Wenn ich die politökonomischen Entwicklungen der ersten Hälfte des Jahres 2018 in einem Satz zusammenfassen müsste, wäre es wohl dieser hier: „Die ersten Auswirkungen des Populismus auf das Wachstum und die Märkte beginnen sichtbar zu werden.“
In den USA folgt Präsident Donald Trump dem Lehrbuch des Populismus, wie wir es aus der Literatur kennen: Es beginnt mit einer großen fiskalischen Expansion, um sich (kurzfristiges) Wohlwollen zu erkaufen, und tatsächlich wächst die US-Wirtschaft mit beeindruckendem Tempo. Dies bietet der US-Notenbank Raum für eine straffere Geldpolitik, was die Emerging Markets vor Probleme stellt.
Währenddessen macht Trump alle anderen um ihn herum für die Probleme verantwortlich, die seine Anhängerschaft beklagt – und er handelt inzwischen auch entsprechend. In seinem (nahezu vollständig faktenbefreiten) Narrativ schicken andere Länder ihre schlimmsten Bürger als illegale Immigranten in die USA, wo sie – ebenfalls in seiner faktenleeren Welt – alle denkbaren Arten von Verbrechen begehen. Daher verschärft er die Maßnahmen gegen illegale Einwanderung und lässt schockierende Praktiken einführen, darunter die Trennung von Kindern von ihren Eltern, um potenzielle Immigranten abzuschrecken.
Wirtschaftspolitisch nutzen in Trumps verwirrtem Narrativ ausländische Regierungen (zumindest die der traditionellen Verbündeten und China) die USA durch unfaire Handelspraktiken aus – die EU wurde sogar just zu diesem Zweck gegründet! Daher werden Zölle auf ausgewählte Produkte eingeführt, weshalb die betroffenen Länder nun zurückschlagen. Es ist sehr wahrscheinlich, dass dies noch schlimmer werden wird, weil offenbar niemand gewillt ist, klein beizugeben. Der negative Einfluss auf das globale Wachstum wird von messbarer Größe sein.
In Europa wie in den USA hat der Populismus auch einen Einfluss auf die Prioritäten in der Haushaltspolitik, aber nur mit Blick auf die Allokation von Ressourcen, und nicht in Form eines „Deficit Spending“, wo zusätzliche Ausgaben beispielsweise für Renten ausgegeben werden, besonders in Ostdeutschland mit einem hohen Stimmenanteil für die AfD.
Europa hat seine eigene Version dieses „Andere-Länder-beuten-uns-aus“-Unsinns, wenn auch in einer weniger dramatischen oder schädlichen Form. In der Gleichung der europäischen Populisten werden „Andere Länder“ mit „Andere EU-Länder“ gleichgesetzt. Die Populisten in Nordeuropa behaupten, dass sich die Südeuropäer auf Kosten des Nordens (Target 2) ein schönes Leben machen. Im Süden ist es genau andersherum: So bremst die deutsche Wirtschaftspolitik das Wachstum, während die deutschen Exporteure von der Auslandsnachfrage und einem für Deutschland zu schwachen Euro profitieren. Und große Teile von Zentraleuropa beklagen Beeinflussungen durch Westeuropa – während sie weiter fröhlich Zuwendungen in Höhe von 3 bis 4% ihres Bruttoinlandsprodukts erhalten.
Aber ein wesentlicher Faktor für den europäischen Populismus ist das Thema Einwanderung, das fast die gesamte politische Rhetorik und Handlungen dominiert. In Österreich und Italien brachte das Einwanderungsthema die momentanen Regierungskoalitionen an die Macht, und in Deutschland steht ihretwegen die 70 Jahre alte Koalition aus CDU und CSU auf dem Spiel. Auf EU-Ebene droht wegen der Immigration eine Monopolisierung der politischen Entscheidungsfindung – und das sogar zu einem Zeitpunkt, an dem eigentlich extrem wichtige Entscheidungen über die künftige Architektur der Eurozone getroffen werden sollten, wie der EU-Gipfel letzte Woche gezeigt hat.
Mit Blick auf die zweite Hälfte dieses Jahres will ich daher über die Immigration diskutieren, wie sie den Populismus nährt und was sie für die Wirtschaftspolitik, das Wachstum und die Märkte bedeutet.
