Fremde Federn

CO2-Entnahme, Made in Europe, Energieeffizienzgesetz

Diese Woche unter anderem in den Fremden Federn: ChatGPT als wissenschaftlicher Autor, die komplizierte politische Ökonomie von Elektrofahrzeugen und warum die deutsch-französische Freundschaft kriselt.

Foto: Jojo Bombardo via Flickr (CC BY-ND 2.0)

In den „Fremden Federn“ stellen wir einmal pro Woche in Kooperation mit dem Kuratorendienst piqd eine Auswahl von lesenswerten journalistischen Fundstücken mit wirtschaftspolitischem Bezug zusammen. piqd versteht sich als eine „Programmzeitung für guten Journalismus“ – was relevant ist, bestimmen keine reichweitenoptimierten Algorithmen, sondern ausschließlich ausgewählte Fachjournalisten, Wissenschaftler und andere Experten.

Konflikte um Rohstoffabbau in der EU

piqer:
Jürgen Klute

Die Europäische Union will mit einem Programm namens Green Deal dem Klimawandel entgegenwirken. Zentrale Elemente der EU-Klimapolitik sind eine Energiewende und eine Verkehrswende. Zu deren Realisierung (Stichwort: Batterien) braucht es spezielle Rohstoffe wie z. B. Lithium oder Graphit. Der Großteil der für die Energiewende nötigen Rohstoffe wird derzeit aus Ländern außerhalb der EU importiert. Die EU will das ändern und zukünftig in größerem Umfang auch Rohstoffe innerhalb der EU abbauen. Immerhin sind in Schweden größere Vorkommen von Seltenen Erden entdeckt worden, in Portugal gibt es große Lithium-Lagerstätten und in Finnland Graphit-Vorkommen. Mit dem Abbau dieser Rohstoffe innerhalb der EU würde sich die EU unabhängiger von Importen aus Drittländern machen.

Auf dem Papier klingt das plausibel und schlüssig. In der Realität ist das allerdings etwas anders. Sowohl in Portugal als auch in Finnland gibt es erheblichen Widerstand gegen den Abbau der jeweiligen Rohstoffe von den Menschen, die in oder nahe der Abbaugebiete leben.

Oliver Noyan ist diesen Konflikten nachgegangen und beschreibt in seinem auf dem Portal Euractiv veröffentlichten Artikel, weshalb sich die Menschen vor Ort in Finnland und Portugal gegen neue Bergbauprojekte wehren.

Ein Weg zur Auflösung dieser gegensätzlichen Interessen – ohne die Rohstoffe gibt es die unumgängliche Energiewende nicht, aber die Menschen vor Ort haben andererseits auch berechtigte Interessen und Schutzrechte, die zu respektieren sind – könnte, so eine Schlussfolgerung aus dem Artikel, eine stärkere Demokratisierung der Genehmigungsverfahren (und damit auch dieses Teils der Wirtschaft) sein, die den Interessen der lokalen Bevölkerung deutlich gerechter wird, als das derzeit der Fall zu sein scheint. Hier wäre dann die EU gefordert, da sie im Bereich der Wirtschaft und des Umweltschutzes die weitgehendsten Regulierungskompetenzen hat.

Ofen aus für „Made in Europe“?

piqer:
Thomas Wahl

Das wirtschaftlich-soziale Erfolgsmodell des letzten Jahrhunderts, zumindest West- und Mitteleuropas, war die Industrialisierung – Kapitalismus plus Demokratie. Mit preiswerter Kohle und der Dampfmaschine d. h. durch ausreichende Energie, wurden in unserem Teil der Welt Güter für alle möglich, die vorher nur einer sehr kleinen Schicht der Reichen zugänglich waren. Warme Wohnungen und Kleidung, ausreichend Nahrung und Genußmittel, Geschirr, Zeitungen und Bücher, Autos, Fahrräder u. v. a. m.. Die Globalisierung hat diesen Weg für alle geöffnet, und viele Nationen jenseits des „Westens“ haben ihn beschritten. Industrie und Energie ist nichts mehr, was wenige Länder exklusiv besitzen (können) – immer nur im Wettbewerb und in Kooperation mit anderen. Und nun kommt der Alarmruf:

Die Energiekosten – die 2022 durch die Invasion Russlands in die Ukraine und die Abschaltung lebenswichtiger Gaspipelines auf Rekordniveau getrieben wurden – sind für viele produzierende Unternehmen zu hoch geworden, um mit Produktion in Europa wettbewerbsfähig zu bleiben. Gleichzeitig hat ein riesiges Paket amerikanischer Subventionen für grüne Industrien (nicht nur) unsere EU-Beamten schockiert und verärgert. Sie müssen mit ansehen, wie die USA – ein angeblicher Verbündeter – Unternehmen dazu verleiten, Produktion über den Atlantik zu verlagern.

Besonders betroffen sind natürlich energieintensive Sektoren wie Glas, Chemikalien, Metalle, Düngemittel, Zellstoff oder Papier, Keramik sowie Zement. Das trifft Industriezweige, die 8 Millionen Menschen Arbeit geben. Konfrontiert mit dem global wachsenden wirtschaftlichen Wettbewerb nicht nur mit China, sondern auch mit den zunehmend protektionistischer agierenden Vereinigten Staaten warnen die europäischen Staats- und Regierungschefs offen vor einer Ausdehnung der „Deindustrialisierung“ auf die gesamte Produktion unseres Kontinents.

„Angesichts der Maßnahmen der USA und Chinas sehen wir die reale Gefahr der Deindustrialisierung und Desinvestition“, sagte ein hochrangiger Beamter der Europäischen Kommission.

Und es sind nicht nur die Politiker, die vor einem aus des „Made in Europe“ warnen:

Der Verlust von Produktionskapazitäten bedeutet, Arbeitsplätze zu verlieren, und das – sagte Luc Triangle, Generalsekretär der Europäischen Gewerkschaft IndustriALL, die Produktionsarbeiter vertritt – hat „politische Konsequenzen“.

Triangle warnte davor, das z. B. ein beschleunigter Exodus der Industrie in Mittel- und Osteuropa Wähler gegen die EU in Stellung bringen könnte, die dann in eine andauernde Krise gleiten würde.

„Es gibt politische Konsequenzen“, sagte Triangle. „Welche Parteien werden gewinnen und von der Unzufriedenheit und Enttäuschung gedeihen? Die Parteien, die antieuropäische oder andere extremistische Agenden haben“.

Einige wollen gleich den Kapitalismus abschaffen, der für alles verantwortlich sei. Ich bin ja mit vielem, was Wolfgang Merkel in der FR sagt, nicht ganz einverstanden, aber hier stimme ich zu – Demokratie und Kapitalismus

das ist eine Zwangsverheiratung. Der Kapitalismus folgt zwar einem anderen Prinzip, aber die Demokratie ist auf den Kapitalismus angewiesen, auf seine Effizienz und Innovationskraft, sonst wird sie an Legitimität bei ihren eigenen Bürgerinnen und Bürgern verlieren. Der Kapitalismus braucht die Demokratie nicht, aber die Demokratie braucht den Kapitalismus.

Verlieren wir die Industrie, verlieren wir u. U. die Demokratie. Ganz ohne energieintensive Fabriken wird es nicht gehen …

Aber bei allen Meinungsverschiedenheiten zwischen den Ländern und Strategien der weitere Weg bleibt noch unklar.

Die Lockerung der strengen Beihilfevorschriften der EU ist ein wichtiger Schwerpunkt unter den Beamten, und die finanzielle Unterstützung der EU für das verarbeitende Gewerbe wird ebenfalls in Betracht gezogen.

Der Spiegel schreibt, dass z. B. in Deutschland der Bund ab nächstem Jahr mit der Industrie sogenannte Klimaschutzverträge abschließen will:

Wer klimafreundlich produziert, obwohl das teurer ist, bekommt vom Staat bis zu 15 Jahre lang die Mehrkosten erstattet. Vor allem die Stahl-, Chemie-, Zement- und Glasindustrie sollen damit angetrieben werden, schnell auf eine grüne Fertigung umzusteigen.

