Clean Industrial Deal

Ein Dschungel grüner Märkte?

Die EU-Kommission will mit ihrem Clean Industrial Deal die Dekarbonisierung der Industrie vorantreiben und grüne Technologien fördern. Dabei setzt sie aber auf einen Ansatz, der hohen Regulierungsaufwand, intransparente Kosten und handelspolitische Risiken mit sich bringen könnte. Eine Analyse von André Wolf.

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Am Mittwoch hat die EU-Kommission ihre Strategie für einen Clean Industrial Deal vorgestellt. Mit dieser will sie zwei Ziele erreichen: eine beschleunigte Dekarbonisierung von Europas energieintensiver Industrie und die Unterstützung der Produktion neuer grüner Technologien.

Dabei zeigt sich ein neuer Fokus auf Marktentwicklung als Instrument der Klimapolitik. Über den politisch beförderten Aufbau von Märkten für klimafreundlich hergestellte Industrieprodukte soll eine gut kalkulierbare Nachfrage entstehen. Sie soll die negativen Auswirkungen von Kostenunsicherheit in der Transformation, etwa in Bezug auf die Entwicklung des CO2-Preises und der Energiekosten, kompensieren. Solche Nachfrageimpulse können aus mehreren Gründen Investitionen in klimaschonende Technologien befördern. Sie senken die Renditeunsicherheit durch eine stabile Ertragsbasis und tragen so zur Senkung der Kapitalkosten bei. Sie ermöglichen eine beschleunigte Ausschöpfung von Skaleneffekten bei jungen grünen Technologien. Preisdifferenzen zu auf fossiler Basis hergestellten Produkten verringern sich so schneller, was gesamtwirtschaftlich die Emissionsvermeidungskosten reduziert. Und sie ermöglichen über das Instrument der öffentlichen Beschaffung eine direkte politische Steuerung der Nachfrageseite.

Grüne Leitmärkte machen die Klimapolitik noch komplizierter

Eine grundlegende Herausforderung der neuen Industriestrategie ist, dass sie – wenn konsequent umgesetzt – die regulatorische Komplexität der europäischen Klimapolitik noch weiter erhöhen wird. Denn die Grundlage für die Abgrenzung klimafreundlicher Produkte müssen in jedem Fall transparente Zertifizierungssysteme sein, die auf verbindlichen Standards fußen. Dabei ist eine Vielzahl an Entscheidungen zu treffen: die betroffenen Produktgruppen und Absatzmärkte, die herangezogenen Indikatoren und die zur Abgrenzung verwendeten Schwellenwerte. So kann es etwa für die Marktsegmentierung eine entscheidende Rolle spielen, inwieweit bei der Einführung von CO2-Emissionsstandards auch Upstream-Emissionen einbezogen werden und welche Benchmarks bei der Berechnung angesetzt werden. Die großen Umsetzungsschwierigkeiten bei der Implementierung des CO2-Grenzausgleichs verdeutlichen, dass der Teufel hier im Detail steckt.

Zugleich werden all diese Parameter auch zum Gegenstand intensiven politischen Lobbyings. Das gilt umso mehr, als dass die technologische Vielfalt der schwer zu transformierenden Grundstoffindustrien sektorübergreifend einheitliche Vorgaben erschweren wird. Es droht so ein Geflecht an Sonderregelungen für bestimmte Industrien oder Absatzmärkte, und damit ein Dschungel an segmentierten grünen Märkten.

Neue Beschaffungskriterien verschleiern die Kosten der Transformation

Mangelnde Transparenz ist auch beim Ausmaß der entstehenden Kostenbelastung zu befürchten. Das gilt vor allem, wenn Nachfrageimpulse in erster Linie über die öffentliche Beschaffung gesetzt werden. Die verstärkte Berücksichtigung von Nachhaltigkeitskriterien in öffentlichen Ausschreibungen verringert in jedem Fall die Gewichtung von Preiskriterien, was im Mittel die öffentliche Beschaffung verteuern wird.

Diesen Kosteneffekt zu beziffern ist aber aus mehreren Gründen äußerst schwierig. Die sich ohne Nachhaltigkeitskriterien ergebenden Zuschlagspreise sind unbekannt. Da die Einführung solcher Kriterien auch das Bieterverhalten beeinflusst, lassen sie sich auch nicht indirekt aus den abgegebenen Preisgeboten schätzen. Zudem könnte ein Großteil der relevanten öffentlichen Beschaffung nicht auf der nationalen, sondern der regionalen und lokalen Ebene erfolgen, was die Ermittlung der Gesamtkosten für die öffentlichen Haushalte zusätzlich erschwert. Damit droht das wahre Ausmaß an Transformationskosten verschleiert zu werden, was aus polit-ökonomischer Sicht zu Fehlanreizen bei der zukünftigen Gestaltung der Klimapolitik führen könnte.

