Fremde Federn

Bundeshaushalt, Urheberrecht, Erhard-Folklore

Diese Woche unter anderem in den Fremden Federn: Warum Deutschlands Versäumnisse beim Klimaschutz eine Verschwendung von Steuergeldern sind, weshalb die FDP die Welt nicht mehr versteht und welche Fehlanreize das deutsche Sozialsystem setzt.

Foto: Jojo Bombardo via Flickr (CC BY-ND 2.0)

In den „Fremden Federn“ stellen wir einmal pro Woche in Kooperation mit dem Kuratorendienst piqd eine Auswahl von lesenswerten journalistischen Fundstücken mit wirtschaftspolitischem Bezug zusammen. piqd versteht sich als eine „Programmzeitung für guten Journalismus“ – was relevant ist, bestimmen keine reichweitenoptimierten Algorithmen, sondern ausschließlich ausgewählte Fachjournalisten, Wissenschaftler und andere Experten.

Was der Bundeshaushalt über den Klimaschutz aussagt

piqer:
Nick Reimer

Selbst unter Experten taucht immer wieder die Behauptung auf, Deutschland habe sich „einseitig und freiwillig“ zu einem nationalen Reduktionsziel der Treibhausgase bis zum Jahr 2020 verpflichtet. Das ist längst widerlegt, und dann bekam das deutsche Klimaziel durch die UN-Klimakonferenz in Paris ja auch noch einmal einen anderen völkerrechtlichen Status: Die Bundesrepublik ist verpflichtet, bis 2020 ihre Treibhausgas-Produktion um 40 Prozent unter das Niveau von 1990 zu senken.

Wie verbindlich unser Klimaziel ist, zeigt jetzt auch der kommende Bundeshaushalt: Es drohen Strafzahlungen an die EU. Weil es keine Chance mehr gibt, minus 40 Prozent bis Ende dieses Dezembers zu erreichen – wir sind erst bei knapp 28 Prozent – hat Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) jetzt 300 Millionen Euro Bußgeld in den Haushaltsentwurf bis zum Jahr 2023 eingestellt. Dabei handelt es sich um eine Art Strafzahlung, weil Deutschland den Ausstoß klimaschädlicher Gase nicht wie versprochen verringert.

Ob die 300 Millionen ausreichen – 100 Millionen je Kalenderjahr – ist allerdings umstritten: Die Denkfabrik Agora Energiewende hält deutlich höhere Strafen für wahrscheinlich, bis 2022 könnten sich bis zu 2 Milliarden Euro summieren. Und weil Nichtstun den Schuldenberg vergrößert, könnten bis 2030 Aufwendungen von etwa  60 Milliarden Euro fällig werden.

Es gibt also nun auch fiskalische Gründe, die Deutschland zwingen, endlich in einen vernünftigen Klimaschutz einzusteigen. Gucken wir uns den Haushaltsentwurf einmal an: Die Steuerförderung der energetischen Gebäudesanierung, ein zentrales klimapolitisches Versprechen aus dem Koalitionsvertrag, ist wieder nicht vorgesehen, Klimaschutz im Gebäudesektor wird also nicht kommen. Die Mittel für den internationalen Klimaschutz werden gekürzt. Impulse für Klimaschutz auf der Straße oder im Stall sucht man vergeblich.

Dabei ist jetzt sogar der Unions-Wirtschaftsflügel neuerdings für eine CO2-Steuer!

Klimaschutz á la FDP: „Was ist nur aus der stolzen liberalen Partei geworden?“

piqer:
Ralph Diermann

Als Anwalt von Marktwirtschaft und Liberalismus müsste die FDP ja eigentlich eine Menge Konstruktives zum Klimaschutz beitragen können. Die CO2-Bepreisung zum Beispiel: Warum steht die FDP nicht an der Spitze der Bewegung derer, die das fordern? Preise sind ein effizienter Mechanismus in der Marktwirtschaft – sie steuern, lassen aber alle Handlungsoptionen.

