Fremde Federn

CumEx, AgD, Wasser-Raubzug

Diese Woche unter anderem in den Fremden Federn: Der Kampf um das säkulare Indien, wie junge Menschen in Deutschland über die zahlreichen Krisen in der Welt denken und warum die Deutsche Bahn ihre eigenen Mitarbeiter nicht verdient hat.

Foto: Jojo Bombardo via Flickr (CC BY-ND 2.0)

In den „Fremden Federn“ stellen wir einmal pro Woche in Kooperation mit dem Kuratorendienst piqd eine Auswahl von lesenswerten journalistischen Fundstücken mit wirtschaftspolitischem Bezug zusammen. piqd versteht sich als eine „Programmzeitung für guten Journalismus“ – was relevant ist, bestimmen keine reichweitenoptimierten Algorithmen, sondern ausschließlich ausgewählte Fachjournalisten, Wissenschaftler und andere Experten.

Die politischen Anliegen und Sorgen der Jugend in Deutschland

piqer:
IEM Institut

Wie denken die jungen Menschen in Deutschland über die zahlreichen Krisen in der Welt? Worüber machen sie sich am meisten Sorgen: über Inflation, Krieg oder Wohnungsmangel?

Anlass diese Artikels ist die Herausgabe der alljährlichen Studie „Jugend in Deutschland“ 2024, die diese Sorgen aufzeigt. Dabei werden ca. 2000 junge Menschen zwischen 14 und 29 Jahren befragt. Die wesentlichen Ergebnisse der Studie sind: Die Aussicht auf ein „easy life“ schwindet. Die höchsten 5 Nennungen sind die Sorgen vor Inflation, Krieg in Europa und Nahost, knapper/teurer Wohnraum, Migration und Altersarmut.

Die Sorge vor Klimawandel nimmt ab. Bevorzugte Parteien AfD (22%), CDU/CSU (20%) und Grüne (18%). Für die jungen Menschen müssen spürbare, praktische Lösungen her. (Mehr dazu im Artikel des IEM).

Die wichtigste Frage für alle politisch und gesellschaftlich Verantwortlichen wird sein, wie junge Menschen wieder für eine positive Perspektive gewonnen und begeistert werden können. Dazu wäre es hilfreich, dass wir – als politische Akteure – die jungen Menschen frühzeitig an Veränderungsprozessen beteiligen. Die scheinbare Präferenz für die AfD resultiert oftmals nur aus einer Protesthaltung.

Die CumEx-Chefermittlerin geht

piqer:
Marcus von Jordan

Anne Brorhilker, die wichtigste Ermittlerin bei der Staatsanwaltschaft in Sachen CumEx, verlässt die Justiz und spricht über ihre Gründe. Sehr vorsichtig und seriös, aber dennoch sind Frust und Kritik überdeutlich. „Nicht ehrgeizig genug“, „kein Verständnis, für das, was die Banken an der Börse treiben“, „nicht auf Augenhöhe“ – das Interview ist gespickt mit solchen Äußerungen.

„…wenn Sie die Frage etwas allgemeiner fassen, was ich generell zu Überschneidung im Bereich der Politik sagen kann, das ist der Bereich des Lobbyismus, das ist ein Mittel mit dem die Finanzbranche ihre Interessen auch durchzusetzen versucht, eben hinter geschlossenen Türen, versucht sie sowohl im Bereich der Politik anzudocken, als auch im Bereich der Verwaltung oder der Rechtssprechung.“

„Dieses Andocken an die Politik – ist das jetzt vielleicht auch diesem besonderen Einzelfall CumEx geschuldet, oder würden Sie sagen – das ist systemisch?“

„Das ist systemisch, wenn wir einen Blick ins aktuelle Lobbyregister werfen, dann ist die Finanzbranche die, die mit Abstand am meisten dafür ausgibt für Lobbytätigkeiten. Und das Lobbyregister erfasst nur die Tätigkeiten im Bundestag, nicht auch auf Verwaltungsebene oder Ministerialebene. Also da sieht man schon was da auf die Strasse gebracht wird, um die Interessen wahrzunehmen.“

Und auf die Frage nach den Gründen dafür, dass die Regulierung am Finanzmarkt nicht effektiv funktioniert:

