Die Corona-Krise ist in erster Linie ein gesundheitspolitisches Thema, bei dem zu Recht vor allem Epidemiologen und Ärzte gefragt sind. Darüber hinaus löst die Pandemie aber auch einen ökonomischen Schock aus. Dessen Dimensionen sind noch nicht final kalkulierbar. Schon jetzt ist aber absehbar, dass es eine schwere Rezession geben wird, wenn nicht sogar die schwerste in der Nachkriegszeit. So hält etwa das ifo-Institut einen BIP-Einbruch von bis zu 20% für denkbar – das wäre das Dreifache der Finanzkrise.
Die Politik hat gut daran getan, zeitnah und unbürokratisch Lösungen zu erarbeiten. Das Kurzarbeitergeld für Beschäftigte, Überbrückungskredite für Unternehmen sowie finanzielle Hilfen für Kleinunternehmer und Freiberufler sind richtige und geeignete Wege. Auch Staatsgarantien, Staatsbeteiligungen und eine befristete Übernahme der Löhne von Unternehmen, die von der Krise getroffen sind, sind Maßnahmen, die bei einer Verschärfung der Krise diskutiert werden müssen. Bei diesen Fragen ist in erster Linie der Bund gefordert.
Wenn es aber darum geht, das staatliche Krisenmanagement vor Ort umzusetzen, stehen die Kommunen an vorderster Linie. Hier sitzen die Gesundheitsämter, werden Krankenhäuser betrieben, Ausgangsbeschränkungen überwacht. Hier können Maßnahmen umgesetzt werden, um lokale Gewerbetreibende oder Kulturschaffende zu stützen. Und nicht zuletzt treffen die Kommunen Vorkehrungen, um die Daseinsvorsorge auch bei weiteren Verschärfungen aufrecht zu halten.
Die Kommunalhaushalte werden unter massiven Druck geraten
Diese Maßnahmen binden Ausgabenmittel in den kommunalen Haushalten, die in den Budgets für 2020 selbstredend nicht abgebildet sein konnten. Finanzielle Lasten drohen aber noch vielmehr auf der Einnahmeseite über die Gemeindesteuern und den kommunalen Finanzausgleich. Während Bund und Länder in dieser Phase die grundgesetzlich verankerte Ausnahmeregelung der Schuldenbremse nutzen können, sind die Kommunen haushaltsrechtlich sehr viel stärker beschränkt.
Eine seriöse Abschatzung des zusätzlichen Aufwands für die Kommunen ist derzeit noch nicht möglich – allerdings ist klar, dass er enorm sein wird. Wichtiger noch als die zu erwartenden zusätzlichen Ausgaben sind jedoch die bereits kurzfristig eintretenden Einnahmeeinbußen. Und im Gegensatz zu den Mehrausgaben lassen sich die Einnahmerückgänge zumindest ansatzweise quantifizieren. Dafür lohnt zunächst ein Blick auf die Struktur der Gemeindesteuern:
Struktur der gemeindlichen Steuereinnahmen
Neben den sonstigen kommunalen Steuern (z.B. Hundesteuer, Zweitwohnungssteuer) entfallen die kleineren Anteile auf den Gemeindeanteil bei der Umsatzsteuer und auf die Grundsteuern. Bei den Grundsteuern sind nur geringe Einbußen zu erwarten. Zwar kann es zu Zahlungsausfällen kommen, wenn Unternehmen zahlungsunfähig werden. Ansonsten bleibt die Steuerbasis der Grundsteuer konstant. Bei der Umsatzsteuer sind, trotz der oben genannten Hilfsprogramme, gewisse Einbußen wahrscheinlich. Im Zuge der Finanzkrise war hier bundesweit ein leichter Rückgang zu verzeichnen, der sich bei den Kommunen als Stagnation ausdrückte.
