In den „Fremden Federn“ stellen wir einmal pro Woche in Kooperation mit dem Kuratorendienst piqd eine Auswahl von lesenswerten journalistischen Fundstücken mit wirtschaftspolitischem Bezug zusammen. piqd versteht sich als eine „Programmzeitung für guten Journalismus“ – was relevant ist, bestimmen keine reichweitenoptimierten Algorithmen, sondern ausschließlich ausgewählte Fachjournalisten, Wissenschaftler und andere Experten.
Von der „Geo-Politik“ zur „Geo-Wirtschaftspolitik“?
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Jürgen Klute
Alexander Stubb, der ehemalige finnische Ministerpräsident sowie Minister für Finanzen und Auswärtige Angelegenheiten und Europapolitiker, hat in diesem Interview mit Euractiv seine Vorstellung von der zukünftigen globalen Rolle der Europäischen Union skizziert.
Im Zentrum seiner Perspektive einer zukünftigen EU stehen die Wirtschaftspolitik und die EU-Gesetzgebung. Stubb geht davon aus, dass Geo-Politik heute viel stärker ökonomisch geprägt ist als in der Vergangenheit. Das gäbe der EU „die Möglichkeit, bei wichtigen Themen wie Handel, Regulierung und Wettbewerbspolitik mitzumischen“.
In dem Interview macht Stubb fünf konkrete Vorschläge, wie die EU sich „geo-wirtschaftspolitisch“ wirkungsvoll aufstellen könnte und sollte.
Voraussetzung dafür ist aus Stubbs Sicht, dass die EU als eigenständige politische Handlungs- und Entscheidungsebene autonomer wird, also unabhängiger von den EU-Mitgliedsländern.
Ob es der EU tatsächlich gelingen kann, Wirtschaftspolitik stärker zu einem politischem Machtinstrument auf globaler Ebene auszubauen, ist jedoch fraglich. Ebenso stellt sich die Frage, wozu die EU gegebenenfalls ein solches neues globales Machtinstrument nutzen will.
Als relevanter Beitrag zur laufenden Debatte um die Zukunft der Europäischen Union sollten diese Überlegungen von Alexander Stubb allerdings zur Kenntnis genommen werden.
Die Macht der Pharmaunternehmen
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Gabriel Koraus
Diese Doku auf Arte beschreibt die Pharmaindustrie als profitkalkulierendes Agglomerat einiger weniger Unternehmen, die bereit sind, das sowieso schon dezimierte Wohl erkrankter Menschen über die Grenzen des Legalen hinaus aufs Spiel zu setzen, um ihren internen Leistungsbilanz-Maximen gerecht zu werden.
Die Marktmonopolisierung durch einzelne Unternehmen in mittlerweile unzähligen Branchen ist die womöglich größte Bedrohung unserer Gesellschaft, in der ein friedliches und konstruktives Miteinander aufgrund stetig zunehmender Ungleichheiten immer schwieriger wird.
Amazon, Google oder Facebook fallen einem schnell ein, bei BASF, ArcelorMittal, Nestlé, Unilever und Co. muss auch keiner mehr lange überlegen und Big Player wie die Groupe Bolloré und Lafargeholcim werden zunehmend häufiger erwähnt. Und eben Novartis, Bayer, Pfizer, Johnson&Johnson und Co.. Umso größer, umso unkontrollierbarer, umso ungerechter.
Es wird Zeit, dieses Problem „freiheitlicher Marktmechnanismen“ stärker in den Fokus zu nehmen, ohne gleich als Kommunist gebrandmarkt zu werden.
Chinas neue Klimaziele: Durchbruch in der Klimadiplomatie
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Daniela Becker
Ein besonders oft von Klimaschutz-Gegnern vorgebrachtes Argument ist: „Aber China!“ Solange China, der aktuell größte Treibhausgasemittent, sich nicht zu Klimaschutz verpflichte, brächten alle Maßnahmen nichts, so deren Logik. Dahinter steht vor allem die Furcht, wirtschaftlich abgehängt zu werden, wenn China ohne Rücksicht auf Emissionen weiter produziert wie bisher.
China ist in Sachen Klimaschutz tatsächlich ein zweischneidiges Schwert: Einerseits hat das riesige Land beim Ausbau der Erneuerbaren erheblich zugelegt und durchläuft bei der Entwicklung von Batteriespeichern und Elektromobilität rasante Fortschritte. Gleichzeitig baut China immer noch jede Menge Kohlekraftwerke und investiert in eben solche auch in Afrika.
