Fremde Federn

Energiewende-Mythen, Nudging, (Samen-)Banken

Diese Woche unter anderem in den Fremden Federn: Welche Bedenken gegen die Energiewende erwiesenermaßen falsch sind, warum Migration aus ökonomischer Sicht zu begrüßen ist und wie die Deutsche Bahn endlich besser werden kann.

Foto: Jojo Bombardo via Flickr (CC BY-ND 2.0)

In den „Fremden Federn“ stellen wir einmal pro Woche in Kooperation mit dem Kuratorendienst piqd eine Auswahl von lesenswerten journalistischen Fundstücken mit wirtschaftspolitischem Bezug zusammen. piqd versteht sich als eine „Programmzeitung für guten Journalismus“ – was relevant ist, bestimmen keine reichweitenoptimierten Algorithmen, sondern ausschließlich ausgewählte Fachjournalisten, Wissenschaftler und andere Experten.

Die Mythen der Energiewende widerlegt

piqer:
Ralph Diermann

Claudia Kemfert ist schwer genervt. Die Leiterin der Abteilung „Energie, Verkehr, Umwelt“ am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) kann sie nicht mehr hören, die Mythen derjenigen, die mit der Energiewende hadern: Der klimagerechte Umbau des Energiesystems sei zu teuer, die Speicher reichten nicht aus, bei Windstille und Dunkelheit drohe der große Blackout.

Mit kaum unterdrücktem Grant und angemessen schlecht gelaunt wegen der immergleichen, längst widerlegten Vorwürfe widmet sich Kemfert in einem Gastbeitrag für „Capital“ den „Angstmach-Kampagnen der Energiewende-Gegner“. Dabei konzentriert sie sich auf vier Thesen:

  • Die Energiewende sei wirtschaftlich unsinnig
  • Das Abregeln von Windrädern verursache enorme Kosten
  • Bei Dunkelflauten gehe das Licht aus
  • Wasserstoff sei der Treibstoff der Zukunft

Unterfüttert mit Links zu zahlreichen Studien liefert Kemfert hier gute Argumente für Auseinandersetzungen mit denen, die in Energiewende und Klimaschutz eher eine Bedrohung als eine Chance sehen. Passend zur Jahreszeit – so kann man argumentativ gut gerüstet in die weihnachtlichen Treffen mit den lieben Verwandten gehen.

Das ökonomische Argument für Migration

piqer:
J. Olaf Kleist

Die Forderung nach einem Recht auf Migration wird oft als linksradikal verschrien. Doch es gibt auch andere Gründe, warum das Schließen von Grenzen für Gesellschaften schlecht ist. Die nicht gerade für Linksradikalismus bekannte Zeitschrift The Economist fordert in einem kürzlich veröffentlichten Special-Report: „To make the world richer, let people move.“ Von der Möglichkeit, an Orte zu ziehen, wo die Produktionskraft effektiver eingesetzt werden kann – sei es weil Arbeiter*innen bessere Maschinen oder Forschende bessere Labore haben – würden nicht nur Migrant*innen profitieren, sondern auch die aufnehmenden Gesellschaften und die Familien und Gemeinden im Herkunftsland.

Dem Autor der Special-Report-Artikel – insgesamt sechs, von denen man fünf lesen kann, wenn man sich kostenlos registriert – ist auch nicht entgangen, dass die Forderung nach mehr Migration zur Zeit nicht gerade populär ist. Die Schuld daran sieht er nicht zuletzt in verfehlter Migrations- und Integrationspolitik.

“Build a wall around the welfare state, not around the country,” urged the late William Niskanen, an economist.

