Bidenomics

Warum Biden größere Chancen auf eine Wiederwahl hat, als viele denken

Die Amerikaner sehen sowohl die wirtschaftliche Lage als auch die Arbeit von Präsident Joe Biden sehr kritisch. Dennoch dürften die Demokraten mehr Grund für Optimismus haben, als die jüngsten Umfragen vermuten lassen.

Joe Biden kämpft gegen den Eindruck an, dass er die US-Wirtschaft nicht gut managt. In einer Rede in Maryland stellte der Präsident die Bidenomics den Trump’schen MAGAnomics gegenüber, die Steuersenkungen und Ausgabenkürzungen beinhalten würden. Er prangerte die Trickle-Down-Politik an, die „Arbeitsplätze ins Ausland verlagert, Gemeinden ausgehöhlt und steigende Defizite produziert“ habe.

Die Meinung der Wähler über die wirtschaftliche Lage zu ändern, ist eine der größten Herausforderungen für Biden im Vorfeld der Wahl 2024. Jüngste Umfragedaten zeigen, dass 63% der Amerikaner die wirtschaftliche Lage negativ bewerten, während 45% angaben, dass sich ihre finanzielle Situation in den letzten zwei Jahren verschlechtert hat. Auch mit Biden selbst sind die Wähler unzufrieden. In einer aktuellen CNN-Umfrage zeigten sich fast 75% der Befragten „ernsthaft“ besorgt über seine geistige und körperliche Leistungsfähigkeit. Sogar 60% der Demokraten und ihnen nahestehende Befragte waren „ernsthaft“ besorgt, dass er 2024 verlieren könnte.

Dies scheint eine große Chance für Donald Trump zu sein. Er ist bei den republikanischen Wählern der klare Favorit für die Nominierung, vorausgesetzt, die jüngsten Anklagen vereiteln seine Ambitionen nicht.

Trump gewann 2016, indem er aus der wirtschaftlichen Unzufriedenheit der Amerikaner Kapital schlug. Im Zuge der Globalisierung gingen zwischen 2000 und 2017 schätzungsweise 5,5 Millionen gut bezahlte, gewerkschaftlich organisierte Arbeitsplätze in der US-Industrie verloren. Der „Small-Government“-Ansatz seit den Tagen von Ronald Reagan verschärfte zudem die Ungleichheit, da nur die obersten 20% der Einkommensbezieher zwischen 1980 und 2016 einen Anstieg ihres Anteils an der Wirtschaftsleistung verzeichnen konnten.

Trump versprach, der Globalisierung den Rücken zu kehren und dem inländischen Wachstum und der Schaffung von Arbeitsplätzen Vorrang zu geben. Der Slogan „Make America Great Again“ kam bei vielen Wählern gut an, vor allem in den von der Produktion abhängigen Staaten wie Pennsylvania, Michigan und Wisconsin. Der Sieg in diesen „Rust Belt“-Staaten war entscheidend für Trumps Erfolg.

Diese Staaten werden auch 2024 wieder ein wichtiges Schlachtfeld sein, aber die wirtschaftliche Lage ist jetzt etwas anders. Die Demokraten dürften mehr Grund für Optimismus haben, als die jüngsten Umfragen vermuten lassen.

Was sind die Bidenomics?

Als Biden im Jahr 2020 gewann, erkannte auch er, dass die neoliberale Version des US-Kapitalismus die einfachen Amerikaner im Stich lässt. Seine Antwort, die er in seiner Rede in Maryland wiederholte, besteht darin, die Wirtschaft „von der Mitte aus und von unten nach oben“ wachsen zu lassen. Zu diesem Zweck stützen sich die Bidenomics auf drei Hauptpfeiler: intelligentere öffentliche Investitionen, Ausbau der Mittelschicht und Förderung des Wettbewerbs.

Was die Investitionen betrifft, so stellt Bidens Ansatz das Argument der Rechten, dass eine Erhöhung der öffentlichen Investitionen effizientere private Investitionen „verdrängt“, grundlegend in Frage. Die Bidenomics argumentieren, dass gezielte öffentliche Investitionen private Investitionen freisetzen und so gut bezahlte Arbeitsplätze und Wachstum schaffen.

Der Inflation Reduction Act (IRA) aus dem Jahr 2022 hat dazu beigetragen, dass sich die Investitionsausgaben in den USA wieder ihrem langfristigen Trend angenähert haben, auch wenn es noch ein weiter Weg ist. Was jedoch wirklich auffällt, ist der Fokus auf die grüne Wirtschaft.

Investitionen in den USA in % des BIP

Quelle: CEIC

Fast 80% der gesamten IRA-Ausgaben in Höhe von 485 Milliarden US-Dollar sind für Investitionen in die Energiesicherheit und den Klimawandel bestimmt, die durch Steuergutschriften, Subventionen und Anreize gefördert werden. Und ein großer Teil der angekündigten Investitionen für die Herstellung von Elektroautos, Batterien und Solarzellen sowie in den Abbau lebenswichtiger Rohstoffe wie Kobalt und Lithium fließt in den Rust Belt.

Bidens „Chips Act“ von 2022 sieht Investitionen in Höhe von 280 Milliarden US-Dollar vor, um die Unabhängigkeit der USA bei Halbleitern zu stärken. Mit beiden Gesetzen, die inländische Investitionen unterstützen, akzeptiert die Bidens Strategie Trumps Standpunkt, dass die Globalisierung die amerikanischen Arbeiter im Stich gelassen habe. Unterstützt wird dies durch andere protektionistische Maßnahmen wie Bidens „Buy American“-Politik.