Im Rahmen des Pariser Weltklimaabkommens hatte China bisher lediglich zugesagt, dass die Emissionen „um 2030“ ihren Höhepunkt erreichen und dann zurückgehen sollten. Nun hat China überraschend ambitioniertere CO2-Ziele angekündigt. Der „Peak“ der Emissionen ist demnach vor 2030 geplant.
Die EU hatte China vor gut einer Woche gedrängt, das Ziel Klimaneutralität möglichst bis 2050, aber spätestens bis 2060 zu erreichen und den Emissions-„Peak“ schon für 2025 anzustreben. Dazu gab es auch ein Telefonat von Kommissionschefin Ursula von der Leyen und Bundeskanzlerin Angela Merkel mit Xi. Die beiden Politikerinnen informierten ihn darin auch über den EU-Plan, das eigene Klimaziel für 2030 deutlich anzuheben – von minus 40 Prozent auf mindestens minus 55 Prozent CO2 im Vergleich zum Basisjahr 1990. Die EU hat als Ziel für eine CO2-Neutralität das Jahr 2050 ausgegeben. Deutschland national ebenso.
Die neue Ankündigung bedeutet nun, dass Peking seine Klimaschutz-Pläne überarbeiten muss. Staatschef Xi Jinping versprach, China werde seinen nationalen Paris-Beitrag erhöhen, indem es „energischere Maßnahmen“ ergreifen werde.
Ob China dafür große Kraftanstrengungen unternehmen muss, sei mal dahingestellt. Experten hatten ohnehin damit gerechnet, dass China den „Peak“ vorzeitig erfüllen könnte. Denn Chinas Emissionen waren Mitte des letzten Jahrzehnts einige Jahre lang nicht mehr gestiegen, sie legten dann bis zum Corona-Einschnitt aber wieder zu.
Es ist aber in jedem Fall eine Ankündigung von großer Symbolkraft, denn es nimmt der Bremser-Fraktion à la „Aber China!“ einen Großteil der Argumente. Und es isoliert den zweiten großen globalen Bremser: Die USA. Präsident Donald Trump hatte angekündigt, aus dem Paris-Abkommen auszusteigen.
Klimaschützer lobten Xis Ankündigung als wichtigen Fortschritt. Germanwatch-Experte Lutz Weischer sagte: „Das ist ein Durchbruch in der internationalen Klimadiplomatie.“ Er wertete Pekings Schritt auch als Erfolg der EU-Bemühungen für ambitioniertere CO2-Ziele. „Ohne den Vorschlag der EU-Kommission, das europäische Klimaziel für 2030 auf mindestens minus 55 Prozent zu erhöhen, wäre China nicht zu bewegen gewesen“, sagte er. Nun entstehe eine „Dynamik nach oben“.
Ein kleiner Schritt nach vorne also, aber: Die neuen Ziele der EU und Chinas langen nicht, um den Temperaturanstieg auf 1,5 Grad zu begrenzen, was unter Klimaforschern als Sicherheitslinie vor einem nicht mehr beherrschbaren Klimawandel gilt.
Warum die Fixierung auf das 1,5-Grad-Ziel gefährlich ist
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Ralph Diermann
Das 1,5-Grad-Ziel stellt taz-Redakteur Malte Kreutzfeldt grundsätzlich nicht in Frage – wohl aber die Fixierung darauf in der politischen Debatte. Denn dieses Ziel verlangt solch schnelle, radikale Veränderungen, dass es praktisch unerreichbar ist, schreibt Kreutzfeldt in einem Kommentar, über den es sich zu diskutieren lohnt.
Der Autor fürchtet ein Scheitern mit Ansage – was dazu führen könnte, dass sich der Eindruck festsetzt: Wenn wir das Klimaziel nicht erreichen, ist ohnehin alles egal. Damit werde es schwer, zu vermitteln, dass es sich auch lohnt, für eine Begrenzung der Erderwärmung auf 1,7 oder 2,1 Grad zu kämpfen.
Außerdem nimmt man sich mit der Fixierung auf das 1,5-Grad-Ziel die Möglichkeit, Klimaschutz-Erfolge zu feiern. Kreutzfeld nennt hier als Beispiele das Ziel der EU-Kommission, die Emissionen bis 2030 um 55, statt wie bislang anvisiert um 40, Prozent zu reduzieren, und die schwindende Rentabilität der Kohlekraftwerke durch den CO2-Zertifikatehandel. Solche Fortschritte nicht anzuerkennen sei politisch kontraproduktiv:
Denn wenn es bei der Empörung auf der Straße keinen Unterschied macht, ob Rückschritte, Stagnation oder zu kleine Fortschritte beschlossen werden, ist das auch entmutigend für jene, die innerhalb der Regierung um solche Verbesserungen ringen. Eine erfolgreiche Klimapolitik braucht darum beides: große Ziele und scharfe Kritik – aber auch einen Blick für kleine Erfolge.
