USA

Die Ideologie des Donald J. Trump

Offenbar lehnt Donald Trump den Imperialismus ab, der seit 1945 für die US-Politik zum Allgemeingut geworden ist. Das bedeutet aber nicht, dass er die Hegemonie der USA aufgeben wird. Ein Beitrag von Branko Milanovic.

Bild: Pixabay

Hat Donald J. Trump eine Ideologie – und wenn ja, welche? Der erste Teil der Frage ist überflüssig: Jeder Mensch hat eine Ideologie, und wenn wir glauben, dass er keine hat, dann deswegen, weil es sich um eine Mixtur aus Teilen verschiedener dialogischer Rahmen handelt, die einfach neu arrangiert werden und daher schwer zu benennen sind. Das heißt aber nicht, dass es keine Ideologie gibt.

Der zweite Teil ist die Eine-Millionen-Dollar-Frage. Denn wenn wir Trumps Ideologie identifizieren könnten, wären wir in der Lage, vorherzusagen oder zu erraten (das Element der Volatilität ist hoch), wie seine Politik in den nächsten vier Jahren aussehen könnte.

Der Grund, warum die meisten Menschen nicht in der Lage sind, ein kohärentes Argument über Trumps Ideologie vorzubringen, liegt darin, dass sie entweder von Hass oder Bewunderung geblendet sind oder weil sie das, was sie in ihm sehen, nicht in einen ideologischen Rahmen bringen können, dem ein Name zugeordnet ist und an den sie gewöhnt sind.

Bevor ich versuche, die Frage zu beantworten, möchte ich zwei meiner Meinung nach völlig falsche Bezeichnungen für Trump zurückweisen: Faschist und Populist. Wenn Faschist als Schimpfwort verwendet wird, ist das in Ordnung und wir können es frei verwenden. Aber als Begriff in einer rationalen Diskussion über Trumps Überzeugungen ist er falsch. Faschismus als Ideologie impliziert exklusiven Nationalismus, eine Verherrlichung des Anführers, eine Betonung der Macht des Staates gegenüber Privatpersonen und dem Privatsektor, die Ablehnung des Mehrparteiensystems, korporatistische Herrschaft, das Ersetzen der Klassenstruktur der Gesellschaft durch einen einheitlichen Nationalismus und quasi religiöse Verehrung der Partei, des Staates und des Anführers. Ich brauche nicht auf jedes dieser Elemente einzeln einzugehen, um zu zeigen, dass sie nicht viel mit dem zu tun haben, was Trump glaubt oder was er durchsetzen will.

Auch der Begriff „Populist“ ist in letzter Zeit zu einem Schimpfwort geworden, und trotz einiger (meiner Meinung nach ziemlich erfolgloser) Versuche, ihn besser zu definieren, steht er in Wirklichkeit für Politiker, die Wahlen auf einer Plattform gewinnen, die „uns“ gefällt. Dann wird der Begriff bedeutungslos.

Was sind nun die Bestandteile von Trumps Ideologie, wie wir sie in den letzten vier Jahren seiner Herrschaft kennengelernt haben?

1.

Merkantilismus: Der Merkantilismus ist eine alte und geheiligte Ideologie, die die ökonomische Aktivität und insbesondere den Handel mit Waren und Dienstleistungen zwischen den Staaten als Nullsummenspiel betrachtet. Historisch gesehen ging er mit einer Welt einher, in der Reichtum aus Gold und Silber bestand. Wenn man davon ausgeht, dass die Menge an Gold und Silber begrenzt ist, dann ist der Staat und sein Anführer, der mehr Gold und Silber besitzt (unabhängig von allen anderen Gütern), eindeutig mächtiger.

Die Welt hat sich seit dem 17. Jahrhundert weiterentwickelt, aber viele Menschen glauben immer noch an die merkantilistische Doktrin. Wenn man darüber hinaus glaubt, dass der Handel nur ein Krieg mit anderen Mitteln ist und dass der Hauptrivale oder -gegner der Vereinigten Staaten China ist, ist eine merkantilistische Politik gegenüber China eine ganz natürliche Reaktion. Als Trump 2017 eine solche Politik gegenüber China einleitete, war sie nicht Teil des Mainstream-Diskurses, ist aber seitdem in die politische Mitte gerückt. Joe Bidens Regierung folgte diesem Ansatz und weitete ihn erheblich aus. Und wir können davon ausgehen, dass Trump ihn noch weiter ausbauen wird.

Aber Merkantilisten sind, und Trump wird es sein, transaktionsorientiert: Wenn China zustimmt, weniger zu verkaufen und mehr zu kaufen, wird er zufrieden sein. Anders als Biden wird Trump nicht versuchen, das chinesische Regime zu untergraben oder zu stürzen. Im Gegensatz zu vielen anderen bin ich also der Meinung, dass Trump gut für China ist (wenn man die Alternativen bedenkt).

2.

Gewinnstreben: Wie alle Republikaner glaubt auch Trump an den privaten Sektor – und dass dieser durch Vorschriften, Regeln und Steuern unangemessen behindert wird. Trump war ein Kapitalist, der nie Steuern zahlte, was seiner Meinung nach einfach zeigt, dass er ein guter Unternehmer war. Aber für andere, weniger bedeutende Kapitalisten, sollten die Vorschriften vereinfacht oder abgeschafft und die Steuern gesenkt werden. Im Einklang mit dieser Ansicht steht die Überzeugung, dass die Steuern auf Kapital niedriger sein sollten als die Steuern auf Arbeit. Unternehmer und Kapitalisten schaffen Arbeitsplätze, andere sind, in Ayn Rands Worten, „Schnorrer“.

