Teile des deutschen Leistungsbilanzüberschusses sind darauf zurückzuführen, dass Deutschlands realer Wechselkurs unterbewertet ist. Um diesen zu erhöhen, müssten die Löhne stärker steigen. Ein Beitrag von Simon Wren-Lewis.
Ich habe es endlich geschafft, dieses exzellente eBook über Deutschlands außergewöhnlichen Aufholprozess zu lesen. Das deutsche Bruttoinlandsprodukt ist seit der globalen Finanzkrise stärker gewachsen als das französische oder das der Eurozone, wie der folgende Chart zeigt:
Quelle: OECD Economic Outlook Database 103
Bemerkenswert ist insbesondere die relative Performance bei der Senkung der Arbeitslosigkeit:
Quelle: OECD Economic Outlook Database 103
Dieser enorme Erfolg wird in zwei Kapiteln diskutiert – und beide legen nahe, dass er eher auf Veränderungen im Verhältnis von Gewerkschaften und Unternehmen als auf die Hartz-Reformen zurückzuführen ist (John Springford verwendet in seinem Beitrag einen schönen Chart, der zeigt, wie sich die deutsche Philips-Kurve verschoben hat). Ich weise schon seit einiger Zeit daraufhin, dass die deutschen Lohnzuwächse seit dem Jahr 2000 gemessen am 2%-Inflationsziel zu niedrig waren. Dies hat dazu beigetragen, einen Exportboom voranzutreiben und den Leistungsbilanzüberschuss auf 8% des BIP zu steigern.
Andere Kapitel des eBooks argumentieren, dass es noch weitere Faktoren für den Exportboom gab, die mindestens genauso oder noch wichtiger waren, wovon ich ebenfalls überzeugt bin. Allerdings möchte in diesem Beitrag folgenden Punkt machen: Wenn diese Faktoren permanenter Natur sind, dann impliziert das, dass Deutschlands realer Wechselkurs irgendwann steigen muss. Das ist nichts anderes, als zu sagen, dass nicht der gesamte deutsche Leistungsbilanzüberschuss struktureller Natur ist – Teile des Überschusses sind darauf zurückzuführen, dass Deutschlands realer Wechselkurs unterbewertet ist.
Es gibt zwei Möglichkeiten, wie der reale Wechselkurs steigen kann. Die erste besteht in einer Aufwertung des Euros, und die zweite darin, dass die deutsche Inflationsrate höher ist als die durchschnittliche Inflationsrate in der Eurozone.
Der folgende Chart zeigt einen Indikator für die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands und der Eurozone als Ganzes:
Anmerkung: Ein Anstieg des Index zeigt eine reale effektive Aufwertung und eine korrespondierende Verschlechterung der Wettbewerbsposition an. Quelle: OECD Economic Outlook Database 103
Das Niveau ist arbiträr – entscheidend ist, wie sich die zwei Linien im Zeitverlauf und relativ zueinander bewegen. Man kann erkennen, wie Deutschland seit dem Jahr 2000 bis zur Finanzkrise an Wettbewerbsfähigkeit gegenüber den anderen Euroländern gewonnen hat. Zudem sieht man, dass dieser Vorsprung während der letzten sieben oder acht Jahre etwas, aber nicht vollständig wettgemacht wurde. Das Niveau der Eurozone liegt leicht unter dem historischen Durchschnitt und dem Niveau von 2010, als es meinen Berechnungen zufolge nahe der Gleichgewichtsrate zum Dollar lag.
Es gibt möglicherweise etwas Raum für eine weitere Aufwertung des Euro. Aber es ist unwahrscheinlich, dass dies allein für die benötigte deutsche reale Aufwertung ausreichen wird. Die deutschen Nominallöhne sind in den letzten Jahren stärker als der Euro-Durchschnitt gestiegen, aber die Unterschiede waren gering – und sie müssen größer werden, um Deutschlands realen Wechselkurs auf ein nachhaltiges Niveau zu heben. Deutschland sollte das nicht als ein Problem ansehen, sondern vielmehr als einen Weg, wie sich der Exporterfolg in höhere Löhne für die Beschäftigten übersetzen ließe.
Zum Autor:
Simon Wren-Lewis ist Professor für Wirtschaftspolitik an der Oxford University und Fellow am Merton College. Außerdem betreibt er den Blog Mainly Macro, wo dieser Beitrag zuerst in englischer Sprache erschienen ist.
