen bei uns inzwischen Teil der sozialen Übereinkunft geworden, sein Fehlen wird als „Energiearmut“ bezeichnet und soll durch soziale Transferleistungen abgemildert werden.

Die fetten Jahre sind vorbei – was helfen da Verbote?

piqer:
Thomas Wahl

Dass es nicht weitergehen kann wie bisher, ist inzwischen allgemein akzeptiert – das ist wohl nicht nur bei „Querdenkern“ klar. Die Frage „Wie viele Verbote und Vorschriften braucht unsere Gesellschaft – und welche?“ wird in den Medien vielfältig diskutiert.

„Soziopolis“ stellt nun dazu drei deutschen Soziologen die bekannte Frage „Was tun?“ in sechs Teilfragen. Wobei das Instrument „Verbieten“ im Mittelpunkt steht.

Wir verbrauchen zu viele natürliche Ressourcen, produzieren zu viel Müll und essen zu viel Fleisch. Wir vergiften die Böden und die Meere, wir dezimieren die Arten und ruinieren das Klima. Wir leben im Wohlstand – aber wie lange noch und auf wessen Kosten? Die Zeche unseres Lebensstils zahlen die Menschen in den weniger privilegierten Regionen dieser Welt – und die zukünftigen Generationen, denen wir einen Planeten hinterlassen, der von den Folgen unserer Verschwendung gezeichnet ist. Wir müssen unsere Lebensweise ändern, und zwar schnell.

Aber auch unsere wirtschaftliche Basis schwindet. Im Grunde wankt damit auch das ganze Modell Deutschland und des Westens. Damit auch die Fähigkeit der Staaten, die Bevölkerungen vor den vielfältigen Krisen zu schützen. Es wächst die Haltung, sich selbst zu schützen vor den notwendigen Veränderungen – Windräder, AKW etc. – „not in my backyard“.

Daher die Frage: Brauchen wir mehr staatliche Verbote? Darauf antwortet z.B. Karsten Fischer mit einem klaren sowohl als auch. Verbote sind demnach auf jeden Fall diskussionswürdige Instrumente. Sie entlasten u.a. die Einzelnen vor den immer öfter notwendigen individuellen Konsum-Entscheidungen und der Überprüfung ihrer Folgen. Die Verantwortung für falsche Entscheidungen trägt dann die verbietende Gesellschaft. Also alle und keiner? Andererseits, so Fischer:

Man darf sich aber auch nicht zu viel von Verboten versprechen. Denn die heutzutage erkennbare ökologische Krise ist ja einerseits nur die Kulmination der äonenlangen menschlichen Naturbeherrschung und andererseits so eng mit dem konsumistischen Hedonismus moderner Wohlstandsgesellschaften verbunden, dass man vor allem auch auf technische Innovationen setzen muss.

Es ist also die Komplementarität von Verboten und innovativen Lösungen für den individuellen Bedarf und für funktionierende Infrastrukturen. Dazu ergänzend verweist Fischer noch auf Ernst Ulrich von Weizsäcker, der schon 1989 bemerkte,

dass der Umweltschutz nicht unter zu viel, sondern unter zu wenig marktwirtschaftlichem Handeln leidet: Tatsächlich sagen die meisten Preise ja nicht die Wahrheit über die ökologischen Kosten eines Produkts, sondern bürden diese der Allgemeinheit auf. So wären beispielsweise Flugreisen oder Kreuzfahrten sehr viel teurer, wenn die tatsächlichen ökologischen Folgekosten dieser Arten von Mobilität in die Tickets eingepreist würden. Genau genommen handelt es sich hier ebenso wie in anderen Fällen um nichts anderes als stillschweigende Subventionen ökologisch bedenklicher Produkte oder Verhaltensweisen.

Auch Felix Ekardt, der zweite Soziologe, setzt bei der Auswahl der Instrumente zuerst auf die Bestimmung ihrer Wirksamkeit, etwa bei der Erreichung der international angeblich rechtsverbindlichen 1,5-Grad-Grenze aus dem Pariser Klima-Abkommen. Und da präferiert er eher Cap-and-Trade-Systeme (also bspw. Emissionsrechtehandel oder Handel mit Emissionszertifikaten) als Verbote im Sinne von Ordnungsrecht. Was nicht heißt, das Verbote einzelner Sachverhalte nicht sinnvoll sein können.

Die Dritte im Bunde, Eva von Redecker, meint hingegen:

Das kommt darauf an, wo diese Verbote ansetzen. Ich glaube nicht, dass wir viele individuelle Verbote brauchen. Wir brauchen eine Umstellung der Produktion. Und ja, ein Gebot zu ökologischer Landwirtschaft ist natürlich ein Verbot konventioneller; eine Vergesellschaftung der Energieversorgung ist ein Verbot privaten Fossilkapitals. Diese Verbote bräuchte es meiner Meinung nach. Aber am dringendsten braucht es nicht Verbote, sondern Investitionen, zum Beispiel in die Verkehrswende. Wenn wir auch auf dem Land einen kostenfreien, gut ausgebauten Nahverkehr hätten, müssten wir viel weniger Autos verbieten.

Mal davon abgesehen, dass vergesellschaftete Infrastrukturen wie Bahn, Telekommunikation oder einige Energieversorger oft auch nicht besser funktionieren, nicht grundsätzlich ökologisch effektiver arbeiten – wer etwas verbietet, muss dann auch das Neue garantieren. Und da sieht es ja beim deutschen Föderalismus ziemlich mau aus – im Versprechen groß, im Einlösen klein. Und auf die Kontrolle durch eine „Verbots-Bürokratie“, die ja irgendwie notwendig wird, können wir gespannt sein.

Beichten von Krypto-Zockern

piqer:
Rico Grimm

Ein etwas ungewöhnlicher piq, der aber eure Zeit wert sein wird, versprochen. Ich empfehle keinen Artikel oder eine Podcast-Folge, sondern einfach blank einen Twitter-Account. Der sammelt Erfahrungsberichte von Menschen, die sich in den letzten Jahren am Kryptomarkt umgetan haben. Bei diesen Berichten lässt sich wirklich alles finden: Von Familien, die ihr kleines Vermögen in ein größeres Vermögen umwandeln konnten über gnadenlosen Zocker, die erst eine Million gewinnen, nur um sie eine Woche später wieder verloren zu haben und von Menschen, die in ernste Schwierigkeiten geraten sind, weil sie sich verschuldet haben, um mitzumischen. In Summe, wenn man den Account einfach von oben nach unten liest, kommt einem ein Verdacht: vielleicht ist der Nutzen von Krypto vor allem, den Zocktrieb von Menschen zu befriedigen. Was früher der Black-Jack-Tisch war, ist heute die Krypto-Börse.