Nach Ende des Zweiten Weltkriegs bestand die Gefahr, dass der Wiederaufbau der Wirtschaft ins Stocken geriet, weil die Unternehmen zu viele Konsumgüter produzierten und zu wenig in neue Produktionsanlagen der Schwerindustrie investierten. Deshalb verabschiedete der Deutsche Bundestag 1952 ein Investitionshilfegesetz. Es trat am 18. Januar 1952 in Kraft und sah folgende Regelungen vor:
- Unternehmen der gewerblichen Wirtschaft mussten einmalig einen Teil ihrer Gewinne abführen. Bemessungsgrundlage für die Abführung waren die zu versteuernden Gewinne der Jahre 1950 und 1951 zuzüglich der steuerlichen Abschreibungsbeträge und 4% der in diesen Jahren erzielten Umsätze. Betroffen waren rund 140.000 Unternehmen.
- Der Abführungssatz betrug 3,5% dieser Bemessungsgrundlage. Das Einziehen der Beträge wickelten die Finanzämter ab. Diese zahlten sie bei der Industriekreditbank in Düsseldorf ein, die ein Sondervermögen „Industriehilfe“ einrichtete. Die Industriekreditbank war 1949 von Industrieunternehmen gegründet worden und hatte vor allem die Aufgabe, öffentliche Fördergelder an begünstigte Unternehmen durchzuleiten.
- Die abführungspflichtigen Unternehmen erhielten im Gegenzug Wertpapiere, die drei Jahre lang nicht an der Börse gehandelt werden durften. Die Investitionshilfeabgabe war somit keine eigentliche Steuer, sondern eine Zwangsanleihe.
- Die Umlage brachte dem Sondervermögen Einnahmen von 1,16 Milliarden D-Mark. Daraus wurden Investitionshilfen an Unternehmen in den Engpassbereichen Kohlebergbau, Eisen- und Stahlindustrie, Elektrizitätsversorgung, Gasversorgung, Wasserversorgung und Waggonbau, aber auch an kleine und mittlere Unternehmen gezahlt (Jákli 1990).
- Unternehmen des Kohle- und Eisenerzbergbaus, der eisenschaffenden Industrie und der Energiewirtschaft erhielten außerdem massive steuerliche Abschreibungsvergünstigungen – im Jahr der Anschaffung und in den beiden Folgejahren konnten insgesamt 50% bei beweglichen, 30% bei unbeweglichen Gütern des Anlagevermögens abgeschrieben werden.
Insgesamt kam es in den genannten Bereichen zu Investitionen in Höhe von 4,7 Milliarden D-Mark.
Das Investitionshilfegesetz der frühen 1950er Jahre ist ein Paradebeispiel für eine massive staatliche Umlenkung privater Investitionen von der Konsumgüterindustrie in die Schwerindustrie mittels staatlicher Finanzpolitik. Bemerkenswert ist dabei, dass eine konservativ-liberale Regierung diese lenkenden Eingriffe in die Wirtschaft vornahm. Ihr gehörte auch die FDP an, die die Steuerung der Wirtschaft eigentlich den Marktkräften überlassen will. Die Praxis der Sozialen Marktwirtschaft war also von Anfang an eine Mischung aus Markt und Lenkung.
Investitionshilfeabgabe 1983 bis 1985
Im Herbst 1982 zerbrach die sozial-liberale Koalition unter Helmut Schmidt (SPD) an unterschiedlichen Auffassungen über den Ausgleich des Bundeshaushalts. Noch im Juli 1981 hatte die SPD dazu eine Ergänzungsabgabe in die Diskussion gebracht: eine zeitlich befristete Steuer, die insbesondere Bevölkerungsschichten zahlen sollten, die von den notwendigen Ausgabenkürzungen im sozialen Bereich wenig oder gar nicht betroffen waren. Doch die FDP-Fraktion hat – wie Insider berichteten – vor Wut gekocht, als die SPD mit diesem Vorschlag kam. Im August 1981 forderte Hans Dietrich Genscher, Vizekanzler und FDP-Vorsitzender, in einem Rundschreiben an die FDP-Mitglieder („Wende-Brief“) von der SPD, auf eine Ergänzungsabgabe zu verzichten.
