Kommentar

Die Sünde der Zentralbanker

Es wird häufig behauptet, die EZB hätte stärker vor den Auswirkungen der Austeritätspolitik warnen müssen. Diese Ansicht ignoriert aber, dass die Zentralbanken selbst schon immer selbst Teil des Problems waren – und es wohl auch noch sind.

Simon Wren-Lewis hat einen sehr interessanten Beitrag geschrieben, in dem er die Zentralbanker beschuldigt, drei Hauptfehler gemacht zu haben:

1

Sie haben die Krise nicht kommen sehen, obwohl sie als einzige in der Position waren, die Erhöhung des Verschuldungsgrades zu beobachten.

2

Sie haben die Regierungen nicht davor gewarnt, dass die Zentralbanken an der Nullzinsgrenze (Zero Lower Bound, ZLB) die Traktion verlieren und die Wirtschaft nicht vor dem Austeritäts-Desaster schützen können würden.

3

Sie könnten jetzt überhastet erklären, dass wir wieder in der Normalität angekommen sind, und somit die aktuelle Flaute einer Verschlechterung der Angebotsseite zuschreiben.

Mich überrascht Punkt 2. Hier das vollständige Zitat von Wren-Lewis dazu:

„Natürlich war die Hauptschuldige für die langsame Erholung von der Großen Rezession die Austeritätspolitik, womit ich eine voreilige Haushaltskonsolidierung meine. Aber die langsame Erholung reflektiert auch ein Versagen der Geldpolitik. Meiner Meinung nach wurde der größte Fehler schon sehr früh während der Rezession gemacht. Die Geldpolitiker hätten sehr deutlich – sowohl gegenüber den Politikern als auch gegenüber der Öffentlichkeit – sagen müssen, dass sie ihren Job mit Zinsen, die an der unteren Grenze liegen, nicht mehr effektiv tun können und dass ein fiskalischer Stimulus ihnen dabei geholfen hätte, ihre Arbeit zu machen. Die Zentralbanken hätten wohl die Macht gehabt, die Austeritätspolitik zu verhindern, aber sie haben darin versagt, diese Macht auch zu nutzen.“

So wie Wren-Lewis es darstellt, waren die Zentralbanken nicht an dem Drängen auf Haushaltskonsolidierung beteiligt und ihre „einzige“ Sünde bestand darin, nicht laut genug gewesen zu sein. Ich denke, Wren-Lewis ist viel zu nett.

Die EZB hat die Rettungspakete mitentworfen, die Griechenland und den Rest der Eurozone versenkt haben

Zumindest in der Eurozone hat die EZB die Austeritätspolitik maßgeblich vorangetrieben. Sie war direkt in die Troika eingebunden, die die Rettungspakete entworfen hat, die Griechenland (und den Rest der Währungsunion gleich mit) versenkt haben. Aber noch viel wichtiger ist, dass die EZB dazu beigetragen hat, den „Berlin View“-Narrativ zu entwickeln und durchzusetzen, nachdem eine verschwenderische Haushaltspolitik die Wurzel der Krise sei, so dass die Neujustierung einzig auf den Schultern der Fiskal-Sünder lastete.

Wir sollten nicht vergessen, dass Jean-Claude Trichet (auch bekannt als Mr. „Impeccable Disaster“) einer der wichtigsten Unterstützer des Vertrauensmärchens war: Demnach würde eine glaubwürdige Austeritätspolitik auf magische Weise die Erwartungen erhöhen, private Ausgaben stimulieren und den Erholungsprozess einleiten. Er war EZB-Präsident, als die Zentralbanken den zweiten Fehler machten. Und es fällt mir wirklich schwer, mir vorzustellen, wie Trichet vor den Risiken der Austerität an der Nullzinsgrenze warnt.

Würde die Aufhebung der Unabhängigkeit der Zentralbanken einen Unterschied machen?

Und die Dinge sind jetzt auch nicht großartig anders. Sicher, Mario Draghi fordert die Fiskalpolitik oft zur Unterstützung des EZB-QE-Programms auf. Aber wie ich hier schon einmal ausführlicher argumentiert habe, hat die Forderung nach einer stärkeren Unterstützung durch die Fiskalpolitik innerhalb des existierenden Regelrahmens keinen echten Auswirkungen.

Die Zentralbanken waren und sind wohl immer noch Teil des Problems

Somit bin ich mit Wren-Lewis an diesem Punkt nicht einer Meinung. Die Zentralbanken, oder zumindest die EZB, haben nicht einfach nur dabei versagt, die Probleme einer fehlgeleiteten Austeritätspolitik hervorzuheben. Sie waren und sind wohl immer noch Teil des Problems.

Das Problem besteht in der ökonomischen Doktrin. Solange sich diese nicht ändern, bin ich mir nicht sicher, ob die Aufhebung der Unabhängigkeit der Zentralbanken einen Unterschied machen würde. Wäre eine von Schatzkanzler George Osborne kontrollierte Bank of England eine lautere Stimme gegen die Austerität? Wäre es eine vom Ecofin-Rat kontrollierte EZB? Nichts ist unsicherer als das…

 

Zum Autor:

Francesco Saraceno ist Ökonom an der Universität OFCE Sciences-Po. Er twittert unter @fsaraceno und betreibt den Blog „Sparse Thoughts of a Gloomy European Economist“, wo dieser Beitrag zuerst erschienen ist.