Economists for Future

Die Transformationsdebatte muss wieder auf den Boden kommen – wortwörtlich

Durch Versiegelung, Übernutzung und Privatisierung wird Boden zur Ware degradiert. Um die Bewohnbarkeit des Planeten zu sichern, braucht es aber ein neues Verhältnis zum Boden: weg von Verwertungslogiken, hin zu generativen und verbindenden Beziehungen.

Unsere Gesellschaft befindet sich inmitten eines tiefgreifenden Transformationsprozesses. Im Zentrum: die Wirtschaft. Die nächsten Jahre werden entscheiden, ob uns der Wandel by disaster passiert oder uns by design gelingt.

Die Debattenreihe Economists for Future widmet sich den damit verbundenen ökonomischen Herausforderungen. Sie beleuchten einerseits kritisch-konstruktiv Engführungen in den Wirtschaftswissenschaften sowie Leerstellen der aktuellen Wirtschaftspolitik. Andererseits diskutieren wir Orientierungspunkte für eine zukunftsfähige Wirtschaft und setzen Impulse für eine plurale Ökonomik, in der sich angemessen mit sozial-ökologischen Notwendigkeiten auseinandergesetzt wird.

Die Kooperation zwischen Economists for Future e.V. und Makronom startete mit der ersten Ausgabe 2019. Seitdem ist jährlich eine neue Reihe mit wechselnden Themenschwerpunkten erschienen. Die mittlerweile sechste Staffel beleuchtet nun Aspekte rund um das Thema Überfluss.

Der französische Philosoph Bruno Latour kritisierte vor einigen Jahren die „Bodenlosigkeit“ der Moderne: die Lebensmittel, die wir verbrauchen; die Güter, die wir konsumieren, und die Dienstleistungen, die wir in Anspruch nehmen, sind alle mit Bodennutzungen verbunden. Böden werden für Produktion und Transport versiegelt und bebaut, sie veröden durch industrielle (Über-)Nutzung und erodieren durch Starkregen und Hochwasser. Mit der Versiegelung und Degradation gehen viele Bodenfunktionen verloren, z.B. die Funktionen der CO2-Speicherung, Wasserreinigung und -regulierung, die notwendig sind, damit die „kritische Zone“ des Planeten Erde bewohnbar bleibt. Latour forderte uns Menschen dazu auf, „terrestrisch“ zu werden. Die Krise der Bewohnbarkeit erfordere ein anderes Verhältnis zum Boden. Um zu überleben, müssten wir die Welt, von der wir leben, mit der Welt, in der wir leben, in Einklang bringen.

Tatsächlich scheinen die Debatten um die sozialökologische Transformation langsam „auf den Boden“ zu kommen. Während an vielen Orten kriegerische Auseinandersetzungen um Boden geführt werden und sich in deutschen Städten der Konflikt in der „Wohnungskrise“ äußert, stellen Initiativen und Bewegungen für sozial-ökologische Transformation Zugang, Verteilung und Nutzung zunehmend ins Zentrum ihrer Bemühungen. In Berlin fordert die Initiative „Deutsche Wohnen & Co enteignen“, das Privateigentum großer Wohnungsunternehmen an Mietimmobilien in Gemeineigentum zu überführen. Die deutsche Bischofskonferenz hat vor Kurzem eine Studie veröffentlicht, deren Autor*innen die Dringlichkeit eines globalen Wandels der Landnutzung anmahnen. Und auch der Boden auf dem Grund des Ozeans ist Gegenstand der heutigen Bodendebatten: Immer mehr Staaten, Parlamente, Wissenschaftler*innen, Unternehmen, Finanzinstitutionen und zivilgesellschaftliche Organisationen sprechen sich für ein Moratorium des Tiefseebodenbergbaus aus, dessen Regeln seit einigen Jahren in der Internationalen Meeresbodenbehörde verhandelt werden.

Damit sich die Beziehungen zum Boden ändern und extraktive, trennende und zerstörerische Bodenverwertung durch generative und verbindende Bodenbeziehungen abgelöst wird, muss auch das Recht transformiert werden. Im Folgenden möchte ich daher ein paar Überlegungen zu einem Transformationsrecht der Bodenbeziehungen anstellen.

