Fremde Federn

Das Ende der Verbrenner, Meme-Stocks, Corona-Startups

Diese Woche unter anderem in den Fremden Federn: Wieso China einen Emissionshandel einführt, warum es trotz des zweiten Lockdowns einen Ölpreis-Boom gibt und wie die Wirtschaftslogik der Zukunft aussehen könnte.

Foto: Jojo Bombardo via Flickr (CC BY-ND 2.0)

In den „Fremden Federn“ stellen wir einmal pro Woche in Kooperation mit dem Kuratorendienst piqd eine Auswahl von lesenswerten journalistischen Fundstücken mit wirtschaftspolitischem Bezug zusammen. piqd versteht sich als eine „Programmzeitung für guten Journalismus“ – was relevant ist, bestimmen keine reichweitenoptimierten Algorithmen, sondern ausschließlich ausgewählte Fachjournalisten, Wissenschaftler und andere Experten.

China startet Emissionshandel

piqer:
Ralph Diermann

China hat im vergangenen Jahr viel Respekt geerntet für seine Ankündigung, bis spätestens 2060 klimaneutral zu werden. Andererseits soll die installierte Kohlekraftwerksleistung um 300 Gigawatt ausgebaut werden – der Zubau entpricht dem Siebenfachen der Kohle-Leistung, die heute in Deutschland insgesamt installiert ist. Wie passt das zusammen?

Hendrik Ankenbrand, China-Wirtschaftskorrespondent der FAZ, hat dafür eine interessante Erklärung: Er sieht Unterschiede in den Interessen der Zentralregierung auf der einen und den Provinzregierungen auf der anderen Seite. Letztere treiben den Ausbau der Kohleverstromung voran, da das Steuereinnahmen und Jobs bringt.

Die Führung in Peking kontert jetzt mit einem Instrument, das in jüngster Zeit in Europa beim Kohleausstieg große Wirkung gezeigt hat – der Einführung eines Emissionshandels für den Energiesektor (zu dessen Vor- und Nachteilen hier ein interessanter Piq). Noch ist nicht bekannt, wie viele Emissionen den Unternehmen zugestanden werden. Ist die Zentralregierung aber willens, das Instrument wirklich ernsthaft einzusetzen, könnte es enorme Bedeutung für den globalen Klimaschutz haben. Denn auf die 2.225 zur Teilnahme verpflichteten Unternehmen entfallen 14% der weltweiten CO2-Emissionen.

„Das Ende der Verbrenner kommt schneller als viele denken!“

piqer:
Ralph Diermann

Wie absurd ist das denn: Wir holen mit großem Aufwand Jahrmillionen alte Biomasse aus dem Boden, um damit kleine Explosionen auszulösen, die Bewegungsenergie freisetzen. Auf diese Weise bringen wir 1,5 Tonnen Metall in Fahrt, damit 70 Kilogramm Mensch zum Supermarkt kommen.

Autos mit Verbrennungsmotoren werden schon schneller zum alten Eisen gehören als viele von uns heute denken, meint Hans Lawitzke, Autoexperte und Sekretär des Europäischen Betriebsrats bei Ford, im taz-Interview. Denn sie sind, verglichen mit Elektroautos, einfach zu teuer – wenn man nicht nur auf die Investitions-, sondern auch auf die Betriebskosten schaut. Lawitzke zufolge haben viele Hersteller den Antriebsstrang ihrer Elektrofahrzeuge so ausgelegt, dass sie eine Laufleistung von einer Million Kilometer ohne Reparaturen erreichen. Nicht zu vergessen der Strom, der schon heute, gemessen an der damit möglichen Strecke, günstiger ist als Benzin oder Diesel.

Und selbst in der Anschaffung wird das Elektroauto in absehbarer Zeit billiger sein:

Was völlig unterschätzt wird: wie schnell die Batteriepreise fallen, einfach weil sich zum einen die Technik weiterentwickelt, zum anderen aufgrund des Masseneffekts, der die Produktionskosten massiv nach unten bringt.

