Während sich der Krieg in der Ukraine hinzieht, steigen die direkten wirtschaftlichen Kosten für Europa und andere Länder. Durch die beispiellos hohe und nun lang anhaltende Inflation hat der Krieg die finanzielle Anfälligkeit der Haushalte in der gesamten Europäischen Union erhöht und birgt die Gefahr, dass die öffentliche Unterstützung für die Ukraine schwindet. Die öffentliche Meinung ist jedoch nachweislich gefestigt.
Die EU-Länder und -Institutionen haben der Ukraine finanzielle, humanitäre und militärische Unterstützung zugesagt, die sich bis zum 24. Februar 2023, genau ein Jahr nach dem Einmarsch Russlands, auf insgesamt 62 Milliarden Euro belief. Der Gesamtbetrag wird bis zum 23. Mai 2023 auf rund 70 Milliarden Euro geschätzt.
Von EU-Ländern und -Institutionen zugesagte Hilfen für die Ukraine
Die bilateralen Zusagen der EU-Mitgliedstaaten beliefen sich bis zum 24. Februar 2023 auf 26,18 Milliarden Euro, wobei der größte Teil dieser Summe auf militärische Hilfen entfiel (16,02 Milliarden Euro). Die Zusagen der europäischen Institutionen summierten sich auf 35,53 Milliarden Euro. Der größte Teil davon war ein 18-Milliarden-Euro-Paket zur Unterstützung des unmittelbaren Bedarfs der Ukraine und zur Aufrechterhaltung der makroökonomischen Stabilität während des Gesamtjahrs 2023. Ein Beispiel dafür ist das klaffende Haushaltsdefizit, das derzeit ein Viertel des ukrainischen BIP beträgt.
Hilfszusagen an die Ukraine durch EU-Länder und -Institutionen
Finanziell | Humanitär | Militärisch | Gesamt | |
Bilaterale Hilfen der EU-Staaten | € 5.26 Mrd.
| € 4.89 Mrd.
| € 16.02 Mrd.
| € 26.18 Mrd.
|
EU (EIB, EU-Kommission und Europäischer Rat), EPF | € 30.32 Mrd.
| € 1.61 Mrd.
| € 3.60 Mrd.
| € 35.53 Mrd.
|
Die Europäische Investitionsbank sagte 668 Millionen Euro an Liquiditätshilfen zu, während die EU im Rahmen der Europäischen Friedensfazilität (EPF) für militärische Zwecke eine Reihe von Tranchen in Höhe von 500 Millionen Euro bereitstellte, die sich inzwischen auf 3,6 Milliarden Euro belaufen.
Diese Unterstützung ist relativ gering – und nachhaltig. Die 70 Milliarden Euro, die für finanzielle, humanitäre und militärische Zwecke, für den Nothaushalt und für Kriegsflüchtlinge bereitgestellt werden, entsprechen nur 0,44% des BIP der EU.
Die europäische Wirtschaft wurde auch durch die hohen Energiepreise beeinträchtigt. Die Europäische Kommission prognostizierte in ihrer aktuellen Frühjahrsprognose, dass die Inflation im Euroraum in diesem Jahr 5,8% betragen wird. Dies ist etwas höher als im Winter erwartet. Nach Angaben der Europäischen Zentralbank lagen die Lebensmittelpreise im Euroraum im April 2023 um 15% höher als Vorjahr. Bei einer Inflationsrate im Euroraum von 8,4% im Jahr 2022 sind 100 Euro aus dem Jahr 2021 heute nur noch 86 Euro wert. Es ist verständlich, dass die Bürger angesichts der Höhe der Kosten, mit denen sie täglich konfrontiert werden, ungeduldig sind und ihren Energieverbrauch angesichts der Energieknappheit anpassen wollen.
Die folgende Abbildung zeigt den Anteil der Europäer, die ihre Gewohnheiten geändert haben, um Energie zu sparen, oder die aufgrund der Inflation auf Ersparnisse zurückgegriffen haben.
Wie Privathaushalte auf die Krise reagiert haben
Die Abbildung zeigt, dass 71% der EU-Bürger ihre häuslichen Gewohnheiten geändert haben, um Energie zu sparen. Nur in Slowenien hat dies knapp weniger als die Hälfte der Bürger (49%) getan. Außerdem mussten 37% als direkte Folge der Inflation ihre Ersparnisse angreifen, wobei die Spanne von 58% in Griechenland bis 16% in Kroatien reicht.
