Economists for Future

Der Stoffwechsel der Gesellschaft

Es wäre möglich, einen guten Lebensstandard für eine wachsende Bevölkerung mit einem sehr viel geringeren Ressourcenverbrauch zu erzielen. Dafür müssen allerdings Ungleichheiten deutlich reduziert werden – was alles andere als trivial ist. Ein Beitrag von Fridolin Krausmann.

Bild: Pixabay

Unsere Gesellschaft befindet sich inmitten eines tiefgreifenden Transformationsprozesses. Im Zentrum: die Wirtschaft und die Suche nach Wegen zur Nachhaltigkeit. Die nächsten Jahre werden entscheiden, ob uns dieser Wandel by disaster passiert – oder by design gelingt.

Die Debattenreihe Economists for Future (#econ4future) widmet sich den damit verbundenen ökonomischen Herausforderungen und diskutiert mögliche Lösungsansätze. Die Beiträge analysieren Engführungen in den Wirtschaftswissenschaften und Leerstellen der aktuellen Wirtschaftspolitik. Zugleich werden Orientierungspunkte für ein zukunftsfähiges Wirtschaften aufgezeigt und Impulse für eine plurale Ökonomik diskutiert, in der sich angemessen mit sozial-ökologischen Notwendigkeiten auseinandergesetzt wird.

Die Kooperation zwischen Economists for Future e.V. und Makronom startete mit der ersten Ausgabe 2019. Seitdem ist jährlich eine neue Reihe mit wechselnden Themenschwerpunkten erschienen. Die mittlerweile sechste Staffel beleuchtet nun Aspekte rund um das Thema Überfluss. Hier finden Sie alle Beiträge, die bisher im Rahmen der Serie erschienen sind.

 

Volkswirtschaften sind materiell und energetisch offene Systeme, die einen kontinuierliche Durchsatz an physischen Ressourcen benötigen, um Leistungen für die Gesellschaft zu erbringen. In der ökologischen Ökonomie wird das Konzept des gesellschaftlichen Stoffwechsels (Haberl et al., 2019) verwendet, um diese Ressourcenflüsse im Zusammenhang mit wirtschaftlicher Entwicklung und Umweltveränderungen zu messen und zu analysieren. Denn die allermeisten Umweltprobleme sind ein Resultat dieses gesellschaftlichen Stoffwechsels.

Ihre Ursache findet sich entweder auf der Output-Seite in Form von Abfällen und Emissionen oder auf der Input-Seite, im Zusammenhang mit der Ressourcenextraktion durch Landnutzung, Bergbau oder Übernutzung erneuerbarer Ressourcen. Im Laufe der Menschheitsgeschichte ist dieser Stoffwechsel stetig gewachsen, angetrieben durch Bevölkerungswachstum, aber vor allem auch – insbesondere seit der industriellen Revolution – durch eine Vervielfachung des Ressourcenverbrauchs pro Kopf der Bevölkerung. Mittlerweile haben Größe und Zusammensetzung des gesellschaftlichen Stoffwechsels eine Dimension erreicht, die zu einer Überschreitung planetarer Grenzen und den daraus folgenden großen ökologischen Krisen wie der Klima-, Biodiversitäts-, Abfall- und Verschmutzungskrise führt (UNEP, 2024).

Seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts ist der globale Materialverbrauch um den Faktor 15 gewachsen, die jährliche Wachstumsrate beträgt immer noch etwa 2% (Krausmann et al., 2018). Demnach wurden im Jahr 2023 über 100 Milliarden Tonnen an Material extrahiert und dem gesellschaftlichen Stoffwechsel zugeführt – das sind 274 Millionen Tonnen jeden Tag. Ein Fünftel davon ist landwirtschaftliche Biomasse für die Herstellung von Nahrungs- und Futtermitteln, rund 15% sind fossile Materialien zur Erzeugung von Energie. Diese Materialien werden innerhalb kurzer Zeit „verbraucht“ und als Emissionen und Abfälle wieder an die Umwelt abgegeben.