Lawitzke verweist auf die Marktdynamik – kommt der Stein einmal ins Rollen, beschleunigt er immer stärker. Ein wichtiger Faktor ist dabei der Gebrauchtwagenwert. So berechnen zum Beispiel schon heute erste Leasingfirmen in der Preiskalkulation einen höheren Risikoaufschlag für die Wiedervermarktung.

Wird es 2030 noch Verbrennerautos geben? Lawitzke ist überzeugt:

Bestimmt wird es sie dann noch geben – aber zumindest in Europa und China nur noch als Randerscheinung. So wie es heute auch noch Leute gibt, die am Wochenende mit einem Lanz Bulldog aus den 50ern übern Acker fahren, weil sie es lustig finden.

Von der Ego- zur Eco-System-Ökonomie

piqer:
Daniela Becker

 

Die Klimakrise generiert und verstärkt Naturkatastrophen und gefährdet unser planetarisches Überleben, eine Epidemie legt die Sollbruchstellen unser sozialen-ökologischen Krisen frei, und verzweifelte Flüchtlinge riskieren ihr Leben, um einen sicheren Lebensraum zu finden.

Als Gesellschaft stehen wir vor existenziellen Herausforderungen, für die wir nicht nur Lösungen brauchen, sondern auch die Fähigkeit, diese umzusetzen und kollektiv handlungsfähig zu werden. Obwohl viele technische Lösungen für gesellschaftliche Herausforderungen wie z.B. den Klimawandel auf der Hand liegen, sind wir als globale Gesellschaft häufig nicht in der Lage, diese umzusetzen.

Aber warum führt die kollektive Erfahrung eines kollabierenden Systems nicht zur kollektiven Handlung? Dies lässt sich mit einem Knowing-Doing-Gap erklären. Damit ist die Differenz zwischen kognitiver Erkenntnis und dem Handeln von Individuen und Systemen gemeint. Es kann als ein wesentliches Problem der Gegenwart verstanden werden und betrifft insbesondere unser ökonomisches System, welches in vieler Hinsicht unser kollektives Handeln bestimmt.

Dieser Gastbeitrag im Makronom stammt von Katrin Käufer, Forschungsdirektorin des Presencing Institute in Cambridge und Fellow am Community Innovators Lab (CoLab) und Claus Otto Scharmer, Senior Lecturer am Massachusetts Institute of Technology (MIT). Die Abhandlung ist eine interessante Analyse der Evolution ökonomischer Systeme, wo ihre Wurzeln herrühren und welche Denkweise und Logik jeweils dahinter steht.

Besonders spannend natürlich: Wie kann und muss sich das Wirtschaftssystem so entwickeln, dass es nicht mehr Ursache der planetarischen Krise ist, sondern zur Krisenlösung beiträgt.

Dabei wird auch ein ganz konkretes Beispiel eines Unternehmen vorgestellt, das versucht, diesen Wandeln einzuleiten.

In unserer Arbeit mit Unternehmen, die in Richtung einer 4.0-Logik schreiten, wird dabei deutlich: Hierfür sind nicht nur neue Lernräume notwendig, es erhöht sich auch allgemein die Komplexität. Die Triodos Bank, eine sozial-ökologische Bank mit Hauptsitz in den Niederlanden, arbeitet daher mit dem Konzept der Dilemmata. Es soll Mitarbeiter*innen helfen, sich in den neuen Entscheidungsprozessen zu üben. Ein exemplarisches Dilemma wäre hier eine Kreditanfrage, bei der Solartechnologien auf einem industriellen Mastbetrieb finanzieren werden sollen. Die Bank wird dies demnach ablehnen – nicht weil regenerative Technologien installiert würden, sondern weil damit die Effizienz einer Wirtschaftsweise erhöht würde, die letztlich negative Externalitäten produzieren würde und damit aus einer Eco-System-Perspektive nicht sinnvoll sein kann.