Da kann man nur sagen, im Sozialismus wurde auch über lange Zeit versucht, fehlende Produktivität durch Subventionen auszugleichen. Das hätte was von Münchhausen, wenn die Wettbewerber nicht mitziehen, wird es so nicht funktionieren. Aber wie auch immer, es kommt ein global spannendes Jahr 2023 …

Eine ganz besondere Freundschaft – und warum sie kriselt

piqer:
Sven Prange

Der verehrte Nils Minkmar hat gerade in der Süddeutschen Zeitung den Stand der deutsch-französischen Beziehungen ziemlich klug auf den Punkt gebracht. Tatsächlich steht der aktuelle Zustand des, zumindest politischen, Verhältnisses und die historische Leistung, jenes überhaupt nach dem Zweiten Weltkrieg ermöglicht zu haben, in einem ungünstigen Verhältnis.

Warum das so ist? Das zu erklären vermag vermutlich keine Institution so gut wie der französisch-deutsche Gemeinschaftssender arte, eine der großen Erfolgsgeschichten dieses ungewöhnlichen Länderverhältnisses.

Der Dokumentarfilm porträtiert die für Europa so wichtige Partnerschaft zwischen Deutschland und Frankreich. Die russische Invasion der Ukraine stellt die Partnerschaft nun erneut auf die Probe. Ist sie noch in der Lage, ihrer Führungsrolle in der Europäischen Union gerecht zu werden?

Das Schöne ist, dass die Antwort auf diese Frage nicht zwangsläufig negativ ausfallen muss. Wer sich über diesen Film hinaus mit der Frage beschäftigen mag, hört zuversichtlich das Raunen des Philosophen Bernard-Henry Lévi im oben angerissenem Minkmar-Text. Oder vergewissert sich, dass es an Ideen für gemeinsame Vorhaben nicht hapert. Höchstens am Willen, aber das wäre ja leicht zu ändern.

CO2 aus der Atmosphäre holen: Wir stehen noch ganz am Anfang

piqer:
Alexandra Endres

Rund 37 Milliarden Tonnen Kohlendioxid werden weltweit jährlich emittiert. Zählt man die anderen Treibhausgase dazu, etwa Methan und Lachgas, und rechnet ihre Klimawirkung in CO2-Äquivalente um, kommt man auf fast 50 Milliarden Tonnen.

Nun gibt es Möglichkeiten, das CO2 wieder aus der Atmosphäre zu holen, etwa durch Aufforstung und neuartige technische Verfahren. „Carbon Dioxide Removal“ wird das genannt, CDR. Die ernüchternde Nachricht: Im Moment, das ist ein erster Schätzwert, schaffen wir pro Jahr nur zwei Milliarden Tonnen CDR. Das meiste davon ist Aufforstung. Neue Verfahren tragen nur einen winzigen Bruchteil bei, nämlich zwei Millionen Tonnen – ein Tausendstel. Das ist ein zentrales Ergebnis des Berichts „The State of Carbon Dioxide Removal“, der erstmals einen Überblick über den Stand von CDR weltweit gibt.

Das Problem dabei: Je weiter die globalen Emissionen steigen, umso mehr CDR wäre nötig, um die Pariser Klimaziele vielleicht doch noch einzuhalten. Der Bericht zeigt nun, wie weit die Welt da zurückliegt. Die an ihm beteiligten Forscherinnen und Forscher sagen ganz klar: Wir brauchen beides, eine schnelle und tiefe Emissionsminderung und CO2-Entnahme aus der Luft. Und wir sind in beidem viel zu langsam.