Kreutzfeldt wendet sich mit seiner Argumentation vor allem gegen Fridays for Future. Luisa Neubauer reagiert auf Twitter auf die Kritik: „Wüsste jetzt nicht genau, wie man den Kindern erklären möchte, dass man das ((das 1,5-Grad-Ziel)) aufgegeben hat, damit es mehr zu ‚feiern’ gibt.“
Nachhaltiger Konsum reicht nicht – wir brauchen strikte Gesetze
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Simon Hurtz
Links neben dem Essay, den ich piqe, wirbt ein Banner für eine große deutsche Fluggesellschaft. In der rechten Seitenspalte will mir eine Anzeige fair produzierte Bio-Mode nahebringen.
Die Werbung passt perfekt zum Thema, das Ana Grujić anspricht: Kann ich mit meinen individuellen Konsumentscheidungen die Klimakrise stoppen und den Planeten retten? Reicht es, wenn wir alle auf Langstreckenflüge verzichten und nachhaltig shoppen?
Grujić beschreibt einen Trend, den ich in meinem Umfeld auch wahrnehme:
Zahnbürsten aus Bambus statt Plastik, den Coffee to go im mitgebrachten Becher, Avocados aus fairem Anbau: Wenn wir nur richtig konsumieren, dann retten wir die Umwelt. So lautet der Konsens in meiner Umgebung und im politischen Feuilleton.
Ihrer Meinung nach reicht das hinten und vorne nicht. Immer mehr Menschen kaufen bio, regional und saisonal – trotzdem steigen die Temperaturen, während Gletscher und Polkappen schmelzen. Die Klimakrise verwandelt sich vor unseren Augen in eine Klimakatastrophe, und mit jedem Jahr, das vergeht, werden die Auswirkungen deutlicher sichtbar.
Grujić hält es für zynisch, so zu tun, als läge die Lösung in bewussterem Konsum. Menschen verlören sich in Kleinstdiskussionen, ob denn nun Biotomaten aus Spanien besser für die Umwelt sind als die konventionellen aus Hintertupfing. Sie will weder Einkaufstipps noch Life-Hacks oder Empfehlungen für nachhaltige Produkte – sondern:
Ich will Umweltgesetze, die so streng sind, dass die Vorstände von Konzernen wie Shell oder Gazprom die Entwicklung nicht weiter ignorieren können, weil sie ihr Unternehmen umbauen müssen. Ich will Standards und Richtlinien, die es Firmen unmöglich machen, unsere Umwelt für ihren Profit zu zerstören.
Das stimmt: Ohne strikte Regulierung inklusive strenger Vorgaben und Strafen, die auch Milliardenkonzernen weh tun, wird sich die Klimakrise nicht aufhalten lassen. Dies herauszuarbeiten und immer wieder zu betonen, finde ich wichtig. Deshalb empfehle ich Grujićs Essay und schließe mich ihrer Forderung an (gekürzt und gegendert):
Konzentrieren Sie sich auf die Hebel, die die größte Wirkung haben. Sie können etwa ihren Politikerïnnen schreiben. Viele haben auch Sprechstunden. Rufen Sie sie an. Diese Staatsdienerïnnen sind quasi die wahren Influencerïnnen. Seien Sie lästig, seien Sie unbequem – an den richtigen Stellen. Das alles ist weniger Instagram-tauglich als ein neuer Pulli aus Biowolle. Aber es ist effektiver.
Nur eine Sache sehe ich anders: Ich glaube, dass auch individuelle Entscheidungen einen wichtigen Beitrag zum Klimaschutz leisten können. Vor allem bin ich überzeugt, dass sie den Druck auf Unternehmen und Politikerïnnen erhöhen.
Wenn immer mehr Menschen immer seltener fliegen, müssen Fluggesellschaften Umdenken. Wenn sie im Herbst regionale Äpfel statt Flugananas kaufen, stellen große Supermärkte ihr Sortiment um. Wenn sie aufhören, mit ihren SUVs die Innenstädte zu blockieren, kommt vielleicht auch bei deutschen Autoherstellern an, dass die Zukunft nicht in Dickschiffen mit Verbrennungsmotor liegt.
Deshalb: Ich hoffe, dass möglichst viele Menschen Instagram-taugliche Pullis aus Biowolle kaufen – aber gleichzeitig wissen, dass sie damit höchstens einen kleinen Beitrag leisten, damit auch unsere Kinder eine Erde haben, auf der sie leben können.