“ …also, tatsächlich glaube ich, dass der Föderalismus in Deutschland ein Problem ist. Das ist in anderen europäischen Ländern eben naturgemäß auch nicht so, ein Zentralstaat wie Frankreich hat es natürlich einfacher, zentrale Behörden zu schaffen. In Deutschland haben wir immer diese Doppelstruktur zwischen Bund und Ländern. Also warum zum Beispiel diese Fälle nicht in die Zuständigkeit der europäischen Staatsanwaltschaft fallen, das frage ich mich schon seit längerem. Das wäre eine Möglichkeit, auch europäisch die Maßnahmen besser zu koordinieren, (…) denn das sind ja immer die gleichen Kreditinstitute die in allen Ländern da präsent sind in diesem Kriminalitätsbereich und auch die gleichen Personen.“

Brorhilker arbeitet übrigens zukünftig für die Bürgerbewegung Finanzwende, einen Verein, der sich gemeinnützig finanziert für einen fairen Finanzmarkt einsetzen will.

Deutsche „Patrioten“

piqer:
Hasnain Kazim

Es mag nicht sonderlich einfallsreich sein, die „Spiegel“-Titelgeschichte als Lesetipp zu geben, aber diese hier ist wirklich lesenswert: „Alternative gegen Deutschland“, ein Abriss darüber, wie diverse AfD-Politiker sich von fremden Ländern bezahlen und bezirzen lassen, um dann deren Linie und Interessen in Deutschland zu vertreten, sich aber als „Patrioten“ darstellen.

Es war schon damals, vor drei Jahren, vielen in der AfD klar, dass Krah ein ungewöhnlich entspanntes Verhältnis zu autokratischen Systemen pflegt. Zu Beginn der Woche aber ist womöglich noch deutlicher geworden, warum das so ist. Der Generalbundesanwalt ließ einen engen Mitarbeiter Krahs festnehmen, weil dieser interne Informationen aus dem Europaparlament an einen chinesischen Geheimdienst weitergegeben haben soll.

Tja. Manch einer in dieser Partei scheint keinerlei Hemmungen zu haben, Kontakte zu autokratischen Staaten, insbesondere Russland und China, zu nutzen, um sich selbst zu bereichern. Und ausgerechnet Leute aus jeder Partei, die permanent anderen vorwerfen, „deutsche Interessen“ zu „verraten“, tun genau dies: deutschen Interessen verraten.

Über den AfD-Spitzenkandidaten zur Europawahl, Maximilian Krah, heißt es in dem Text unter anderem:

Vertraute beschreiben ihn als jemanden, der immer auf seinen eigenen Vorteil bedacht ist. Womöglich deshalb wechselte er 2016 von der CDU zur AfD.

Krah ist der Typ, dessen Mitarbeiter gerade wegen des Verdachts auf Spionage für China festgenommen wurde. So scheint es um große Teile der AfD zu stehen: Es geht ihr nicht um Deutschland, sondern um die eigenen Vorteile. Der Artikel arbeitet das auf, mit vielen wissenswerten Details.

Recycling ist Schrott und Mehrweg ist Müll

piqer:
Rico Grimm

Jeder, der sich für Umwelt und Industrie interessiert, sollte dieses Interview lesen. Darin spießt der Cradle-To-Cradle-Erfinder Michael Braungart unser komplettes Plastik- und Recycling-System auf – und zeigt die Alternative auf.

Er tut das mit Witz und bemerkenswerten Einsichten, die für Laien in dieser Deutlichkeit selten zu hören sind, weil die Recycling-Industrie genauso die Plastik-Industrie kein Interesse daran haben darüber zu reden, dass Plastik-Recycling eigentlich nicht richtig funktioniert.

PET ist nicht für Mehrweg geeignet, auf jeden Fall nicht so, wie es heute gehandhabt wird. Bei der Reinigung werden die PET-Flaschen zerkratzt, dadurch gehen bestimmte Giftstoffe vermehrt in die Flüssigkeit über. Wir haben in Cola-Flaschen bis zu 80-mal so viel des giftigen Schwermetalls Antimon gefunden, wie im Trinkwasser erlaubt ist. Außerdem werden jede Menge Pestizide benötigt, damit die Abfüllanlagen und Waschanlagen nicht verkeimen. Diese Stoffe finden sich nachher in der Cola wieder.

