Fremde Federn

Chinas Investitionen, VWL-Denkschulen, Pendlerpauschale

Diese Woche unter anderem in den Fremden Federn: Wie Trump vom Amtsenthebungsverfahren profitieren könnte, warum arme Frauen arm sind und weshalb der Klimawandel für reiche Länder vor allem ein politisches Problem ist.

Foto: Jojo Bombardo via Flickr (CC BY-ND 2.0)

In den „Fremden Federn“ stellen wir einmal pro Woche in Kooperation mit dem Kuratorendienst piqd eine Auswahl von lesenswerten journalistischen Fundstücken mit wirtschaftspolitischem Bezug zusammen. piqd versteht sich als eine „Programmzeitung für guten Journalismus“ – was relevant ist, bestimmen keine reichweitenoptimierten Algorithmen, sondern ausschließlich ausgewählte Fachjournalisten, Wissenschaftler und andere Experten.

Von Duisburg bis Dubrovnik: Chinas Investitionen in Europa

piqer:
Simone Brunner

China ist die neue wirtschaftliche Supermacht – auch in Europa. Chinesische Unternehmen haben in Europa in den vergangenen zehn Jahren mehr als 300 Milliarden Dollar investiert.

Wenn es um chinesische Investitionen geht, kochen schnell die Emotionen hoch. Ausverkauf, Abhängigkeit durch die Hintertür, unlauterer Wettbewerb? Oder doch die große Chance? Wie gerechtfertigt ist es, sich vor chinesischen Investitionen zu fürchten? Wie viel Finanzpower des chinesischen Staates steckt wirklich hinter den Investitionen? Ist das Geschäft mit China nun fairer oder fauler Wettbewerb? Wer A zu Globalisierung und freier Marktwirtschaft sagt, muss auch B zu chinesischen Investitionen sagen?

Der Tagesspiegel hat eine Recherche von Investigate Europe, einem Journalistenteam aus neun Ländern, publiziert. Eine aufwändige Recherche, mit Abstechern nach Duisburg, Dubrovnik, Lissabon und zum Hafen von Piräus, „seit mehr als 2500 Jahren das Tor der Griechen zur Welt“, wo „Europa jetzt so chinesisch ist wie nirgendwo sonst“ – wo eigentlich erst der Privatisierungsdruck der übrigen Eurostaaten in der Eurokrise den Einstieg der Chinesen forciert hat. Ein Aspekt, der auch europaweit gilt, wie die Autoren schreiben:

EU-weit fehlt es seit zehn Jahren sowohl an privaten als auch öffentlichen Investitionen, weil die EU anders als die USA nach der großen Finanzkrise auf Sparkurs ging. Noch immer haben die Ausgaben für neue Fabriken, Unternehmen, Bildung und Infrastruktur nicht mal das Niveau von 2008 erreicht. Das aber macht die Milliarden aus China umso verlockender und bringt die Europäer gegeneinander in Stellung.

Ein faszinierender Longread, detailliert, präzise recherchiert und auch mit vielen überraschenden Ergebnissen.

VWL ohne einengende nationale Denkschulen? Wiwo-Interview mit Nicola Fuchs-Schündeln

piqer:
Gunnar Sohn

„Es gibt keine einengenden nationalen Denkschulen mehr“, behauptet Nicola Fuchs-Schündeln, Vorsitzende des Vereins für Socialpolitik, im Interview mit der Wirtschaftswoche und meint damit die VWL.

Die VWL sei eine Sozialwissenschaft mit exzellenten Berufsaussichten. „Wir beschäftigen uns mit breiten sozialwissenschaftlichen Fragestellungen. Es geht zum Beispiel um Bildung und Bildungsgerechtigkeit, um Umweltfragen, die globale Ordnung und die Strukturen in Entwicklungsländern, um Anreize in Firmen und Korruption“, erklärt die Ökonomin. Sie ist nicht der Überzeugung, dass man die ökonomische Dogmengeschichte kennen muss, um ein guter Ökonom zu sein.

„Wer aus Daten wegweisende Erkenntnisse etwa zu Fragen der sozialen und ökonomischen Durchlässigkeit der Gesellschaft gewinnt oder die Effekte einer CO2-Steuer in Modellen oder empirisch analysiert – warum sollte das kein guter Ökonom oder keine gute Ökonomin sein?“

Es gehe in der VWL immer stärker um die gesellschaftliche Relevanz der Forschung. „Die Umwelt- und Politökonomie boomen, auch zu den Themen Verteilung und Ungleichheit gibt es immer mehr Arbeiten. Dazu hat nicht zuletzt Big Data beigetragen. Die immer größeren verfügbaren Datenmengen sind ein Segen für die VWL. Wir verfügen heute über Millionen von Daten, müssen nicht mehr über eine kleine Stichprobe glücklich sein“, so Fuchs-Schündeln.