Local-Content-Kriterien gefährden globale Glaubwürdigkeit der EU

Aus außenwirtschaftlicher Sicht problematisch ist das im Clean Industrial Deal verfolgte Konzept, Beschaffungskriterien zukünftig nicht nur an der Nachhaltigkeit, sondern auch direkt an der Herkunft von Produkten auszurichten. Grüne Produkte aus EU-interner Produktion sollen gezielt über Sonderkriterien gefördert werden. Begründet wird dieser, dem Freihandelsgedanken der EU zuwiderlaufende Rückgriff auf Local-Content-Kriterien mit ähnlichen Modellen bei Europas Wettbewerbern, insbesondere den USA im Zusammenhang mit dem Inflation Reduction Act. Dies ändert jedoch nichts daran, dass Local-Content-Regeln das WTO-Prinzip der Nicht-Diskriminierung eindeutig verletzen. Dies gefährdet nicht nur die Glaubwürdigkeit der EU als Verfechter einer regelbasierten Welthandelsordnung, sondern auch akut den Erfolg der EU-Klimadiplomatie.

Um über Instrumente wie die Clean Trade and Investment Partnerships zukünftig gemeinsame grüne Lieferketten mit gleichgesinnten Drittstaaten aufbauen zu können, muss Europa seine grünen Märkte auch für strategische Partner öffnen. Das ist erst die Grundlage für neue Spezialisierungsmuster, die in der Konsequenz auch die Wettbewerbsfähigkeit der heimischen Clean-Tech-Produktion stärken. Auch die Gewährleistung von Versorgungssicherheit ist kein Argument für Local-Content-Kriterien. Denn hierfür bieten sich wettbewerbsneutralere Alternativkriterien an, die unmittelbar am Grad an Diversifizierung der Beschaffung ansetzen. Der EU Net-Zero Industry Act mit seinen definierten Grenzwerten für den Bezug von Komponenten aus einzelnen Lieferländern könnte die Blaupause liefern.

Klare Priorisierung als Ausweg aus der Komplexitätsfalle

Um das Stückwerk der Vielzahl an Instrumenten des Clean Industrial Deal zu bündeln, ist klare Priorisierung unerlässlich. Um ein Übermaß an regulatorischer Komplexität zu vermeiden, sollte sich die regulatorische Unterstützung grüner Leitmärkte zunächst auf wenige wichtige Grundstoffe wie Stahl, Zement und Plastik beschränken. Diese Produkte stehen am Anfang zahlreicher industrieller Lieferketten, die Förderung emissionsarmer Marktsegmente kann sich so als entscheidend für eine umfassende Dekarbonisierung der industriellen Produktion erweisen. Durch ihren breitgestreuten Einsatz in Downstream-Industrien verteilen sich die Mehrkosten klimafreundlicher Produktionsmethoden auf viele Absatzmärkte. Die Kostenbelastung aus Abnahmequoten für grüne Produkte kann so leichter auf eine größere Zahl an Endverbrauchern abgewälzt und verteilt werden.

Die Einführung von Nachhaltigkeitskriterien in der öffentlichen Beschaffung sollte für ein einfacheres Monitoring zunächst auf die nationale Ebene beschränkt bleiben. Um ein Gleichgewicht zwischen den Zielen der Marktförderung und dem Erhalt des staatlichen Finanzierungspotenzials für andere dringende Bedarfe wie Verteidigung und Infrastruktur zu gewährleisten, sollten Nachhaltigkeitskriterien vorzugsweise nur als Zuschlagskriterien und nicht als obligatorische Präqualifikationskriterien konzipiert werden.

Mitgliedstaaten sollten dabei ausreichend Freiraum bei der Wahl der Gewichtung eingeräumt werden. Neben der nationalen öffentlichen Beschaffung sind Förderausschreibungen für erneuerbare Energien ein besonders nützlicher Hebel, um die Entwicklung des Marktes für emissionsarme Produkte mit dem Ziel der Förderung erneuerbarer Energien zu synchronisieren. Hier gilt es, die bereits im Net-Zero Industry Act formulierten Vorgaben zu präzisieren und schnellstmöglich umzusetzen.

Bei den Maßnahmen zur spezifischen Förderung heimischer Clean Tech Produktion sollte die EU im eigenen Interesse auf Local-Content-Kriterien verzichten. Die Förderung junger Technologien sollte hingegen angebotsorientiert über eine Verbesserung der Rahmenbedingungen erfolgen, auch um eine politische Fehlselektion von Technologien zu vermeiden. Dazu gehören Maßnahmen zur Stärkung der industriellen Wettbewerbsfähigkeit, insbesondere durch Senkung der Energiekosten, Beseitigung administrativer Hindernisse und Stärkung der Innovationskapazität. Zweitens sind auch angebotsseitig Maßnahmen erforderlich, um den Einfluss regulatorischer Unsicherheit in der Phase der Transition zu verringern. Insbesondere auktionsbasierte Klimaschutzverträge sind eine sinnvolle Option, um CO2-Preisrisiken für Investoren zu reduzieren. Die Kombination solcher Verträge mit Maßnahmen zum Aufbau grüner Leitmärkte kann eine ausgewogenere Verteilung der Kosten und Risiken der Energiewende zwischen privaten und öffentlichen Mitteln ermöglichen. Das würde nicht zuletzt auch einen dringend notwendigen Beitrag zur gesellschaftlichen Akzeptanz der Klimapolitik leisten.

 

Zum Autor:

André Wolf ist Fachbereichsleiter für Technologische Innovation, Infrastruktur und industrielle Entwicklung am Centrum für Europäische Politik (cep) in Berlin.