Und das duale System verhindere seit mehr als 30 Jahren erfolgreich Innovationen.

Es war falsch, die Entsorgung des Verpackungsmülls an die dualen Systeme zu delegieren, dadurch gibt es keinen Anreiz mehr für Innovation. Ein Hersteller, der sich bemüht, keine giftigen Druckfarben zu verwenden, zahlt genauso viel für die Entsorgung, wie einer, der immer noch PVC verwendet. Seit der Grüne Punkt 1990 startete, ist kein einziger schädlicher Kunststoff, kein giftiges Pigment vom Markt verschwunden. Stattdessen hat sich die Verpackungsmenge verdoppelt.

Ganz ohne Plastik-Verpackungen geht es aber nicht, so Braungart: „Ein- und Auspacken hat soziale und kulturelle Dimensionen, die häufig übersehen werden. Es gibt nichts Langweiligeres als einen Nacktbadestrand.“

Was Mitarbeiter der Deutschen Bahn wirklich denken

piqer:
Rico Grimm

Viel wird über die Deutsche Bahn gesprochen, wenig mit jenen 340.000 Menschen, die in dem Unternehmen arbeiten. Dabei sind sie es, die am Besten wissen, wie es wirklich um die DB steht und wo sie die größten Probleme hat. Rebecca Kelber hat einen Schaffner, eine Lokführerin und einen Mitarbeiter eines Stellwerkes interviewt und Protokolle dieser Gespräche veröffentlicht.

Was sie gehört hat, liefert wertvolle Details, um zu verstehen, warum diese Züge ständig zu spät kommen. Und wir bekommen eine Ahnung davon, wie lange es dauern wird, die Probleme zu beheben – sehr lange.

Nehmen wir den Mitarbeiter im Stellwerk:

Mit den Jahren ist das Regelwerk immer umfangreicher und komplizierter geworden. Manche Richtlinien sind inzwischen so kompliziert, dass es zeitlich nicht machbar wäre, nach Vorschrift zu arbeiten. Deshalb halten ich und meine Kollegen uns oft nicht mehr an sie. Denn die Sicherheit lässt sich mit gesundem Menschenverstand und etwas Erfahrung auch so gewährleisten.

Und weiter:

Wenn Reisende ihren Anschluss verpassen, weil ein Zug nicht auf sie wartet, muss mir das offiziell egal sein. Ich muss warten, bis mich das Verkehrsunternehmen anruft und einen Anschluss beantragt. Oft ist der Zeitkorridor dafür aber so knapp, dass der Anruf nicht rechtzeitig kommt. Dann sitzt man da, würde gerne, darf aber offiziell nicht.

Auch der Schaffner erzählt, dass er Regeln hat, die er nicht versteht oder die überhaupt nicht durchsetzbar seien:

Bevor wir kontrollieren, sollen wir in der ersten Klasse Kaffee verkaufen. Warum das so ist, weiß ich nicht.

Es entsteht, wenn man die drei Protokolle liest, das Bild eines Unternehmens, dass seine Mitarbeiter eigentlich nicht verdient hat. Denn alle drei sind positiv und lieben die Bahn und Zugfahren.

Vielleicht ist das das größte Problem: dass die DB nicht das Potential hebt, das in diesen Leuten steckt.

Über die größten Wahlen der Welt

piqer:
Natalie Mayroth

2024 ist ein Superwahljahr: Auch in Indien, das sich selbst als die größte Demokratie der Welt bezeichnet, wird noch bis Anfang Juni gewählt. Fast eine Milliarde Menschen sind wahlberechtigt, über eine Million Wahllokale öffnen ihre Türen, mehr als fünf Millionen elektronische Wahlmaschinen sind im Einsatz und Frauen rücken als Wählerschaft in den Fokus. Um das Land abzudecken, erstreckt sich die Wahl über sechs Wochen. Die regierende hindunationalistische Volkspartei BJP unter der Führung von Narendra Modi (NDA) strebt dabei eine dritte Amtszeit an und wirbt damit, Indien bis 2047 auf den Erfolgsweg einer entwickelten Nation zu führen.