Ja, die FDP findet einen CO2-Preis prinzipiell schon gut. Aber unter einer Bedingung: Klimaschutz müsse so gestaltet sein, dass wir unseren Wohlstand und unsere Freiheit wahren, erklärte Parteichef Christian Lindner kürzlich. Da ist auch nichts gegen zu sagen, schreibt ZEIT-Redakteurin Petra Pinzler. Doch leider, so Pinzler, lautete Lindners nächster Satz: „Die Menschen sollen weiter Fleisch essen, Auto fahren und mit dem Flugzeug verreisen dürfen.“ Und das sei nun wiederum ziemlich traurig.

Lindner offenbart hier ein seltsames Verständnis von Freiheit. Denn individuelle Freiheit ist nicht zu haben ohne eine gesellschaftliche. Daraus folgt, dass Individuen Verantwortung übernehmen müssen – für Menschen in Regionen, die deutlich stärker von der Klimakrise betroffen sind, genauso wie für kommende Generationen.

Pinzler bietet eine interessante Erklärung für das Denken von Lindner und vieler anderer Politiker nicht nur aus der FDP an: Sie seien es gewohnt, dass alles Politische verhandel- und diskutierbar ist. Im Kern geht es beim Klimaschutz aber nicht um Politik, sondern um Naturwissenschaft. Deren Gesetze muss man akzeptieren. Das mache Lindner und andere hilflos. Sie reagierten darauf wie ein trotziges Kind, das sagt: Ich will aber weiter mit meinem Auto spielen.

Syrien: Sinn und Unsinn von Sanktionen

piqer:
Lars Hauch

Sanktionen haben ein grundsätzliches Image-Problem: Haben kaum Effekt, werden in erster Linie von der Zivilbevölkerung ausgebadet, heißt es.

Das ist in der Tat eine Seite der Medaille und trifft auch im Fall Syriens zu. Acht Jahre straffer Sanktionen gegen Syrien unter Assad haben den Diktator und sein Regime nicht daran gehindert, einen verheerenden Krieg gegen die eigene Bevölkerung zu führen.

Und dennoch: Die Sanktionen sind dem Regime ein Dorn im Auge. So gering die Auswahl an Druckmitteln seitens des Westens auch sein mag – Sanktionen sind aktuell das potenziell wirkungsmächtigste.

Der hier vorgestellte Text stammt ursprünglich von The Syria Report und wurde von Adopt a Revolution ins Deutsche übersetzt. Anfangs bekommt ihr einen kurzen Überblick darüber, was für Sanktionen überhaupt verhängt wurden. Dabei wird angenehm differenziert dargelegt, dass …

  • die Sanktionen nicht mit der Totalblockade gegen den Irak der 1990er Jahre vergleichbar sind.
  • Folgen wie das Erstarken informeller, korrupter Wirtschaftsstrukturen überbewertet werden – die hatten ohnehin bereits ihren festen Platz in Syriens Ordnung.
  • die Sanktionen (auch dank ihrer Signalwirkung) dennoch teilweise die Zivilbevölkerung treffen.

Aktuell und beispielhaft für den letzten Punkt: Die Energiekrise dieses Winters. Angesichts hoher Nachfrage und geringen Angebots schossen die Preise für Öl und Gas in die Höhe. Viele Menschen in Syrien kochen und heizen mit Gaskanistern. In diesem Jahr waren die Schlangen besonders lang, die Preise besonders hoch. 15 $ für einen Kanister können sich Teile der Bevölkerung einfach nicht leisten.

Das Assad-Regime machte den vermeintlich Schuldigen schnell ausfindig: Die US-Sanktionen. Und in der Tat schreckten Drohungen des US-Finanzministeriums in den Energiehandel involvierte Akteure ab. Gleichzeitig sind solche Energiekrisen in Syrien recht gewöhnlich, auch schon bevor das US-Finanzministerium im November 2018 mit dem Säbel rasselte.

In vielerlei Hinsicht verschärfen Sanktionen also die Situation in Syrien, das ohnehin von Misswirtschaft und Korruption geplagt ist. Welche Argumente gibt es trotzdem, sie beizubehalten?

Das könnt ihr im Originalartikel nachlesen.