Entscheidend für die Gemeinden sind die Entwicklungen bei der Einkommenssteuer und bei der Gewerbesteuer, die zusammen 80% der Gemeindesteuern ausmachen – und konjunktursensibel sind. Bereits heute sind erhebliche Verwerfungen am Arbeitsmarkt zu beobachten, so z.B. bei der Kurzarbeit. Dies drückt sich in der Einkommenssteuer aus. Dieser Steuerrückgang wird überproportional ausfallen, da die Einkommenssteuer progressiv verläuft. Auch hier lohnt ein Vergleich zur Finanzkrise 2009: damals ging die veranlagte Lohn- und Einkommenssteuer um 8% zurück.
Das größte Risiko aber liegt in einem absehbar dramatischen Rückgang der Gewerbesteuer. Bei den Gemeinden deckt diese Steuer im Bundesdurchschnitt rund 20% der bereinigten Einnahmen. Die besonderen Risiken bei der Gewerbesteuer liegen in der Volatilität, in der kurzen Anpassungsfrist und bei den regionalen Unterschieden. Die Volatilität zeigt die Zeitreihe von 2008 bis 2018 über den Konjunkturverlauf der letzten großen Wirtschaftskrise von 2009:
Von 2008 zu 2009 sank das Aufkommen bei der Gewerbesteuer (netto, d.h. nach Abzug der Gewerbesteuerumlage) um rund sechs Milliarden Euro, ein Rückgang von 20% bei einem BIP-Einbruch von knapp 6%. In 2018 lag das Netto-Aufkommen bei 42 Milliarden Euro. Ein vergleichbarer Rückgang würde sich demnach aktuell auf rund 8,5 Milliarden belaufen. Auch wenn die Krisen nicht vergleichbar und eine lineare Extrapolation nicht angemessen ist, kann der Rückgang heute nach dem „Worst-Case-Szenario“ des Ifo-Instituts (20% BIP-Reduktion) aber auch leicht über 50% betragen. Die Gründe für diese dramatischen Rückgänge liegen in der Bemessungsgrundlage der Besteuerung. Im Wesentlichen werden bei der Gewerbesteuer die Gewinne von Unternehmen besteuert. Eine historische Krise wie die jetzige wird bei den allermeisten Unternehmen die Gewinne erheblich mindern bzw. gar zu Verlusten führen.
Was die Situation zusätzlich verschärft und ein sofortiges Handeln der Landesregierungen erfordert, ist die kurze Vorlaufzeit. Im laufenden Jahr zahlen die Unternehmen quartalsweise Abschläge als Vorauszahlung kalkuliert auf Grundlage der Vorjahreswerte (Februar, Mai, Augst, November). Bei belegbaren wirtschaftlichen Problemen können die Unternehmen beim zuständigen Finanzamt einen Antrag auf Kürzung der Vorauszahlungen stellen. Von dieser Option wird angesichts der beginnenden Rezession in diesem Jahr ein Großteil der Unternehmen Gebrauch machen. Darüber hinaus hat der Bundesgesetzgeber diese Option bereits erleichtert. Die Finanzämter sind angewiesen, Anträge auf Kürzungen auch ohne besondere Gründe wohlwollend zu behandeln. Unternehmen direkt zu entlasten ist konjunkturpolitisch sinnvoll, führt jedoch für die Kommunen zu unmittelbaren Einnahmeverlusten. Diese werden die Haushalte bereits mit der Mai-Zahlung erreichen.
Die Effekte der Gewerbesteuer werden durch die große regionale Disparität zusätzlich verschärft. So kann die Bedeutung der Gewerbesteuer weit über den Bundesdurchschnitt von 20% hinausgehen. Besonders deutlich werden die Unterschiede bei den kreisfreien Städten. Während die Gewerbesteuer im Minimum lediglich unter zehn Prozent der Einnahmen ausmacht (Frankfurt/Oder, Herne, Cottbus, Delmenhorst), erreicht sie im Maximum einen Anteil von 46% Prozent (Frankfurt/Main, Coburg).