Hellsichtige congratulations zu dreißig Jahren German reunification
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Ulrich Krökel
An den 3. Oktober 1990 erinnere ich mich recht gut. In Kiel, wo ich damals studierte, war es ein sonniger Frühherbsttag. Ich war zu Besuch bei einer Freundin, deren Mutter aus England stammte. Mit ihrem typischen Akzent gratulierte sie mir warmly zur Wiedervereinigung. Da werde doch world history geschrieben an diesem Tag! Mit 22 Jahren habe ich das damals nicht recht verstanden. Jedenfalls war mir nicht nach Feiern zumute. Mir war dieser nationale deutsche Zusammenschluss im Herzen Europas doch eher suspekt, und das blieb auch noch eine ganze Weile so.
Inzwischen bin ich mit der deutschen Einheit im Reinen. Dennoch habe ich mich dabei ertappt, wie ich bei der Lektüre von Timothy Garton Ashs Lobeshymne auf das zeitgenössische Deutschland, die ich hier empfehlen möchte, schmunzelnd den Kopf schütteln musste. Wieder ein Engländer, der da gratuliert! Und wieder kann ich die Begeisterung nicht recht verstehen. Aber so ist das ja oft mit den Außenansichten. Das Kleinklein der Innenpolitik spielt da keine Rolle. Auch Ash folgt im Guardian lieber den großen Linien:
The last three decades have been the best in all that long and complicated history. If you can think of a better period for the majority of Germans, and their relations with most of their neighbours, I’d be glad to learn of it. In today’s world, roiled by populism, fanaticism and authoritarianism, the Federal Republic is a beacon of stability, civility and moderation – qualities personified by Chancellor Angela Merkel.
Natürlich möchte man sofort motzen, dass es das doch wohl nicht sein kann: ein in die Jahre gekommener Merkelismus als non plus ultra der deutschen Geschichte. Geht’s noch? Aber ich lade an dieser Stelle gern alle Leser*innen ein, sich die Ash-Aufgabe noch einmal vorzunehmen und nach „a better period for the majority of Germans“ und für die Nachbarn in Europa zu suchen.
Aber vielleicht sollte man sich damit auch gar nicht zu lange aufhalten. Denn Ash sagt sehr richtig, dass „the national and regional challenges that Germany has faced over the last 30 years pale in comparison with the global ones it will face over the next 30“. Der längere zweite Teil seines Textes zeigt eindringlich, wie fragil die Lage des vereinten Deutschlands im Jahr 2020 ist. Nicht wegen des inneren Zustands, sondern weil die world history derzeit so enorme Herausforderungen bereithält:
If Trump wins a second term, all bets are off. […] Then Europe would be compelled to fend for itself on security, a task for which it is still ill equipped. But if Joe Biden becomes president, the US can return to being an indispensable proponent of the liberal international order on which Germany depends more than anyone. In this sense, the next important date in German history is not 3 October, which is just a nice anniversary, but 3 November, which will see probably the most crucial US election in the history of the modern transatlantic west.
Eine Abschätzung der wahren Verbreitung von Covid-19
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Hristio Boytchev
Die Berichterstattung des „Economist“ über die Covid-19-Krise gehört zu den absolut besten. Unaufgeregt, sachlich und verständlich beschreibt die Zeitschrift komplexe Zusammenhänge. In diesem detaillierten Briefing hat die Redaktion eigene Rechnungen angestellt, um die wahre Verbreitung der Krankheit abzuschätzen. Für den Text ist eine kostenlose Registrierung nötig, einige der Highlights gibt es in diesem Twitter-Thread. Die Autor*innen kommen etwa auf zwanzigmal mehr tatsächliche als erfasste Infektionen weltweit. Vorbildlich: Daten und Code der Rechnungen sind hier veröffentlicht.
Den Langzeitfolgen des Homeoffices konstruktiv begegnen
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Anja C. Wagner
Ist es problematisch, wenn sich Angestellte im mobilen Modus mittel- bis langfristig voneinander entfremden und keine Lust mehr haben, neben den notwendigen Videokonferenzen nun auch noch regelmäßige Socializing-Meetings zu absolvieren?
Jessica Powell berichtet von der wachsenden Entfremdung der Angestellten untereinander, aber auch gegenüber ihren Unternehmen. Zudem erkennen immer mehr Menschen, dass es im Homeoffice keiner „9-to-5“-Rhythmik mehr braucht, sondern dass es okay ist, privates mit beruflichem Leben flexibel zu mixen.
