Schon bevor US-Präsident Donald Trump einen Zoll von 25% auf alle Autoimporte ankündigte, standen die europäischen Autohersteller vor zahlreichen Herausforderungen. Die Verkäufe sind eingebrochen, die Hersteller stehen unter Kostendruck, während die chinesischen Konkurrenten rasch Marktanteile gewinnen.
Am Tag vor der Ankündigung der Zölle lag die kombinierte Marktkapitalisierung der fünf großen europäischen Automobilhersteller (Volkswagen, Stellantis, Mercedes-Benz, BMW und Renault) bei rund 212 Milliarden US-Dollar. Das ist weniger als ein Viertel des Wertes von Tesla allein. Dennoch verkaufen die fünf europäischen Giganten jährlich 25 Millionen Fahrzeuge, was einem Drittel aller weltweit gekauften Autos entspricht. Tesla, das seit Jahresbeginn die Hälfte seines Marktwerts verloren hat, schafft es nur knapp unter die Top 15. Das Unternehmen verkauft weniger als ein Drittel dessen, was Stellantis allein ausliefert. Das bedeutet im Wesentlichen, dass die Finanzmärkte nicht mehr glauben, dass die europäischen Automobilhersteller mit einem Geschäft Geld verdienen können, das sie fast ein Jahrhundert lang beherrscht haben.
Die Krise ist in der Tat darauf zurückzuführen, dass die Technologie, auf der das gesamte industrielle Modell des Automobils aufgebaut war, veraltet ist. Die Erfindung des deutschen Ingenieurs Karl Benz, die später vom amerikanischen Unternehmer Henry Ford für Millionen von Verbrauchern zugänglich gemacht wurde, war weit mehr als nur ein Produkt. Autos ermöglichten es den Menschen, wann immer sie wollten überall hinzufahren. Dies war der Auslöser für die letzte industrielle Revolution und einen der größten Wohlstandssprünge der Menschheit.
Doch mehr als 100 Jahre nach dem Erscheinen der ersten Fließbänder in Detroit ist der Traum ins Stocken geraten. In einer Welt, in der die wirtschaftlichen und ökologischen Ressourcen immer knapper werden, scheint ein ganzes Industriemodell nicht mehr tragfähig zu sein.
Und warum? Weil es ineffizient geworden ist.
Ein Auto in Privatbesitz wird nur 5% seiner möglichen Lebensdauer genutzt. In den anderen 95% steht es herum und nimmt wertvollen Parkraum in Anspruch. Es befördert durchschnittlich nur 1,2 Fahrgäste und nutzt damit gerade einmal ein Viertel seiner Kapazität. Wenn ein Außerirdischer die menschliche Zivilisation beobachten würde, könnte er zu dem Schluss kommen, dass die Menschen die besondere Fähigkeit verloren haben, die sie von allen anderen Spezies unterscheidet: mit weniger mehr zu erreichen.
Hinzu kommt, dass etwa 80% der Autos immer noch mit fossilen Brennstoffen betrieben werden, die pro Kilometer deutlich mehr kosten als Strom. Und das, obwohl Skaleneffekte den Preis für den Kauf eines Plug-in-Elektrofahrzeugs (EV) senken.
Diese Probleme haben die europäische – und auch die US-amerikanische – Automobilindustrie hart getroffen. Diese Regionen waren die Wiege der Branche selbst. Für CEOs und politische Entscheidungsträger, die häufig einer Generation (und einem Geschlecht) angehören, die in der traditionellen Automobilkultur verwurzelt ist, hat sich die Suche nach Lösungen als schwierig erwiesen. Es könnte jedoch einen klaren Weg nach vorne geben.
Hier sind drei Ideen, um die europäische Automobilindustrie ins 21. Jahrhundert zu bringen:
Wettbewerbsfähiger werden durch das Anwerben von EV-Konkurrenten: China hat sich im EV-Bereich bereits einen technologischen Vorsprung gesichert – ähnlich der Dominanz, die Volkswagen einst innehatte, als es seine ersten Fabriken in Shanghai errichtete. In der gleichen Woche, in der BYD bekannt gab, dass es Tesla beim Umsatz mit Elektroautos überholt hat, enthüllte der chinesische Autohersteller auch, dass er ein System entwickelt hat, mit dem ein Elektroauto mit einer Reichweite von 400 km in fünf Minuten aufgeladen werden kann.