Selbst wenn die Emissionen sänken, kämen wir um CDR nicht herum. Warum, erklärt Jörg Staude im hier gepiqten Überblick:

Dass die Menschheit gar kein Gramm Kohlenstoffdioxid mehr emittiert, wird leider nicht eintreten. Auch in einer nachhaltigen Welt gibt es Restemissionen, besonders aus der Agrar- und der Abfallwirtschaft aufgrund der biologischen Vorgänge dort. Auch Gebäude werden noch CO2 emittieren, sagt die von mehreren Thinktanks angefertigte Studie „Klimaneutrales Deutschland“. Demnach fallen 2045 im Lande noch rund 60 Millionen Tonnen CO2 an.

Alle Szenarien des Weltklimarats, die das 1,5-Grad-Limit einhalten, verlangen zwar die Halbierung der Emissionen bis 2030 und die „Netto-Null“ für 2050, aber sie sagen auch: Eine Zeit lang wird die 1,5-Grad-Grenze überschritten werden, es tritt der sogenannte „Overshoot“ ein.

Um die Erwärmung dann wieder auf 1,5 Grad abzusenken, sollen Hunderte Milliarden Tonnen Kohlenstoffdioxid aus der Luft geholt und abgespeichert werden, mit der Methode des Carbon-Dioxide-Removal, der Entfernung von CO2 aus der Atmosphäre.

Im „The State of Carbon Dioxide Removal“-Report wird jetzt gefordert, die bereits vorhandene Senkenleistung deutlich zu vergrößern. Dazu sei der massive Ausbau neuartiger CDR-Methoden wie Bioenergie mit CO2-Abscheidung und -Speicherung (BECCS), direkte CO2-Entnahme aus der Luft mit Speicherung (DACCS), Einsatz von Biokohle oder verbesserte Gesteinsverwitterung notwendig.

Doch die Politik habe noch keine Pläne für den schnellen Ausbau, kritisieren die Forschenden. Meist gebe es nicht einmal eine Vorstellung davon, wie groß die Rolle von CDR für das Erreichen der Klimaziele sein soll. Sollen fünf Prozent der gegenwärtigen Emissionen durch CDR ausgeglichen werden, oder mehr? In welche Technologien will man investieren, welche staatlich besonders fördern? (Natürlich auch: Wie kriegt man die gegenwärtigen Emissionen möglichst schnell gesenkt, aber das ist eben nicht Gegenstand dieses Reports.)

Das sind so offene Fragen, die angesichts der Dringlichkeit der Klimakrise schleunigst debattiert und dann entschieden gehören.

Wo bleibt das Energieeffizienzgesetz?

piqer:
Daniela Becker

Den monatelangen Streit um die Laufzeitverlängerungen der AKWs beendete Bundeskanzler Olaf Scholz mit einem Machtwort. Bis Ende April sollten die restlichen im Betrieb befindlichen AKWs weiterlaufen, hieß es in der Anordnung und ein „ambitioniertes Energieeffizienzgesetz“ ausgearbeitet werden. Doch während der Beschluss zum Streckbetrieb in Tagen durch Kabinett und Parlament gepeitscht wurde, liegt zum Energieeffizienzgesetz nicht einmal ein offizieller Entwurf vor, Christian Noll, geschäftsführender Vorstand der Deutschen Unternehmensinitiative Energieeffizienz in diesem Text.

Schade eigentlich, denn das Potenzial ist enorm und in wesentlichen Teilen gar nicht so schwer umzusetzen.

Elektrische Antriebe machen 70 Prozent des industriellen Stromverbrauchs aus – hier ließe sich leicht ein Vielfaches dieser fünf TWh einsparen – und das auch relativ zügig. Die Potenziale sind lange bekannt. Allein der Einsatz energieeffizienterer Pumpen hätte laut Umweltbundesamt fünf Terawattstunden einsparen können – und das wesentlich sicherer, nachhaltiger und wirtschaftlich gewinnbringend. Lüftungsanlagen mit hohem Wirkungsgrad würden weitere sieben TWh erbringen, effiziente Druckluftsysteme fünf TWh und effiziente Beleuchtung neun TWh.

Insgesamt attestiert der Energieeffizienz-Experte der Ampelregierung, dass sie die Fehler der Vergangenheit wiederholt: Nämlich nur auf die Erzeugungsseite zu blicken.