Angesichts der Sensibilität des Themas und um jedwede Missverständnisse auszuschließen, möchte ich zunächst eines klarstellen: Jedes Land hat das Recht, seine Grenze zu kontrollieren und zu entscheiden, wer oder was das Land verlässt oder hineinkommt. Für eine Gruppe von Ländern wie den Schengen-Raum, die sich auf eine reibungslose interne Verkehrsfreiheit geeinigt haben, erscheint es merkwürdig, die Kontrolle der Außengrenze nicht zu teilen (ebenso wie die Kosten, die entstehen, wenn jemand illegal die Grenze überquert) – und das aus dem simplen Grund, dass manche Mitglieder wie z. B. Griechenland, Italien und Spanien lange und komplizierte Grenzen haben, während andere wie etwa Deutschland praktisch gar keine Außengrenzen haben.
Auch hoffe ich, dass sich Europa bei der Aufnahme von Flüchtlingen an internationales Recht hält. Schwierig wird die ganze Angelegenheit bei der Unterscheidung zwischen „echten“ Flüchtlingen und Wirtschaftsmigranten, und den Grauzonen zwischen beiden.
Mit diesen Vorbemerkungen im Hinterkopf möchte die drei folgenden Punkte machen:
- Ich habe nicht die Absicht, die mit der Immigration verbundenen sozialen Probleme in vielen Aufnahmeländern oder -Regionen und die menschlichen Tragödien von Menschen, die beim Versuch nach Europa zu kommen ihr Leben riskieren (und manchmal auch verlieren) zu verharmlosen – aber meiner Meinung nach sind die Zahlen der Flüchtlinge und illegaler Immigranten, die nach Europa kommen, schlicht nicht groß genug, dass das Thema die enorme Bedeutung verdienen würde, die ihm derzeit im öffentlichen Diskus zuteilwird.
- Die disproportional große mediale Aufmerksamkeit gibt der sogenannten „Angebotsseite“ des politischen Populismus einen weiteren Schub, in einer Situation, in der die „Nachfrageseite“ ohnehin schon sehr empfänglich ist.
- Ob der auf dem Rücken der Immigration ausgetragene politische Populismus ökonomisch schädlich ist, hängt von dem Cocktail von politischen Maßnahmen ab, der sich daraus ergibt. Ich bin der Auffassung, dass die Trump-Version zu nah an z. B. den schlechten alten Tagen des lateinamerikanischen Populismus ist, als dass man in absehbarer Zeit guter Hoffnung sein darf. Im Gegensatz dazu ist in Europa das letzte Wort noch nicht gesprochen.
1. Die Fakten zur Immigration: Einige Perspektiven
In diesem Abschnitt möchte ich meinen ersten Punkt weiter ausführen: Die Zahl der Asylsuchenden und illegalen Einwanderer in und nach Europa ist in den letzten Jahren sehr gering und verdient nicht die mediale und politische Aufmerksamkeit, die sie erhält.
Hier sind ein paar Zahlen: Wir sind in 511,8 Millionen Menschen in der EU. Pro Jahr kommen vier bis viereinhalb Millionen Immigranten in der EU an, während drei Millionen die EU verlassen. Allerdings sind rund ein Drittel der Migranten EU-Bürger, die von einem EU-Land ins andere umziehen, während zwei Millionen pro Jahr von außerhalb der EU kommen, um sich hier (zumindest vorrübergehend) niederzulassen. Deutschland ist üblicherweise das häufigste Ziel, gefolgt von Großbritannien, Spanien, Frankreich und Italien. In Relation zur Bevölkerung nehmen die kleineren EU-Staaten wie Malta, Zypern, Schweden und Dänemark die meisten Immigranten auf. Nur sieben der 28 EU-Staaten erlebten in den letzten Jahren eine Netto-Auswanderung (Bulgarien, Kroatien, Lettland, Litauen, Polen, Portugal und Rumänien).