Denkschulen sind allerdings in Deutschland nach wie vor präsent. Man merkt es an den reflexhaften Reaktionen auf Arbeiten der pluralen oder heterodoxen Ökonomen. So sagte der ehemalige Vorsitzende des Vereins für Socialpolitik, Professor Achim Wambach, dass es der pluralen Ökonomenbewegung vielfach mehr um Politik als um Wissenschaft gehe, „da schwingt oft eine markt- und kapitalismuskritische Agenda mit“. Bei Fuchs-Schündeln schwingt hingegen mehr Offenheit mit, die Ökonomik stärker als kritische Wissenschaft zu positionieren. Und wenn das Ganze mit eleganter Daten-Analyse einhergeht, umso besser.

Demokratie ist nicht Kapitalismus und Kapitalismus nicht Demokratie – aber sie „passen“ zueinander

piqer:
Thomas Wahl

Der Kapitalismus als alles-Verursacher und Universalschuldiger – das hört man immer öfter. „Er mache das Klima und die Liebe kaputt, heißt es.“ Also würde mit seiner „Überwindung“ alles besser? Jürgen Kocka versucht an der Wechselwirkung von Demokratie und Kapitalismus zu zeigen, dass es so simpel nicht ist. Die moderne Geschichte zeigt die

große Vielfalt kapitalistischer Systeme – und auch, dass es keinen einfachen Zusammenhang zwischen Demokratie und Kapitalismus gibt. Man sieht, dass die demokratischsten Länder eine kapitalistische Wirtschaftsstruktur besitzen, die Schweiz und Schweden als Beispiele. Demokratische Ordnungen sind bisher nur in kapitalistisch wirtschaftenden Ländern verwirklicht worden. In Ländern, die den Kapitalismus vermieden oder abschafften, ging und geht es der Demokratie schlecht. ….. Aber Kapitalismus gedeiht auch in autoritären und diktatorischen Systemen, sofern diese den Märkten den nötigen Spielraum belassen und sich mit ihnen verbünden; an Russland und China ist dies zu beobachten. In den demokratischen Staaten des anglo-amerikanischen Bereichs findet sich ein relativ marktradikaler Kapitalismus, in EU-Europa ein nicht „neoliberaler“, sondern hochgradig organisierter Kapitalismus.

Eigentlich gibt es „den Kapitalismus“ nicht und schon gar nicht weltweit. Letztendlich liegt es an den Gesellschaften welchen Kapitalismus sie zulassen, entwickeln und wie sie die Differenzierung und Wechselwirkung ihrer verschiedenen Teilsysteme gestalten. In den verbreiteten Symbiosen von Kapitalismen mit Demokratien nur eines der Teilsysteme für Probleme verantwortlich zu machen, wäre Reduktionismus pur. Eine Erklärung (der Kapitalismus) für alles, erklärt letztlich gar nichts. Die Welt wird komplexer, die Probleme globaler und die Menschheit wächst. Eine effiziente, innovative Wirtschaft ist die Grundvoraussetzung für unser Überleben. Könnte das ohne „Kapitalismus“ funktionieren? Wer möchte die Verantwortung dafür übernehmen?

Der Murks bei der Pendlerpauschale

piqer:
Daniela Becker

Im ohnehin massiv kritisierten Klimapaket der Bundesregierung gehört die Erhöhung der Pendlerpauschale zu den umstrittensten Maßnahmen. Sie soll für so genannte Fernpendler die durch die (ohnehin marginale) CO2-Bepreisung höheren Spritkosten ausgleichen. Ab dem 21. Kilometer Entfernung zur Arbeit soll sie um fünf Cent auf 35 Cent steigen. Die Intention der Bundesregierung ist es, Menschen, die weite Wege zum Arbeitsplatz zurücklegen müssen, zu entlasten. Sie entgegnet der Kritik, dass von der Pendlerpauschale auch Bahnfahrer profitieren.

Leider hat das wenig mit der Realität zu tun.

Demnach nutzen mehr als vier Fünftel der Fernpendler mit einem Arbeitsweg von mehr als 20 Kilometern einen Pkw – und entsprechend weniger als ein Fünftel klimafreundliche Verkehrsmittel wie die Bahn.

Der Spiegel dröselt in diesem Text die Wirkung der neuen Pendlerpauschale gut auf.