Gleichzeitig wurden die Förderhöhen vieler Effizienzmaßnahmen ausgerechnet letztes Jahr empfindlich gekürzt. Das Ministerium von Bauministerin Klara Geywitz will dem Vernehmen nach weiterhin vor allem Anforderungen an die Sanierung der schlechtesten öffentlichen Gebäude aus dem Gesetz herausstreichen. Das trifft neben den öffentlichen Kassen Mieterinnen und Mieter in solchen Gebäuden besonders hart, weil sie die höchsten Energierechnungen zahlen und nur begrenzt Einfluss haben, Heizkosten aktiv zu senken.

Fatal ist das Ganze, weil sich mit der Energiekrise und den explodierenden Energiekosten ein Fenster aufgetan hatte, das sich bereits wieder schließt.

Das Interesse an Energieeinsparung lässt bereits jetzt messbar nach, vermutlich auch durch die Nachricht, das gespeicherte Gas reiche ja – und durch den Eindruck, die Bundesregierung subventioniere jegliche Belastungen mit den Preisbremsen und Entlastungen weg.

Und während wir weitermachen wie bisher, tickt die CO2-Uhr unaufhörlich weiter.

Elektrofahrzeuge für Europa – wer sind die Verlierer*innen?

piqer:
Magdalena Taube

Elektrofahrzeuge gelten als grüne Technologie schlechthin und somit als das Symbol einer grünen Zukunft. Doch: Elektrofahrzeuge stellen eine Reihe politisch-ökonomischer, ökologisch-sozialer Herausforderungen dar. Beispielsweise, wie John Szabó, in seinem lesenswerten Text erklärt:

Die Produktion von Elektrofahrzeugen ist weniger arbeitsintensiv und birgt das Risiko, dass viele Menschen arbeitslos werden, vor allem in Kombination mit dem fortschreitenden Prozess der Automatisierung.

Insbesondere in Mittel- und Osteuropa sei diese Gefahr besonders groß. Denn die Region wird, so Szabó,

von der Umstellung von verbrennungsmotorischen Antrieben auf Elektrofahrzeuge stark betroffen sein, da die Region eine „Montagehalle“ für westliche Automobilunternehmen ist.

Ich habe in früheren piqs schon häufiger auf die Umweltprobleme hingewiesen, die bei dem Elektrofahrzeug-Hype unterschlagen werden. John Szabó, der seine Forschung übrigens im Rahmen des „Just Transition in the European Car Industry“-Projekts betreibt, liefert nun wichtiges Hintergrundwissen über einen weiteren Aspekt, der bei dem Elektrofahrzeug-Hype systematisch ausgeblendet wird: die politische Ökonomie, die dahinter steckt.

Denn selbst wenn bei dem Elektrofahrzeug-Hype das Gemeinwohl ganz großgeschrieben wird, es gibt Profiteur*innen und zahlreiche Verlierer*innen. Wie groß der Preis ist, kann nur dann wirklich ermessen werden, wenn wir in Rechnung stellen, dass Mittel- und Osteuropa spätestens seit 1989 und den seit damals verabreichten neoliberalen Schocktherapien einer massiven strukturellen Prekarisierung ausgesetzt worden ist – nicht zuletzt um die Funktion als „Montagehalle“ für westliche Firmen überhaupt erst erfüllen zu können.

Jetzt will der Westen ein weiteres Mal auf Kosten dieser (und anderer) Region(en) die nächste Entwicklungsstufe des Kapitalismus einleiten. Wollen wir das wirklich immer noch „nachhaltig“ nennen?

Fördern digitale Nomaden eine neue Form des Kolonialismus?

piqer:
Ole Wintermann

Erleben wir mit den hohen Zahlen an digitalen Nomaden in Ländern, die einen geringeren Durchschnittslohn als die Nomaden aufweisen, eine moderne Form der Kolonialisierung?

