Fremde Federn

Brinkhaus, „Social Credit“, 20 Jahre Google

Diese Woche unter anderem in den Fremden Federn: Wofür der neue Fraktionschef der Union wirtschaftspolitisch steht, warum Carsharing der Umwelt nicht hilft und wie das eigentlich war, als die Welt vor Japans Aufstieg zitterte.

Foto: Jojo Bombardo via Flickr (CC BY-ND 2.0)

In den „Fremden Federn“ stellen wir einmal pro Woche in Kooperation mit dem Kuratorendienst piqd eine Auswahl von lesenswerten journalistischen Fundstücken mit wirtschaftspolitischem Bezug zusammen. piqd versteht sich als eine „Programmzeitung für guten Journalismus“ – was relevant ist, bestimmen keine reichweitenoptimierten Algorithmen, sondern ausschließlich ausgewählte Fachjournalisten, Wissenschaftler und andere Experten.

Was ist eigentlich aus Bitcoin geworden?

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Georg Wallwitz

Seit das Spekulationsfieber etwas zurückgegangen ist und sich die wildesten Spieler auf den Handel mit Cannabis-Aktien verlegt haben, ist es etwas still geworden um Bitcoin. In der FT hat der angesehene Finanzier und Zentralbankberater Huw van Steenis nun einen Artikel geschrieben, in welchem er auf das Thema noch einmal zurückkommt. Bitcoin & Co. sehen in seiner Analyse nicht gut aus, denn er spricht ihnen ab, eine Finanzinnovation zu sein. Kryptowährungen sind weder einfacher noch billiger noch schließen sie mehr Marktteilnehmer ein als konventionelle Systeme. Dies müsste aber gegeben sein, um sich durchzusetzen.

Es gibt aber durchaus Bewegung bei der Blockchain-Technologie. JP Morgan hat ein Netzwerk von 75 teilweise großen Banken aufgebaut, das Zahlungen mit Hilfe dieser Technik abwickelt.

Und Wagniskapitalgeber (einige wenige gibt es in Deutschland) investieren hierzulande ebenfalls in das Thema. Man wird also weiterhin ein Auge darauf haben müssen.

Kurz: Bitcoin ist tot, es lebe die Blockchain!

Wirtschaftswissenschaften halten „Care“ nicht für ihr Thema – sondern für eins der Gender Studies

piqer:
Antje Schrupp

Der Schweizer Verein „Wirtschaft ist Care“ hat eine Umfrage an den wirtschaftswissenschaftlichen Fakultäten des Landes gemacht, um herauszufinden, welche Forschungsprojekte es zum Gebiet der unbezahlten Sorgearbeiten gibt. Heraus kam: Es gibt keine. Die Wirtschaftswissenschaftler erklärten sich für nicht zuständig und verwiesen die Aktivistinnen vielmehr an andere Fakultäten – an die Sozialwissenschaften zum Beispiel, oder gleich an die Gender Studies.

Ina Praetorius, eine der Initiatorinnen des Vereins, vergleicht in diesem Text, den sie für den theologischen Blog „Feinschwarz“ geschrieben hat, die modernen Wirtschaftswissenschaften mit dem Klerus früherer Jahrhunderte: Mit Hilfe von Dogmen, Denkverboten und analytischer Blindheit werden Glaubensgebäude am Leben erhalten, die auf die Realität schon lange nicht mehr zutreffen.

Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt: Mehr Empirie und weniger Spekulationen!

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Ole Wintermann

Igor Perisic, CDO bei LinkedIn, stellt in seinem Beitrag die Ergebnisse einer Analyse der LinkedIn-Profildaten in Bezug auf die wachsende Bedeutung von Kompetenzen im Bereich der künstlichen Intelligenz (KI) vor. Der Text ist insofern von Bedeutung, als dass der Autor (zu Recht) darauf hinweist, dass die vorhandenen volkswirtschaftlichen Studien allein auf Spekulationen beruhen, während die gegenwärtige Umwälzung des Arbeitsmarktes ganz klar anhand der Empirie auf Basis der 575 Millionen Profile auf LinkedIn beobachtet werden kann.