Ergebnis: Unterm Strich werden vor allem Pendler entlastet, die mit dem Auto  möglichst lange Strecken fahren und viel verdienen.

Fraglich bleibt, wo dieser Vorschlag sozial sein soll.

Diese soziale Schieflage liegt an der Logik des Steuersystems: Wenn Ausgaben von der Steuer abgesetzt werden können, liegt die Ersparnis für Menschen mit hohen Einkommen stets höher als für niedrige. Benzin oder Diesel werden hingegen für alle im gleichen Maße teurer. Immerhin bei diesem Punkt denkt die SPD nun offenbar über eine Nachbesserung nach – eine Art einkommensunabhängiges Mobilitätsgeld, wie es etwa DIW-Experte Bach vorschlägt.

Inwieweit die Pendlerpauschale dem Klimaschutz dient, worum es beim Klimapaket ja eigentlich gehen sollte, bleibt offen.

Will Trump das Amtsenthebungsverfahren?

piqer:
Theresa Bäuerlein

In diesem Kommentar geht es um die Frage, inwiefern ein Impeachment (Amtsenhebungsverfahren) Trump etwas bringen kann – und ob er es womöglich bewusst riskiert hat. Der Kommentator traut dem Präsidenten zwar eine derart vorausschauende, rationale Planung nicht ganz zu. Nennt aber dennoch vier Gründe, aus denen das Verfahren Trump nützen könnte:

1. Impeachments sind bei den Wählern unpopulär – und das könnte den Demokraten schaden:

The Democratic agenda is more popular than the Republican agenda (whatever that is), the likely Democratic nominees are all more popular than Trump, and so anything that puts the Democrats on the wrong side of public opinion may look better, through Trump’s eyes, than the status quo.

2. Trumps offener Machtmissbrauch, sein kruder „Boss-Style“, kommt bei manchen Wählern gut an –  gerade weil er keine Fassade zu haben scheint. Seine Korruption wirkt damit bizarrerweise „ehrlicher“.

3. Trump könnte seine Macht über die Republikaner durch das Verfahren erst Recht konsolidieren. Denn selbst wenn er abtreten muss oder nicht wiedergewählt wird, wird er nicht still ins Exil gehen – sondern große Macht und Einfluss über Twitter etc. haben. Und er wird nicht davor zurückscheuen, seiner Partei zu schaden.  Seine Nachfolger tun also gut daran, ihm die Hand zu küssen – oder zumindest keinen Druck auf ihn auszuüben, wie es einst bei Nixon möglich war.

4. Trump liebt den Zirkus. Das wissen wir bereits aus der Zeit der Müller-Ermittlung.

I’m pretty sure that when he ranted on Twitter about the “Twelve Angry Democrats” and “WITCH HUNT” and “NO COLLUSION,” he was more engaged, more alive, more fully his full self than at any point during the legislative battles over tax reform or Obamacare repeal (…) A merely political trial, where the worst-case scenario is a political martyrdom that Sean Hannity will sing of ever after, seems to offer Trump a much lower-stress variation on that experience.

Weltwirtschaft: Warum arme Frauen arm sind

piqer:
Antje Schrupp

In den 1980er und 1990er Jahren haben feministische Ökonominnen und Aktivistinnen aus den Ländern des globalen Südens darauf gedrängt, dass bei Maßnahmen zur Armutsbekämpfung oder Entwicklungspolitik die Frauen in den jeweiligen Ländern berücksichtigt werden. Denn häufig ist eine Zusammenarbeit mit ihnen effektiver und sinnvoller, wenn es darum geht, konkrete Probleme zu lösen, als sich nur auf die von Männern dominierten Machtdynamiken zu konzentrieren.

Inzwischen ist aus diesem Ansatz allerdings eine sehr problematische Erzählung geworden, die die Frauen selbst und die lokalen Kulturen und Traditionen, in denen sie leben, für ihre Armut verantwortlich macht. Die US-amerikanische Philosophieprofessorin Serene J. Khader zeigt in diesem Artikel, wie Bücher und Werbefilme in letzter Zeit den Eindruck erwecken, dass Frauen sich und ihre Kinder aus ihrer wirtschaftlichen Not befreien können, indem sie ihre (patriarchalen) Familien und Traditionen verlassen und stattdessen Arbeitnehmerin oder Unternehmerin im Sinne eines westlichen kapitalistischen Systems werden.