Aus verteilungspolitischen Gründen ließe sich argumentieren, dass der Rückgang der Gewerbesteuer tendenziell die stärkeren Gemeinden betrifft, die dies aus Rücklagen der Vorjahre verkraften können (sollten). Dieses Argument ist nicht gänzlich von der Hand zu weisen, denn tatsächlich sind die Rücklagen bei den finanzstarken Gemeinden in den letzten Jahren erheblich gestiegen. Aber die Gewerbesteuer hat nicht nur bei gutsituierten Gemeinden Bedeutung. Bei finanzschwachen Kommunen sind selbst geringe Einbußen mit spürbaren Effekten für den Haushalt verbunden. Zudem müssen in der Krise auch finanzstarke Kommunen die Chance erhalten, ihre lokale Wirtschaft mit sinnvollen Maßnahmen zu unterstützen.
Der Status Quo führt in die Blockade
Der Anstieg der Ausgaben und der enorme Einbruch der Steuereinnahmen hätte im geltenden System der Kommunalfinanzen dramatische Folgen und würde die Handlungsfähigkeit der Kommunen blockieren. Die Probleme liegen im Haushaltsrecht und in der Liquidität.
Haushaltsrechtlich müssen die Kommunen bei Anzeichen erheblicher Mindereinnahmen unverzüglich reagieren und das kurzfristig Mögliche zur Stabilisierung des Haushaltes tun. In der Praxis erlässt die Kämmerei eine Haushaltssperre, womit alle vertraglich oder gesetzlich nicht gebunden Ausgaben (zumindest vorerst) blockiert sind. In der Summe wäre der Effekt auf die Gesamtausgaben gering, die Sperre wirkt aber hoch selektiv: Sie beträfe genau die krisenbedingten Mehrausgaben, die im Haushalt 2020 natürlich nicht vorgesehen waren.
Viele Kommunen werden bereits im laufenden Jahr Engpässe der Liquidität verzeichnen, da Steuern nicht wie geplant fließen. In Reaktion darauf werden Liquiditätskredite nötig, für welche viele Kommunen jedoch keine ausreichende formalrechtliche Genehmigung besitzen. Denn diese Bedarfe waren in der Haushaltsplanung 2020 nicht absehbar.
Geradezu dramatisch wirkt sich das Haushaltsrecht mit Blick auf die Haushaltsplanung des Jahres 2021 aus. Vor dem Hintergrund der einbrechenden Einnahmen ist der gesetzlich geforderte Haushaltsausgleich für einen Großteil der Kommunen nicht darstellbar. Sie geraten damit in den Fokus der Kommunalaufsicht und sind gezwungen, Maßnahmen der Haushaltskonsolidierung zu beschließen. Diese Maßnahmen wären zwecklos und könnten die Defizite nicht auffangen – der Zustand vorläufiger Haushaltsführung droht.
Auch kann der kommunale Finanzausgleich, dem unter anderem eine „Versicherungsfunktion“ gegen Einnahmeausfälle zukommt, kurzfristig nicht helfen. Im Gegenteil: Es drohen (je nach Rechtslage im jeweiligen Bundesland) bereits im laufenden Jahr Kürzungen der Schlüsselzuweisungen, da das Bundesland ebenso auf den Einnahmerückgang reagiert. Dennoch wird es im Jahr 2020 zu Überzahlungen kommen, die im übernächsten Jahr ausgeglichen werden und damit die Krise fortschreiben.
Mit Blick auf die Erfahrungen der Finanzkrise kann die Befürchtung einer erneuten Schieflage der Banken aufkommen. Für die Kreditaufnahme der Kommunen stellt eine solche potentielle Bankenkrise allerdings nicht das vorrangige Problem dar. Gerade in der Krise – und durch die Ausweitung der Bereitstellung von Liquidität durch die EZB – werden Anleger und Kreditinstitute den deutschen Kommunen bereitwillig Kredite anbieten.
Kurzum: Das für „Normalzeiten“ konstruierte und sinnvolle Haushaltsrecht wird in dieser Rezession die Kommunen in chaotische Zustände stürzen. Die finanzielle Handlungsfähigkeit ist ausgeschaltet, damit auch die Rolle der Kommunen als Stabilitätsanker und Akteur der Krisenbewältigung. Die kommunale Haushaltspolitik wäre prozyklisch.