Privateigentum am Gemeingut Boden

Transformationsrecht muss die Eigentumsfrage stellen: Verbindende und generative Bodenbeziehungen werden nur möglich, wenn Privateigentum an Boden transformiert wird. Boden wird schon heute häufig als Gemeingut beschrieben, etwa in der eingangs erwähnten Studie der Deutschen Bischofskonferenz. Boden ist Gemeingut, weil es geteilter sozial-ökologischer Lebensraum von Menschen und nicht menschlichen Lebewesen ist.

Doch zugleich ist es heute eine Selbstverständlichkeit, dass Boden Gegenstand von Privateigentum ist, in Grundstücke zerteilt, als Ware gehandelt und als Vermögensanlage verwertet wird. Die Rechtfertigungen des Privateigentums aus der Theologie, der Philosophie der Aufklärung und der Politischen Ökonomie vermögen viele der heute gängigen eigentumsbasierten privatnützigen Bodenverwertungen nicht zu rechtfertigen. Sie verweisen sowohl auf die Funktion des Eigentums für die Realisierung individueller Freiheit als auch die sozialordnende Funktion des Eigentums und seine Bedeutung für allgemeinen Wohlstand.

Ein Großteil der Menschen hat jedoch kein Privateigentum an Boden. Etwa die Hälfte der deutschen Bevölkerung lebt zur Miete, 2022 waren mehr als 600.000 Menschen obdachlos und etwa 60% der in Deutschland landwirtschaftlich genutzten Flächen sind gepachtet. Zugleich ist Eigentum nicht notwendigerweise eine Voraussetzung für einen sorgsamen Umgang mit den Gegenständen des Eigentums, wie manche Rechtfertigungen des Eigentums anführen. Auch eine Landwirtin, die Flächen pachtet, mag um seinen Erhalt für künftige Generationen besorgt sein. Was jedoch die Eigentümer von denjenigen, die den Boden bewohnen und -bewirtschaften unterscheidet, ist die soziale Macht, die mit dem Privateigentum einhergeht und die die Freiheit der Nichteigentümerinnen erheblich beschränkt: die Macht, andere vom Boden auszuschließen, Gebäude leer stehen und Flächen brach liegen zu lassen, einen Miet- und Pachtzins zu verlangen, die Art und Weise der Bodennutzung zu bestimmen und die Bodenüberlassung zu beenden.

Das Privateigentum genießt einen besonderen Schutz sowohl durch die Verfassung als auch durch europäische und internationale Menschenrechts- und Investitionsschutzverträge. Dieser Schutz kommt nicht ausschließlich und nicht einmal primär dem „persönliche Eigentum,“ das Sorgebeziehungen begründet und der Persönlichkeitsentfaltung dient, zugute. Er erfasst vor allem das Privateigentum als „vermögenswertes Verfügungsrecht“ und schützt es gegen politische Gestaltung und Beschränkung. Das Bundesverfassungsgericht spricht davon, dass das Privateigentum einen Freiheitsraum im vermögensrechtlichen Bereich gewährleiste. Dieser umfasst die Freiheit, ein Grundstück zu vermieten oder zu verpachten, es zu verkaufen, mit Hypotheken und Grundschulden zu belasten, kurz: Privateigentum privatnützig zu verwerten. Das so verstandene Privateigentum ist neben der Vertragsfreiheit ein ganz wesentlicher Bestandteil der rechtlichen Infrastruktur, die marktwirtschaftliche Produktions- und Transaktionsweisen ermöglicht.