Anders nach dem Regierungswechsel, als Helmut Kohl (CDU) mit den Stimmen der FDP zum Bundeskanzler gewählt worden war. Laut Medienberichten soll sogar die FDP-Ikone Otto Graf Lambsdorff, dessen Konzept für eine „Politik zur Überwindung der Wachstumsschwäche und zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit“ (Lambsdorff-Papier) zum endgültigen Bruch der sozial-liberalen Koalition geführt hatte, zeitweise eine Ergänzungsabgabe für die oberen Einkommen nicht ausgeschlossen haben. Schließlich einigte sich die neue CDU/CSU-FDP-Koalition auf eine Investitionshilfeabgabe: eine unverzinsliche rückzahlbare Abgabe von 5%, die alle Steuerpflichtigen ab einem steuerpflichtigen Einkommen von 50.000 D-Mark zu zahlen hatten. Das Aufkommen sollte ausschließlich in den sozialen Wohnungsbau fließen. Außerdem verständigte sich die Koalition auf eine Erhöhung der Mehrwertsteuer um einen (bzw. beim ermäßigten Satz um einen halben) Prozentpunkt auf dann 14 bzw. 7%.
Die Investitionshilfeabgabe war zwar wegen ihrer Rückzahlbarkeit keine zusätzliche Steuer auf die höheren Einkommen, sondern eine vorübergehende staatliche Zwangsanleihe, deren Einnahmen in den Wohnungsbau flossen. Um negative Folgen für die privaten Investitionen zu vermeiden, wurden zudem betriebliche Investitionen zu 20% auf die Abgabe angerechnet. Wer also das Fünffache der zu zahlenden Abgabe in seinen Betrieb investierte, brauchte keine Abgabe zu entrichten. Gleichwohl war diese Anleihe ein Instrument zur Investitionslenkung – und kein Instrument neoliberaler Wirtschaftspolitik (Adam 2020, Zohlnhöfer 2001).
Am 6. November 1984 erklärte das Bundesverfassungsgericht die Abgabe für verfassungswidrig (BVerfGE 67: 256 ff). Das machte materiell keinen Unterschied, weil die Einnahmen ohnehin zurückgezahlt werden sollten. Im Hinblick auf jüngere Ereignisse ist es jedoch bemerkenswert, dass auch eine CDU/CSU-geführte Bundesregierung schon einmal mit einem Instrument, das sie mit ausdrücklicher Zustimmung der FDP zur Haushaltsfinanzierung eingesetzt hat, vor dem Bundesverfassungsgericht gescheitert ist.
Deutsche Einheit: Investitionsförderung, Sondervermögen und Solidaritätszuschlag
Die Zeit nach der Wiedervereinigung war eine Periode massiver finanzpolitischer Staatsinterventionen. Ziel war, möglichst schnell einen Wirtschaftsaufschwung in den neuen Bundesländern herbeizuführen. Hier nur ein paar Beispiele, mit welchen Instrumenten Investitionen staatlich gelenkt wurden:
- Investitionszulage für Investitionen in bewegliche Anlagegüter (Abzug von der Steuerschuld in Höhe von 12 bzw. 8% des Investitionsbetrages – Steueränderungsgesetz 1991)
- Sonderabschreibungen für Betriebsgebäude und Ausrüstungsinvestitionen entsprechend den vorherigen Zonenrandförderungsmaßnahmen (50% in den ersten fünf Jahren der Nutzung bei beliebiger Aufteilung auf diese Jahre; Kumulation mit der Investitionszulage für Ausrüstungsinvestitionen möglich – ebenfalls Steueränderungsgesetz 1991).