Eine ganze Reihe von Maßnahmen zielt darauf ab, die Mittelschicht zu stärken. Dazu gehören die Verbesserung der Möglichkeiten der Arbeitnehmer, Tarifverhandlungen zu führen, und die Anhebung der Höchstverdienstgrenze für Arbeitnehmer, die Anspruch auf Überstundenzuschläge haben, von 35.000 auf 55.000 US-Dollar – was 3,6 Millionen weitere Arbeitnehmer einschließt. Zur Förderung des Wettbewerbs sollen Arbeitgebern Wettbewerbsverbote in Arbeitsverträgen untersagt werden.

Die bisherigen Resultate

Es ist noch zu früh, um diese Maßnahmen abschließend zu bewerten. Aber die US-Wirtschaft hat sich unter Biden relativ beeindruckend entwickelt. Es wurden mehr als 13 Millionen neue Arbeitsplätze geschaffen, obwohl ein Großteil davon wohl auf Arbeitnehmer zurückzuführen ist, die nach der Pandemie wieder eine Beschäftigung aufgenommen haben. Die Arbeitslosigkeit liegt unter 4% und damit auf einem 50-Jahres-Tief, was allerdings dem entspricht, was Trump vor Covid erreicht hatte.

US-Arbeitsplätze insgesamt

Quelle: FRED

Der IWF sagt voraus, dass die US-Wirtschaft im Jahr 2023 um 1,8 % wachsen wird – das wäre das stärkste Wachstum unter den G7-Staaten. Die USA haben auch die niedrigste Inflationsrate dieser Gruppe, obwohl sie zuletzt im August wieder gestiegen ist. Bei der genau beobachteten Kerninflation, die Lebensmittel und Energie ausschließt, liegen die USA im Mittelfeld, verbessern sich allerdings.

Das Budgetdefizit, die jährliche Differenz zwischen Einnahmen und Ausgaben, geht hingegen in die falsche Richtung. Es hat sich unter Trump verschlechtert, ist während der Pandemie in die Höhe geschnellt, hat sich dann teilweise wieder verringert, wird sich aber den Prognosen zufolge bis 2023 auf 5,9% des BIP oder etwa zwei Billionen US-Dollar ausweiten.

US-Budgetdefizit im Zeitverlauf

Quelle: FRED

Die Rating-Agentur Fitch stufte die Kreditwürdigkeit der USA kürzlich von AAA auf AA+ herab. Fitch ist der Auffassung, dass sich die öffentlichen Finanzen der USA in den nächsten drei Jahren verschlechtern werden, weil das Wachstum nachlässt und die Ausgaben steigen, und weil die endlosen politischen Kämpfe um die US-Schuldengrenze das Vertrauen untergraben haben. Allerdings haben die anderen großen Rating-Agenturen keine ähnlichen Herabstufungen vorgenommen, und das wachsende Defizit ist größtenteils nicht auf die Bidenomics zurückzuführen. Die Steuereinnahmen sind erheblich gesunken, weil die Marktlage für Investoren weniger günstig war, während die steigenden Zinsen die Zinslast erhöhten.

Insgesamt bewegen sich die ökonomischen Indikatoren wohl in die richtige Richtung. In einem Artikel, der von Jeffrey Sonnefeld, Wirtschaftsprofessor an der Yale University und früherer Berater demokratischer und republikanischer Regierungen, mitverfasst wurde, werden die Bidenomics mit dem New Deal von Präsident Franklin D. Roosevelt verglichen. Das Argument:

„Die US-Wirtschaft schafft jetzt das, was alle Experten für unmöglich hielten: starkes Wachstum und Rekordbeschäftigung inmitten einer drastisch gesunkenen Inflation … die Früchte des wirtschaftlichen Wohlstands sind allumfassend und breit gefächert, inmitten einer Renaissance der amerikanischen Produktion, Investitionen und Produktivität.“

Die Demokraten wissen, dass sie diese Argumente vorbringen müssen, um 2024 zu gewinnen. Es gibt Pläne, Bidens Rede in Maryland mit einer Werbekampagne in wichtigen Bundesstaaten zu flankieren. Natürlich könnte die Partei auch auf einen anderen Kandidaten setzen, wenn sie ihm größere Siegchancen einräumt – derzeit liegen Biden und Trump Kopf an Kopf.

Ein Trost für die Demokraten ist, dass die Niedergeschlagenheit der Wähler zum Teil mit den Zinssätzen zusammenhängt, die wahrscheinlich kurz vor ihrem Höhepunkt stehen. Jedenfalls sind die jüngsten Umfragen, die darauf hindeuten, dass die Wähler die Wirtschaft als das wichtigste Thema ansehen, eine gute Nachricht: Das bedeutet, dass die Bemühungen der Republikaner, den Wahlkampf auf den Kulturkampf zu verlagern, weniger wahrscheinlich zu einem Wahlsieg führen werden.

 

Zum Autor:

Conor O’Kane ist Senior Lecturer in Economics an der Bournemouth University.

Hinweis:
The Conversation
Dieser Artikel wurde zuerst von The Conversation in englischer Sprache veröffentlicht und von der Makronom-Redaktion unter Zustimmung von The Conversation und des Autors ins Deutsche übersetzt.