Der weitaus größte Teil der genutzten Materialien (ca. 60%) sind mineralische Rohstoffe und Metalle, die ebenso wie ein kleinerer Teil der Biomasse (Holz, Faserpflanzen) und der fossilen Materialien (Kunststoffe, Bitumen) zum Aufbau von langlebigen materiellen Beständen genutzt werden. Zu diesen zählen alle Arten von Gebäuden und Infrastrukturen, ebenso wie Maschinen, Elektrogeräte oder andere langlebige Produkte. In Bauwerken und langlebigen Gütern akkumulieren diese bestandsbildenden Materialien. Sie werden erst am Ende der Nutzungsdauer mit einer zeitlichen Verzögerung von Jahren oder Jahrzehnten zu Abfall bzw. stehen erst dann für Recycling zur Verfügung.

Der Stock-Flow-Service Nexus

Die materiellen Bestände sind von besonderer Bedeutung für den Stoffwechsel und die Gesellschaft: Im Verbund mit Energie stellen Gebäude, Infrastrukturen, Maschinen oder elektronische Geräte die physische Grundlage für die Bereitstellung von vielen Dienstleistungen wie Mobilität, Wohnen, Ver- und Entsorgung, Kommunikation, Gesundheit oder Bildung dar und sind damit zentral für den materiellen Wohlstand der Gesellschaft.

Bestände sind auch die Triebkräfte für den Material- und Energiebedarf der Gesellschaft, denn für ihre Erzeugung, ihre Erhaltung und ihren Betrieb sind kontinuierlich große Mengen an Materialien und Energie erforderlich. Durch ihre lange Lebensdauer beeinflussen daher Bestände, die bereits vor Jahren oder Jahrzehnten aufgebaut wurden – etwa Energie- oder Mobilitätsinfrastrukturen – den aktuellen und zukünftigen Ressourcenverbrauch. Diese Zusammenhänge werden in der Stoffwechsel-Forschung mit dem Konzept des „Stock-Flow-Service“ Nexus beschrieben, das eine physische Perspektive auf das in der heterodoxen Ökonomie bedeutsame Konzept der „Versorgungssysteme“ bietet (Haberl et al., 2017; Plank et al., 2021).

Den Beständen kommt auch eine zentrale Rolle in Strategien der Kreislaufwirtschaft und zur Vermeidung der Erderhitzung zu: Solange die globalen Bestände insgesamt wachsen, binden sie Ressourcen und schränken die Möglichkeit einer Kreislaufschließung ein. Nachhaltige Energie- und Versorgungssysteme erfordern daher einen weitreichenden Umbau der Bestände. Auch das braucht viele und vor allem auch kritische Rohmaterialien (IEA, 2022). Deshalb ist es von entscheidender Bedeutung, neue Bestände – die jetzt aufgebaut werden – so zu entwickeln, dass sie möglichst langlebig, ressourcenschonend und am Ende ihrer Lebensdauer kreislauftauglich sind.

Berechnungen (Wiedenhofer et al., 2019) zeigen, dass die globalen gesellschaftlichen Bestände im letzten Jahrhundert einer annähernd exponentiellen Wachstumsdynamik (mit etwa der gleichen Rate wie das BIP) gefolgt sind, die nach wie vor ungebrochen ist. Bis heute haben sich dadurch in Gebäuden, Infrastrukturen und langlebigen Gütern über 1.000 Milliarden Tonnen an Materialien angesammelt. Den weitaus größten Teil davon machen Baumaterialien wie Beton, Asphalt oder Ziegel aus, aber auch 33 Milliarden Tonnen an Metallen oder 3 Milliarden Tonnen an Kunststoffen sind im globalen Bestand gebunden. Laut einer aktuellen Studie (Elhacham et al., 2020) übersteigen die vom Menschen geschaffenen Bestände inzwischen die Masse der gesamten lebenden Biomasse auf dem Planeten (gemessen in Trockenmasse). Während letztere durch Entwaldung langsam abnimmt, wachsen die vom Menschen geschaffenen Bestände weiter mit einer Rate von 3,6% pro Jahr.

Ungleiche globale Verteilung der Ressourcennutzung

Dem wachsenden globalen Stoffwechsel steht eine gravierende Ungleichverteilung der Ressourcennutzung gegenüber, wie Tabelle 1 am Beispiel des durchschnittlichen Material-Fußabdrucks und der Bestände zeigt. Der Material-Fußabdruck ist ein Konzept, dass den Materialverbrauch eines Landes inklusive der den (netto) importierten Gütern vorgelagerten Materialflüsse misst. Gruppiert nach den Einkommensgruppen der Weltbank zeigt sich, dass in Ländern mit hohem BIP/Kopf der Material-Fußabdruck im Durchschnitt 25 t/Kopf und Jahr beträgt. In Ländern mit niedrigem Einkommen liegt er dagegen bei nur 3 t/Kopf und Jahr, wovon mehr als die Hälfte allein in das Versorgungssystem „Ernährung“ fließen (UNEP 2024).