„AI skills are among the fastest-growing skills on LinkedIn, and saw a 190% increase from 2015 to 2017.“

In den letzten 5 Jahren kann anhand dieser Analyse eine Zunahme der Nachfrage nach KI-Kompetenzen in allen Funktionen (v. a. aber bei Software, Marketing und HR) und Ländern beobachtet werden, während die Nachfrage nach menschenzentrierter Routinearbeit (Verwaltung, Kundenservice, Sales) beständig gesunken ist. Besonders stark ist die Nachfrage nach KI-Kompetenzen in der IT, der Bildung und den Finanzdienstleistungen gestiegen.

Dabei scheint die Geschwindigkeit der Penetration bestehender Industrien mit der Nutzung von KI einherzugehen mit der Innovationsfähigkeit der jeweiligen Industrie (wenngleich ich mich des Eindrucks nicht erwehren konnte, dass Korrelation und Kausalität nicht sauber getrennt werden).

Überraschend war aus meiner Sicht, dass Deutschland weltweit immerhin auf dem 5. Platz der Liste der Länder mit der höchsten Nachfrage nach KI-Kompetenzen liegt.

Perisic appelliert an die die politisch Verantwortlichen, ihre Entscheidungen mehr auf Datenanalysen und weniger auf Spekulationen zu gründen:

„Preparing the workforce for these changes will depend on a data-driven approach to understanding the trends that are shaping the future of the labour market.“

Get hyper rich or kill the economy trying – Interview mit einem Spekulanten

piqer:
Dmitrij Kapitelman

Zum zehnjährigen „Jubiläum“ des beinahe-Zusammenbruchs des Weltfinanzsystems wurde viel über dessen Ursachen geschrieben. Gemäß dieser Logik werden wir erst wieder in fünf Jahren über jenen Crash sprechen, der vielen Menschen den Glauben an politische Gerechtigkeit nahm.

In diesem Lichte also das Interview mit Ex-Spekulant Alexis Stenfors. Der mit einer einzigen Wette 100 Millionen verzockte. Was er aber erstmal beschloss, für sich zu behalten. Auch weil ihm das jetzt nicht soooo schlimm schien. Hier erzählt Stenfors unter anderem, in welchem Betriebsklima er nach und nach internalisierte, dass nur ein Hochrisikotag mit 100 gewonnenen Mille auch ein guter Arbeitstag sei (Tipp: Es hat mit Gier und Nervenkitzel zu tun). Und wie er an der Pleite von Lehman erst mal saftig verdiente.

Das ist aber gar nicht der Punkt des Textes, bei dem meine Kinnlade migrierte. Es sind eher die Aussagen des angeblich geläuterten, sich nun als Wirtschaftsprofessor verdingenden Stenfors. So habe er beispielsweise gedacht, wenn er erst mal eine Doktorarbeit schreibt, wird man ihn nicht mehr als den Mann sehen, der 100 Millionen verloren hat. Das sei nämlich ganz schwierig, mit so einem Image zu haushalten.

Staaten und ihre Zentralbanken – die Mütter der Wirtschafts- und Finanzkrisen?

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Thomas Wahl

Während es populär ist, die Finanzkrise 2008 vorrangig den gierigen Banken und Bankern anzulasten, vertritt der Autor die Meinung, dass die Ursachen eigentlich ungeklärt sind. Er sieht diese Krise als Bestandteil einer seit den 1980er Jahren anhaltenden und immer noch laufenden Schuldenblase bei Staaten, Unternehmen, Banken und Verbrauchern. Hervorgerufen letztendlich als Reaktion auf schwaches Produktivitätswachstum.

All diese Schulden schufen das zerbrechliche Kartenhaus, das nur ein leichtes Zittern brauchte, um einzustürzen. Die US-Notenbank initiierte dieses Zittern durch die Erhöhung der Leitzinsen. Sie begründete dies damit, die schuldengetriebene Wirtschaft abzubremsen, bevor sie überhitzt wurde.

