Brot und Freiheit war 2011 der Protestruf des Arabischen Frühlings in Ägypten. Fünf Jahre später ist von beidem ziemlich wenig verfügbar. Saudi-Arabien, der wichtigste Finanzier der Sisi-Regierung, hat das Land wegen eines territorialen Konflikts und seiner eigenen fiskalpolitischen Schwierigkeiten ausgetrocknet. Da es sich an niemanden anderes mehr wenden konnte, hat Ägypten nun doch mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) einen Kredit über 12 Milliarden US-Dollar ausverhandelt. Der Plan sieht vor, dass andere Kreditgeber weitere 6 Milliarden bereitstellen.
Die Hilfe des IWF zu suchen ist eine notwendige Voraussetzung, um das Land wieder auf einen Wachstumspfad zu bringen – aber es ist zu bezweifeln, dass dies allein ausreichend wird. Ägypten hat so lange mit diesem Schritt gewartet, dass die erforderlichen Anpassungen jetzt sehr umfangreich sind. Gleichzeitig ist die globale Nachfrage schwach. Und nach Jahren schwachen Wachstums und hoher Arbeitslosigkeit ist das ägyptische Volk erschöpft.
Der ägyptische Gesellschaftsvertrag aus der Zeit vor dem Arabischen Frühling basierte darauf, dass die Regierung Arbeitsplätze, billigen subventionierten Konsum und eine starke Währung im Gegenzug für Stabilität und begrenzte politische Freiheiten gewährleistete. Als die Erwerbsbevölkerung aber größer wurde, geriet der ökonomische Teil der Abmachung ins Wanken. Und da es nichts mehr als Gegenleistung gab, wurde auch der politische Teil unakzeptabel, was zum Ruf nach Brot und Freiheit führte.
Kurz nach dem Sturz des Mubarak-Regimes im Jahr 2011 entwarf der IWF ein drei Milliarden US-Dollar schweres Unterstützungspaket. Dieses Paket hätte keine Auflagen gehabt, zielte auf die Verbesserung der sozialen Gerechtigkeit ab und sollte bei der Transformation des Nahen Ostens helfen.
Die Angebote des IWF wurden abgelehnt: Zunächst hatte die ägyptische Übergangsregierung behauptet, sie besäße keine Verhandlungsbefugnis. Später erhielt die Mursi-Regierung Gelder aus Katar und der Türkei. Und schließlich flossen Mittel aus Saudi-Arabien, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Kuwait an die Sisi-Regierung. Die Finanzierung durch die Golfstaaten war bevorzugt worden, weil die Ägypter den IWF mit Austerität und harten Zeiten assoziierten. Unglücklicherweise wird das Aufschieben der Einbeziehung des IWF diese Ängste bestätigen – denn der IWF-Kredit wird jetzt tatsächlich mit erheblichen Entbehrungen verbunden sein.
Die Finanzierung durch die Golfstaaten hatte es der Regierung erlaubt, ein eigenes Reformprogramm zu entwerfen. Man muss es Sisi gutschreiben, dass 2014 umfangreiche Energiepreisreformen durchgeführt wurden, die die Benzinpreise im Schnitt um 42% steigen ließen. Die Reformen wurden eingeleitet, bevor die Ölpreise fielen. Als die Weltpreise dann zu sinken begannen, erleichterte dies den Konsumenten die Anpassung. Für eine kurze Zeit sah es so aus, als wenn Ägypten Reformen im Stil des IWF durchsetzen würde, und dabei saudisches Geld als Polster nutze.
Jedoch wurden weitere geplante Energiepreis-Anpassungen aufgeschoben. Und das wahre Problem – der steigende Wechselkurs – wurde nicht angegangen. Die ersten eineinhalb Jahre nach der Revolution war das ägyptische Pfund gegenüber dem US-Dollar auf einen Kurs von 6 zu 1 festgelegt worden. Als Nachfrage und Investitionen sanken und die Einnahmen aus dem Tourismus-Geschäft einbrachen, war die Währung schnell deutlich überbewertet.
Die Regierung erlaubte von Zeit zu Zeit leichte Kursanpassungen, aber diese waren nie ausreichend. Der festgelegte Wechselkurs entfernte sich immer weiter von den Kursen auf dem freien Markt. Ein Schwarzmarkt und ernsthafte Importprobleme entstanden, wichtige Grundnahrungsmittel wie Mehl und Zucker wurden knapp und teuer. Im Sommer 2016 schließlich stoppte Saudi-Arabien wegen eines Territorialkonflikts im Roten Meer und eigenen Haushaltsproblemen seine Finanzierung.
Wechselkurs-Freigabe
Als die Zahlungsbilanzprobleme immer schlimmer wurden, konnte sich Ägypten nur noch an den IWF wenden. Aber der Währungsfonds kann niemandem Geld leihen, wenn es einen dualen Wechselkurs gibt. Als die Gespräche mit dem IWF intensiver wurden, stieg der Schwarzmarktkurs des ägyptischen Pfundes auf das Zweifache des offiziellen Kurses an – entsprechend hart war es, die Wechselkursbindung aufzugeben. Als das Pfund am 3. November schließlich freigegeben wurde, sank es von einem Kurs von unter 9 zum US-Dollar auf über 18, ehe es sich bei etwa 16 stabilisierte. Das bedeutet, dass Importgüter nun etwa doppelt so teuer sind wie vor der Anpassung.