Und hier hören dann auch die Ähnlichkeiten zu linken Forderungen nach offenen Grenzen auf. Überlässt man Migrant*innen und Geflüchtete dem freien Markt, so sind sie Ausbeutung ausgeliefert. Dies zeigt sich weltweit, wie übrigens der Papst – weder links noch marktliberal – gerade hervorhob:

„May every nation devise effective means for protecting the dignity and rights of migrants and refugees, who face dangers, uncertainty and exploitation…“

Gegen Rassismus hilft nur die Stärkung von Menschen- und Grundrechten – doch nationale Politik, die das umsetzen kann, zieht Grenzen und da fängt das Problem wieder an…

Auch wenn hier vielleicht die Lösung nicht gefunden wurde, diese Sammlung an Texten sollte Pflichtlektüre für alle liberalen und konservativen Politiker*innen sein, die mit nationaler Abschottung gegen Migration spielen – denn dies ist weder politisch noch ökonomisch ratsam!

Digitalisierung in Deutschland: Wären wir ohne Industrie schon viel weiter?

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Ole Wintermann

Andreas Boes fordert in seinem Long Read die Mainstream-Verwendung des Begriffs „Digitalisierung“ im öffentlichen Diskurs heraus. Damit gelingt es ihm, uns einen neuen Blick auf das Thema zu verschaffen. Zu Beginn seines Beitrags bringt er Licht ins Dunkel der Begriffsverwirrung; er betont die zwei Ebenen der Digitalisierung. Erstens ist dies die Werkzeug- und Technik-Ebene, an die sich in Deutschland stets und reflexartig die Debatte um Automatisierung und Arbeitsplatzverluste in der Industrie anschließt. Die zweite Ebene ist aber die eigentlich relevantere; es ist die Betonung der ganzheitlichen Sicht auf die Digitalisierung als einer Erweiterung der Kapazitäten des Arbeitenden durch KI-Unterstützung.

Im weiteren Verlauf seines Beitrags analysiert Boes den Grund für das deutsche Missverständnis von Digitalisierung und das Fremdeln mit „dem Internet“. Unter Zuhilfenahme von Google Trends zeigt er die enge diskursive Verknüpfung zwischen „Industrie 4.0“ und „Digitalisierung“ in Deutschland. Es ist die Dominanz der Industriekultur, die eine frühzeitige Befassung der deutschen Unternehmen und der deutschen Politik mit „dem Internet“ verhindert hat!

„Diese Entwicklung haben wir in Deutschland lange Jahre verschlafen und stattdessen gemeint, mit „Industrie 4.0“ ein geeignetes Gegenkonzept gefunden zu haben.“

An diesem Geburtsfehler leidet die aktuelle Debatte um „Digitalisierung“ nach wie vor. Bevor Entscheider nicht verstehen, dass es um eine informationsbasierte Plattformökonomie geht, bei der die Industrie nur ausführendes Organ ist, nicht aber selbst mehr im Zentrum steht, werden wir den Sprung in das digitale Zeitalter nicht schaffen. Wie kann die Lösung aussehen? Deutsche Unternehmen müssen verstehen, dass der Mensch im Mittelpunkt ihres Geschäftsmodells stehen muss, dass Daten aus der Nutzung von Produkten und Dienstleistungen Basis der Weiterentwicklung sind und dass Kompetenzen für die Informationsökonomie Bestandteil der beruflichen Ausbildung werden müssen.

Neue Energiequelle: Bill Gates fängt die Sonne ein

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Michaela Haas

Völlig überraschend hat ein Startup, das von Bill Gates unterstützt wird, einen Durchbruch bei der Solarenergie angekündigt.

Heliogen nutzt künstliche Intelligenz (AI) und ein Spiegelfeld, um soviel Sonnenlicht zu bündeln, dass extreme Hitze von mehr als 1000 Grad Celsius erzeugt werden kann – eine Art riesiger Solarofen.

  • The breakthrough means that, for the first time, concentrated solar energy can be used to create the extreme heat required to make cement, steel, glass and other industrial processes. In other words, carbon-free sunlight can replace fossil fuels in a heavy carbon-emitting corner of the economy that has been untouched by the clean energy revolution.
  • „We are rolling out technology that can beat the price of fossil fuels and also not make the CO2 emissions,“ Bill Gross, Heliogen’s founder and CEO, told CNN Business. „And that’s really the holy grail.“

Natürlich ist es noch zu früh zu sagen, wieviel CO2 diese Technik sparen kann, aber Gates würde wohl damit eher nicht an die Öffentlichkeit gehen, wenn er sich der Effizienz nicht sicher wäre.