Diese provokante Frage steht hinter dem #LongRead von WIRED. Dieser LongRead befasst sich mit der Frage speziell mit Blick auf Portugal und Madeira, die in den letzten Jahren beide einen wahren Boom an global mobilen Remote Workern erlebt haben. Auf Madeira ist es speziell das Dorf Ponta do Sol, das in der zurückliegenden Zeit den Aufstieg von einer unbedeutenden kleinen Siedlung zu einem Hotspot der digitalen Nomaden in ganz Portugal erlebt hat.0

Damit einher ging auch die erwartbare Geschichte der Zusammenarbeit von kommunalen Politikern und vermögenden Menschen, die nicht von der Inseln kommen, um ein neues „Arbeitsparadies“ zu schaffen, bei dem dann aber in der Folge die ursprünglichen Einwohner die Leidtragenden sind, weil sie die steigenden Mieten nicht mehr zahlen können, ihre Häuser verkaufen und wegziehen müssen oder aber zu Dienstpersonal in der neuen Infrastruktur der digitalen Nomaden werden. Immobilienplattformen werden auf das Dorf aufmerksam. Es bildet sich eine Bubble um die neuen Einwohner, die für die Einheimischen nicht mehr zugänglich ist. Die ursprünglichen Einwohner werden zu Fremden in ihrer eigenen Heimat.

Madeira, so die Autorin, steht historisch und seit ihrer Entdeckung vor 500 Jahren für die rücksichtslose Ausbeutung der Natur und der Menschen sowie die Geburt des rassistisch basierten Kolonialismus. Das digitale Nomadentum muss in diesem Kontext als „moderne“ Form des Kolonialismus erscheinen.

Dieser Text lässt einen nachdenklich zurück.

ChatGPT als Co-Autor von wissenschaftlichen Papieren akzeptieren?

piqer:
Ole Wintermann

Die KI ChatGPT wurde inzwischen in mindestens 4 wissenschaftlichen Papieren als Co-Autor angegeben. Spricht aus dieser Dynamik der Anwendung des Bots produktiver Pragmatismus oder sollten wir mit Blick auf die Konsequenzen für das wissenschaftliche Arbeiten noch zurückhaltend in der Anwendung sein, fragt ein aktueller Beitrag bei nature.com.

Nature.com hat zur Beantwortung dieser Frage eine Reihe von Verlagen angeschrieben, um zu erfragen, wie diese gedenken, mit dem Bot zukünftig umzugehen. In den Antworten wurde deutlich, dass Verlage künftig wohl zwischen „Autorenschaften“ im Sinne einer beitragenden Leistung und einer verantwortlichen Autorenschaft unterscheiden werden, wobei Letztere für die Integrität der wissenschaftlichen Leistung steht. Offen ist derzeit noch die Frage, was diese Unterscheidung für die Art und Weise der Nennung aller Autorenschaften bedeutet.

Überraschenderweise scheint aber die Praxis, KI für die Formulierung auch komplexer (medizinischer) Papiere zu nutzen, schon weiter verbreitet zu sein, als angenommen. So antwortete der CEO eines Pharma-Unternehmens:

„(Our) company has published more than 80 papers produced by generative AI tools. We are not new to this field. The latest paper discusses the pros and cons of taking the drug rapamycin, in the context of a philosophical argument called Pascal’s wager. ChatGPT wrote a much better article than previous generations of generative AI tools had.“

„Nature“ und „Science“ werden ChatGPT nicht als Autoren anerkennen, da es sich eben nicht um einen Verantwortung tragenden Beitragenden handelt, so die Verlage in ihren Antworten auf die Anfragen.

Der Betreiber eines Preprint-Servers (arXiv) betont, dass eine KI keine Autorenschaft übernehmen kann, da es nicht den Nutzungsbedingungen und dem Recht zur Verbreitung von Inhalten zustimmen kann (Kann es nicht?).

Ich finde es spannend, dass all diese Argumente zur fehlenden Verantwortungsübernahme von KI bei autonom steuernden Autos oder Autopiloten zur Nutzung von Flugzeuglandungen keine Rolle zu spielen scheinen.

Was meint ihr?