Die Bezeichnung QE-Programm (Quantitative Easing) ist nicht die offizielle Bezeichnung des Programms der EZB, sondern bezeichnet lediglich eine geldpolitische Methode, bei der die Zentralbank Schuldtitel kauft, um das Niveau der Marktzinsen nach unten zu drücken. Das QE-Programm heißt im offiziellen EZB-Sprachgebrauch Programm zum Ankauf von Vermögenswerten (Asset Purchase Programme, APP) und wurde Anfang 2015 beschlossen. Das APP bestand zunächst aus drei Einzelprogrammen zum Ankauf
gedeckter Schuldverschreibungen (CBPP 3, Start Oktober 2014),
forderungsbesicherter Wertpapiere (ABSPP, Start November 2014) und
von Wertpapieren des öffentlichen Sektors (PSPP, Start März 2015).
Im Juni 2016 kam das Programm zum Ankauf von Wertpapieren des Unternehmenssektors (CSPP) hinzu.
Eine genauere Beschreibung der einzelnen Programme finden Sie am Ende dieses Beitrags.
Die EZB hat für die einzelnen Programme keine konkreten Kaufvolumina, sondern lediglich monatliche Zielmarken für das gesamte APP festgelegt.
März 2015 bis März 2016: 60 Milliarden Euro
April 2016 bis März 2017: 80 Milliarden Euro
April 2017 bis Dezember 2017: 60 Milliarden Euro
Januar 2018 bis September 2018: 30 Milliarden Euro
Was kauft die EZB genau?
Der Blick auf die pro Monat aufgekauften Wertpapiere zeigt, dass die EZB durchaus die Zusammensetzung ihrer Käufe variiert hat und im Rahmen der einzelnen Programme unterschiedlich aktiv war. Auch lag das monatliche Kaufvolumen nicht immer präzise bei den angekündigten 60 bzw. 80 Milliarden Euro – allerdings hat die EZB während der jeweiligen Phasen im Durchschnitt doch ziemlich exakt das angekündigte Volumen gekauft.
Die unterschiedliche Gewichtung der Unterprogramme wird im folgenden Chart noch etwas deutlicher. Dieser zeigt, wie hoch der Anteil der jeweiligen Programme während der einzelnen Monate seit Start des APP im März 2015 war. Daraus wird ersichtlich, dass die EZB den Anteil der gekauften Staatsanleihen zuletzt wieder etwas reduziert hat (von in der Spitze über 90% auf zuletzt etwa 80%).
Worauf es zu achten gilt: Konkrete Umsetzung und Reinvestitionen fälliger Anleihen
In den kommenden Monaten gilt es also vor allem zu beobachten, wie die EZB die angekündigte Reduzierung ihres Aufkaufvolumens konkret umsetzt, weil sich dies auf die betroffenen Marktsegmente unterschiedlich auswirken wird. So hat die EZB wie oben gezeigt seit Start ihrer Aufkaufprogramme demonstriert, dass sie in der Lage und gewillt ist, die angekündigten Kaufvolumina auch tatsächlich umzusetzen. Das heißt, dass die gesamten APP-Bestände in ihrer Bilanz ungefähr dem im folgenden Chart skizzierten Verlauf (rote gestrichelte Linie) folgen und Ende September 2018 ein Gesamtvolumen von ca. 2,6 Billionen Euro erreichen dürften – die Frage ist eben lediglich, durch welche Wertpapiere die große weiße Lücke im Chart konkret gefüllt wird.
Es muss auch berücksichtigt werden, dass das APP noch lange über sein eigentliches Ende hinaus Wirkung entfalten wird. So hat die EZB bereits im Dezember 2015 angekündigt, die Einkünfte aus bis zur Fälligkeit gehaltenen Anleihen wieder zu reinvestieren und dieses Versprechen auf der Oktober-Ratssitzung noch einmal erneuert und präzisiert. Sollte also beispielsweise eine deutsche Staatsanleihe 2019 fällig und die EZB vom deutschen Staat ausbezahlt werden, wird sie – Stand heute – dieses Geld für den erneuten Erwerb einer (deutschen) Staatsanleihe nutzen. Ihre Bestände an Staatsanleihen werden sich somit nicht zwangsläufig verringern und ihre Präsenz auf den Märkten auch nicht sehr viel kleiner werden – sie schafft nur kein neues Geld, um Staatsanleihen zu erwerben.