Bezahlte Qualifizierung nur für die „gute Erwerbsarbeit“ im Angestellten-Modus

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Anja C. Wagner

Die Leier haben wir jetzt schon hoch und runter gehört: Nein, die Arbeit geht uns nicht aus. Zumindest nicht in den nächsten Jahren. Und ja, es wird viele Umschulungen und Weiterbildungen geben müssen.

Das kostet Geld und wird bereitgestellt, wenn dies neuen Arbeitsplätzen zugutekommt. So lautet der Singsang der SPD, die sich als Vertreterin der angestellten Erwerbstätigen versteht.

So sollen bald „Geringqualifizierte“ einen Anspruch auf Weiterbildung haben, damit sie eine Berufsausbildung erlangen. Und so sollen Angestellte aus Unternehmen, die sich umorientieren müssen, weitere finanzielle Unterstützungen möglichst innerhalb des bestehenden Betriebes erhalten, um möglichst wenig Arbeitslosigkeit zu produzieren.

So weit, so gut. Nur ist dies ein Arbeits- und Weiterbildungsverständnis aus den 1990er Jahren, das seitens der etablierten „Expert•innen“ im Expertenrat betriebliche Bildung auch weiterhin gepflegt wird. Sie kennen ja auch nichts anderes. So wird mir das von Beteiligten vor Ort geleakt.

Und so wird die BA (wer auch sonst?) demnächst richtig viel Geld in das investieren, was dieses ganze alte Establishment für förderungswürdig im Sinne (non-)formaler Weiterbildung hält.

Die Kosten für die Qualifizierungsoffensive trägt nach dem Entwurf vor allem die Bundesagentur für Arbeit. Deren finanzielle Zusatzbelastung steigt von 121 Millionen Euro im kommenden Jahr auf 672 Millionen Euro ab 2023.

Was mit denjenigen geschehen soll, die aus diesem Hamsterrad bereits rausgefallen sind oder demnächst werden? Ach ja, sie dürfen (vielleicht) auch eine normale Qualifizierung absolvieren über eine Transfergesellschaft. Und bekommen dann 3 Monate Aufschub, bis sie in Hartz IV landen. Na, toll.

Von Transformation sind sie in der Politik allesamt weit entfernt. Dabei ließe sich das heute schon anders denken …

Trump unter Druck

piqer:
Hauke Friederichs

„Ich will nichts! Ich will gar nichts!“ Donald Trump steht vor Journalisten in Washington, hinter ihm wartet die Besatzung von Marine One auf den Präsidenten, das Triebwerk des Hubschraubers läuft, der Staatschef der Vereinigten Staaten schreit mehr in Richtung der Mikrofone, als dass er spricht. Seine Botschaft ist sehr schlicht, und dennoch hat er sie auf einen Zettel notiert, mehrfach.

„Ich will kein Quid pro quo.“ Er las alle seine Kurz-Statements von einem Zettel ab, die Worte standen in Großbuchstaben darauf, gemalt mit einem dicken schwarzen Stift. Vielleicht zeigt die Szene, wie stark der Präsident unter Druck steht. Selbst die kurzen Passagen für die Medien muss er ablesen, muss er notiert bekommen oder sich selber aufschreiben.

„Trump zitierte jenes Telefongespräch, in dem er seinem EU-Botschafter Gordon Sondland eben dies versichert habe: Nein, nein, er habe keine Forderungen an den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj gehabt, nichts gewollt, folglich auch keine Ermittlungen der Ukraine gegen seinen politischen Rivalen Joe Biden und dessen Sohn Hunter“, schreibt Klaus Brinkbäumer für Zeit Online.