Die Deutsche-Bank-Trump-Connection

piqer:
Rico Grimm

Ein Artikel, zwei Großthemen unserer Zeit: der Aufstieg Donald Trumps und der Niedergang der Deutschen Bank. Die New York Times schildert, wie die Deutsche Bank Trump einen großen Kredit nach dem anderen gab, obwohl keine andere Bank das tun wollte. Insgesamt zwei Milliarden US-Dollar flossen als Kredite aus Frankfurt nach New York – was nicht möglich gewesen wäre, wenn die Deutsche Bank nicht Profite um jeden Preis verfolgt hätte. Ihre Teams fanden heraus, dass Trump regelmäßig den Wert seiner Grundstücke überschätzte, manchmal um bis zu 70 Prozent. Die Deutsche Bank ließ sich erst mit windigen Argumenten von Trump auf drei Milliarden Dollar Schadensersatz verklagen, nur um Trump dann noch einen Kredit zu geben. Das alles wird jetzt wieder wichtig, weil die Deutsche Bank und ihre Angestellten vor den Kongress treten müssen, um über die Geschäfte von Trump auszusagen.

EU-Urheberrechtsreform: Es geht um Lizenzen, nicht um Zensur

piqer:
Dirk Liesemer

Am Dienstag hat das EU-Parlament die Urheberrechtsreform ohne Änderungen beschlossen. Ist damit das Internet kaputt? Beginnt jetzt das Zeitalter der Zensur?

Nein, argumentiert der Journalist Wolfgang Michal in seinem versierten Blogeintrag: „Handlungen sollen nicht verhindert, sondern zu Geld gemacht werden.“ Es gehe nicht um eine „Zensurmaschine“, wie es oft von Kritikern heißt, sondern um die Installation einer „Geldmaschine“. Wenn Plattformen wie Youtube und Facebook künftig urheberrechtlich geschützte Inhalte verbreiten, müssen sie Lizenzen erwerben. Nicht vom Urheber direkt, sondern von dessen Verwerter (sprich: von den Medienunternehmen). Ob Geld aus diesen Lizenzgeschäften letztlich beim Urheber ankommt, sei hingegen äußert fraglich: „Vom erhofften Geldsegen dürften die Urheber wenig abbekommen.“

Lesenswert ist der Eintrag auch, weil Michal auf zwei oft übersehene Artikel aufmerksam macht: 12 und 14. Und er weitet den Blick noch einmal: Während die Kultur- und Kreativbranche eine höhere Bruttowertschöpfung als die Finanzindustrie erwirtschafte, verarme eine Mehrheit derjenigen, die sich als Freiberufler in der Kreativszene tummelten.

Wertschöpfung im Digitalen und „fiktive Waren“

piqer:
Michael Seemann

Eine Frage, die mich immer wieder umtreibt, ist die Frage des Wertes. Sie stellt sich natürlich nicht nur im Digitalen, aber mir scheint, hier sucht sie nach neuen Antworten, denn die alten passen nicht mehr. Nun kann man aber nicht einfach hingehen und Wertschöpfung im Digitalen in Abgrenzung zur Wertschöpfung im Analogen definieren, sondern muss eine allgemeine Theorie der Wertschöpfung entwerfen, die Wert sowohl im Digitalen als auch im Analogen erklärt. Ein eher größeres Vorhaben, so scheint es.

Es scheint aber auch politisch dringlich. Organisationen, die für die EU-Urheberrechtsrichtlinie lobbyierten, brachten immer wieder den sogenannten „Value Gap“ als Argument auf den Tisch: Das ist die Behauptung, dass durch unzureichende Rechtsdurchsetzung von Urheberrechten, sich Werke unter Preis verkauften. So einen Quatsch kann man nur fabrizieren, weil es eine allgemeine Verwirrung hinsichtlich von „Wert“ im Digitalen und im Allgemeinen gibt.

Ich will jetzt gar nicht in die Details dieser doch recht schwierigen und facettenreichen Diskussion einsteigen, sondern hier nur auf diesen schönen kleinen Text von Felix Stalder verweisen. Er kommt von einer ganz anderen Warte und versucht zu verstehen, wie Facebook zu so einem toxischen Akteur hat werden können. Er macht als Ursache die Kommodifizierung der Kommunikation aus (also die Verwandlung von Kommunikation zu einer Ware) und hier bringt er den spannenden Begriff „Fiktive Ware“ von Karl Polanyi ein. Fiktive Waren sind Waren, die, weil sie nie für den Verkauf hergestellt wurden, keine Ware sein können – oder dürften. Polanyi nennt Boden, Arbeit und Geld. Kommunikation kommt nun laut Stalder hinzu.