Wenn der Vermögenswert des Bodens im Vordergrund steht, dann treten die persönlichen und sozialen Beziehungen in den Hintergrund. In den letzten Jahren sind Boden- und Immobilieneigentum zunehmend zu Assets, also Vermögenswerten geworden. Diese Entwicklung lässt sich am Beispiel Berlins veranschaulichen. Dort wurden nach der Wiedervereinigung große Wohnungsbestände privatisiert. Heute befinden sich mehrere hunderttausend Wohnungen in den Portfolios von Immobilienfonds oder großen kapitalmarktorientierten Unternehmen, die ihren Anlegern eine sichere Rendite versprechen. Die Unternehmen und Fonds haben Privateigentum an den Berliner Grundstücken und Wohnungen; ihre Aktionäre, Anleihegläubigerinnen und Anteilseigner haben Privateigentum an Unternehmensanleihen, -anteilen und Aktien. Keine der beiden Gruppen steht in einer persönlichen Sorge- oder Pflegebeziehung zu Grundstücken und Häusern.

Eine ähnliche Entwicklung gibt es im ländlichen Raum. Auch hier erwerben Unternehmen Flächen, entweder direkt oder indirekt über den Kauf von Unternehmensanteilen (sogenannte Share Deals), als sichere Vermögensanlage. Der Tiefseeboden ist ebenfalls zu einem Asset geworden. Zwar schließt das Völkerrecht die staatliche und private Aneignung des Meeresbodens jenseits staatlicher Jurisdiktion explizit aus und deklariert den Meeresboden als gemeinsames Menschheitserbe. Die Meeresbodenbehörde vergibt jedoch für Grundstücke auf dem Meeresboden jenseits staatlicher Jurisdiktion Lizenzrechte an staatliche und private Unternehmen, die diese zur ausschließlichen Mineralienerkundung auf dem betreffenden Lizenzgebiet berechtigen. In Zukunft könnten sie durch Ausbeutungsrechte für Meeresbodenmineralien – Manganknollen, Kobaltkrusten und Massivsulfide – abgelöst werden.

Diese Transformation von Boden in Kapitalanlagen, die durch Privateigentum ermöglicht und durch verfassungs-, menschen- und investitionsrechtlichen Schutz von Privateigentum abgesichert wird, lässt sich weder mit der Ermöglichung individueller Freiheit noch der Förderung allgemeinen Wohlstands rechtfertigen. Zu augenfällig ist heute, wie sie soziale und ökologische Beziehungssysteme, kurz das Gemeinsame zerstört und die Bewohnbarkeit des Planeten gefährdet.

Eigentum verpflichtet

Während die einen auf die Macht- und Verwertungsbeziehungen hinweisen, die mit Privateigentum an Boden einhergehen, betonen andere die Sozialpflichtigkeit des Privateigentums: „Eigentumsrechte sind […] niemals unbegrenzt, sondern stehen unter dem Vorbehalt, den Eigentumsgebrauch mit dem Grundsatz der universalen Bestimmung der Erdengüter zu vereinbaren”, so die Studie der Deutsche Bischofskonferenz unter Bezugnahme nicht nur auf die christliche Soziallehre, sondern auch auf das Grundgesetz. Dort heißt es in Artikel 14: „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.”

In der Praxis folgen aus diesem Rechtssatz jedoch keine unmittelbaren Pflichten für Privateigentümerinnen, schon gar nicht die Aufgabe, als Treuhänder Boden und Gebäude zu bewahren und zu pflegen. Das Bundesverfassungsgericht versteht ihn als Auftrag an die Gesetzgebungsorgane. Diese sollen das Eigentum so ausgestalten und regulieren, dass auch den Interessen der Nichteigentümerinnen und der Umwelt Rechnung getragen wird. Meist kommen die Gesetzgebungsorgane dieser Pflicht nach, indem sie die Macht der Eigentümerinnen beschränken. So können beispielsweise Vermieterinnen nur unter bestimmten rechtlich geregelten Voraussetzungen Mietverträge kündigen, nicht beliebig die Miete erhöhen und sind verpflichtet, Mietwohnungen Instand zu halten. Nur selten jedoch wird die Sozialpflichtigkeit des Eigentums dadurch umgesetzt, dass den Nichteigentümerinnen Mitbestimmungsrechte bei der Nutzung des Eigentums eingeräumt werden. Eine der wenigen Ausnahmen ist die verbindliche Mitbestimmung von Arbeiterinnen in Unternehmen.