Von den schätzungsweise zwei Millionen Menschen, die von außerhalb der EU im Jahr 2016 (jüngste Zahlen) einreisten, hatten etwa eine halbe Million keine ordnungsgemäßen Dokumente dabei, entweder weil sie Asylsuchende oder illegale Migranten waren (von denen 364.000 über das Mittelmeer kamen). Im letzten Jahr fiel die Zahl der illegalen Ankünfte auf 204.000, ein Trend, der sich auch in der ersten Hälfte dieses Jahres fortgesetzt hat.
Natürlich ist das eine beträchtliche Zahl von Menschen, was die öffentlichen Ressourcen belastet, nicht zuletzt deswegen, weil die durchschnittliche Qualifikation der ankommenden Menschen in den letzten Jahren anscheinend gesunken ist und nun eine relevante Zahl von Menschen beinhaltet, die praktisch keine Ausbildung oder relevante sprachliche Fähigkeiten haben.
Zusätzlich zu den mit der illegalen Migration verbundenen finanziellen Kosten fokussieren sich die Medien oftmals auf den vermeintlichen Einfluss auf die Kriminalität. Aber die Evidenz hierfür ist gemischt. Die erste umfassende Studie zu den sozialen Effekten der rund eine Million Flüchtlinge, die 2015 nach Deutschland gekommen waren, ergab, dass diese Zuwanderung nur einen sehr kleinen Teil der angestiegenen Kriminalitätsraten verursachte. Allerdings führte eine im Januar erschienene und von der deutschen Bundesregierung beauftragte Studie der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften über 90% des 10%igen Gesamtanstiegs bei Gewaltverbrechen zwischen 2015 und 2016 in Niedersachen auf Flüchtlingen zurück, wobei es große Unterschiede zwischen den Flüchtlingsgruppen gab: Syrer und andere Gruppen, die größere Aussichten auf die Gewährung von Asyl haben, wiesen geringere Kriminalitätsraten auf als Gruppen mit einer geringeren Chance auf die Legalisierung ihres Status. Zu einem ähnlichen Schluss kam auch eine Studie unter Immigranten in Dänemark.
In den USA veröffentlichte das Republikaner-nahe Cato Institute vor einigen Monaten eine Untersuchung von texanischen Gerichtsurteilen im Jahr 2015: Im Verhältnis zu ihrem Anteil an der Gesamtbevölkerung hatten illegale Immigranten nur halb so viele Straftaten wie gebürtige US-Amerikaner begangen, ein Unterschied, der besonders deutlich bei Nicht-Gewaltverbrechen wie Diebstählen war, aber auch bei Morden auftrat. (Im Übrigen zeigen die Studien für Niedersachsen und Dänemark, dass legale Immigranten mit Abstand die niedrigsten Kriminalitätsraten aufweisen).
Der springende Punkt ist folgender: Natürlich muss man auf Basis der harten Fakten dem Thema der illegalen Immigranten die gebührende Aufmerksamkeit widmen – aber die gegenwärtige Aufmerksamkeit, die die Medien und somit auch die Politik diesem Thema einräumen, ist angesichts von 100.000 bis 200.000 Menschen in einer Gemeinschaft von einer halben Milliarde Menschen vollkommen übertrieben. In der EU sterben beispielsweise jedes Jahr mehr als 300.000 Menschen an Lungenkrebs, wovon schätzungsweise die Hälfte durch eine bessere Politik und Bildung verhindert werden könnte. Jetzt berücksichtigen Sie noch andere (vermeidbare) Todesursachen durch Krankheiten, Umweltverschmutzung etc. und überlegen sich, was möglich wäre, wenn wir unsere Prioritäten richtig setzen würden. Aber „die politische Wahrnehmung ist die Realität“, wie man so sagt.
2. Ein Schub für die „Angebotsseite“ des Populismus
Aber legen wir die Fakten mal beiseite. Die illegale Immigration (und legale Asylsuchende) bestimmen die öffentliche Debatte in Europa – was insbesondere zu einer Zeit problematisch ist, in der sie auf fruchtbaren Boden trifft. Die politikwissenschaftliche Literatur zum Populismus unterscheidet zwischen einer „Nachfrageseite“ und einer „Angebotsseite“: Die „Nachfrageseite“ wird durch einen (mehr oder weniger) gerechtfertigten Groll von signifikant großen Bevölkerungsgruppen generiert – und dieser Groll hat sich in Westeuropa und in den USA während der letzten 30 bis 40 Jahre in Folge der Globalisierung und des technischen Fortschritts aufgebaut.
