Früher sah es bei vielen Metallbauern noch so aus: Ein Arbeiter legte den Werkzeugsatz in die Stanzmaschine, die mit Hilfe einer Schablone aus dem Stück Metall das Werkstück formte. Heute arbeiten moderne Betriebe anders. Nachdem die CNC-Maschine die Form des Werkstücks aus der Datenbank geladen hat, legt sie vollautomatisch die Werkzeuge ein, sendet Daten über den Fertigungsprozess und kommuniziert eigenständig mit anderen Maschinen entlang der Wertschöpfungskette. Die Prozesse werden immer vernetzter – und damit auch komplexer.
Unternehmen müssen somit nicht mehr nur in Maschinen investieren, sondern auch in Forschung und Entwicklung, Software, Datenbanken und in die Kompetenzen ihrer Mitarbeiter, die neuen Prozesse zu steuern. Sie investieren in sogenanntes Wissenskapital. Hierunter werden eine Reihe von immateriellen Vermögensgegenständen zusammengefasst, die wie Sachkapital einen langfristigen Wert für die Unternehmen darstellen.
Wissenskapital wird immer wichtiger. Seit 2007 hat sich der Einsatz von Wissenskapital in den USA, Frankreich, Deutschland und in anderen EU Ländern um mehr als 20% erhöht. Das hat mehrere Gründe, ein gewichtiger ist aber sicher die Digitalisierung. Laut Daten des DIW Berlin investiert die deutsche Wirtschaft heute bereits mehr in Wissenskapital als in klassische Anlagegüter.
Deutschland liegt im internationalen Vergleich zurück
Doch im internationalen Vergleich ist das immer noch zu wenig, wie wir in einer neuen Studie zeigen. Hierzu hat das DIW Berlin für uns erstmalig den Einsatz des Wissenskapitals in Deutschland erhoben und mit vergleichbaren Volkswirtschaften (Frankreich, Großbritannien, USA und der zusammengefassten Ländergruppe Finnland, Niederlande, Österreich) verglichen.
Betrachtet man den Einsatz des gesamten Wissenskapitals in der Wirtschaft, so lag Deutschland im Jahr 2017 ca. 15% hinter dem Spitzenreiter Frankreich zurück, jedoch auf ähnlichem Niveau wie die anderen Volkswirtschaften. Nur Großbritannien ist hier abgeschlagen, wie folgende Abbildung zeigt:
Deutlich zurück liegt Deutschland jedoch bei den Dienstleistungen und bildet zusammen mit Großbritannien sogar das Schlusslicht. Auch die Industrie investiert gerade einmal durchschnittlich in Wissenskapital, hier liegen Frankreich und die USA vorne.
Das liegt nicht daran, dass diese Länder wissensintensivere Strukturen hätten, die eben einen größeren Einsatz von Wissenskapital erfordern. Mittels eines Dekompositionsverfahrens können wir zeigen, dass der überwiegende Anteil der Unterschiede durch unterdurchschnittliche Investitionen der deutschen Unternehmen erklärt werden können. Und betrachtet man nur die Teile des Wissenskapitals, die nicht von der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung erfasst werden, verdüstert sich das Bild zusehends. Mit Hilfe der INTAN-Invest-Datenbank haben wir die Investitionen in das gesamte Wissenskapital – inklusive der bislang nicht erfassten Bestandteile – erhoben. Gerade bei diesen Bestandteilen, dem Organisationskapital, den Führungskompetenzen, der Aus- und Weiterbildung liegt Deutschland abgeschlagen auf dem letzten Platz, etwa 20% unter dem Durchschnitt. All diese Komponenten machen etwa 50% des gesamten Wissenskapitaleinsatzes aus, sind also sehr bedeutend.
Andere Volkswirtschaften sind moderner
Für eine mögliche Einschätzung der künftigen Wettbewerbsposition ist aber nicht nur das Niveau, sondern auch die Modernität des Kapitaleinsatzes ausschlaggebend. Dazu haben wir den Modernitätsgrad des Kapitalstocks berechnet. Dieser gibt grob gesagt an, wie hoch der Anteil aktueller Investitionsjahrgänge am gesamten Kapitalstock ist. Das ist gerade im Bereich des Wissenskapitals relevant, da dieses – im Gegensatz z.B. zu Bauten – relativ schnell altert. Und auch hier haben die deutschen Unternehmen deutlichen Aufholbedarf. Der Modernitätsgrad des Wissenskapitals ist sowohl bei den Dienstleistungen als auch in der Industrie von allen Volkswirtschaften am geringsten, wie folgende Abbildung verdeutlicht.
Das entspricht in keiner Weise dem postulierten Anspruch Deutschlands, zu den technologisch führenden Volkswirtschaften zu gehören. Die Wirtschaftspolitik in Deutschland ist aufgefordert, die hiesigen Rahmenbedingungen für Investitionen in alle Arten von Wissenskapital auf den Prüfstand zu stellen.
Im Prinzip hat das auch die Bundesregierung bereits erkannt und beschlossen, den Anteil der Ausgaben für Forschung und Entwicklung (FuE) bis 2025 von derzeit 3 auf 3,5% des Bruttoinlandsprodukts zu steigern. Unter der Annahme, dass der Beitrag der Unternehmen zu den gesamten FuE-Investitionen bei weiterhin zwei Drittel liegt, muss die Wirtschaft jährlich zusätzlich 13 Milliarden Euro mehr in FuE investieren. Doch der alleinige Fokus auf Forschung und Entwicklung greift zu kurz, denn FuE ist nur ein Bestandteil des Wissenskapitals. Gerade bei den anderen Bestandteilen liegt Deutschland teilweise deutlich zurück. Bezieht man diese komplementären Bestandteile des Wissenskapitals mit ein, müssen die Unternehmen nach Berechnungen des DIW Berlin jährlich etwa 35 Milliarden Euro mehr in ihr gesamtes Wissenskapital investieren, um das 3,5%-Ziel der Bundesregierung zu erreichen.
Umfassendes Förderkonzept für Wissenskapital notwendig
Es bedarf also eines umfassenderen Ansatzes zur Förderung des gesamten Wissenskapitals. Nur so können Innovationskraft, Produktivität und Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft gesichert werden. Wie kann das gelingen, was muss getan werden?
Ein Ansatzpunkt kann die Förderung vor allem risikoreicher Innovationsprojekte sein, die gleichzeitige Investitionen in verschiedene Arten von Wissenskapital voraussetzen. Hierzu zählen insbesondere Kooperationsprojekte, Netzwerke und Cluster. Bei gemeinsamen FuE-Projekten müssen die Unternehmen ihre Organisation auf das gemeinsame Ziel anpassen und sich auf Management- und Mitarbeiterebene koordinieren. All dies kann die Bildung von Wissenskapital der Unternehmen in einem umfassenderen Sinne fördern.
Zum Autor:
Torben Stühmeier ist Projekt-Manager im Programm Nachhaltig Wirtschaften der Bertelsmann Stiftung.
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