Das ist nicht nur problematisch, weil es Frauen noch mehr Verantwortung und Arbeit aufbürdet, als sie ohnehin schon schultern – es ist ja keineswegs so, dass sie bisher nur Däumchen gedreht hätten. Es werden hier auch feministische Anliegen missbraucht, um den Westen als Retter der Frauen darzustellen und ihn von jeglicher eigenen Schuld an den ungerechten Verhältnissen freizusprechen. Auf diese Weise wird es dann für Feministinnen vor Ort noch schwerer, sich für gleiche Rechte und gegen patriarchale Strukturen zu engagieren.

David Cameron und die Geister, die er rief

piqer:
Simone Brunner

Fünf Wochen vor dem Brexit und kein bisschen Klarheit: Seit 2016 hält das Brexit-Drama die europäische Politik in Atem.

Gerade zu diesen Tagen kommt die Autobiografie eines ehemaligen britischen Premierministers in die Buchläden. Eines Ex-Politiker, dem das britische Wochenmagazin New Statesman einen Longread widmet, der maßgeblich für das Brexit-Chaos mitverantwortlich ist, aber schon lange aus dem Rampenlicht der britischen Politik verschwunden ist: David Cameron.

Eines vorweg: Es ist weniger eine Kritik seines Buches, als vielmehr eine Rückschau auf Camerons unrühmliche Rolle beim Ansetzen des Brexit-Referendums 2016. Seine Fehlkalkulationen, seine Schwäche als Tories- und Regierungschef, sein Scheitern, seine Selbstgerechtigkeit, und sein – zugegeben – schlechtes Gefühl für das richtige Timing.

Three years on, it is painfully obvious that Cameron has achieved the exact opposite of what he intended. He called the referendum to unite his party, neuter Ukip and finally resolve the vexed issue of Europe. He has instead split his party almost irrevocably, sundered his country as never before, inflamed British Euroscepticism and poisoned its relations with Europe for generations to come. He has, in short, unleashed all manner of demons.

Alles in allem eine erschütternde Bilanz über David Cameron und die Geister, die er rief.

Klimakrise und Framing: Für reiche Länder ist Klimawandel vor allem ein politisches Problem

piqer:
Magdalena Taube

Am Freitag war der Tag des globalen #Klimastreiks, ausgerufen von der Fridays-For-Future-Bewegung, viele andere Initiativen und Organisationen haben sich dem Aufruf angeschlossen und sind auf die Straße gegangen. Die mediale Aufmerksamkeit für das Thema Klimawandel und die jungen Protestbewegungen scheint ungebrochen.

Wie sieht es eigentlich mit der medialen Darstellung (oder besser, dem Framing) der Klimakrise aus globaler Perspektive aus? Wissenschaftler*innen der University of Kansas haben für eine Studie genau das untersucht. Mit Hilfe von Machine-Learning-Methoden haben sie sich die Inhalte von 37.000 Beiträgen aus 45 Ländern angeschaut. Das wichtigste Ergebnis: Der konsistenteste Indikator für das Framing des Themas war das Bruttoinlandsprodukt einer Nation. Grob vereinfacht: In reichen Ländern wird über Klimawandel vor allem als politisches Problem berichtet, in ärmeren Ländern wird er als internationale Angelegenheit verhandelt.

Wie die Finanzindustrie die Fossilwirtschaft in die Knie zwingen könnte

piqer:
Ralph Diermann

JPMorgan Chase, die größte Bank der USA und weltweit die mit dem höchsten Börsenwert, hat seit Abschluss des Pariser Klimaabkommens insgesamt 196 Milliarden US-Dollar in die Finanzierung der Fossilwirtschaft gesteckt. Das ist irre viel, einerseits. Andererseits sind das aber nur sieben Prozent des gesamten Kredit- und Emissionsgeschäftes von JPMorgan Chase.

Diese Zahlen nennt Bill McKibben, Gründer der Klimaschutzorganisation 350.org, in einem langen Beitrag für den New Yorker als Beleg dafür, dass die globale Finanzindustrie aus der Finanzierung der Kohle-, Öl- und Gasindustrie aussteigen könnte, ohne allzu viel Geschäft zu verlieren. Das würde die Fossilwirtschaft mit ihrem immensen Kapitalbedarf in die Knie zwingen. Besonders weh würde es ihr tun, wenn sich die Versicherer zurückziehen – nicht nur als Investoren, sondern auch als, nun ja, Versicherer. Keine Kohlemine, keine Gaspipeline, keine Raffinerie kann gebaut werden ohne umfassende Versicherungen.

McKibben weiß natürlich, dass viel passieren muss, damit das geschieht. Er hat trotzdem Hoffnung:

It’s not easy to imagine—capitalism is not noted for surrendering sources of revenue. But, then, the Arctic ice sheet is not noted for melting.