Auf sehr vereinfachende Weise kann man dies anhand des berühmten „Elefantencharts“ vereinfachen. Dieser wurde von Christoph Lakner und Branko Milanovic 2013 veröffentlicht und dann von Homi Kharas und Brina Seidal in diesem Jahr getestet (und präzisiert).
Kurz gesagt zeigt er, dass die Realeinkommen der ärmsten 30% der Welt (Afrika und Südasien) zwischen 1988 und 2008 um kumulative 40 bis 50% gewachsen sind, während die der Menschen zwischen dem 3. und 7. Dezil (China und Ostasien) um sagenhafte 60 bis 90% zulegten. Im Gegensatz dazu waren die Realeinkommen der obersten 70 bis 95% (das sind vor allem geringqualifizierte Arbeiter in Europa und den USA) nur um 10 bis 20% gestiegen, während es den Top 5% ziemlich gut erging.
Die gute Nachricht im Elefantenchart ist der dramatische Rückgang der globalen Einkommensungleichheit in den Jahrzehnten der Globalisierung. Die schlechte Nachricht besteht im signifikanten Anstieg der nationalen Ungleichheiten in den meisten OECD-Ländern, die der Elefantenchart für die Top 30% illustriert. Diese Zahlen werden von steigenden Gini-Koeffizienten genauso bestätigt wie von einem eher zur Kapital- als zur Arbeitseinkommensseite gehenden Einkommensanteil in vielen dieser Länder, insbesondere in den USA, Großbritannien aber auch in Italien.
Die Theorie der „Nachfrage nach Populismus“ besagt, dass die relativen Verlierer (also in Bezug auf ihre Realeinkommen, nicht hinsichtlich ihres Zugangs zu faszinierender Technologie wie etwa in der Medizin oder Kommunikation) dieser Periode eine nachvollziehbare Nachfrage nach alternativen politischen Ideen haben – und sich gegen das politische Zentrum oder „die Eliten“ wenden, die sie ihrer Meinung nach unzureichend vertreten haben. Manche wenden sich an die extreme Rechte, manche an die extreme Linke, was größtenteils davon abhängig ist, welchen „Feind“ der jeweilige Demagoge als externes Problem für die Misere auswählt. Die „Elite“ (die alten Herrscher) sind immer Schuld – und das auch richtigerweise, jedenfalls insofern, als dass sie die Ressourcen für Bildung und Ausbildung im Verhältnis zum BIP oder insgesamt nicht genügend ausgeweitet haben, um ihre Bevölkerung in der Wertschöpfungskette der globalisierten Welt weiter nach oben zu befördern.
Und Ausländer – darunter auch andere Europäer – werden üblicherweise von den Populisten ebenfalls als die Quelle aller heimischen Probleme identifiziert. Für all jene, die denken, dass die Heilung bei der extremen Linken liegen würde, sind auch immer die Banken, das Big Business etc. Schuld.
Aber die „Nachfrageseite“ allein reicht nicht aus, um einflussreiche populistische Parteien hervorzubringen. Wie Luigi Guiso et al. gezeigt haben, gab es im Jahr 2000 in weniger als 70% aller europäischen Länder irgendwelche populistischen Parteien. 2009 hatte jedes Land mindestens eine, obwohl sie die ersten Jahre relativ unbedeutend blieben. Mein Punkt ist: Die Flüchtlingskrise, die 2012/13 mit dem Syrienkrieg begann und 2014/15 in eine breitere, opportunistische Einwanderungskrise eskalierte, bot einen Aufhänger für die vielen kleinen (und bis dato ziemlich ziellosen) extremen populistischen Parteien. Manche von ihnen waren offen rassistisch und (glücklicherweise) in ihrer Größe begrenzt, wie etwa Jobbik in Ungarn oder die Goldene Morgenröte in Griechenland. Manche waren auf Basis verschiedener anti-europäischer Themen gegründet und daher ebenfalls ziemlich marginalisiert worden, wie z. B. die AfD in Deutschland oder die Freiheitspartei in den Niederlanden.