QE-Käufe nach Ländern
Die EZB hat beim Start des PSPP (also des Staatsanleihen-Programms) angekündigt, dass sich das Kaufvolumen am Kapitalschlüssel der beteiligten Länder orientieren soll. Jedoch ist die EZB von diesem Ziel deutlich abgewichen: Sie hat mehr Staatsanleihen der großen Eurostaaten gekauft, als dies eigentlich nach dem Kapitalschlüssel angemessen gewesen wäre. So machen beispielsweise deutsche Staatsanleihen mittlerweile knapp 27% des aufgekauften Staatsanleihen-Portfolios aus, obwohl der deutsche Kapitalschlüssel nur bei knapp 18% liegt.
Diese „Bevorzugung“ der großen Staaten könnte unter anderem darauf zurückzuführen sein, dass es bei den kleineren Ländern schlicht nicht genug Anleihen gibt, damit die EZB ihr angepeiltes Kaufvolumen erreichen kann. Es wird sich zeigen, ob die EZB somit ihr Kaufverhalten ändern wird, wenn sie nur noch eine kleinere Summe an Staatsanleihen aufkaufen muss.
Bilanzsumme
Die im Rahmen des QE-Programms getätigten Käufe machen inzwischen fast die Hälfte der insgesamt knapp 4,4 Billionen Euro großen EZB-Bilanz aus. Wenn die EZB die Summe der monatlichen Anleihekäufe ab Januar senkt, ist in der kurzen Frist zu erwarten ist, dass sich die EZB-Bilanz zunächst etwas langsamer ausweiten wird. Um die tatsächliche expansive Wirkung der Geldpolitik zu beurteilen ist es aber auch notwendig zu beobachten, wie sich die übrigen Posten der Bilanz verändern, was aus heutiger Sicht aber nicht abschätzbar ist.
Glossar: Die Programme im Detail
Das erste Programm zum Ankauf gedeckter Schuldverschreibungen (Covered Bond Purchase Programme, CBPP) wurde bereits 2009 von der EZB beschlossen, um nach der Finanzkrise den Markt für diese Papiere (z. B. Pfandbriefe) zu stabilisieren und Refinanzierungsproblemen der Banken entgegenzuwirken. Innerhalb eines Jahres wurden Wertpapiere im Gesamtvolumen von 60 Milliarden Euro angekauft. Ein zweites CBPP mit folgte dann von November 2011 bis Oktober 2012. Das aktuell laufende dritte CBPP wurde im Oktober 2014 verabschiedet.
Das Programm zum Ankauf forderungsbesicherter Wertpapiere (Asset Backed Securities Purchase Programme, ABSPP) wurde im September 2014 in Verbindung mit dem Programm zum Ankauf gedeckter Schuldverschreibungen (CBPP 3) beschlossen. Dabei werden ABS-Papiere am Primär- und Sekundärmarkt aufgekauft.
Im Rahmen des Programms zum Ankauf von Wertpapieren des öffentlichen Sektors (Public Sector Purchase Programme, PSPP) werden seit März 2015 Wertpapiere des öffentlichen Sektors wie Staatsanleihen sowie Schuldtitel europäischer Institutionen und Agenturen gekauft. Für die Ankäufe im Rahmen des PSPP gibt es detaillierte Regeln. So dürfen Staatsanleihen beispielsweise wegen des Verbots der monetären Staatsfinanzierung nur am Sekundärmarkt erworben werden. Es dürfen nur Papiere mit einer Laufzeit von mehr als einem Jahr aufgekauft werden. Zudem will die EZB nicht mehr als 33% aller auf den Sekundärmärkten befindlichen Papiere aufkaufen.
Mit dem Programm zum Ankauf von Wertpapieren des Unternehmenssektors (Corporate Sector Purchase Programme, CSPP) werden seit Juni 2016 auch Anleihen von Unternehmen in der Eurozone erworben. Ausgeschlossen sind Kreditinstitute und Unternehmen, deren Anleihen von den Ratingagenturen nicht mindestens als „Investment Grade“ bewertet werden. Die Anleihen müssen Laufzeiten zwischen sechs Monaten und 30 Jahren haben und können sowohl am Primärmarkt als auch am Sekundärmarkt gekauft werden.