Ich finde, das ist ein interessanter Ansatz, auch wenn ich das Gefühl habe, dass hier eher moralisch argumentiert wird, denn ökonomisch. Aber auch ich glaube, dass in der Kommodifizierung das Hauptproblem liegt. Deswegen bin ich ganz bei Stalder (und den meisten Datenschützern), dass ein Dateneigentum eine schlechte Idee ist.

Ludwig Erhard wäre heute kein Sozialist, aber ein Antipode von FDP-Chef Lindner

piqer:
Gunnar Sohn

Wäre der erste Bundeswirtschaftsminister Ludwig Erhard heute Sozialist? Das fragt der Zeit-Kolumnist Mark Schieritz. Ich halte diese Frage gar nicht für so abwegig. Schließlich kommt Erhard nicht aus der Denkschule der Markt-über-alles-Protagonisten. Er wäre wohl zumindest ein Antipode von FDP-Chef Christian Lindner. Schieritz begründet seine politische Verortung von Erhard mit seiner wirtschaftspolitischen Bilanz in den 1960er Jahren. Der Spitzensteuersatz lag bei 53 Prozent, die durchschnittliche Inflationsrate bei 2,9 Prozent. Es gab eine Vermögenssteuer und eine Währung, die durch einen festen Wechselkurs an die anderen großen Währungen gebunden und streng reguliert war.

„Wer heute als Politiker solche volkswirtschaftlichen Rahmendaten vorweisen würde, würde wahrscheinlich als Sozialist beschimpft. Zur Erinnerung: Der Spitzensteuersatz beläuft sich heute – inklusive Reichensteuer – auf 45 Prozent, die Inflation liegt gerade einmal bei 1,5 Prozent, die Währung wird frei gehandelt und die Vermögenssteuer ist abgeschafft.“

Erhard würde diese Kategorisierung auch heute ablehnen. Er entwickelte wirtschaftspolitische Konzepte für den dritten Weg. Erhard war weit entfernt von der kapitalistischen Interessenvertretung, die sich dem Leistungswettbewerb und der freien Preisbildung verweigerte. Er betrachtete es allerdings auch als tragischen geschichtlichen Irrtum, dass sich die sozialistische Seite gegen das Walten von fairer Konkurrenz positionierte und somit wirtschaftliche Machtballungen und Vetternwirtschaft begünstigte. Private und staatliche Machtpositionen waren Erhard suspekt. Mit einem liberalen Sozialismus konnte er gut leben. Das schrieb er 1947 in einem Gastbeitrag für die NZZ mit dem Titel: „Sprachverwirrung um die Wirtschaftsordnung“. Antriebsmotor der Ordnungspolitik von Erhard war es, den Missbrauch von Macht zu unterbinden, die im Gewand eines sozialistischen oder kapitalistischen Systems daherkommt.

Im Inneren von Huawei

piqer:
Rico Grimm

Wunderbarer Text, der viel Kontext liefert für eine brandheiße Debatte: Darf der chinesische Netzwerkausrüster Huawei die Infrastruktur für die neueste Mobilfunktechnik liefern? Die US-Amerikaner wollen das verhindern, haben Sicherheitsbedenken. Sie sagen, dass die chinesische Regierung damit spionieren könne. Die anderen Länder wiederum sind sich noch nicht sicher. Der Riss läuft sogar mitten durch die Bundesregierung, wie das Handelsblatt hier schreibt:

Das Auswärtige Amt trägt Sicherheitsbedenken vor, das Wirtschaftsministerium will die Digitalisierungsversprechen des Koalitionsvertrags rasch einlösen, und das Kanzleramt fürchtet um die Beziehungen zu Peking.

Die Entscheidung für oder gegen Huawei hängt an einer Frage: Wie vertrauenswürdig ist der Konzern? Und vor allem sein Gründer und CEO? Dieser lange Text gibt nicht die letzte Antwort, aber er liefert wichtige Teile des Puzzles, über die interne Kultur, über den Umgang mit Lieferanten und über durchaus vorhandene Überschneidungen zwischen Huawei und dem chinesischen Geheimdienst, die Zufälle sein können, aber nicht sein müssen.