McKibben setzt auf öffentlichen Druck. Darauf, dass die Reputation der Konzerne leidet, wenn sie weiter Geschäfte mit der Fossilwirtschaft machen. Dass sie einknicken, wenn sie scharenweise Kunden und Geldgeber verlieren, weil diese nicht länger Teil des Systems sein wollen.

Ob das reicht? Viel mehr Wirkung dürfte die „Carbon Bubble“ (dazu ein piq) haben – sollte sie platzen, hätte die Finanzindustrie massivste Probleme. Sie platzt allerdings erst dann, wenn die Politik wirkungsvolle Maßnahmen gegen die Klimakrise ergreift.

Wie negativ ist der Negativzins?

piqer:
Thomas Wahl

Die Empörung um den Negativzins ist groß. Insbesondere die „Enteignung“ kleiner Sparer wird angeprangert. Der Artikel zeigt, dass negative Zinsen kein neues Phänomen sind und es wenig Sinn macht, darüber zu moralisieren. Die

Wirtschaftsgeschichte zeigt, wie im Nachkriegsdeutschland die Zinsen für Spar- und Girokonten zu D-Mark-Zeiten viele Jahre lang negativ waren, wenn sich der Blick auf den Realzins richtet, also auf den Zins, der sich unter Berücksichtigung der Inflationsrate ergibt. Denn in vielen Jahren, zum Beispiel in den siebziger Jahren, lag die Inflationsrate über dem damals positiven Nominalzins. Viele Sparer freuten sich, dass sie zum Jahreswechsel Zinsen in ihrem Sparbuch gutgeschrieben bekamen. Aber sie bemerkten nicht, wie die Inflation ihre Zinserträge mehr als aufzehrte und der reale Wert der Spareinlage zurückging.

Für mich war das Konzept des „Umkehrzinses“ – jenes Zinses der Notenbanken, „bei dessen Erreichen die negativen Wirkungen expansiver Geldpolitik die positiven Wirkungen übertreffen“ – neu und interessant. Dass solche Zinsen auf Dauer nicht bestehen können, leuchtet ein. Das ist auch durch empirische Befunde gestützt. Logischerweise werden über die Zeit und je negativer der Zins ist, die positiven, beabsichtigten Wirkungen aufgezehrt. Damit zeigt der Autor auch die Möglichkeiten und Grenzen der Notenbanken auf. Keine Politik funktioniert für immer …

Die Klima-Kapitalisten

piqer:
Georg Wallwitz

Die Klimawende hat in Deutschland bereits mehr als 200 Milliarden Euro gekostet und der Staat hat bedrückend wenig vorzuweisen für diese Summe. Wohlmeinend haben die Planer in Berlin Mikromanagement betrieben: den Diesel gefördert, bestimmte erneuerbare Energien und ausgewählte neue Techniken zur Zukunft des Landes erklärt. Die Erfahrung zeigt, dass es selten gut geht, wenn staatliche Planung bestimmte Mittel festzuklopfen versucht (Windräder, Dieselmotoren), anstatt die Rahmenbedingungen auf bestimmte Ziele hin auszurichten und den Markt über die Mittel und Wege entscheiden zu lassen.

Der Economist bringt in seiner aktuellen Ausgabe (die insgesamt der Klima-Krise gewidmet ist) einen Artikel über die Bemühungen von Unternehmern, effektive Lösungen für das Klima-Problem zu finden. Teilweise tun sie dies aus philanthropischen Gründen, teilweise wollen sie mit der Entwicklung neuer Technologien Geld verdienen. Beides ist nicht schlimm, solange es dem Klima nutzt. Es geht u. a. um Firmen wie Beyond Meat (Fleisch auf pflanzlicher Basis), BYD (Elektroautos in China) und Bill Gates‘ Finanzierung für Techniken, das CO2 aus der Luft zu filtern und in Treibstoff zu verwandeln.

Das alles bringt mehr als die stets phantasielosen staatlichen Bemühungen. Gemeinsam ist den Klima-Unternehmern, dass sie nicht versuchen, das menschliche Verhalten zu ändern (Fleischverzicht, Autoverzicht, Flugreiseverzicht), sondern den Menschen nehmen, wie er nun mal ist. Sie entwickeln Produkte, die den sittlichen und staatlichen Vorgaben zum Umweltschutz entsprechen und dennoch die menschlichen Vorlieben für den Konsum und das leichte Leben befriedigen. Dies scheint mir der erfolgversprechendste Weg nach vorne zu sein.