Zuvor hatte ein wichtiger Zeuge im Impeachment-Verfahren ausgesagt: Botschafter Gordon Sondland, Republikaner und eigentlich ein Trump-Mann, der sich seinen Posten in Brüssel mit einer großzügigen Spende erkauft hatte. Sechs Stunden lang sagte er aus.

Und für Brinkbäumer war das einer dieser Tage in Washington, „an denen allen, die dort waren, klar war: Dies hier ist historisch, es kommt so ganz und gar anders als erwartet, es ist eine Sensation, ein Ereignis mit Wucht.“

Sondland belastete Trump. Der Präsident habe die Militärhilfe an die Ukraine in Höhe von 391 Millionen Dollar eingefroren, um den Präsidenten des Landes zu Ermittlungen gegen den Sohn seines politischen Konkurrenten Joe Biden zu bewegen. Und Trumps Privatanwalt Rudy Giuliani habe das exekutiert und die Operation angeführt.

„Ja, es gab ein Quid pro quo, die Verknüpfung von Leistung und Gegenleistung. Und nein, es gab keine heimliche zweite Ukraine-Politik neben der offiziellen, denn all dies war ja Trumps Wunsch. Und im Washington dieser Tage wird immer das zur einzigen, zur offiziellen Politik, was Trump sich gerade wünscht. Darum, ja, alle hätten im Auftrag Trumps gehandelt. Und noch einmal, Sondland wiederholte es, „alle wussten das“.“

Was folgt auf Sondlands Aussage? Die Demokraten werden nun versuchen, die Herausgabe von weiteren Daten und Akten zu erzwingen. Sie werden weitere Zeugen vorladen, die immer hochrangiger werden dürften. Wann kommt der Vize-Präsident? Und wann Trump selber? Dass es ein Impeachment durch das Repräsentantenhaus geben wird, ist gewiss. Bis Weihnachten dürfte die Anklage fertig sein. Doch im Senat, wo die Demokraten eine Zwei-Drittel-Mehrheit für die Amtsenthebung brauchen, sind die Republikaner immer noch stärker. Noch sieht es nicht danach aus, dass Donald Trump das Weiße Haus verlassen muss – trotz aller Vergehen.

Wie Deutschland an der Braunkohle hängt

piqer:
Ralph Diermann

„Spiegel“-Autor Christian Stöcker hat ein prägnantes Bild für den seltsamen Umgang der Deutschen mit der Braunkohle gefunden: Wie ein Alkoholiker verhalten wir uns, der weiß, dass er so schnell wie möglich mit dem Trinken aufhören muss – aber da sind doch noch all die angebrochenen Flaschen, die Kiste Rotwein … Wäre doch schade, wenn das Zeug in den Ausguss käme!

Deutschland soll nach dem Willen der Bundesregierung bis 2030 insgesamt nur noch 7,5 Millionen Tonnen CO2 ausstoßen. Doch 3,7 Millionen Tonnen CO2 werden schon allein freigesetzt, wenn die Braunkohle in den genehmigten und erschlossenen Abbaugebieten tatsächlich in die Kraftwerke geht. Die Bundesregierung fördert das auch noch, wie Stöcker darlegt – durch Abgabenbefreiungen zum Beispiel oder durch Ausnahmeregelungen im EEG.

Stöcker macht deutlich, dass der Kohleausstieg längst kein Selbstläufer ist – auch wenn die Kohle im Strommix zuletzt massiv an Bedeutung verloren hat. Die Windenergie-Politik der Bundesregierung zeigt, wie schwer sie sich damit tut, der Kohle die Tür zu weisen.