Über die Subprime-Hypothekenkrise breitete sich ein Liquiditäts- und Finanzierungsschock über die internationalen Finanzmärkte aus. Die Zentralbanken schoben nun noch mehr Liquidität in die Märkte, um den Flächenbrand zu stoppen. Aber das verbreitete Narrativ von der „Rückkehr des Staates“ hält der Autor für falsch. Die Zeiten vor 2008 waren keine Zeiten in denen Staaten geschrumpft wurden und der „freie Markt“ triumphierte. Neoliberalismus hat sich so nicht ereignet:

Der Staat hatte sich nie aus der wirtschaftlichen Intervention zurückgezogen. Die öffentlichen Ausgaben sind kaum gesunken. Vielmehr hat sich die Regulierung der Märkte weiter fortgesetzt. Schon die berühmte „Deregulierung“ der Finanzdienstleistungen stellte eine aktive staatliche Politik zur Förderung der Finanzialisierung anstelle früherer produktiver Tätigkeiten dar.

Die Stärke der Erzählung über den Neoliberalismus erklärt er aus einer „seltsamen Allianz“ zwischen Linken und Rechten. Die Linken suchten eine Entschuldigung für den sinkenden Einfluss auf die Gesellschaft, die Rechten wollten sich mit den „freien Märkten“ schmücken und die populistische Politik (nicht den Staat) aus der Wirtschaft heraushalten. Eine für mich überzeugendere Gesamtthese als die Ursachenreduktion auf die Banken.

Carsharing schadet der Umwelt

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Marc Winkelmann

Carsharing wächst. Mehr als zwei Millionen Menschen nutzen eines der bundesweiten Angebote inzwischen, die, auch das ist Rekord, in mittlerweile 677 Städten und Gemeinden zu finden sind. Und weil die Fahrzeuge durch die Mehrfachnutzung besser ausgelastet sind, die Anschaffung eines eigenen Pkw damit überflüssig ist und die Mietautos im Vergleich zu privaten deutlich häufiger mit einem E-Antrieb ausgerüstet sind, wirkt sich das positiv auf die Umwelt und das Klima aus. Sollte man meinen.

Tatsächlich sieht es anders aus. Eine mehrjährige Studie des Öko-Instituts (Freiburg) und des Instituts für sozial-ökologische Forschung (Frankfurt) kommt zu dem Schluss, dass der Ausstoß von Treibhausgasen nicht gesenkt wird. Anders als angenommen – und von Befürwortern auch propagiert – führt die steigende Zahl von Carsharing-Unternehmen nicht dazu, dass die Zahl der zugelassenen Pkw sinkt, im Gegenteil. Um bis zu 15 Prozent ging der Besitz während des Untersuchungszeitraums bei den befragten Autofahrern nach oben. Erklärt wird das mit der Lebensphase der meisten Carsharing-Fahrer. Diese seien eher jung, mehrheitlich männlich und gebildet, und wenn sie ausreichend Geld verdienen, verlassen sie sich nicht mehr auf die Leihautos. Sondern leisten sich zusätzlich ein eigenes Fahrzeug.

Überraschend kommt das nicht. Das Phänomen des sogenannten „Rebound-Effekts“ ist schon seit mehr als 150 Jahren bekannt. Dieser besagt, dass ein durch technologischen Fortschritt bedingter Effizienzgewinn aufgefressen wird und letztlich zu einer höheren (Rohstoff-)Nutzung führt – weil die Ersparnis von Geld, Zeit oder Energie uns glauben lässt, mehr vom selben verbrauchen zu können. Bei Fernsehern und Kühlschränken war das bereits bekannt. Jetzt zeigt sich, dass es beim Carsharing auch nicht anders ist.

Wer ist Brinkhaus und wofür steht er?

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Paulina Fröhlich

Gestern wurde Ralph Brinkhaus zum Unions-Fraktionschef gewählt. Die Mehrheit für ihn, anstatt für Volker Kauder, dem engen Vertrauten Angela Merkels, kam überraschend und wurde als Schwächung der Kanzlerin gedeutet. Sie selber sprach von einer „Niederlage“.

Nun fragen sich viele BürgerInnen: wer ist Ralph Brinkhaus und wofür steht er?

Dieser Artikel der FAZ-Wirtschaft beschreibt ihn als einen „konservativen Revolutionär“. Das erinnert mich zuerst bitter an Dobrindts Forderungen aus dem März diesen Jahres nach einer „konservativen Revolution“ (ein Begriff, der zuletzt im DLF analysiert wurde). Weiter wird Brinkhaus (50) hier als selbstbewusst, präziser Redner, als Steuerexperte und ein Mann mit scharfem ökonomischen Verstand geschildert.

