Sharing Economy

Die falschen Versprechungen einer Geiz-ist-geil-Branche

Die sogenannte Sharing Economy gibt Wissenschaft und Politik nach wie vor Rätsel auf – bisher besteht nicht einmal Konsens über den Namen oder die Definition dieser neuen Form des Wirtschaftens. Dabei hängt von der Reaktion der Aufsichtsbehörden ab, ob die Expansion der Branche weitergeht.

Anti-Uber-Protest Londoner Taxifahrer im Juni 2014: Die Sharing Economy drückt die Preise für Arbeit. Foto: David Holt via Flickr (CC BY 2.0)

Viele Milliarden Risikokapital fließen jedes Jahr in Unternehmen der sogenannten Sharing Economy. Diese Wirtschaft des „Teilens“ verheißt, die Welt besser zu machen. Die Investmentbank Morgan Stanley setzt sie mit „nachhaltigem Wirtschaften“ gleich. Der wissenschaftliche Dienst des EU-Parlaments beziffert die Kosten dafür, dass es keinen einheitlichen Sharing-Binnenmarkt gibt, auf 572 Milliarden Euro! Zudem dienten neue Beschäftigungsmöglichkeiten dem Abbau der Ungleichheit. Und die EU-Kommission hat den Regierungen verboten, die Sharing Economy zu diskriminieren, um etablierte Geschäftsmodelle zu schützen. Verrückt!

Was das sein soll, diese Wirtschaft des Teilens, auch „kollaborative Wirtschaft“ genannt, davon hat jeder Studien- und Richtlinienschreiber eigene Vorstellungen. Doch die meisten dieser Definitionen passen auf die Flaggschiffe dieses neuen Wirtschaftsmodells wie den Taxi-Schreck Uber und den Hotel-Konkurrenten Airbnb allenfalls leidlich. Im Fachblatt MIT Sloan Management Review beschreiben Kurt Matzler und Mitarbeiter Sharing Economy so: „Statt Produkte zu kaufen und zu besitzen, sind die Konsumenten zunehmend daran interessiert, sie zu leasen und gemeinsam zu nutzen.“ Diese gebräuchliche Beschreibung passt auf das gute alte Carsharing – aber nicht auf Uber oder Airbnb.

Kein Konsens über Namen oder Definition

Der wissenschaftliche Dienst des EU-Parlaments schreibt, es gebe auf EU-Ebene keinen Konsens über den Namen oder die Definition dieser neuen Wirtschaftsmodelle. Er definiert Sharing Economy als „Nutzung von Plattformen oder Portalen, um die Mindestgröße oder Mindestkundenzahl für lohnende Miettransaktionen zu senken und so den Grad der Unterauslastung des Objekts zu reduzieren“. Eine Art Ebay für Zweitverwertung durch Vermietung statt Verkauf also.

Das passt auf Airbnb, eine Zimmervermittlung, die Hotels und Ferienwohnungsanbietern das Wasser abgräbt. Es passt aber nicht recht auf Uber. Denn die Arbeitsleistung der Fahrer, die einen wesentlichen Teil dessen ausmachen, was Uber vermittelt, ist nicht wirklich eine Miettransaktion. Es werden auch keine Fahrten durch Mitnahme von Dritten auf ohnehin geplanten Trips ersetzt, sondern es fährt ein Uber-Fahrer statt des Taxifahrers oder statt des Kunden selbst.

Die Definition passt auch nicht richtig auf Carsharing, also den gemeinsamen Besitz von Autos. Dabei ist Carsharing das Paradebeispiel derer, die sich von gemeinsamem Besitz positive Umweltwirkungen versprechen.

Andere Definitionen gehen so weit, dass sie fast alles einschließen, was mit Mieten über Onlineplattformen zu tun hat. Da ist Uber dabei, aber eigentlich auch sonst fast alles – weil zum Beispiel auch Hotelzimmer und sehr viel anderes heute online über Anbieter wie HRS oder Booking gebucht werden. Mit Nachhaltigkeit hat das kaum noch etwas zu tun.

In einer Studie für die EU etwa schreibt das Beratungsunternehmen PwC: „Aufgrund des Fehlens von wissenschaftlichen Veröffentlichungen zur Sharing Economy begrenzen wir ihre Definition auf Unternehmen, die zugangsbasierte Geschäftsmodelle für Konsumenten-zu-Konsumenten-Marktplätze oder für ihre eigenen Nutzergruppen einsetzen.“ Man merkt, wie schwer sie sich tun. Die Autoren einer Studie des Wirtschaftssachverständigenrats der französischen Regierung verzichten ganz auf Begriffe aus dem Marketing-Jargon wie Sharing Economy oder Collaborative Economy und sprechen einfach von digitaler Ökonomie.