„Wir verändern menschliches Verhalten“ – Ein Interview mit einem Behavioral Designer über Nudging

piqer:
Jörn Klare

„Wenn man sein Werkzeug beherrscht, bekommt man ziemlich schnell ein Bewusstsein dafür, ob ein Nudge für das Gute eingesetzt wird oder nicht.“

Nudge bezeichnet eine Methode, die das Verhalten von Menschen beeinflusst, ohne dabei auf Verbote und Gebote zurückgreifen oder ökonomische Anreize verändern zu müssen. Dabei wird davon ausgegangen, dass der Mensch nicht immer in der Lage ist, die für ihn „optimale“ Entscheidung zu treffen. Nudge soll, so der Titel des Grundlagenwerks des Verhaltensökonomen Richard Thaler und des Juristen Cass Sunstein, zeigen „wie man kluge Entscheidungen anstößt“.

Für brand eins interviewte Andreas Molitor dazu den Verhaltensökonomen Gerhard Fehr, der zusammen mit seinem Bruder, dem Wirtschaftswissenschaftler Ernst Fehr Unternehmen, öffentlichen Institutionen (!) und politischen Parteien (!) entsprechende Dienste anbietet. Dabei nutzt das gemeinsame Unternehmen direkt die von Ernst Fehr im Rahmen seiner Professur an der Universität Zürich gewonnen Forschungsergebnisse. Das mit Hintergrundinformationen versehene Gespräch bietet anschauliche Beispiele und ist von dem brand eins-typischen optimistischen Grundton geprägt. Dankenswerterweise zitiert Molitor aber mit Gerd Gigerenzer zwischendurch auch mal einen Bildungsforscher des Max-Planck-Instituts, der die Nudge-Politik nachvollziehbar als

„Einfallstor einer totalitären, bevormundenden und manipulierenden Politik, die den freien Willen der Bürger ignoriert“

beschreibt. Fehr ficht das nicht an. Für ihn ist Nudging ein tolles Instrument, das nur nicht in „die Hände der falschen Leute“ geraten darf.

„30 bis 40 Prozent der Menschen fällen mit den Geduldsstrukturen, die sie haben, nun mal Entscheidungen, die nicht gut für sie sind. Darum finde ich es schade, wenn man die Diskussion auf den Aspekt der Manipulation reduziert.“

Natürlich hält Fehr seine Hände für die richtigen, woraus sich schließen lässt, dass er, bzw. seine Kunden genau zu wissen glauben, welche Entscheidungen für wen gut sind.

Entlarvend. Und lesenswert.

Wie kann die Deutsche Bahn endlich besser werden?

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Sven Prange

Deutschland ist ja derzeit im Bahnfieber: Ob Verkehrsminister, Klimaschützer oder Reisende auf der Suche nach einem guten Reisegewissen – sie alle verweisen auf einen Hoffnungsträger für die Zukunft der Mobilität: Klimafreundlich. Komfortabel. Die Deutsche Bahn. Entsprechend, so suggeriert es die Politik in Bund und Ländern, werde nun daran gearbeitet, die Bahn zum Verkehrsträger der Zukunft zu machen.

Wer wirklich regelmäßig Bahn fährt, weiß: Das ist Quatsch. In der tristen Realität ruft die Bahn ihr Potenzial kaum ab. Ob die marode Infrastruktur, Personalmangel, Fahrzeugmangel, fehlende Strategie – der größte deutsche Staatskonzern ist politisch so derartig in Grund und Boden gewirtschaftet worden, dass zwischen den immer lauter formulierten Ansprüchen und der immer schlechter werdenden Realität eine riesige Lücke klafft. Und diese Lücke bringt dieser Film sehr gut auf den Punkt.

Er zeigt: Die Bahn ist ein faszinierendes Perpetuum Mobile aus tausenden Teilchen, die ineinander greifen müssen, dies hier und da auch tun, daran aber im Großen und Ganzen gehindert werden. Dabei verliert sich der Film nicht in zu viel Fatalismus, sondern zeigt auch, was alles gehen würde. Dann könnte die Bahn tatsächlich all das sein, was ihr derzeit zugeschrieben wird. Es gibt, auch das macht das Autoren-Trio deutlich, dafür nur eine Voraussetzung: Die Politik müsste es nicht nur wollen. Sondern auch machen.