Langjährige Beobachter in Berlin erinnert er zuweilen an Friedrich Merz.

Im Spätsommer hielt er eine programmatische Rede im Bundestag: es reiche nicht, auf Schulden zu achten, in Bildung zu investieren und Investitionen zu steigern. Die Zukunftsfrage sei der Zusammenhalt. Drei Aspekte hob er hervor: 1. Auch wenn die CDU nicht Freundin von „Umverteilung“ wäre, sei diese notwendig, 2. das Baukinder-Geld sei ein Zeichen an die Mitte der Gesellschaft und 3. die Wichtigkeit der Förderung des ländlichen Raumes. Nicht zu vergessen ist jedoch auch sein Auftreten zu Europa, welches hauptsächlich durch Negation gekenntzeichnet zu sein scheint:

Kein Umbau des europäischen Stabilitätsmechanismus zu einem weiteren EU-Finanztopf, kein vorschneller Rückgriff auf diesen Krisenfonds bei Bankenabwicklungen, keine gemeinsame Einlagensicherung.

Zudem seine scharfe Kritik an den Europa-Vorschlägen des französischen Präsidenten Emmanuel Macrons. Nun nun? Gibt es künftig mehr Merz und weniger Merkel?

Wer hofft, dass nun die Koalition einen völlig anderen Kurs nehmen könnte, dürfte sich täuschen. Brinkhaus hat sich zumeist koalitionstreu gezeigt und mit der Mehrheit gestimmt – auch wenn zuweilen zähneknirschend wie bei der Rente mit 63 und Mütterrente in der vergangenen Legislaturperiode.

Einen Revolutionär würde ich ihn nach diesem Artikel nicht nennen. Einen Konservativen aber bestimmt.

„Social Credit“ in China: Big brother is watching you

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Bernd Oswald

Privatsphäre ist in China fast so etwas wie ein Fremdwort. Ihr – zumindest in der westlichen Welt verbreitetes – Image als Überwachungsstaat festigt die Volksrepublik mit dem „Social Scoring“-System, das die Chinesen im öffentlichen Raum komplett mit Videokameras überwacht, dabei die Gesichter scannt und für jede Handlung Punkte verteilt: Pluspunkte gibt es für Handlungen, die dem Regime gefallen, wie zum Beispiel Windeln kaufen. Minuspunkte gibt es für Handlungen, die dem Regime missfallen, wie Treffen mit Regimekritikern.

Der australische Fernsehsender ABC veranschaulicht dieses System an zwei Beispielen: Der regimetreuen Dandan, die mit einem Staatsbediensteten verheiratet ist und dem investigativen Journalisten Liu Hu, dessen Berichterstattung dem Staat ein Dorn im Auge ist. Besonders beeindruckend sind die Videosequenzen mit Dandan, in denen sie in mehreren Alltagsszenen gefilmt wird und sich ihr „Social Score“ sozusagen live verändert.

Ich vermute stark, dass das „Score-Fenster“ eine Montage des Fernsehsenders ist. Die Montage trägt aber stark zur Veranschaulichung, was das System wie bewertet, bei. Vom „Social Score“ kann ein ganzes Leben abhängen: Welche Ausbildung und welchen Job man bekommt – oder eben nicht. Noch ist das System in der Erprobungsphase, aber 2020 soll es tatsächlich starten. Wenn es wirklich so kommt, war der Satz „Big brother is watching you“ noch nie so zutreffend.

20 Jahre Google – „Impressionen aus einer Welt voller Abhängigkeiten“

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Jörn Klare

Anlässlich des 20. Geburtstags von Google lässt die SZ eine ganze Reihe von Autoren einzelne Fragen zur „unheimlichen Macht“ des Konzerns beantworten, wobei das schön aufbereitete aber auch kostenpflichtige Ergebnis einen insgesamt eher launig kritischen Eindruck vermittelt.

