Während der letzten Wochen ist das Gerede über einen möglichen globalen Handelskrieg lauter geworden. Nachdem US-Handelsminister Wilbur Ross Zölle auf Stahlimporte in Höhe von 24% vorgeschlagen hatte, kündigte die chinesische Regierung an, dass sie zurückschlagen würde, sollten die USA diese Schritte tatsächlich unternehmen. Und jetzt sieht es so aus, als wenn sich auch die Europäische Union ins Getümmel stürzt.
In der letzten Woche berichteten deutsche Zeitungen unter Berufung auf EU-Kreise, dass die Europäische Kommission bereits eine Liste mit Zielen für Vergeltungsmaßnahmen ausarbeitet habe. Darauf stünden Produkte aus US-Bundesstaaten, die für Donald Trump gestimmt hätten, oder deren Produzenten hauptsächlich in Wahlbezirken angesiedelt sind, in denen republikanische Kongressabgeordnete darum zittern müssen, bei den im November anstehenden Kongresswahlen wiedergewählt zu werden.
Für manche mag das ein Schock sein. Nach der Wahl Trumps haben viele Ökonomen die europäischen Politiker gedrängt, einen möglichen Handelskrieg nicht zu eskalieren. Sie fürchten, dass Vergeltungsschläge durch die EU zu weiteren Gegenmaßnahmen der USA führen könnten, und dass diese Retourkutschen-Spirale den globalen Handel deutlich stärker einschränken wird, als er dies in der Vergangenheit war. Auch diese Woche kommentierte die Frankfurter Allgemeine Zeitung in ähnliche Richtung.
Doch so nachvollziehbar dieses Argument auf den ersten Blick ist – bei näherer Betrachtung zeigt sich, dass die Strategie der EU-Kommission, mögliche Vergeltungsmaßnahmen vorzubereiten, die Bessere ist. Wenn die EU die globale regelbasierte Ordnung eines (relativ) freien Handels verteidigen will, darf sie Trump die Erhebung von willkürlichen und eigenmächtigen Zöllen nicht durchgehen lassen.
Denn beim globalen Freihandel geht es um mehr als nur niedrige Zölle. Es geht auch um die Vorhersagbarkeit und Planbarkeit von Zöllen. Die globalen Wertschöpfungsketten, die heutzutage einen großen Teil der Vorteile der Globalisierung ausmachen, sind auf dem Versprechen aufgebaut, dass man sich auf sie verlassen kann. Die willkürliche Einführung eines 20%-Zolls hier und eines 30%-Zolls da setzt diese Wertschöpfungsketten aufs Spiel. Sobald Unternehmen der Auffassung sind, dass sie sich nicht mehr auf die Regeln der Welthandelsordnung verlassen können, werden sie immer stärker in ihrer Heimat produzieren, was zu höheren Preisen für Konsumenten und einer niedrigeren Produktivität führt.
Ein klarer Verstoß gegen die WTO-Regeln
Die USA haben sich im Rahmen der Welthandelsorganisation (WTO) dazu verpflichtet, ihre Zölle nicht über eine bestimmte Rate hinaus zu erhöhen. Dabei handelt es sich um den sogenannten „gebundenen Zoll“ („bound tariff“). Das sind eine Art von Maximalzöllen, die nicht mehr überschritten werden dürfen. Dieser gebundene Zoll ist im Fall der USA nicht für alle Waren exakt gleich, aber für Eisen- und Stahlprodukte liegt er im Durchschnitt bei lediglich 0,3% – es gibt also kaum Zweifel, dass der Vorschlag eines globalen Zolls auf Stahlimporte in Höhe von 24% die Zusagen der USA verletzt, auch wenn Donald Trump behauptet, dies sei durch die „nationale Sicherheit“ motiviert.
Das Problem mit den WTO-Regeln ist, dass die Organisation sie nicht selbst durchsetzen kann. Damit ein Land, das die Regeln verletzt, zur Rechenschaft gezogen werden kann, muss zunächst ein anderes Land eine Beschwerde beim Schlichtungswesen der WTO einreichen. Zweitens muss dieses Land gewillt sein, Vergeltung gegen das Land zu üben, das die Regeln verletzt hat – ein gewonnenes WTO-Schlichtungsverfahren gibt lediglich das Recht zur Vergeltung, etwa durch Strafzölle, hat aber sonst keine Konsequenzen für den Regelverletzer.
