Analyse

Der Arbeitsmarkt der Eurozone hat einen Meilenstein erreicht

Die Arbeitslosenquote im Euroraum ist erstmals unter den Vorkrisen-Durchschnitt gesunken. Allerdings gibt es zwischen den einzelnen Ländern immer noch erhebliche Unterschiede. Eine Analyse von Andrew Watt.

Es gibt einen alten irischen Witz über einen Mann, der sich verlaufen hat, und einen Einheimischen nach dem Weg zu einem kleinen Dorf fragt. Der Einheimische hält kurz inne und antwortet: Wenn ich dorthin gehen wollen würde, würde ich sicherlich nicht von hier aus loslaufen.

Etwas Ähnliches gilt auch für den europäischen Arbeitsmarkt. Dessen Zustand war lange Zeit so erschreckend, dass es schwierig war zu glauben, er könnte je wieder ans Ziel kommen. Doch in der letzten Woche ist etwas Bemerkenswertes geschehen: die jüngsten Arbeitslosenzahlen haben einen wichtigen Meilenstein markiert. Mit 8,7% lag die Arbeitslosenquote im Euroraum erstmals unter dem Vorkrisen-Durchschnitt.

Das ist ein guter Anlass, um den aktuellen Zustand des Arbeitsmarktes in der Währungsunion und in den Mitgliedsstaaten unter die Lupe zu nehmen. Zu welchem Grad sind die Narben der Krise verheilt? Und was sind größten verbleibenden Herausforderungen?

Die folgende Abbildung zeigt die Erholung des Arbeitsmarktes vom Doppelschlag der globalen Finanzkrise und der Eurokrise: Die Erholung setzte im Frühjahr 2013 ein, nachdem die Europäische Zentralbank nach (zu) langem Zögern doch noch ihre „Whatever it takes“-Ankündigung abgegeben hatte. Die Arbeitslosenquote begann von ihrem Höhepunkt von 12,1% zu sinken.* Im Januar 2017 lag sie unter dem Durchschnitt seit Bestehen der Währungsunion (9,6%), verbesserte sich weiter und sank im November schließlich unter den Vorkrisen-Durchschnitt von 8,8%. Während der letzten zwölf Monate ist die Arbeitslosenquote pro Monat im Schnitt um fast 0,1 Prozentpunkte gesunken, was etwa 130.000 Personen entspricht.

Quellen: Eurostat, eigene Berechnungen.

Mit 8,7% liegt die Quote derzeit um 3,4 Prozentpunkte unter ihrem Höchststand und 1,4 Punkte über ihrem Vorkrisentiefststand von 7,3%. Wenn das Ziel wäre, diesen Vorkrisenstand zu erreichen, dann hätte die Eurozone also etwa 70% der Wegstrecke zurückgelegt.

Natürlich verschleiern diese Durchschnitte die erheblichen Unterschiede, die es in verschiedener Hinsicht zwischen den einzelnen Eurostaaten gibt. Die nächste Grafik zeigt die jüngsten Arbeitslosenquoten für die Eurozone und ihre Mitglieder. Die horizontalen Balken sind die aktuellen Stände, die vertikalen Linien zeigen die Maximal- und Minimalwerte, die die Arbeitslosenquote seit Einführung der Gemeinschaftswährung erreicht hat.

Aktuelle Arbeitslosenquoten, Höchst- und Tiefststände seit Januar 1999

Quellen: Eurostat, eigene Berechnungen

Die offensichtlichste Erkenntnis lautet, dass es momentan eine gewaltige Lücke gibt zwischen Staaten wie Deutschland, Malta und den Niederlanden, die Quoten von unter oder um die 4% aufweisen, und Ländern wie Italien und Zypern sowie vor allem Spanien und Griechenland, deren Arbeitslosenquoten teils deutlich im zweistelligen Bereich liegen.

Die Lücken zwischen Höhe- und Tiefpunkten waren in Österreich, Belgien, Frankreich und Finnland sehr gering, während sie in Griechenland, Spanien, den baltischen Staaten, Zypern, Portugal und der Slowakei gewaltig waren. Bemerkenswert ist auch, dass in Deutschland die Lücke zwischen Höhe- und Tiefpunkt mit 7,6 Prozentpunkten erheblich ist und deutlich über dem Eurozonen-Durchschnitt von 4,8 Punkten liegt. Neben Deutschland gibt es nur zwei weitere Länder (Malta und die Slowakei), deren Quote sich derzeit – und nicht unmittelbar vor der Krise – auf einem Rekordtief befindet.

Die – gemessen an ihrem Höhepunkt – größte Reduzierung der Arbeitslosenquote wurde in den drei baltischen Staaten und der Slowakei erreicht, gefolgt von Irland, Spanien, Portugal und Griechenland. Allerdings wurde diese Reduzierung nicht vollständig durch Jobwachstum vollzogen – in einigen Ländern, und insbesondere im Baltikum, hat die Emigration eine wichtige Rolle gespielt.