Tabelle 1: Globale Verteilung der Ressourcennutzung

Quelle: Berechnet auf Basis von Daten aus der Global  Material Flow Datenbank des International Resource Panel und Wiedenhofer et al. 2024; Klassifizierung der Länder nach Einkommensgruppen (BIP pro Kopf und Jahr) laut World Bank. BIP in US$ zu konstanten 2015 Preisen.

In Bezug auf Materialbestände ist die ungleiche Verteilung noch deutlicher ausgeprägt: Länder mit hohem Einkommen nutzen Bestände an Gebäuden, Infrastrukturen und Maschinen im Ausmaß von durchschnittlich 340 Tonnen pro Kopf, während einkommensschwache Länder auf gerade einmal 17 Tonnen je Einwohner*in kommen. Insgesamt verfügen diese Länder nur über 1% aller globalen Bestände, während in den Ländern mit hohem Einkommen 37% konzentriert sind.

Ein eindrucksvolles Beispiel ist China, das sich in den letzten zwei Jahrzehnten nicht nur wirtschaftlich rasant entwickelt hat, auch der Stoffwechsel der chinesischen Wirtschaft ist entsprechend gewachsen. Der jährliche Material-Fußabdruck Chinas liegt mittlerweile mit knapp 26 t/Kopf auf dem Niveau von Hocheinkommensländern, der Bestand bei 220 t/Kopf und macht insgesamt 29% des globalen Bestandes aus.

Wachstum, Konvergenz und planetare Grenzen

Während der Stoffwechsel in den hochindustrialisierten Ländern des globalen Nordens und in aufstrebenden Ökonomien wie China wesentlich dazu beiträgt, dass planetare Belastungsgrenzen bereits überschritten werden, liegen im globalen Süden Bestände und Ressourcenflüsse nach wie vor auf sehr niedrigem Niveau. Dementsprechend unzureichend ist dort auch der Zugang zu grundlegenden Versorgungsleistungen wie Wohnen, Mobilität, Gesundheit oder Bildung (Fanning et al., 2022). Um den materiellen Wohlstand in diesen Ländern auf ein angemessenes Niveau zu heben, müssen die Bestände und die entsprechenden Flüsse dort weiterwachsen können.

Gleichzeitig würde ein fortgesetztes Wachstum des globalen Ressourcenverbrauchs zu einer massiven Verschärfung der aktuellen Umweltkrisen führen. Nimmt man etwa an, der durchschnittliche Materialverbrauch pro Kopf würde sich in den hochentwickelten Industrieländern auf dem derzeitigen Niveau stabilisieren und alle anderen Länder würden bis 2050 auf dieses Niveau nachziehen (globale Konvergenz), würde sich der globale Materialverbrauch von derzeit 100 auf 230 Mrd. t pro Jahr mehr als verdoppeln (UNEP 2024). Aber auch eine Fortschreibung gegenwärtiger ökonomischer Trends und ressourcenrelevanter Politiken würde den Materialverbrauch bis 2050 auf etwa 160 Mrd. t ansteigen lassen und negative Umwelttrends massiv verschärfen, ohne aber bestehende Ungleichheiten zu beseitigen (UNEP 2024).

Effizienzgewinne allein scheinen nicht auszureichen, um die Auswirkungen des Wachstums auf den Stoffwechsel abzufedern. Technischer Fortschritt führt zwar zu Effizienzsteigerungen und erlaubt es über die Zeit ein bestimmtes Niveau an materiellem Wohlstand mit immer weniger Ressourcen oder Umweltbelastung herzustellen (Steinberger and Roberts, 2010), aber diese Verbesserungen führen nicht schnell und weitgehend genug zu einer Entkoppelung von wirtschaftlichem Wachstum und Umweltbelastungen (Parrique et al., 2019). Wenn aber Wachstum bzw. Konvergenz des Ressourcenverbrauches auf dem Niveau der wohlhabenden Länder ökologisch nicht tragbar sind, kann dann ein gutes Leben für alle innerhalb planetarer Grenzen erreicht werden?