Die öffentliche Meinung in Europa ist bemerkenswert stabil
Je teurer der Krieg wird, desto mehr könnte man erwarten, dass die Unterstützung der europäischen Öffentlichkeit abnimmt. Und in der Tat ist die Zustimmung für Maßnahmen zur Unterstützung der Ukraine insgesamt zurückgegangen. Die nächste Abbildung zeigt ein Muster des langsamen Gesamtrückgangs in Frankreich, Deutschland, Spanien, Italien und Polen. Der Anteil derjenigen, die Waffenlieferungen oder wirtschaftliche und finanzielle Sanktionen befürworten, ist gesunken.
Zustimmungsquoten für ökonomische und finanzielle Sanktionen (links) und Waffenlieferungen (rechts)
Trotz dieses Rückgangs blieb die Unterstützung für Sanktionen und direkte Hilfen an die Ukraine im Februar 2023 solide und lag von einer Ausnahme abgesehen immer über 50%. Die EU-weite anhaltende öffentliche Unterstützung zeigt, dass die europäischen Bürgerinnen und Bürger verstehen, dass der Ausgang des Krieges von entscheidender Bedeutung für ihre eigene Zukunft ist. Acht Monate nach Kriegsbeginn lag die durchschnittliche Zustimmungsrate in der EU27 für die EU-Unterstützung für die Ukraine bei erstaunlichen 73%. Nur vier Länder – Bulgarien, Zypern, die Slowakei und Griechenland – meldeten Zustimmungswerte von weniger als 50%. Darüber hinaus sind laut einer im März 2023 durchgeführten Umfrage durchschnittlich 59% der Bürger in acht mittel- und osteuropäischen EU-Ländern der Meinung, dass die Sanktionen gegen Russland beibehalten werden sollten.
Unterdessen ergab eine Umfrage des Kiewer Internationalen Instituts für Soziologie vom Februar 2023, dass 87% der Ukrainer der Meinung sind, dass die Ukraine unter keinen Umständen einen Teil ihres Territoriums aufgeben sollte, selbst wenn der Krieg länger dauert. Dies ist ein Anstieg um fünf Prozentpunkte gegenüber dem Mai 2022.
Die verschiedenen Blöcke
Bei der Unterstützung durch die Bevölkerung gibt es erhebliche Unterschiede zwischen den EU-Ländern. Krastev und Leonard (2023) stellen fest, dass sich drei verschiedene Blöcke in der öffentlichen Meinung herausgebildet haben: die nördlichen und östlichen Falken (Estland, Polen, Dänemark und Großbritannien), der zweideutige Westen (Frankreich, Deutschland, Spanien, Portugal) und die südlichen Schwachstellen (Italien und Rumänien). Aus der obigen Abbildung wurde die anhaltende Unterstützung in Ländern aus jeder dieser Gruppen deutlich.
Selbst unter den Mitgliedstaaten mit der geringsten Unterstützung sind einige interessante Ergebnisse zu beobachten. Als man die Bürger bat, zwischen zwei gegensätzlichen Aussagen darüber zu wählen, ob Sanktionen höhere Preise wert seien oder nicht, war Ungarn das einzige der neun befragten EU-Länder, in dem die Mehrheit der Meinung war, dass sich Sanktionen nicht lohnten:
Vergleich der öffentlichen Meinung zu Sanktionen
Überraschenderweise ist die Zahl derer, die der Meinung sind, dass es am wichtigsten ist, den Krieg so schnell wie möglich zu beenden, selbst wenn die Ukraine Territorium an Russland abtreten müsste, laut der von Krastev und Leonard berichteten Umfrage vom Januar 2023 fast durchgängig zurückgegangen. Bemerkenswerte Rückgänge gab es in Rumänien und Italien – den Ländern, die als die „schwachen Glieder des Südens“ bezeichnet werden. Dies könnte darauf zurückzuführen sein, dass die Bürger auf lange Sicht eher bereit sind, die Ukraine zu unterstützen.
Das Wichtigste ist, den Krieg so schnell wie möglich zu beenden – selbst wenn die Ukraine Territorium an Russland abgeben muss
Die Stimmung in den USA
Die Hilfen der USA für die Ukraine beliefen sich im ersten Kriegsjahr auf 0,37% des amerikanischen BIP. Die Bereitschaft in den USA, die Kosten für die Unterstützung der Ukraine zu tragen, folgte einem ähnlichen Muster wie in der EU – nämlich einem langsamen Rückgang über das gesamte politische Spektrum hinweg.
Welchen Preis sind Sie bereit, für die Hilfe der USA an die Ukraine zu zahlen?