Weiter oben wurde angemerkt, dass die Eurozone als Ganzes etwas 70% der Wegstrecke zwischen dem Höhepunkt und dem Monat mit der besten Arbeitsmarkt-Performance zurückgelegt hat. Wenn wir den gleichen groben Messwert auf einzelne Länder anwenden, sehen wir, dass von den Ländern mit der höchsten Arbeitslosigkeit Spanien etwa die Hälfte der Wegstrecke zurückgelegt hat, Griechenland etwa ein Drittel. Von besonderer Bedeutung ist der nur langsame Rückgang in Italien und Frankreich: Italien hat seine Quote seit dem Höhepunkt um zwei Prozentpunkte reduziert, allerdings von einem hohen Niveau von 13% kommend, und hat auf dem Weg zum Vorkrisenniveau erst weniger als Viertel zurückgelegt. Währenddessen ist Frankreich lediglich eine Reduzierung um 1,6 Prozentpunkte gelungen, wobei der französische Peak auch „nur“ bei 10,8% lag.

Diese Tendenz, bei der die Arbeitslosenquoten während des Erholungsprozesses in jenen Ländern schneller fallen, in denen sie während der Krise stärker gestiegen waren, hat zu einem gewissen Konvergenzprozess geführt. Jedoch ist der Abstand zwischen dem besten (Deutschland) und dem schlechtesten Performer (Griechenland) mit 16,8% weiterhin erheblich und auf einem ähnlichen Niveau wie kurz nach der Jahrtausendwende. Damals begann ein Konvergenzprozess einzusetzen: Bis Anfang 2008 hatte sich die Lücke auf 6,6 Punkte verringert – um sich dann im Zuge der Kriseneskalation auf phänomenale 22,8 Prozentpunkte zu öffnen. Das gleiche Muster zeigt sich auch, wenn man einen Variationskoeffizienten für das Ausmaß an Divergenz zwischen allen 19 Ländern berechnet:

Streuung der Arbeitslosenquoten in der Eurozone

Quellen: Eurostat, eigene Berechnungen

Fazit: Die Eurozone steckt nicht mehr in einer akuten Arbeitsmarkt-Krise

Angesichts der Tiefe der Krise wäre natürlich ein schnelleres Tempo bei der Reduzierung der Arbeitslosigkeit notwendig gewesen, um soziale Härten und langfristige Schäden für die Beschäftigungsperspektiven von Millionen von Menschen und für das ökonomische Wachstumspotenzial zu vermeiden. Seit 2013 sind zwar konstante Fortschritte gemacht worden, aber wir hätten niemals von einem so hohen Niveau aus loslaufen sollen. Anstatt zu dem Dorf zu laufen, hätten wir das Auto nehmen sollen, sprich einen Weg finden müssen, um eine expansivere Fiskalpolitik zu ermöglichen.

Wenn man den Stand vom Vorabend der Krise als erstes Ziel nimmt, sind inzwischen mehr als zwei Drittel des Weges zurückgelegt worden

Während der Krise sind schwere Fehler gemacht worden. Dennoch dürfen wir uns über die jüngsten guten Nachrichten freuen: Unterm Strich befindet sich die Eurozone als Ganzes nicht länger in einer akuten Krise, zumindest gemessen an der Arbeitslosenquote. Diese ist unter den Vorkrisen-Durchschnitt gefallen, nachdem die außergewöhnlich lockere Geldpolitik und die daran anschließende Lockerung der Austeritätspolitik ihre Wirkung auf die Wirtschaftsleistung und die Arbeitsmärkte entfalten konnten. Wenn man den Stand vom Vorabend der Krise als erstes Ziel nimmt, sind inzwischen mehr als zwei Drittel des Weges zurückgelegt worden. Manche Länder haben eine sehr bemerkenswerte Reduktion ihrer Arbeitslosigkeit geschafft, wenn auch von extrem hohen Niveaus aus.

Zudem gibt es zwischen den Ländern immer noch erhebliche Unterschiede. Insbesondere in Griechenland und Spanien befindet sich die Arbeitslosigkeit auf einem inakzeptablen Niveau. Für die Zukunft der Währungsunion von besonderer Bedeutung sind die weiterhin hohen, und nur langsam sinkenden Arbeitslosenquoten der Schwergewichte Italien und Frankreich. Zusammen vereinen beide Länder inzwischen fast 40% aller arbeitslosen Menschen in der Eurozone auf sich.

 

Zum Autor:

Andrew Watt ist Referatsleiter europäische Wirtschaftspolitik und stellvertretender Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung. Außerdem betreibt er den Blog €-Vision, wo er sich unter anderem regelmäßig mit der Lage auf dem europäischen Arbeitsmarkt befasst und dieser Beitrag zuerst auf Englisch erschienen ist.