Ressourcenbedarf für ein gutes Leben

Viele Studien deuten darauf hin, dass bei niedrigem Einkommensniveau und niedriger Lebensqualität bereits kleine Steigerungen im Ressourcenverbrauch massive Verbesserungen bewirken. Ab einem bestimmten Niveau stagnieren die Indikatoren für Lebensqualität jedoch und mehr Ressourcen befördern lediglich einen konsumorientierten und ressourcenintensiven Lebensstil (Steinberger and Roberts 2010).

Statt sich also nur auf Effizienzgewinne und die erhoffte absolute Entkopplung von Wirtschaftswachstum und Ressourcennutzung (grünes Wachstum) zu konzentrieren, wird in der neueren Forschung untersucht, welches Niveau an Ressourcennutzung erforderlich ist, um die Grundbedürfnisse für ein gutes Leben zu befriedigen. Basierend auf dem Konzept der „Decent Living Standards (DLS)“ (Lamb und Steinberger, 2017; Rao und Min, 2018) wird davon ausgegangen, dass es eine endliche Anzahl von menschlichen Grundbedürfnissen gibt, die universell, befriedigbar und nicht austauschbar sind. Dazu gehören Versorgungssysteme wie Ernährung, Wohnen, Mobilität, Bildung oder Gesundheit.

Auch wenn die genauen Annahmen, die der Definition eines angemessenen Lebensstandards zugrunde liegen, weiterhin Gegenstand von Diskussionen sind, sind die Ergebnisse dieser Untersuchungen dennoch bemerkenswert: Modellrechnungen zeigen, dass es in der Tat möglich ist, einen guten Lebensstandard für eine wachsende Bevölkerung mit einem sehr viel geringeren Ressourcenverbrauch zu erzielen. Eine Studie von Millward-Hopkins et al.  (2020) kommt zu dem Ergebnis, dass bereits 40% des heutigen Endenergieverbrauchs ausreichen würde, um einer Bevölkerung von 10 Milliarden Menschen im Jahr 2050 einen angemessenen Lebensstandard zu ermöglichen. Auch für den Materialbedarf und das erforderliche Niveau an materiellen Beständen ergeben DLS-Szenarien deutlich niedrigere Werte (Vélez-Henao and Pauliuk, 2023).

Um diese Potentiale zu realisieren, müssen allerdings bestehende Ungleichheiten im Ressourcenverbrauch deutlich reduziert werden. In einem Szenario in dem zwar die DLS universell befriedigt sind, es aber innerhalb von Ländern weiterhin Haushalte gibt, die deutlich mehr Energie verbrauchen, als für die Gewährleistung der DLS erforderlich ist (wenn auch weniger als heute), liegt der Energieverbrauch doppelt so hoch wie im DLS-Szenario (Millward-Hopkins, 2022). Auch wenn die Ungleichheiten auf ein allgemein als „fair“ empfundenes Ausmaß reduziert werden, liegt der Energieverbrauch immer noch um 40% über dem Vergleichsszenario, in dem nur die DLS befriedigt werden.

Es erscheint aus einer biophysischen Perspektive also grundsätzlich möglich, so etwas wie nachhaltige Konsum-Korridore zu definieren (Fuchs et al., 2021). Die absoluten Obergrenzen für den Ressourcenverbrauch können dafür aus den globalen planetaren Grenzen (O’Neill et al., 2018) abgeleitet werden. Die Untergrenze ergibt sich aus den materiellen und energetischen Anforderungen für die Befriedigung der Grundbedürfnisse für ein gutes Leben. Daraus lassen sich Indikatoren und länderspezifische Ziele ableiten. Die Umsetzung in politische und wirtschaftliche Maßnahmen ist jedoch alles andere als trivial. Es erfordert einen weitreichenden Wandel der gesellschaftlichen Wertvorstellungen und des Wirtschaftssystems – eine sozial-ökologische Transformation.

 

Zum Autor:

Fridolin Krausmann ist Professor für nachhaltige Ressourcennutzung am Institut für Soziale Ökologie der Universität für Bodenkultur Wien (BOKU). Er beforscht Muster und Trends im gesellschaftlichen Stoffwechsel auf verschiedenen räumlichen und zeitlichen Skalen. Seine Arbeitsschwerpunkte liegen auf der Untersuchung der Zusammenhänge von Ressourcennutzung, wirtschaftlicher Entwicklung und Lebensqualität sowie der Entwicklung von Daten und Indikatoren zum Monitoring von Strategien nachhaltiger Ressourcennutzung.