Gegenreaktionen liegen in der Verantwortung der Länder
Es bestehen also vorrangig zwei Probleme, die adressiert werden sollten: Haushaltsrecht und Liquidität. Beides ist durch die Länder lösbar.
Die Länder verantworten das Haushaltsrecht und damit auch die Vorschriften der Haushaltswirtschaft. Der Grundsatz des Haushaltsausgleichs und dessen Folgen (insbesondere Haushaltssperren) sind meist gesetzlich verankert. Eine Rechtsänderung ist kurzfristig jedoch nicht nötig. Die zuständigen Innenministerien können bestimmte Normen über Erlasse an die Aufsichtsbehörden praktisch temporär aussetzen. Es muss verhindert werden, dass die Kommunen den sachlich zwecklosen, bürokratisch aufwendigen und schädlichen Weg harter Sparprogramme beschreiten. Die Kreditfinanzierung des kommunalen Haushaltes muss in diesen Krisenzeiten möglich sein.
Die zweite Säule der notwendigen Maßnahmen betrifft Zuweisungen. Zur Erinnerung: Hauptursache für die Haushaltsprobleme wird der Einbruch der Gewerbesteuer sein. Die Länder müssen diesen Einbruch ausgleichen, um die Haushalte zu stabilisieren. Dieser Ausgleich sollte sich an den geplanten Einnahmen für 2020 orientieren, gekappt am finanzstatistisch gemessenen Bedarf (liegt in den meisten kommunalen Finanzausgleichssystemen vor). Zwangsläufig profitieren von dieser Zuweisung vermehrt die finanzstarken Kommunen. Dies ist jedoch angesichts der Krisenstruktur unvermeidlich und für die Stabilisierung der lokalen Wirtschaft auch angemessen.
Die dritte Säule der Hilfen sollte die Kommunen bei krisenbedingten Mehrausgaben unterstützen. Diese Zuweisung kann an pauschalen Indikatoren, wie der Einwohnerzahl, ansetzen.
Diese Hilfen können die Länder natürlich nicht aus den bestehenden Haushalten schultern. Dies wäre weder sinnvoll, noch ist es nötig. Die Schuldenbremsen der Länder erlauben ihnen, wie auch dem Bund, im Falle von Naturkatastrophen die Aufnahme von Krediten.
Erstes Gebot in der Krise: Handlungsfähigkeit sichern
Bund und Länder sind gut beraten, in der sich abzeichnenden Rezession von historischem Ausmaß auf breiter Front Handlungsfähigkeit zu demonstrieren. Erste weitreichende Maßnahmen sind beschlossen und je nach Lage können weitere folgen.
Die Kommunen sind in der Krise direkter Ansprechpartner für die Bürger, und das ist in unserer Demokratie und in unserem föderalen System auch sinnvoll. Die Kommunen agieren als Krisenmanager vor Ort mit Rücksicht und unter Beachtung der lokalen Begebenheiten. Die zusätzlichen Ausgaben der Kommunen für die Bewältigung der Krise sind schwer einzuschätzen und sie werden lokal auch in der Sache variieren. Klar ist hingegen, dass diese Mehrkosten erheblich sind und zusätzlich zu den in den Haushalten geplanten Mitteln anfallen.
Einer der wichtigsten Grundsätze im Umgang mit Krisen ist: Der Staat muss handlungsfähig sein. Die Länder haben die (finanziellen) Spielräume, die Kommunen handlungsfähig zu halten. Sie sollten diese schnell nutzen.
Zu den Autoren:
Ronny Freier ist Professor für öffentliche Finanzwirtschaft an der Technischen Hochschule Wildau und wissenschaftlicher Mitarbeiter am DIW Berlin.
René Geißler ist Senior Expert für kommunale Finanzen der Bertelsmann Stiftung.