Aber plötzlich kam die Einwanderungskrise und lieferte eine mächtige „Angebotsgelegenheit“ für diese Politiker – und die ließen sie nicht verstreichen …
3. Der Einfluss auf die Politik
In manchen Ländern kamen neue populistische Parteien an die Macht (Griechenland, Italien). In anderen Fällen übernahmen populistische Kräfte existierende Parteien (USA), in anderen traten sie in Regierungskoalitionen mit existierenden Parteien ein (Österreich). Manchmal konnten sie formal zwar nicht die Macht erlangen, aber übten immensen Einfluss auf die traditionellen Parteien aus (Dänemark, Niederlande). Und in vielen Fällen bewegten sich die traditionellen Parteien stark auf die Populisten zu (die ÖVP in Österreich, die PiS in Polen, Fidesz in Ungarn, die FDP und jetzt auch die CSU in Deutschland, um nur einige Fälle zu nennen).
Es wurde schon viel über den Einfluss des Populismus auf die Wirtschaftspolitik geschrieben. Das meiste davon basiert auf den lateinamerikanischen Erfahrungen während der 1970er und 80er Jahre und wurde vor allem vom großartigen Rüdiger Dornbusch herausgearbeitet. Die Geschichte populistischer Regierungen beinhaltet immer große Ausgabenpläne, die manchmal durch Gelddrucken finanziert wurden, gefolgt von Preiskontrollen zur Begrenzung der Inflation. Dann wurden typischerweise Handelsbegrenzungen eingeführt, da die Wettbewerbsfähigkeit weiter erodierte.
Unterwegs begannen die Machthaber sich stark auf individuelle Schlüsselindustrien und finanzkräftige Personen oder Gruppen zu verlassen, manchmal informell, manchmal durch wenig transparente Netzwerke und im Fall der extremen Linken durch Verstaatlichung. In allen Fällen dient eine solche Politik dem Aufbau von Klientelismus unter den mächtigen Eliten. Zudem beinhaltet der Rutsch in Richtung Populismus üblicherweise die Erosion von Schlüsselinstitutionen, darunter die Zentralbank, die Judikative und die Medien. Die schlauen Populisten würden eine (gelegentlich zu diesem Zweck selbstverursachte) Krise nutzen, um ihre Macht weiter zu konsolidieren.
Wenn man Dornbusch heutzutage nochmal liest, fällt es leicht, große Teile dieses Musters in Schwellenländern wie etwa der Türkei und in immer noch wenig etablierten Demokratien wie etwa Ungarn wiederzuerkennen. Teile dieses Bildes – von der fiskalischen Expansion, zu den Handelsbeschränkungen hin zur gezielten Bestrafung von Unternehmen, die die eigene Politik nicht unterstützen (zuletzt Harley Davidson) – treffen auch auf die USA zu. Und in den letzten zwei Wochen fällte der US Supreme Court Entscheidungen gegen die Gewerkschaften im öffentlichen Sektor, erhöhte die Schwelle für Kartellrechtsklagen und erklärte den „Travel Ban“ gegen manche muslimische Länder für rechtens – wodurch sich Fragen nach dem langfristigen Einfluss von Trump stellen, nicht zuletzt nachdem Richter Kennedy seinen Rückzug angekündigt hat.
Wo das alles für die USA endet ist bei weitem nicht mehr so eindeutig wie nach Trumps Wahlsieg. Seine Kuschelbeziehung mit Fox News und seine beeindruckende Meisterung der sozialen Medien hilft ihm, Zustimmungswerte von knapp 40% aufrechtzuerhalten, womit alles andere als klar ist, dass er nur als eine kurze Zwischenepisode in die amerikanische Geschichte eingehen wird.
Im Vergleich zu den USA gibt es in Europa zwei mögliche Hoffnungsschimmer: Erstens und vor allem hat Emmanuel Macron gezeigt, dass es einen alternativen Weg zum Sieg gibt, der nicht aus dem Plagiat populistischer Ideen bestehen muss. Angela Merkels Position mag zwar geschwächt sein, aber der Kampf der Ideen und Werte ist alles andere als entschieden, wenn man den Umfragen Glauben schenken mag. Anscheinend kann Merkel aus der Schlacht mit der CSU als Siegerin hervorgehen und hat immer noch mit die höchsten Zustimmungswerte aller Politiker in Deutschland. Und als Mariano Rajoy in Spanien sein Amt verlor, wurde er nicht von den Populisten entthront.