Dieser Rückgang könnte ein Zeichen für die „Ungeduld“ mit dem Krieg in der Ukraine sein (insbesondere unter den Republikanern). Aber es gibt auch Anzeichen für eine anhaltende Unterstützung. Das derzeitige Niveau der US-Militärausgaben zur Unterstützung der Ukraine ist nach Ansicht von 42% der Befragten entweder zu gering oder in etwa richtig, während 33% sagen, es sei zu viel. Interessanterweise gibt es eine starke Präferenz dafür, die Unterstützung für ein bis zwei Jahre aufrechtzuerhalten (46%), während nur 38% akzeptieren würden, die Ukraine „so lange wie nötig“ zu unterstützen.
Während es eine klare Spaltung entlang der Parteigrenzen gibt, ist der Rückhalt sowohl bei Demokraten als auch Republikanern gesunken. Dies bedeutet, dass sich die amerikanische Unterstützung für die Ukraine noch vor den Wahlen 2024 ändern könnte. Ein geringerer Rückhalt im gesamten politischen Spektrum während der bevorstehenden Wahlsaison könnte zu einer geringeren Unterstützung durch die Regierung Biden oder den Kongress führen, da beide Seiten um Stimmen buhlen. Und ein möglicher Sieg der Republikaner könnte unter bestimmten Umständen die Unterstützung durch die USA beenden oder drastisch einschränken.
Schlussfolgerungen
Ein Nachlassen der öffentlichen Unterstützung für die Ukraine wäre zu erwarten gewesen, als sich die Kosten und wirtschaftlichen Folgen des Krieges über die Inflation auf die EU-Haushalte auswirkten. Doch die Unterstützung für die Ukraine ist nach wie vor groß, was darauf hindeutet, dass die Öffentlichkeit die weiterreichenden Auswirkungen des Kriegsausgangs auf die europäische Sicherheit durchaus versteht. Die Öffentlichkeit steht mit überwältigender Mehrheit auf der Seite der Ukrainer, die eindeutig als Opfer einer Aggression wahrgenommen werden.
Dies steht im Einklang mit der wachsenden Unterstützung für die Beibehaltung oder Erhöhung der Verteidigungsausgaben. Eine wachsende Mehrheit der NATO-Bürger (74% im Jahr 2022 gegenüber 70% im Jahr 2021) ist der Meinung, dass die Verteidigungsausgaben entweder auf dem derzeitigen Niveau beibehalten oder erhöht werden sollten (mit einigen signifikanten Unterschieden zwischen 85% und 52%, aber immer mit einer Mehrheit dafür). Nur 12% sind der Meinung, dass weniger für die Verteidigung ausgegeben werden sollte.
Allerdings könnte die öffentliche Unterstützung in Zukunft weiter zurückgehen. Wenn die Nachrichten vom Schlachtfeld auf einen langwierigen Konflikt hindeuten, in dem keine der beiden Seiten militärisch siegen kann, dann könnte etwa die sinkende Unterstützung durch die USA die öffentliche Meinung in der EU beeinflussen. Eine erfolgreiche ukrainische Gegenoffensive wäre hingegen ein wichtiger Faktor für die Fortsetzung der westlichen Unterstützung des Krieges. Sollten keine Fortschritte auf dem Schlachtfeld erzielt werden, könnten Stimmen, die eine Friedenslösung fordern, selbst wenn diese für die Ukraine ungünstig ausfällt, in der öffentlichen Debatte an Gewicht gewinnen. Bei den anstehenden Wahlen könnte dies den politischen Parteien zugute kommen, die weniger geneigt sind, die Ukraine „so lange wie nötig“ zu unterstützen.
Die europäischen Politiker müssen sich daher auf mehrere Szenarien einstellen. Bedeutende ukrainische Erfolge auf dem Schlachtfeld in naher Zukunft könnten den Weg für eine positive Lösung und die Wiederherstellung der ukrainischen Souveränität und des Wiederaufbaus ebnen. Die EU muss sich jedoch auch auf den komplexeren Ausgang eines langwierigen Krieges vorbereiten, der anhaltende Anstrengungen zur Unterstützung der ukrainischen Bevölkerung erfordern würde.
Zu den AutorInnen:
Maria Demertzis ist Senior Fellow beim Thinktank Bruegel und Professorin für Wirtschaftspolitik an der School of Transnational Governance am Europäischen Hochschulinstitut in Florenz. Camille Grand ist Distinguished Policy Fellow beim European Council on Foreign Relations. Zuvor war er unter anderem zwischen 2016 und 2022 als stellvertretender Generalsekretär für Verteidigungsinvestitionen bei der NATO tätig. Luca Léry Moffat arbeitet bei Bruegel als wissenschaftlicher Mitarbeiter, wo dieser Beitrag zuerst in englischer Sprache erschienen ist.