Italien-Referendum

Der Trend spricht gegen Renzi

Zwei Wochen vor dem Verfassungsreferendum schwinden die Chancen des italienischen Ministerpräsidenten auf einen Wahlsieg. Unabhängig vom tatsächlichen Ausgang können Politiker daraus schon vorab eine wichtige Lehre ziehen: Finger weg von politischen Winkelzügen!

Italiens Ministerpräsident Matteo Renzi hat sich selbst in eine schwierige Lage gebracht. Bild: Thierry Ehrmann via Flickr (CC BY 2.0)

Umfrageinstitute erleben momentan nicht gerade ihre beste Zeit – sie hätten „versagt“, weil sie den Sieg Trumps bei den US-Präsidentschaftswahlen genauso wenig „vorhersahen“ wie das Brexit-Votum im Juni, so die gängige Kritik. Damit sind die Meinungsforscher in der öffentlichen Wahrnehmung jetzt ungefähr auf dem Niveau angekommen, dass Konjunkturprognostiker schon seit langem erreicht haben.

Dennoch sind Umfragen (genau wie Konjunkturprognosen) trotz aller Mängel natürlich weiterhin wichtig. Schließlich ist es durchaus sinnvoll, zumindest eine ungefähre Vorstellung davon zu haben, in welche Richtung die Reise politisch und wirtschaftlich geht.

Und in wenigen Wochen findet bereits eine weitere nationale politische Weichenstellung statt, die mindestens auch eine europäische Dimension hat: Am 4. Dezember stimmen die italienischen Wähler in einer Volksabstimmung über die Annahme einer Verfassungsreform ab. Der Grund, warum dieses Referendum nicht nur eine rein italienische Angelegenheit ist: Ministerpräsident Matteo Renzi hat mal mehr, mal weniger verbindlich angekündigt, im Falle einer Ablehnung der Reform zurückzutreten, was Italiens Politik wohl erneut in den Standby-Modus versetzen würde (hier finden Sie eine ausführlichere Darstellung der denkbaren Szenarien und Folgen).

Und Renzis Chancen stehen nicht gerade gut. Laut den – Vorsicht – jüngsten Umfragen liegt das „no“-Lager derzeit mit etwa 3 Prozentpunkten in Führung.

Das „Die Wahrheit liegt auf dem Platz“-Modell

Aber bis zum Wahltermin sind es noch knapp zwei Wochen. Alessio Terzi vom Think Tank Bruegel hat ein Modell entwickelt, dass die derzeitigen Umfragen in Wahrscheinlichkeiten umrechnet. Das Besondere an Terzis Modell ist, dass es die jeweiligen Trends berücksichtigt und bis zum tatsächlichen Wahltag fortschreibt: Schließlich ist es (von Briefwählern mal abgesehen) nicht entscheidend, was die Wähler heute wählen würden, sondern welche Entscheidung sie vor Ort in der Wahlkabine treffen.

Laut diesem „Die Wahrheit liegt auf dem Platz“-Modell beträgt die Wahrscheinlichkeit für ein „no“-Votum derzeit 73%. Damit ist der Trend zu Ungunsten von Renzi gekippt: Bei der letzten Aktualisierung vor zwei Wochen hatte Terzis Modell noch eine Wahrscheinlichkeit von knapp 60% für einen Sieg des „sì“-Lagers ausgespuckt.

Quelle: Bruegel, Stand: 17.11.16

Spannend wird es, wenn man sich die Motivation der Wähler genauer anschaut. Die Politikwissenschaftler Davide Morisi, Andrea De Angelis und Céline Colombo haben genau das getan. Ihr Ergebnis: Es war definitiv ein Fehler von Renzi, die Verfassungsreform zu einer Entscheidung über seine eigene Zukunft zu machen.

Denn zumindest einzelne Teile der Reform stoßen bei den italienischen Wählern offenbar überwiegend auf Zustimmung. So sind 74% der Befragten der Meinung, dass es richtig wäre, wie in der Reform vorgesehen die Zahl der Senatoren zu verringern. Die mit 41% geringste Zustimmung erhält die geplante Reform der Beziehungen zwischen Regionen und Zentralstaat, bei der die Zentralregierung künftig mehr Kompetenzen erhalten soll.

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Stichprobengröße: 2.279. Davon si-Wähler: 761, no-Wähler: 961. Quelle: Céline Colombo, Andrea De Angelis, Davide Morisi: New survey evidence: Renzi’s support is damaging the chances of a Yes vote in Italy’s referendum via EUROPP

Dazu muss man noch berücksichtigen, dass die der Umfrage zugrundeliegende Stichprobe deutlich mehr „no“-Wähler beinhaltete – was bedeutet, dass die Zustimmungswerte bei einer etwas ausgewogeneren Zusammensetzung noch höher sein dürften.

Bitte beim Thema bleiben

Morisi, De Angelis und Colombo kommen folgerichtig zu dem Schluss: „Unsere Ergebnisse zeigen, dass die italienischen Wähler gar nicht so sehr hinsichtlich des politischen Inhalts der Reform gespalten sind.“ Vielmehr handele es sich um eine parteipolitische Spaltung, die sehr stark mit der persönlichen Unterstützung für den Ministerpräsidenten zu tun habe.

Die Moral von der Geschichte lautet also: Renzi könnte sein eigener Winkelzug auf die Füße fallen. Hätte er die Reform als einfach nur als das belassen, was sie ist – nämlich ein umfassender Umbau des politischen Systems Italiens – wären seine Chancen jetzt wohl höher. So aber nötigt er Wähler, die seine Politik in anderen Fragen vielleicht gut finden, aber inhaltliche Zweifel an der Verfassungsreform haben (oder andersherum), zu einer überflüssig komplizierten Entscheidung. Und wenn Trump und der Brexit eines gezeigt haben, dann das: Die Wähler haben von solchen politischen Winkelzügen mehr denn je die Nase voll. Diese Erkenntnis werden sicherlich auch die Meinungsforschungsinstitute bestätigten können.