Solange die Personen wissen, was sie bis wann zu erledigen haben, steht dem grundsätzlich nichts entgegen. Außer eben die horizontale Mobilität auf beiden Seiten: Angestellte sind vielleicht eher bereit zu wechseln. Und Arbeitgeber tun sich leichter, Menschen zu feuern. (In den USA wird dies ja eher laxer gehandhabt als hierzulande.)
Aber wie könnte man dieser Unverbindlichkeit als Unternehmen besser entgegensteuern? Dort gab es ja auch bislang oft kostenlosen Kaffee, Obst oder sonstige Annehmlichkeiten.
Unternehmen könnten sich auf das Wohlergehen der Mitarbeiter aus der Ferne konzentrieren und Vergünstigungen anbieten, die den Mitarbeitern helfen würden, zu Hause zu gedeihen. Haben Menschen in heißen Klimazonen Zugang zu einer Klimaanlage? Hat jeder die Ausrüstung, die er braucht? Wie können Unternehmen die psychische Gesundheit eines Mitarbeiters unterstützen, jetzt, da die meisten Interaktionen über einen Bildschirm vermittelt werden? Würden einige Mitarbeiter kooperative Hubs bevorzugen – eine leichtere Version des traditionellen Büros? Und vielleicht werden Unternehmen endlich überlegen, ob Eltern eine angemessene Kinderbetreuung haben?
Der sich abzuzeichnenden herbstlichen Isolation in den diversen Homeoffices etwas konstruktiv entgegenzustellen und das tägliche Leben transformativ mit dem Berufsleben zu verzahnen: Das ist die Herausforderung der nächsten Zeit!
Kohls Schwarze Kassen – ein Doku-Thriller
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Michael Hirsch
Die vor drei Jahren erstmals im Fernsehen ausgestrahlte Dokumentation Bimbes über Kohls Schwarze Kassen behandelt ein Schlüsselkapitel in der Geschichte der BRD: die Vorgeschichte der Machtübernahme der CDU im Jahr 1982. Es handelt sich um ein Meisterwerk politischer Aufklärung, das jede Staatsbürgerin und jeder Staatsbürger gesehen haben muss.
Als Zuschauer sehen wir einen atemberaubenden Doku-Thriller. Zwar ist allgemein bekannt, dass die CDU unter Kohl jahrzehntelang Schwarze Kassen zur illegalen Parteienfinanzierung führte. Doch das Ausmaß, die Systematik und die verbrecherische Dreistigkeit dieser organisierten politischen Kriminalität ist vielen noch immer nicht deutlich. Man muss davon ausgehen, dass der Machtübergang von der Sozial- zur Christdemokratie in den frühen 1980er Jahren nicht unwesentlich durch ein systematisches Netzwerk aus illegalen Parteispenden und Geldwäsche ermöglicht wurde, im Wesentlichen bestehend aus dem Flick-Konzern und der CDU.
Allein die Personalie Kurt Biedenkopf, der 1973 von seinem Posten in der Geschäftsführung des Henkel-Konzerns abgeworben und als Generalsekretär der CDU zum Chefstrategien der Partei im Vorfeld der Rückeroberung der Macht wurde, schlug dabei mit mehreren Millionen D-Mark zu Buche: Die Differenz zwischen dem Gehalt des Generalsekretärs der Partei und dem Geschäftsführer von Henkel wurde jahrelang durch die Schwarzen Kassen gedeckelt.
In dieser Dokumentation können wir uns in die Urgeschichte der bundesrepublikanischen Gegenwart zurückversetzen: in ein entscheidendes Kapitel der neokonservativen Revolution der 1980er Jahre. Die Fahrlässigkeit, mit der Justiz, Steuer- und Zollbehörden zugelassen haben, dass von den 1970er bis in die 1990er Jahre hinein dreistellige Millionenbeträge, im Wesentlichen über eine dubiose gemeinnützige Koblenzer Bildungsstätte, gewaschen und der CDU zur Verfügung gestellt wurden, lässt den Betrachter fassungslos zurück. So viel Dreistigkeit hatte man dann vielleicht doch nicht erwartet von den Beziehungsnetzwerken aus Unternehmerschaft und CDU.
Das politisch Erschütternde an diesen Vorgängen ist denn auch eben dieser Grad an Unverschämtheit: Dass in den Augen dieser Kamarilla jedes Mittel recht war, um Deutschland vor der vermeintlichen roten Gefahr zu beschützen. Vor dem Hintergrund des immer noch virulenten fanatischen Anti-Kommunismus in Deutschland, und der immer noch weit verbreiteten Hufeisentheorie von der gleichen Gefahr für die Demokratie durch radikale Linke und Rechte, ist die Dokumentation Bimbes heute ein bedeutendes Stück von politischer Bildung und Demokratiearbeit.