Wie das Leben in unsere Dörfer zurückkehren könnte

piqer:
Christian Gesellmann

Seit einiger Zeit beschäftige ich mich mit dem Strukturwandel in den ländlichen Regionen, genauer gesagt mit der Frage, warum man heutzutage stundenlang in der Natur oder in Dörfern verbringen kann, ohne Tiere oder Menschen zu sehen, und bin dabei auf diese wunderschöne, traurige, hoffnungsvolle, und mei, weil’s halt in Bayern spielt, muss man wohl sagen: urige Reportage von Heio Letzel für den Bayerischen Rundfunk gestoßen. Letzel beschreibt das Grundproblem, das zu einer Erosion des sozialen und politischen Lebens auf dem Land führt, und damit auch zum Verfall von Kultur, Tradition, Identität:

Für die Gemeinden ist es meist einfacher, ein Neubaugebiet auszuweisen, als den mühsamen Weg zu bestreiten, die Bewohner von einem Entwicklungsplan für das Dorfinnere zu überzeugen, und deswegen werden auch allerorten Gewerbegebiete erschlossen, die Arbeitsplätze versprechen, während gleichzeitig die alten Werkstätten, Scheunen und Stallungen verfallen, in denen auch viel Raum für neue Handwerks- und Dienstleistungsbetriebe wäre. Ein Teufelskreis.

Das besonders Schöne an dieser Doku ist, dass Letzel mit viel Zeit, Ruhe und der nötigen Hemdsärmeligkeit Menschen vorstellt, die erfolgreich gegen die Zersiedelung wirken, die ihre Dörfer wieder zum Leben erwecken. Grundkenntnisse des Bayerischen sind empfehlenswert, aber nicht zwingend nötig.

Wie Samenbanken zu einem milliardenschweren Geschäft wurden

piqer:
Florian Meyer-Hawranek

Ein seriöser Wirtschaftspodcast vom seriösen National Public Radio wagt einen seriösen Blick auf eine etwas andere Art von Banken: Samenbanken. Durchgedreht? Von wegen, meinen Sarah Gonzalez und Alexi Horowitz-Ghazi. Denn schließlich steckt hinter kleinen Kabinen mit Erwachsenenunterhaltung und Kühlschränken voller Spermien eine milliardenschwere Industrie. „Sperm banking is a billion dollar industry. And the small Scandinavian country of Denmark is one of the biggest players.“ Wie Dänemark, bzw. eine vor noch gar nicht so langer Zeit ziemlich kleine dänische Firma zu einer der Topadressen für Spermien werden konnte und was BSE damit zu tun hat, das erzählt diese Folge von Planet Money.

Klar, auch in dieser Podcast-Episode kommt ganz kurz ein Spender zu Wort. Schließlich geht es um Samenbanken und gewisse Erwartungen müssen eben erfüllt werden: schnelles Geld, wenig Arbeit und so. Recht fix findet man sich beim Hören dann aber mit zahlreichen neuen Informationen konfrontiert. Zum Beispiel, dass eine einzige Spermienprobe bis zu 1700 Dollar kosten kann. Im Trend sind gerade möglichst viele Hintergrundinformationen zum Spender. Und wer neben Erwachsenenfotos auch Kinderfotos, ein Audiointerview und eine komplette Aufzählung aller sportlichen und musischen Erfolge des Spenders einsehen will, der (oder die) zahlt dafür gern etwas mehr. Zumindest in den USA, denn in vielen europäischen Ländern sind die zusätzlichen Informationen, die Auskunft über den Spender geben, gesetzlich stark eingeschränkt.

Noch so eine spannende Geschichte: Die anfangs erwähnte kleine dänische Firma startete im Familienkühlschrank – und hat mittlerweile weltweit ein Spendernetz von mehr als 1500 Männern. Warum einige Zeit keine rothaarigen Samenspender mehr akzeptiert wurden, verrät der Gründer der Firma ebenfalls im Podcast. Alles in allem: Unterhaltsame und lehrreiche 24 Minuten.