„Sammelklage“ gegen Immobilienkonzern Vonovia?

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Philipp Haaser

Überhöhte Betriebskosten werfen Mieter dem größten deutschen Wohnungskonzern vor. Der versucht zumindest aggressiv, durch eigene Hausmeister, Handwerker und Dienstleistungen, die den Mietern in Rechnung gestellt werden, möglichst viel Gewinn aus dem Mietgeschäft zu schöpfen. Ob es dabei immer mit rechten Dingen zugeht, oder systematisch kleinere und größere Beträge in Rechnung gestellt werden, die die Mieter eigentlich nicht zahlen müssten, könnte bald ein Gericht klären. Vonovia-Mieter und Vereine planen eine Musterfeststellungsklage, und wollen damit ein recht neues Verfahren nutzen. Es wäre erst das zweite seiner Art gegen einen Dax-Konzern. Erster Adressat war Volkswagen.

Förderung der Elektromobilität als Sozialpolitik

piqer:
Frank Lübberding

Im Interview mit der FAZ hat sich Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) zur Elektromobilität geäußert. Er findet „es in­dus­trie­po­li­tisch wich­tig, dass wir un­se­re ge­gen­wär­tig bis 2021 be­grenz­ten För­der­pro­gram­me für bat­te­rie­elek­tri­sche Fahr­zeu­ge und Plug-in-Hy­bri­de auf das gan­ze nächs­te Jahr­zehnt aus­deh­nen.“ Nun ist der Aufbau einer entsprechenden Ladeinfrastruktur die wichtigste Voraussetzung für den Umbau unserer PKW-Flotten. Die wenigsten Autofahrer hätten heute überhaupt die Möglichkeit, ihre Elektroautos orts- und zeitnah aufzuladen. Ob eine europäische Batterieproduktion industriepolitisch sinnvoll ist, bestreitet etwa Peter Leibinger im Handelsblatt-Interview.

Jenseits dessen hat Scholz ein Problem: Er muss steigende Ausgaben mit sinkenden Steuerüberschüssen vereinbaren – und will außerdem noch die Schuldenbremse einhalten. In welche Widersprüche er sich dabei verwickelt, lässt sich dem FAZ-Artikel entnehmen. So ist die geplante Ausweitung der staatlichen Subventionierung des Elektroauto-Absatzes schlicht unsinnig. Sie werden sich durchsetzen, wenn sie dem Kunden einen Mehrwert gegenüber anderen Antriebstechniken bringen.

Besonders grotesk ist aber die Idee einer speziellen steuerlichen Förderung für Geringverdiener beim Erwerb eines Elektroautos. Wie soll man sich das in der bürokratischen Umsetzung vorstellen? Will sich die Bundesregierung am Wohngeldanspruch orientieren? Und wer zehn Euro zu viel für einen Leistungsanspruch verdient, soll sehen, wo er bleibt? Wahrscheinlich zu Hause.

Dieser Vorschlag zeigt die Orientierungslosigkeit einer Regierung, die sich im Gestrüpp aus Umwelt-, Verkehrs- und Sozialpolitik hoffnungslos verheddert hat. Auf der Strecke bleibt wirtschaftspolitische Vernunft. VW-Vorstand Herbert Diess ist aber eines mitzuteilen: Entweder bietet er Autos an, die seine Kunden haben wollen, oder er muss gehen. Bei seinen Pensionsansprüchen sollte er sich einen Neuwagen ohne staatliche Subventionen leisten können.