Das ist nichts Neues bei Trump. Es ist die gleiche Doktrin, die seit Reagan und auch von Bill Clinton vertreten wurde. Trump mag nur lautstarker und offener für niedrige Steuern eintreten, aber er würde dasselbe tun, was Bush Sr., Clinton und Bush Jr. taten. Und an das auch die liberale Ikone Alan Greenspan fest glaubte.

3.

Einwanderungsfeindlicher „Nationalismus“: Dies ist ein wirklich schwieriger Teil. Der Begriff „Nationalismus“ lässt sich nur schwer auf amerikanische Politiker anwenden, weil die Menschen an „exklusive“ (nicht integrative) europäische und asiatische Nationalismen gewöhnt sind. Wenn wir von japanischem Nationalismus sprechen, meinen wir, dass Japaner ethnisch nicht-japanische Menschen entweder von der Entscheidungsfindung oder gleich ganz aus dem Land ausschließen möchten. Das Gleiche gilt für den serbischen, estnischen, französischen oder kastellanischen Nationalismus.

Der amerikanische Nationalismus kann seinem Wesen nach nicht ethnisch oder blutsverwandt sein, weil die Menschen, aus denen sich die Vereinigten Staaten zusammensetzen, sehr heterogen sind. Kommentatoren haben daher einen neuen Begriff erfunden: den „weißen Nationalismus“. Es ist ein bizarrer Begriff, weil er die Hautfarbe mit ethnischen (Blut-)Beziehungen verbindet.

Ich denke, dass das entscheidende Merkmal von Trumps „Nationalismus“ weder ethnisch noch rassisch ist, sondern einfach die Abneigung gegen neue Migranten. Er unterscheidet sich im Wesentlichen nicht von der migrationsfeindlichen Politik, die heute im Herzen der sozialdemokratischen Welt, in den nordischen und nordwesteuropäischen Ländern, betrieben wird, wo die rechtsgerichteten Parteien in Schweden, den Niederlanden, Finnland und Dänemark finden (in der berühmten Formulierung des niederländischen Rechtsaußen Geert Wilders), dass ihre Länder „voll“ sind und keine weiteren Einwanderer aufnehmen können. Trumps Ansicht ist nur deshalb ungewöhnlich, weil die USA objektiv nach keinem Kriterium ein volles Land sind: Die Zahl der Menschen pro Quadratkilometer beträgt in den Vereinigten Staaten 38, während sie beispielsweise in den Niederlanden bei 520 liegt.

4.

Eine Nation für sich selbst: Wenn man Merkantilismus mit einwanderungsfeindlichem Nationalismus kombiniert, kommt man dem nahe, wie die US-Außenpolitik unter Trump aussehen wird. Es wird die Politik des nationalistischen Antiimperialismus sein.

Ich muss diese Begriffe erst einmal auseinandernehmen. Diese Kombination ist ungewöhnlich, vor allem für Großmächte: Wenn sie groß, nationalistisch und merkantilistisch sind, versteht man fast intuitiv, dass sie imperialistisch sein müssen. Trump widersetzt sich jedoch diesem Nostrum. Er beruft sich auf die Außenpolitik der Gründerväter, die „ausländische Verstrickungen“ verabscheuten. Die USA sind ihrer und seiner Ansicht nach eine mächtige und reiche Nation, die ihre Interessen wahrnimmt, aber sie sind keine „unentbehrliche Nation“, wie Madeleine Albright sie einst definierte. Es ist nicht die Aufgabe der Vereinigten Staaten, jedes Unrecht in der Welt zu korrigieren (in der optimistischen oder eigennützigen Sichtweise dieser Doktrin) oder ihr Geld für Menschen und Angelegenheiten zu verschwenden, die nichts mit ihren Interessen zu tun haben (in der realistischen Sichtweise derselben Doktrin).

Es ist schwer zu sagen, warum Trump den Imperialismus ablehnt, der seit 1945 für beide US-Parteien zum Allgemeingut geworden ist. Aber ich denke, dass er instinktiv dazu neigt, die Werte der US-Gründerväter und von Leuten wie dem republikanischen Gegenspieler von FDR, Robert Taft, zu unterstützen, der an die wirtschaftliche Stärke der USA glaubte und keine Notwendigkeit sah, diese Stärke in eine hegemoniale politische Herrschaft über die Welt umzuwandeln.

Das bedeutet nicht, dass Trump die Hegemonie der USA aufgeben wird (die NATO wird nicht aufgelöst), denn, wie Thukydides schrieb:

„Es ist euch nicht mehr möglich, dieses Reich aufzugeben, auch wenn es einige Leute geben mag, die in einer Stimmung plötzlicher Panik und im Geiste politischer Apathie tatsächlich denken, dass dies eine feine und edle Sache wäre. Euer Imperium ist jetzt wie eine Tyrannei: Es mag falsch gewesen sein, es zu erobern; es ist sicherlich gefährlich, es loszulassen.“

Aber im Lichte von Trumps merkantilistischen Prinzipien würde er die Verbündeten der USA viel mehr dafür zahlen lassen. Wie in Perikles‘ Athen wird es Schutz nicht mehr umsonst geben. Man sollte nicht vergessen, dass die wunderschöne und von uns allen bewunderte Akropolis mit Gold gebaut wurde, dass den Alliierten gestohlenen worden war.

 

Zum Autor:

Branko Milanovic ist Professor an der City University of New York und gilt als einer der weltweit renommiertesten Forscher auf dem Gebiet der Einkommensverteilung. Milanovic war lange Zeit leitender Ökonom in der Forschungsabteilung der Weltbank. Er ist Autor zahlreicher Bücher und von mehr als 40 Studien zum Thema Ungleichheit und Armut. Außerdem betreibt er den Substack Global Inequality and More 3.0, wo dieser Beitrag zuerst in englischer Sprache erschienen ist.