Interessant ist es dennoch, wenn man beispielsweise erfährt, dass eine einzige der täglich etwa 5,5 Milliarden Suchanfragen mehr Rechenleistung verbraucht als alle Raumfahrtmissionen des Apollo-Programmes zusammen, dass der gesamte Konzern im Jahr weltweit so viel Strom verbraucht wie die Stadt Köln, inklusive des WDR, der Ford-Werke und verschiedener Chemiekonzerne, oder dass sich etwa 90% aller weltweit existierenden Nacktmullen im Besitz von Google befinden, weil sich an den etwa in der Molekularbiologie sehr begehrten Tiere ganz besonders gut an den Voraussetzungen für ein ewiges Leben forschen lässt.

Auch ist es durchaus beeindruckend, einen Einblick in die „Kultur des Scheiterns“ zu bekommen, wobei es bei Google Belohnungen dafür geben soll, eine Idee gegen die Wand zu fahren, was eine unvoreingenommene Forschung zu beflügeln scheint:

Sie haben mal überlegt, einen Aufzug ins Weltall zu bauen (funktioniert nicht), Treibstoff aus Meerwasser zu gewinnen (zu teuer) und Kontaktlinsen zu entwerfen, mit denen sich der Glukosespiegel von Diabetespatienten messen lässt (funktioniert).

Und doch scheint mir bei allen weiteren Informationen wie etwa zur Verdrängung von Wettbewerbern oder dem nachlassenden Orientierungsvermögen bei der vermehrten Nutzung von Google Maps der Hinweis von Georg Milzner – Psychologe und Autor verschiedener Bücher zur Digitalisierung – am wertvollsten:

Ich google auch, aber um mich umfassender zu informieren, suche ich auch mit Qwant oder Duckduckgo. Kann ich nur empfehlen, weil die Ergebnisse sich oftmals unterscheiden.

Also:

Qwant!

Duckduckgo!

Revisited: Als die Welt vor Japan zitterte

piqer:
Fabian Peltsch

In den 80er Jahren griff im Westen die Japan-Angst um sich. „Europa kommt unter die Räder“ titelte der Spiegel 1980. Japans Arbeiter seien „so diszipliniert wie die Roboter“, ihre Produkte „überschwemmen die Weltmärkte.“ „Die fressen uns auf mit Haut und Haaren“ klagte Henry Ford II, als Toyota seine Firma rechts überholte.

Die Angst vor der „gelben Gefahr“ schlug sich auch filmisch nieder: Blade Runner ist mit seiner japanischen Hochhausreklame nur eine von vielen Dystopien, die damals lustvoll auf der Furcht vor der japanischen Weltherrschaft herumritten. Die Japaner werden „selbstbewusster und arroganter“, urteilte Tiziano Terzani 1987. Alles erstaunliche Parallelen zu der Art, wie heute über China berichtet wird, vom Vorwurf, den Westen nur zu kopieren bis hin zur ameisenartigen Gesellschaft, der man zwar moralisch überlegen sei, mit der man es aber gerade deswegen nicht aufnehmen könne. „Tod durch China“ heißt nicht umsonst der Bestseller, dem Peter Navarro seinen Posten als US-Handelsberater verdankt.

Dabei gab es schon damals, lange bevor Japan in eine (teils hämisch kommentierte) Rezession rutschte, auch ausgewogene Stimmen. Besonders beeindruckend ist ein Text des Futurologen Alvin Toffler, der 1982 die „unüberwindliche, arbeitsbesessene, monolithische Gesellschaft Japans“ als „Karikatur“ entlarvte:

Das neue Bild von Japan als einem unbesiegbaren Superstaat ist allzu simpel und zudem gefährlich. Denn der Mythos vom japanischen Superstaat heizt das Schlimmste in uns an – Ultranationalismus und Militarismus in Japan sowie einen neuen Rassismus in den USA und Westeuropa.

Viele Prophezeiungen über die Japan-Gefahr wirken aus heutiger Sicht geradezu hysterisch. Nicht nur für Journalisten hält Tofflers Text deshalb eine wichtige Lektion bereit: Wir würden besser daran tun, uns auf den historischen Wandel vorzubereiten, als den Tod unserer Industrien irgendeinem mythischen Japan anzulasten. Niemand hat ein gebrauchsfertiges Modell der Zukunft.“