Die Freigabe des realen Wechselkurses war dennoch notwendig. Die ausländischen Devisenreserven waren bis zur Jahresmitte auf 15,5 Milliarden US-Dollar gefallen, was kaum genug wäre, um drei Monate lang die Importe abzudecken. Die Knappheit bei Importgütern hatte zugenommen, die Exporte waren nicht mehr wettbewerbsfähig. Ausländische Investoren saßen an der Seitenlinie und warteten darauf, dass die Währung kollabieren würde.
Die Hoffnung besteht darin, dass die Abwertung von Anfang November Ägypten wettbewerbsfähiger macht und so Wachstum generieren kann. Für Touristen wird Ägypten zum Schnäppchen. Die Nachfrage nach den relativ billigen ägyptischen Exporten steigt, während die Importe teurer werden. Die Produzenten werden ihre Aktivitäten auf handelbare Güter verlagern, die jetzt höhere Profite bieten, und die Netto-Exporte sollten positiv zum BIP beitragen.
Es wird auch erwartet, dass ausländische Investoren zunehmend versuchen werden, von Ägyptens gestiegener Wettbewerbsfähigkeit zu profitieren. Der IWF prognostiziert, dass die ausländischen Direktinvestitionen in diesem Fiskaljahr von 6,7 auf 9,4% des BIP zulegen werden.
Die Herausforderung besteht darin, dass Investitionen und Tourismus Sicherheit brauchen. Die Regierung hat in Erwartung von Protesten öffentliche Plätze geschlossen und die Militärpräsenz erhöht. Das hat bisher Proteste verhindert, aber die Militäraktionen werden einige der erhofften Vorteile zunichtemachen. Was die Angelegenheit noch schwieriger macht, ist die Bedrohung durch Terroristen. Abgesehen von dem enormen menschlichen Leid treffen die Attacken auch die Wirtschaft, da der Tourismus seit dem Abschuss eines russischen Passagierflugzeugs vor einem Jahr zum Erliegen gekommen ist.
Andere Teile des IWF-Programms beinhalten die Einführung einer Mehrwertsteuer, um die Einnahmen zu steigern, Unternehmensreformen, die das Wachstum des Privatsektors vorantreiben sollen und Geldzahlungen an die Armen, um die Schwächsten der Gesellschaft zu schützen. Außerdem beinhaltet der Plan Initiativen, um Frauen die Berufstätigkeit durch die Bereitstellung von Kindertagesstätten zu erleichtern, und für sichere öffentliche Verkehrsmittel.
Der schwierigste Teil dürfte darin bestehen, dass Ägypten diese schwierigen aber notwendigen Reformen in einem schwachen weltwirtschaftlichen Umfeld durchführt. Die Golfregion hat mit niedrigen Ölpreisen zu kämpfen. Das chinesische Wachstum verlangsamt sich und die Stimmung im Westen ist zunehmend nationalistisch. Der Ausbau des Suez-Kanal – eines der größten Investments der letzten Jahre, das ausländische Gelder anziehen soll – erfolgte zu einem Zeitpunkt, an dem der Welthandel nachließ. Angesichts dieser Umstände dürfte die Freigabe des Wechselkurses genau wie das Suez-Investment auf kurze Sicht nur einen beschränkten Wachstumseffekt haben.
Im Gegensatz zu anderen Ländern der Region hat Ägypten den Vorteil einer großen Bevölkerung, was impliziert, dass die Binnennachfrage leichter das Wachstum antreiben kann. Es ist absolut entscheidend, die Bevölkerung bei der Umsetzung der Reformen mit an Bord zu bekommen. Im Vorfeld hat die Regierung Aufklärungskampagnen betrieben, auf Reklametafeln wurden die Anpassungen gepriesen und Hoffnung verbreitet. Aufklärung ist der richtige Weg, um die Entscheidungen zu erklären und wird hoffentlich dazu beitragen, die Proteste zu begrenzen und das Vertrauen zu erhalten.
Alles in allem wird es ein heikler Drahtseilakt werden. Der IWF liegt mit der Anpassung des Wechselkurses und anderen marktorientierten Reformen richtig. Wenn es an der Kreditvereinbarung etwas zu auszusetzen gibt, dann ist es die geplante Expansion des sozialen Sicherheitsnetzes: die vorgesehene Ausdehnung der Sozialleistungen in Höhe von rund 1% des BIP wird höchstwahrscheinlich zu wenig sein. Außerdem werden die gezielten Hilfszahlungen an die Armen wahrscheinlich dazu führen, dass die Mittelschicht die Hauptlast der Schmerzen wird schultern müssen. Zusätzliche Mittel aus anderen Quellen, beispielsweise von der Weltbank oder der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung, sollten daher verwendet werden, um den Anpassungsprozess zu erleichtern.
Zur Autorin:
Caroline Freund ist seit Mai 2013 Senior Fellow am Peterson Institute for International Economics (PIIE). Zuvor war sie unter anderem bei der Weltbank als Chef-Ökonomin für die Region Naher Osten und Nordafrika (2011 – 13) und als Senior Economist beim IWF (2006/07) beschäftigt.
Hinweis:
Dieser Beitrag ist zuerst auf Englisch im RealTime Economic Issues Watch Blog des Peterson Insitute veröffentlicht worden. Die Übersetzung durch die Makronom-Redaktion erfolgte mit Genehmigung des Peterson Institutes.