Werbliche Namen sollen Nachteile verdecken

Der werbliche Charakter von Begriffen wie Sharing Economy und Collaborative Economy kommt nicht von ungefähr. Denn ganz ohne Nachteile geht es auch bei der Sharing Economy nicht ab. Das führt zu Gegenreaktionen. Buchautorin Rachel Botsman, die in Oxford einen MBA-Kurs in „Kollaborativer Wirtschaft“ lehrt, hält einengende Regulierungen der Sharing Economy für unnötig und vergeblich.  Dahinter stünden meist die Interessen der Anbieter mit bedrohten Geschäftsmodellen. Uber etwa vermittelt Taxidienstleistungen, aber eben deutlich billiger, weil es keine Mindestlöhne für die Fahrer gibt und Uber sich auch nicht an die für Taxiunternehmen und deren Fahrer geltenden Regeln halten will.

Befürworter solcher Geschäftsmodelle, wie Botsman, halten die Übertragung derartiger Vorschriften aus der analogen Welt auf digitale Varianten für unangemessen. Die Plattformen hätten ausgefeilte Methoden zur Reputationsbildung über gegenseitige Bewertungen entwickelt, die oft im Ergebnis besser seien, als das, was die staatliche Regulierung an Kunden- oder Anbieterschutz erreiche.

Ein wichtiges Thema sind die Steuern. Gewerbliche Hoteliers oder Taxiunternehmen, die der vollen Steuerlast unterliegen, tun sich schwer, mit Privatleuten zu konkurrieren, die keine Steuern zahlen müssen oder dies einfach nicht tun. Was die Vermietung von Wohnungen angeht, wird gern eine Vereinbarung der Stadt Amsterdam mit Airbnb als Vorbild für „Selbstregulierung“ angeführt.  Sie besagt, dass Airbnb von den Vermietern die fälligen Steuern eintreibt und abführt.

Heikler ist die Sache mit den Arbeitnehmerrechten. Durch die Aufspaltung von Tätigkeiten in einzeln ausgeschriebene kleine Jobs steigt die Konkurrenz unter den Arbeitsanbietern. Das drückt die Preise für Arbeit – zum Vorteil von Uber und Co., die sich mit den Kunden den Gewinn aus den gedrückten Löhnen teilen.

Für den wissenschaftlichen Dienst des EU-Parlaments ist das nur ein Abzugsposten vom Vorteil der zusätzlichen Verdienstmöglichkeiten. Morgan Stanley dagegen sortiert die Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt nach Licht und Schatten ein. Denn klar ist, dass die Uber-Fahrten oft zulasten besser bezahlter und fest angestellter Arbeitnehmer gehen. Nimmt man mit ins Bild, dass einige Investoren, die ihr Geld in künftige Quasi-Monopolisten stecken, reich und dafür die Arbeitsbedingungen immer prekärer werden, wird die Verheißung eines Rückgangs der Ungleichheit durch die Sharing Economy mehr als fragwürdig.

Eingebaute Tendenz zur Marktmacht

Die Aussicht, dass es zur Bildung marktbeherrschender Stellungen kommt, zieht sich durch alle Analysen. Das könnte für Kunden höhere Preise, für Leistungsanbieter niedrigere Vergütungen bedeuten. Ein Gegenmittel fehlt – außer vielleicht der etwas futuristisch anmutenden Verheißung von Morgan Stanley, dass die dezentrale Blockchain-Technologie, wie sie der Digitalwährung Bitcoin zugrunde liegt, irgendwann genutzt werden könnte, um Vermittler wie Uber unnötig zu machen.

Was die Studien als wichtigste Triebfeder der Sharing Economy nennen, behagt Buchautorin Botsman gar nicht. „Es ist kein Zufall, dass die Sharing Economy während der Großen Rezession richtig losgelegt hat.“ Steigende Arbeitslosigkeit und sinkende Einkommen übten Druck auf die Konsumenten aus, ihre Dienstleistungen billiger einzukaufen und als Arbeitsanbieter jede Arbeitsgelegenheit zu nutzen. „Alle hielten die Sharing Economy für ein Kind der Not, das wieder verschwinden würde“, klagt Botsman, fügt aber hinzu: „Das hat sich in den letzten Jahren geändert.“

Für die Investoren der Sharing Economy ist es sehr wichtig, dass Botsman damit recht behält, und dass die Reaktionen der Aufsichtsbehörden die starke Expansion der Branche nicht dämpfen. Denn exorbitante Bewertungen setzten dauerhaft starkes Wachstum voraus. Airbnb etwa wird an der Börse mit 20 Milliarden Dollar bewertet, einem Vielfachen des für 2020 geschätzten Umsatzes. Wenn das Beispiel Berlins Schule machen sollte, private Vermietungen von Wohnungen an Besucher zu verbieten, ist das Wachstum der Gewinne, das dieser Bewertung zugrunde liegt, kaum zu erreichen. Ähnliches gilt für die 40-Milliarden-Dollar-Bewertung von Uber, wenn Verbote der Vermittlung von Privatfahrern ohne Beförderungsschein wie in Deutschland und Frankreich das Wachstum bremsen.

 

Zum Autor:

Norbert Häring ist Ökonom und Journalist. Er ist Redakteur des „Handelsblatts“ und bloggt auf norberthaering.de. Häring ist Gründer und Vorsitzender des EZB-Schattenrats sowie Ko-Direktor der ebenfalls von ihm mitbegründeten World Economics Association.

Hinweis:

Dieser Beitrag ist zuerst erschienen auf norberthaering.de.