Diese Anforderungen bedeuten, dass nur eine große und mächtige Handelspartei erfolgreich gegen die USA vorgehen kann. Es erfordert erhebliche Ressourcen, um einen Fall erfolgreich vor der WTO vorzubringen und durchzufechten. Und damit die im Erfolgsfall mögliche Vergeltung die USA überhaupt treffen würde, müsste die Gegenpartei über einen signifikanten Markt verfügen. Wenn etwa Liberia Zölle auf US-Importe erheben würde, dürften amerikanische Firmen davon wohl kaum Notiz nehmen.
Soweit wir wissen hat die EU-Kommission nicht vor, irgendwelche WTO-Regeln zu verletzen. Stattdessen plant sie, den WTO-Rahmen zu nutzen, um gegen die USA Vergeltungsmaßnahmen durchzuführen. Diese Vorgehensweise dürfte beinhalten, den Streit vor die WTO zu bringen, was wahrscheinlich zu einem Urteil führt, das es der EU erlaubt, mit bestimmten Zöllen zu antworten. Die EU könnte auch dem Beispiel Südkoreas folgen, das derzeit plant, in einem früheren WTO-Verfahren zugesprochene, aber nie angewandte Vergeltungszölle nun umzusetzen, um den Druck auf die USA zu erhöhen, oder Schutzmaßnahmen („safeguards“) im Rahmen der WTO-Regeln anzuwenden, die unverzüglich umgesetzt werden können, wenn Branchen erheblicher Schaden droht.
Dieser Weg könnte wie die Eskalation eines irrationalen Handelskrieges aussehen. Tatsächlich setzt die EU aber lediglich die globalen Handelsregeln durch. Wenn in der Vergangenheit große Handelspartner Fälle vor die WTO gebracht haben, hat dies Länder dazu gedrängt, sich stärker an den Geist und die Buchstaben des regelbasierten freien Handelssystems zu halten. Hätten beispielsweise die USA nicht den berühmten „Bananen-Streit“ vor die WTO gebracht, würde die EU heute wohl immer noch ihr altes absurdes Mehr-Klassen-Quoten-System für Bananenimporte betreiben.
Ähnlich sieht es im so genannten „Baumwoll-Streit“ zwischen den USA und Brasilien aus: Handelsexperten führen den Abbau der massiv marktverzerrenden Baumwollsubventionen in den USA auf den Druck zurück, den Brasilien mit seinen Vergeltungsmaßnahmen ausübte. War Baumwolle vor dem Handelsstreit noch eines der am stärksten subventionierten Agrarprodukte in den USA, rangiert es heute am unteren Ende der Skala. Vergeltungsmaßnahmen der EU gegen mögliche US-Zölle auf Stahlimporte muss man deshalb nicht als irrationales Verhalten sehen, sondern als europäischen Beitrag zum globalen öffentlichen Gut eines regelbasierten, liberalen Handelssystems.
Ein geplantes Leak?
Es ist auch absolut sinnvoll, sich verwundbare Unternehmen herauszusuchen, inklusive solcher, die in wichtigen Swing States oder in Bundesstaaten beheimatet sind, die bei den letzten Wahlen die Republikaner unterstützt haben: Hierbei geht es darum, bestimmte Kongressmitglieder umzustimmen, damit sie Trumps Handelspolitik in Frage stellen.
Es ist nicht klar, ob die Informationen über mögliche US-Produkte, die ins Visier der EU geraten könnten, bewusst an die Presse lanciert wurden oder ob die Kommission diese Informationen eigentlich geheim halten wollte. Allerdings wäre ein bewusstes Leak Teil einer rationalen und effektiven Vergeltungsstrategie: Die explizite Bedrohung individueller Unternehmen und Wahlbezirke könnte amerikanische Politiker bereits vor den Kongresswahlen im November unter Druck setzen, ohne aber tatsächlichen Schaden für Konsumenten und Unternehmen anzurichten. Diese Strategie hat durchaus das Potenzial, ein vorzeitiges Ende von Donald Trumps Zöllen zu befördern und so den Schaden eines Handelskonflikts zu reduzieren.
Die EU-Kommission wurde immer wieder für Fehler in ihrer Handelspolitik kritisiert, und oftmals auch zurecht. Aber dieses Mal hat die Kommission bisher alles richtig gemacht und man sollte ihr dafür Beifall spenden.
Zum Autor:
Sebastian Dullien ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) Berlin und Senior Policy Fellow beim European Council on Foreign Relations (ECFR), auf dessen Homepage dieser Beitrag zuerst in englischer Sprache erschienen ist.