 

Der Aufstieg (und baldige Fall?) der Meme- und Story-Aktien

piqer:
Christian Huberts

Mein piqd-Kollege Moritz Orendt hat die aktuelle Situation rund um das Reddit-Forum r/WallStreetBets, massenhafte Käufe von Aktien, etwa des angeschlagenen Gaming-Einzelhändlers GameStop sowie den dadurch unter Druck geratenen Hedgefonds ja bereits vergangene Woche gut zusammengefasst: Verhauen gerade ein paar College Kids über reddit die Wall Street? Die Antwort ist nach wie vor nicht eindeutig und die Lage bleibt auch Tage später kompliziert bis völlig absurd.

Verschiedenste Deutungen kämpfen aktuell um Gültigkeit und wie unter digitalen Bedingungen meist üblich, gewinnen vor allem die spannendsten, aber im Zweifelsfall nicht unbedingt wahren Geschichten: David (arme, aber smarte Internet-Kids) gegen Goliath (gierige Bankster), Verschwörung der Finanzelite gegen die aufscheinende Macht der Kleinanleger (nachdem etwa der App-Broker Robinhood schlicht nicht mehr mit den finanziellen Auslagen für die viralen Aktienkäufe hinterherkam), Occupy Wall Street 2.0 (obwohl die Wall Street natürlich trotzdem ordentlich abkassiert). Je besser sich die Story in ein gefälliges Meme verpacken lässt, desto höher die Verbreitung.

Jan Vollmer nimmt dies für t3n zum Anlass, das Phänomen aus der Vogelperspektive zu analysieren einen übergeordneten Trend auszumachen. So hat die Demokratisierung und Digitalisierung des Aktienhandels durch einfache und günstige App-Broker wie Trade Republic zu einem Aufstieg so genannter Meme- und Story-Aktien geführt. Nicht mehr die genaue Beobachtung des Marktes steht für viele Börsen-Neulinge im Vordergrund, sondern eine nette Geschichte hinter der Aktie oder eben das Versprechen der Teilhabe an einem viralen Happening. Umso mehr, weil man in Zeiten der Pandemie ohnehin nichts Besseres zu tun hat und man die »everything rally« nicht verpassen möchte.

Mittlerweile haben alle auch schon Geschichten von Freunden und Bekannten gehört, die mit Aktien schon x-tausend Euro verdient haben – und kaufen aus dem Bauch heraus, was sich eben gut anhört: Ein paar Apple-Aktien, weil die ja schöne iPhones machen, ein paar Tesla-Aktien, weil die Zukunft ist elektrisch, und vielleicht noch Zoom-Aktien, weil Pandemie dauert bestimmt noch. Und natürlich noch Bitcoin, denn was kann mehr Zukunft sein als digitales Geld.

Konsequenz ist ein sehr volatiler Markt für bestimmte Aktien (oder auch Kryptowährungen), der sich einfach manipulieren und instrumentalisieren lässt. Meme-Schleudern wie der Tesla-Chef Elon Musk beeinflussen mit ihrer Reichweite schon seit Jahren die Investitionen der Fan-Crowd. Und auch heterogene, aber stark libertär-nihilistisch geprägte Communities wie r/WallStreetBets (»Like 4chan found a bloomberg terminal«) sorgen mit ihren vermeintlich unpolitischen Meme-Offensiven für neue Realitäten am Aktienmarkt. Ein lustiges Bildchen, eine veränderte Twitter-Biografie oder eine verlockende Reddit-Verschwörungstheorie kann das Taschengeld vervielfachen oder vernichten – der Survivorship Bias erledigt den Rest. Ob das ein nachhaltiges Modell ist, bei dem nicht nur Profis gewinnen, die im Netz auf Witzbold machen, bleibt abzuwarten. Vollmer ist skeptisch:

Der Kurszuwachs hat dann aber […] nichts mehr mit den Umsätzen, Gewinnen oder Kennzahlen des Unternehmens an sich zu tun, sondern nur noch damit, dass neue Leute nachziehen. Vor allem wenn sich die tatsächlichen Manager der jeweiligen Story-Stock-Unternehmen (Yes, I am looking at you, Elon) an die ständig steigenden Aktienpreise gewöhnen, wird der Aktienmarkt zu einer Art Investment-Schneeballsystem: Das System funktioniert nur, wenn ständig neue Teilnehmer mit frischen Geld nachkommen.