Über Fehlanreize im Sozialsystem: Wenn mehr Arbeit „bestraft“ wird

piqer:
Cornelia Daheim

Die meisten von uns werden schon davon gehört haben, dass sich für Geringverdiener mehr Arbeit oft nicht lohnt – weil dann andere Zuschüsse gestrichen werden. Wie das genau aussieht, und warum es so schwer ist, das zu ändern, erläutert dieser Artikel in Spiegel Online, und stellt dabei zentrale Fragen:

Dass sich mehr Arbeit für sie (Ergänzung: die Geringverdiener) oft kaum auszahlt, ist ein zentrales Problem – da sind sich Experten aller Denkschulen einig. Diskutiert wird in der neuerdings wieder sehr intensiven Sozialstaatsdebatte aber meist über anderes. Es geht um Sanktionen, die Höhe des Regelsatzes oder die Bezugsdauer von Arbeitslosengeld.Die enormen Hürden, die der Sozialstaat jenen setzt, die ihm entkommen könnten, sind dagegen kaum ein Thema. Wie kann das sein? Zum Teil liegt es sicher daran, dass die Materie komplex ist.

Hier wird an Beispielen genau vorgerechnet, wie das funktioniert bzw. passieren kann: Wenn z.B. Sozialleistungen wie Kinderzuschlag oder Wohngeld bei steigendem Einkommen gekürzt werden, während Sozialleistungen und Steuern steigen – hier greifen die Elemente des Sozialstaats eindeutig nicht sinnvoll ineinander. Angeführt werden dann noch verschiedene Lösungsansätze – die es durchaus gibt -, und eine Reflektion dazu, warum es so schwer ist, hier etwas zu ändern.

Kurz gefasst sei das der Fall, weil das einen umfassenden Umbau des Sozialstaats bedeuten würden, weil die Lösungsansätze entweder zu „teuer“ oder zu „brutal“ seien und zu neuen Hartz-4-Beziehern führen würden, aber vor allem: weil es politisch ob der Komplexität (zu) riskant ist, das Thema anzugehen. Denkt man das zusammen mit den anstehenden Umbrüchen am Arbeitsmarkt, ist die Dringlichkeit des Problems offensichtlich, und auch die Tatsache, dass sich der politische Diskurs wandeln muss, damit wir solche komplexen Probleme überhaupt angehen können.

Unpiq: Milliardäre, Kassenleere – oder: Der Oligarchen-Kapitalismus weitet sich aus

piqer:
Achim Engelberg

Während der Leipziger Buchmesse erhielt Masha Gessen für ihr erzählerisch beachtliches Werk „Die Zukunft ist Geschichte“ den Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung.

In sieben Lebensläufen nähert sich die russisch-amerikanische Publizistin den sowjetischen Traumata des 20. Jahrhunderts. Vier ihrer Protagonisten sind Anfang bis Mitte der 1980er Jahre geboren, so wie Shanna, die Tochter des 2015 vor dem Kreml ermordeten Politikers Boris Nemtzow, der lange als Kronprinz von Boris Jelzin galt. Als Kinder erfuhren sie die Revolution von oben unter Michail Gorbatschow, die mit der Auflösung des Vielvölkerstaats endete. Als Jugendliche erlebten sie die prägenden 1990er Jahre, das „umstrittenste Jahrzehnt der russischen Geschichte“ (Gessen), das in den scheinbar gefestigten Oligarchen-Kapitalismus unter Putin mündete – eine neue bleierne Zeit.

So weit, so gut!

ABER:

Gessen erhellt dabei kaum die Machtergreifung der Oligarchen, von denen viele aus der jungen Generation der kommunistischen Kader stammen.

Den meisten Rezensenten fiel diese Lücke nicht auf, zumindest berichten sie darüber nicht.

Gessen vermittelt die Macht der Wenigen über die Vielen allenfalls indirekt erzählerisch, wenn sie beiläufig erwähnt, dass dieser Oppositionelle mit jenem Oligarchen zusammenarbeitet und von ihm diesen Vorteil erhielt. Denn nicht nur Putin, sondern auch seine Gegenspieler sind oligarchisch durchsetzt.

Die neuen Zahlen erschrecken:

Fewer than 100 Russian billionaires now have a combined wealth that is greater than the entire population’s savings, according to figures published by Forbes.

Russia is regularly named in international ratings as one of the most unequal of the world’s major economies, with an estimated 89 percent of the country’s wealth owned by its richest 10 percent, according to Credit Suisse.

Beim Vergleich mit den ukrainischen Oligarchen fällt auf, dass deren Vermögen schwächer wuchsen, aber sie wuchsen.

Milliardäre, Kassenleere – stehen sich auch hier schroff gegenüber.