Weite Teile der Opposition haben sich inzwischen zum ‚INDIA-Block‘ zusammengeschlossen und mahnen, es sei ein Kampf um die säkulare Seele Indiens. Die BJP werde die Verfassung zerstören, sagt etwa der Oppositionspolitiker Rahul Gandhi. Es wird spannend zu sehen, für wen sich die Wähler:innen entscheiden werden – pro Sitz fürs Unterhaus müssen die Kandidat:innen im Schnitt um die 1,5 Millionen Wähler:innen erreichen. Klar ist: Der Süden Indiens wählt anders als der Hindi-sprachige Norden, wo die BJP in der Vergangenheit viele der 543 Parlamentssitze (hier eine Karte) einstreichen könnte.

Wer sich weiter einlesen beziehungsweise hören möchte, für den habe ich ein paar deutschsprachige Quellen herausgesucht:

  • ‚Milliarden Stimmen‘, so heißt der Podcast von Studierenden der Uni-Heidelberg, die verschiedene Themen aufarbeiten: Ist Indien überhaupt eine Demokratie? Wo kommt Narendra Modi her? Was geht uns in Deutschland Indien an? 
Zu hören ist er auf Spotify.
  • Im südindischen Kerala, einer bekannten linken Hochburg, habe ich mir für die taz den Kampf zwischen zwei linken Parteien angesehen: der kommunistischen CPI(M) und der linksliberalen Kongresspartei. Die BJP spielt in diesem Bundesstaat derzeit eine untergeordnete Rolle.
  • Der Frage, warum die hindunationalistische BJP so beliebt ist, geht für die NZZ Andreas Babst in Nordindien nach. (Bezahlschranke)
  • Den in Deutschland lebenden indischen Polit-Influencer Dhruv Rathee hat sich Peter Hornung, ARD, genauer angesehen beziehungsweise bei ihm reingehört.
  • Mathias Peer schreibt über Premierminister Narendra Modis Traum von Indien als Weltmacht fürs Handelsblatt und woran das scheitern könnte (Bezahlschranke).
  • In der Presse aus Wien fordert Susanna Bastaroli vor den Wahlen die „rosarote Brille“ beim Blick auf Indien abzunehmen, denn kaum ein anderes Land profitiert so sehr von aktuellen geopolitischen Machtkämpfen wie der Subkontinent (leider auch hinter der Bezahlschranke).
  • Und die Parteien werben um Expats, auch wenn sie nur wählen können, wenn sie ihren indischen Pass behalten haben und dann nach Indien fliegen, um dort ihre Stimme abzugeben. Mehr dazu lest ihr bei der Deutschen Welle.

Wasser statt Öl – Der Raubzug der Investmentgesellschaften

piqer:
Ole Wintermann

Der (finanzielle) Krieg um zu knappes Wasser in Zeiten der Klimakrise hat schon längst begonnen, so die vom The Guardian durchgeführte umfängliche Recherche in einem kleinen Dorf am Colorado River in Arizona.

Unter dem Deckmantel, ein landwirtschaftliches Unternehmen zu sein, hat eine weit verzweigte Investmentgesellschaft vor 10 Jahren Land, das am Fluss gelegen ist und mit dessen Wasser normaler Weise diese Grundstücke für landwirtschaftliche Zwecke genutzt werden, erworben. Nun hat diese Investmentgesellschaft diese Wasserrechte mit einem Gewinn in Millionenhöhe an die 200 Meilen entfernte Stadt Phoenix verkauft. Seitdem wird das Wasser des Flusses über diese Entfernung hin zu der boomenden Stadt, die sinnbefreit in einer lebensfeindlichen Umgebung weiter wächst, transportiert. Die Menschen des kleinen Dorfes fühlen sich hintergangen:

„She felt that a company with ties to big banks and real estate developers, posing as a farm, had infiltrated her small town and sold off its most precious resource.“

Ob der Hinweis des zuständigen Bundesgerichts auf das Fehlen der Umweltverträglichkeitsprüfung die Entscheidung des Unternehmens wird aufheben können, ist derzeit unklar. Zudem konterkariert das Profitstreben der Investmentgesellschaft das seit Jahren bestehende Anliegen der Anrainerstaaten des Colorado, die Wasserressourcen koordiniert zu schonen.

Dieser (legale) Raubzug zeigt auf, mit welchen Methoden Investmentgesellschaften in Zukunft vom (finanziellen) Krieg um zu knappes Wasser vorgehen werden. Das einzige, was Menschen und Umwelt schützt, ist eine strikte Regulierung.