Oder wie es ein Reddit-User zusammenfasst:

WSB’s power users are younger finance bros. It’s 30-something investment bankers and portfolio managers memeing with each other and cosplaying as »autists«. If you didn’t know what a gamma squeeze was 48 hours ago, you are their exit strategy and the down payment on their next Porsche.

Oder auch:

It’s a gigantic financial prisoners dilemma.

Es ist Lockdown, aber Sprit wird teurer – wie kann das sein?

piqer:
Rico Grimm

Wer gerade regelmäßig tanken muss, kann sich nur wundern: Im Vergleich zum ersten Lockdown im Frühjahr sind Spritpreise exorbitant hoch, bis zu 20% mehr. Was dahinter steckt, erklärt Claus Hecking bei Spiegel Online kenntnisreich. Mehrere Faktoren spielen zusammen. Die CO2-Abgabe, die mit dem Klimapaket zum Anfang dieses Jahres eingeführt wurde, die aber für Fernpendler dank höherer Pauschale und Prämie unter dem Strich nicht spürbar sein sollte – und laut Hecking auch nicht ausschlaggebend ist.

Vielmehr seien die Dynamiken am Rohstoffmarkt schuld daran. Nach dem historischen Preiseinbruch im April 2000 geschahen drei Dinge gleichzeitig. Zunächst stoppten viele Ölproduzenten, vor allem die Fracker in den USA, ihren Ausstoß, während die erdölproduzierenden Staaten ihrerseits die Förderung drosselten. Gleichzeitig nutzte China, dessen Wirtschaft deutlich besser durch die Pandemie gekommen ist, als vieler anderer Länder die extrem niedrigen Preise, um im großen Stil einzukaufen. Und ein paar Wochen später, als die erste Welle der Pandemie abebbte, zog auch die Nachfrage in den anderen Ländern wieder an und nahm auch im zweiten Lockdown nicht ab. Denn: Dieses Mal blieben große Teile der Wirtschaft offen, die Mobilität der Bürger:innen sank auch nicht so extrem wie im ersten Lockdown.

Im Ergebnis war die Nachfrage stetig höher als das Angebot. Erst in diesem Monat, im Januar, drehte sich das Verhältnis wieder, weswegen die Preise wieder sinken dürften.

Was macht Corona aus den Gründer:innen?

piqer:
Sven Prange

In der Corona-Krise entdeckt der Staat vor allem die großen Konzerne. Mehr als neun Milliarden für die Lufthansa. Milliarden für die Tui. Geschäftspartnerschaften mit der Deutschen Bank. Dabei sind es vor allem kleine und mittlere Unternehmen, die die Folgen der Corona-Politik zu spüren haben. Und irgendwo dazwischen liegen: Start-ups. Jene neu gegründeten Unternehmen, die mit der Kraft ihrer Ideen die Welt erobern wollten – und sich in einer Welt irgendwo zwischen Homeoffice und eingeschränkten Wirkungsmöglichkeiten wiederfanden. Zu klein, um zu den großen Milliardenempfängern zu gehören. Zu unkonventionell, um sich in den Reigen der „normalen“ Mittelständler einzureihen.

Was macht die Krise mit den Jüngsten in der Unternehmenswelt? Dieser Frage nimmt sich diese Doku aus dem Hause ZDF an. Und: So einfach ist die Antwort gar nicht. Natürlich lähmt Corona die Handlungsfreiheit. Einerseits. Andererseits, auch das hat etwas mit staatlicher Krisenbewältigung zu tun, war es auch schon mal schwerer an Kredit- oder Investorengelder zu kommen.

Jenseits dieser finanziellen Fragen sind aber die Stimmungen, die der Halbstünder vermittelt, ganz interessant. Sie zeigen, dass zwischen Unsicherheit und manchmal auch Frust noch ausreichend Mut überall dort ist, wo die Idee für eine Unternehmung gut genug ist.