Zweitens: Populistische Parteien, die als Anti-Euro-Plattform prominent wurden, haben wie die zwei Regierungsparteien in Österreich und Italien eben diese Politik aufgegeben. Nehmen wir das Beispiel Griechenlands, wo die Kombination aus europäischer Kooperation und Marktdruck zu einer politischen Wende geführt hat. Oder Portugal, dessen Koalition eine kommunistische Partei beinhaltet, aber in der Wirtschaftspolitik nichts sonderlich Radikales gemacht hat. Oder Österreich, wo eine Rechtsaußen-Partei in der Regierung sitzt: Die FPÖ machte zwar Wahlkampf gegen das Freihandelsabkommen mit Kanada, doch CETA ging ohne Probleme durchs Parlament. Währenddessen wird die Koalition die Arbeitsstunden erhöhen und den Wohlfahrtsstaat stutzen, was nicht unbedingt traditionell populistische Politik ist.
Im Falle Italiens ist das letzte Wort noch nicht gesprochen. Aber die Richtung mancher Vorschläge, wie etwa die Verringerung der Steuerlast oder die Vereinfachung der Steuergesetze („Flat Tax“), sowie die Reform der Sozialleistungen (Existenzminimum) sind im Grunde Maßnahmen, die die Märkte durchaus begrüßen sollten, wenn gleich die Details noch nicht klar sind und man abwarten muss, ob dies auf haushaltspolitisch nachhaltige Weise geschehen wird, und andere Vorschläge sicherlich problematischer für das Wachstum und das Sozialwesen sind.
Mein Punkt ist folgender: Wir können alle unseren individuellen politischen Präferenzen haben, wenn es um die Verteilung der Gesamtgewinne der Globalisierung, Immigration etc. geht – aber wenn diese Präferenzen einen Wandel hin zu populistischen Politikern bedeuten, gibt es ein messbares Risiko, dass damit auch die traditionellen Auswirkungen einer populistischer Politik einhergehen. Diese könnten gut für das kurzfristige Wachstum (ein Jahr oder so) sein – aber sie sind schlecht für das langfristige Wachstum.
Meine vorläufige Schlussfolgerung lautet also, dass Trump die USA bereits auf den unbehaglichen Weg der traditionellen Populisten geführt hat. Es zeigen sich kurzfristige Vorteile, aber man sollte sich keine Illusionen über das Ergebnis machen: Diese Politik wird ihm und den USA (und damit auch dem Rest der Welt) auf die Füße fallen. Und der Abschwung in den USA, wenn er dann kommt, wird schneller sein als momentan erwartet.
Im Gegensatz zu den USA hat der Populismus in Europa nicht gleichermaßen stark – und schädlich – Fuß gefasst, zumindest noch nicht. Und wo populistische Parteien an Einfluss und sogar konkrete Macht gewonnen haben, zeigen sie sich – außer beim Immigrationsthema – verhalten in ihren populistischen Versprechen. Dafür gibt es mehrere Gründe:
- Die parlamentarischen Demokratien in Europa erfordern mehr Konsens als in den USA (außer in Frankreich, weshalb Macron so wichtig ist).
- Die Einkommen und Vermögen sind in Europa weniger ungleich verteilt und es gibt bessere soziale Sicherungssysteme.
- Die europäische Kohäsion und Solidarität steht unter Beschuss, ist aber noch nicht tot.
- Der Einfluss der Märkte auf die europäische Politik – ein Faktor der bisher in den USA offenbar komplett abwesend ist.
Diese Faktoren bieten einen Hoffnungsschimmer für die europäische Politik, selbst wenn populistische Parteien weiter an Einfluss gewinnen – aber damit Europa wirklich vorankommen kann, darf das Einwanderungsthema nicht länger den Sauerstoff aus den pan-europäischen Debatten ziehen. Hoffentlich kommen wir bald an diesen Punkt.
Zum Autor:
Erik F. Nielsen ist Chef-Ökonom bei der UniCredit. Auf Twitter: @ErikFossing