Transformation des Privateigentums

Es könnte aber auch ganz anders gehen. Schon das bestehende Recht verweist die Nichteigentümerinnen und „Bodenbewohner“ – seien es Mieterinnen oder andere Bodenlebewesen, die der Macht der Privateigentümerinnen ausgesetzt sind – nicht notwendig nur auf „Schutz“ und „Berücksichtigung“. Würde das Grundgesetz in transformativer Absicht angewandt und ausgelegt, dann eröffneten sich vielfältige Möglichkeiten, die heute durch soziale Machtgefälle, Extraktion und Verwertung gekennzeichneten Bodenbeziehungen zu überwinden, und stattdessen verbindende und generative Bodenbeziehungen zu stärken.

Das Vergesellschaftungsrecht des Grundgesetzes, das die Berliner Initiative „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ zur Anwendung bringen möchte, ist genau darauf gerichtet. Artikel 15 des Grundgesetzes, der vorsieht, dass Boden in Gemeineigentum überführt werden kann, zielt –      negativ – auf den Abbau der über das Privateigentum vermittelten Macht- und Verwertungsbeziehungen. Positiv ist die Vergesellschaftung auf die Ermöglichung von gesellschaftlicher, das heißt notwendig relationaler, Freiheit durch Mitgestaltung der Bodennutzungen durch die Bewohnerinnen gerichtet. Vergesellschaftung ist also nicht mit Verstaatlichung zu verwechseln.

Eine zeitgemäße Konkretisierung, wie Boden als Gemeingut zu verwalten und bewirtschaften ist, kann sich an der Praxis-Theorie der Commons ausrichten. Diese versteht unter Commons sozialökologische Systeme solidarischer Sorge- und Versorgungsbeziehungen nicht nur zwischen Menschen, sondern auch zwischen Menschen und nichtmenschlichen Bodenbewohnerinnen.

Alternativ zum Abbau von Privateigentum durch die Anwendung von Artikel 15 Grundgesetz und die Überführung von Privat- in Gemeineigentum könnte auch eine transformative Interpretation der in Artikel 14 Grundgesetz verankerten Eigentumsfreiheit verbindende Bodenbeziehungen stärken und der Asset-Bodenökonomie entgegenwirken. Ansätze dazu gibt es schon. So hat das Bundesverfassungsgericht das Besitzrecht des Mieters als eine verfassungsrechtlich geschützte Eigentumsposition anerkannt. In seiner Entscheidung zu Enteignungen im Zuge des Kohleabbaus (Garzweiler II) hat es außerdem auf die besondere Schutzwürdigkeit „fester sozialer Bindungen in das örtliche Umfeld“ hingewiesen.

Diese Ansätze lassen sich weiter entwickeln: Zum einen könnte der Schutz des persönlichen Eigentums, das Besitz einschließt, gegenüber dem Schutz des Eigentums an Assets gestärkt werden. Zum anderen könnte der Grundrechtsschutz auf Boden-Commons, verstanden als Systeme der Pflege- und Sorgebeziehungen, ausgeweitet werden (zu einem entsprechenden Vorschlag siehe hier und hier. Die Verfassung würde dann nicht mehr primär „vermögenswerte Individualrechte“ als Eigentum schützen, sondern die Beziehungen zum Boden von denjenigen, die ihn bewohnen, bewirtschaften, pflegen und erhalten.

Die hier vorgeschlagene transformative Verfassungsinterpretation wäre zugleich ein Weg, Rechte der Natur mit dem Schutz der Commons zu verbinden, anstatt sie aus der individualistischen Eigentumstheorie herzuleiten. Letztere ist ebenso wie die heute dominanten Verständnisse von Privateigentum eng mit Herrschaftsbeziehungen und kolonialer Gewalt verbunden (siehe hier und hier). Um terrestrisch zu werden und Bewohnbarkeit zu erhalten, muss sich das Recht aber auch dieser kolonialen Kontinuitäten bewusst werden und entledigen.

 

Zur Autorin:

Isabel Feichtner ist Professorin für Öffentliches Recht und Wirtschaftsvölkerrecht an der Universität Würzburg. Sie forscht zu Recht in der Politischen Ökonomie, Transformationsrecht und Recht der Commons.