BYD und andere chinesische Hersteller exportieren weniger als 10% ihrer Produkte in die EU. Sie werden jeden Einfuhrzoll, den die EU gegen sie erhebt, überleben. Anstatt sich vor chinesischen Autoherstellern zu fürchten, sollte die EU sie dazu bewegen, Produktionsstätten in der EU zu errichten, um den Wettbewerb und die Innovation innerhalb ihrer Grenzen zu fördern.
Dienstleistungen und Symbole verkaufen: Neue Geschäftsmodelle sollten sich darauf konzentrieren, nicht nur Gegenstände, sondern auch Dienstleistungen zu verkaufen. Dieser Trend ist in vielen Branchen vorherrschend, und die Automobilhersteller sollten ihn aufgreifen, um Partnerschaften mit Organisationen zu entwickeln, die das Autofahren zu einem weniger verschwenderischen Erlebnis machen können. Die Technologie des autonomen Fahrens bietet zum Beispiel die Möglichkeit, das Fahrzeug-Sharing einem viel größeren Kundenkreis zugänglich zu machen.
Und die europäischen Automobilhersteller sollten von ihrer Geschichte als Symbol für Kompetenz und Langlebigkeit profitieren. Das ist nicht viel anders als das, was der Kamerahersteller Kodak getan hat, um die digitale Revolution zu überleben. Es ist bemerkenswert, dass Ferrari jetzt mehr wert ist als sein größeres Schwesterunternehmen Stellantis.
Die Regierungen müssen sich engagieren: Wenn der Wandel gelingen soll, müssen die Regierungen eine Rolle spielen. Es geht nicht darum, die europäische Industrie mit Subventionen zu stützen oder Autos als die neue Stahlindustrie zu behandeln. Vielmehr geht es darum, die Infrastruktur zu entwerfen und umzusetzen, die die Zukunft der Mobilität erfordert.
Vor einem Jahrhundert wurden die europäischen Städte komplett umstrukturiert, um von der Pferdekutsche auf die ersten Fiat Topolinos umzusteigen, die aus der Mirafiori-Fabrik rollten. Heute brauchen wir neue Ladenetze und spezielle Fahrspuren für Elektro- und autonome Fahrzeuge. In China geschieht dies bereits, was deutlich zeigt, dass ohne eine umfassende Modernisierung der Infrastruktur keine Innovation möglich ist.
Die Auswirkungen der Zölle
Trumps Zölle werden weh tun – sehr weh. Volkswagen, das zwei Drittel seiner Produktion außerhalb Westeuropas exportiert, wird am meisten darunter leiden, nachdem es davon ausgegangen war, dass seine „Autos für das Volk“ wahllos an verschiedene Bevölkerungsgruppen überall auf der Welt verkauft werden könnten.
Die Ära der Zölle sollte jedoch eher als Weckruf denn als Todesurteil gesehen werden. Der europäische Automobilsektor muss diese Herausforderung nutzen, um sich neu zu erfinden, so wie er es in der Nachkriegszeit getan hat. In den 1960er Jahren verbanden Länder wie Italien und Frankreich die industriellen Strategien von Unternehmen wie Fiat und Renault mit einer Zukunftsvision. Diese Verbindung von industriellem Ehrgeiz und pragmatischer Politikgestaltung war ein wichtiger Bestandteil des Wiederaufbaus nach dem Krieg.
Jetzt müssen sich die europäischen Staats- und Regierungschefs denselben Geist kühner, zukunftsorientierter Innovation zu eigen machen, um ein Verkehrssystem aufzubauen, das in der Lage ist, weltweit Maßstäbe zu setzen. Die Automobilkrise ist nicht nur ein branchenspezifisches Problem. Sie erfordert eine Wiederbelebung von Vision und Pragmatismus gleichermaßen.
Zum Autor:
Francesco Grillo ist Academic Fellow an der Fakultät für Sozial- und Politikwissenschaften der Universität Bocconi.
Hinweis:
Dieser Artikel wurde zuerst von The Conversation in englischer Sprache veröffentlicht und von der Makronom-Redaktion unter Zustimmung von The Conversation und des Autors ins Deutsche übersetzt.