- Umfangreiche Finanzhilfen an die Länder im Beitrittsgebiet für öffentliche Investitionen (Haushaltsbegleitgesetz 1991)
Zur Finanzierung der milliardenschweren Programme bildete die CDU/CSU-FDP-Koalition mehrere Sondervermögen. Dazu zählte etwa der Fonds Deutsche Einheit: Mit ihm wurden von 1990 bis 1994 vor allem die Sanierung und der Ausbau des Straßennetzes und die Verbesserung der kommunalen Infrastruktur in den neuen Bundesländern finanziert. Der Bund stattete den Fonds mit 20 Milliarden D-Mark Startkapital aus, weitere 95 Milliarden wurden durch Kredite aufgebracht.
Des Weiteren wurden 1995 in den Erblastentilgungsfonds die Schulden der Treuhandanstalt, des Kreditabwicklungsfonds und Teile der Altschulden ostdeutscher kommunaler Wohnungsunternehmen zusammengeführt. Am 1.1.1995 betrugen die Schulden 336 Milliarden D-Mark. Getilgt wurden sie u. a. mit Gewinnen der Deutschen Bundesbank und den Erlösen aus dem Verkauf der UMTS-Lizenzen. Zudem wurde ab 1. Juli 1991 eine zusätzliche Steuer – der Solidaritätszuschlag (Soli) – in Höhe von 7,5% der Einkommen- und Körperschaftsteuer eingeführt und die Mehrwertsteuer ab 1. Januar 1993 von 14 auf 15% erhöht.
Von 1991 bis 2013 flossen aus den wachstumsorientierten Programmen wie der Investitionszulage, dem Fonds Deutsche Einheit, dem Solidarpakt I und II sowie über den Länderfinanzausgleich etwa 560 Milliarden Euro an Transferzahlungen in die neuen Bundesländer.
Die Politik überließ den „Aufbau Ost“ nach 1990 somit ebenso wenig wie den Wiederaufbau der alten Bundesrepublik nach 1949 dem freien Spiel der Marktkräfte, sondern nutzte die Instrumente der Finanzpolitik zur bewussten staatlichen Steuerung von öffentlichen und privaten Investitionen. Zur Finanzierung wurden nicht nur Steuererhöhungen, sondern auch das Instrument der Staatsverschuldung eingesetzt. Sie hat sich in den zwei Legislaturperioden nach der Wiedervereinigung nominal fast verdoppelt. Die Schuldenquote (Anteil der Staatsschulden am Bruttoinlandsprodukt) stieg von knapp 38% auf 58%. Dies zeigt: Bei außergewöhnlichen wirtschaftlichen Herausforderungen greifen auch konservativ-liberale Regierungen zu lenkenden Maßnahmen und nehmen einen Anstieg der Staatsverschuldung in Kauf.
Entwicklung der Staatsverschuldung 1991 bis 1998
Die FDP und die Eurokrise
Als Griechenland im Frühjahr 2010 nach der Finanzmarktkrise die Insolvenz drohte, stand die damalige deutsche Regierungskoalition aus CDU/CSU und FDP vor einer schwierigen Entscheidung: Sollte Deutschland gemeinsam mit anderen Euro-Staaten Hilfsprogramme für Griechenland auflegen oder an der No-bail-out-Klausel des Art. 125 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEU) festhalten, die eine Haftung der EU sowie ihrer Mitgliedstaaten für Verbindlichkeiten einzelner Mitgliedstaaten ausschließt?
Obwohl FDP-Wirtschaftsminister Rainer Brüderle zunächst noch erklärt hatte, dass es keinen keine „Gemeinschaftslösung für nationale Schieflagen“ geben sollte, stimmte die FDP als Teil der Regierungskoalition letztlich für die Rettungspakete I und II für Griechenland und damit eine Gemeinschaftslösung. Dadurch kamen enorme Belastungen auf den Haushalt zu – insgesamt ging Deutschland Verpflichtungen in Höhe von rund 76 Milliarden Euro ein.
Die Vertreter der konservativ-liberalen Regierung rechtfertigten dies damit, dass eine Zahlungsunfähigkeit Griechenlands größere Risiken bergen und viel teurer für Deutschland werden würde. Es gehe darum, Schaden vom Volk abzuwenden, und sei daher alternativlos. Damit räumten sie ein: Die Wirtschaft kann nicht allein den Marktkräften überlassen, sondern immer wieder auftretende Krisen müssen durch staatliche Eingriffe vermieden oder zumindest abgefedert werden.
Die Verpflichtungen, die Deutschland mit den Griechenland-Rettungspaketen übernommen hatte, machten es der konservativ-liberalen Regierung unmöglich, das zentrale FDP-Wahlversprechen von umfassenden Steuersenkungen („Mehr Netto vom Brutto“) einzulösen. Das bekam die FDP bei der Bundestagswahl 2013 zu spüren, als sie 430.000 Stimmen an die neugegründete Alternative für Deutschland (AfD) verlor.
Ordnungspolitische Prinzipien – oder Machterhalt?
Seit langem herrscht in allen Industrieländern eine gemischte Wirtschaftsordnung, in der neben dem Markt die Finanzpolitik als zentrales Instrument zur Wirtschaftslenkung eingesetzt wird. Ordnungspolitische oder verfassungsrechtliche Bedenken, die vor allem in Deutschland mitunter gegen finanzpolitische Maßnahmen vorgebracht werden, sind deshalb weniger grundsätzlicher Natur, sondern eher als Streben nach politischem Machterhalt einzustufen.
So dürfte die strikte Ablehnung einer Ergänzungsabgabe durch die FDP am Ende der sozial-liberalen Koalition und die Zustimmung zu einer Ergänzungsabgabe in Form einer Zwangsanleihe zu Beginn der Kohl-Regierung mit politisch-strategischen Motiven zu erklären sein: Bei den Bundestagswahlen 1980 hatte sie zwar 2,7 Prozentpunkte zugelegt und 10,6% der Zweitstimmen gewonnen. Doch der Stimmenzuwachs stammte im Wesentlichen von CDU-Wählern, die Franz-Josef Strauß nicht als Bundeskanzler wollten. Zudem hatte sich mit den Grünen eine neue Partei gegründet, die bei der nächsten Bundestagswahl eine sozial-liberale Mehrheit verhindern würde. Deshalb wagte die FDP den Sprung an die Seite der CDU und sicherte sich dadurch weitere 16 Jahre Regierungsmacht. Das Beharren auf marktliberalen Prinzipien und das dadurch mitverursachte Ende der sozial-liberalen Koalition hatte sich also für die FDP ausgezahlt.
Anders die Zustimmung zu den Griechenland-Rettungspaketen in der zweiten Regierung Merkel (2009 bis 2013). Vor der Bundestagswahl 2013 gaben 90% der FDP-Wähler von 2009 an, die FDP habe viel versprochen und fast nichts davon umgesetzt. Zum ersten Mal in der Nachkriegszeit war die FDP von 2013 bis 2017 nicht mehr im Bundestag vertreten.
Dieses traumatische Erlebnis dürfte Christian Lindner 2017 veranlasst haben, nicht erneut in eine CDU-geführte Koalition einzutreten, in der sich die FDP-Vorstellungen in der Steuer- und Finanzpolitik womöglich nicht hätten sichtbar durchsetzen lassen. Und angesichts der Zustimmungswerte der FDP von 3% in der Sonntagsfrage dürfte das derzeitige dogmatische Beharren auf der Schuldenbremse ebenfalls politisch-strategisch motiviert sein – zum Schaden der Wirtschaft und der Menschen.
Zum Autor:
Hermann Adam ist Honorarprofessor für Politikwissenschaft am Sozialwissenschaftlichen Institut der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf und am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin. Sein neues Buch Finanzpolitik – Eine Einführung ist kürzlich im Kohlhammer-Verlag erschienen.