Analyse

Benötigt Europa tatsächlich mehr unternehmerische Freiheit?

Mehr unternehmerische Aktivität ist für viele Volkswirtschaften wünschenswert. Allerdings handelt es sich dabei und ein komplexes Phänomen, für das es keine „one size fits all“-Lösung gibt.

Siegerpokale und Rankings haben im Sport eine Daseinsberechtigung. Ökonomisch sollten sie mit Vorsicht behandelt werden. Foto: ImagineCup via Flickr (CC BY 2.0)

Egal ob bei den Olympischen Spielen, bei einem BIP-Länderranking oder bei jedem anderen globalen Ländervergleich – wir neigen dazu, uns zuerst die Performance des Landes anzuschauen, in dem wir leben oder mit dem wir auf andere Weise verbunden sind, in der Hoffnung, dass dieses Land im weltweiten Vergleich gut abgeschnitten hat. Rankings zum Grad der in verschiedenen Ländern vorherrschenden unternehmerischen Freiheit (Economic Freedom), wie sie von US-amerikanischen Thinktanks wie dem Fraser Institute oder der World Heritage Foundation herausgegebenen werden, rufen eine ähnliche Reaktion hervor.

Beide Listen legen den Schluss nahe, dass die meisten europäischen Länder mehr Anstrengungen unternehmen müssten, um einen höheren Grad an unternehmerischer Freiheit zu erreichen. So wird beispielsweise in der letzten Ausgabe des World Heritage Foundation’s Index of Economic Freedom mit der Schweiz nur ein europäisches Land als „vollständig frei“ klassifiziert. Alle anderen Länder könnten ihre unternehmerische Freiheit dagegen verbessern.

Unternehmerische Freiheit in Europa
silver-bullet-Europe-map-1024x640
Hinweis: Weitere Informationen finden Sie im ausführlichen Forschungspapier der Autoren.

Der Sieg in einer Sportarena stellt ohne Zweifel eine große Leistung dar und ist eine erstrebenswerte Sache. Aber können wir das Gleiche über das Bestreben sagen, die Goldmedaille für die unternehmerische Freiheit in einer Volkswirtschaft zu gewinnen? Legen die Ergebnisse des Rankings den Schluss nahe, dass wir in Europa ein ernsthaftes Problem haben, dass von der Politik angegangen werden muss?

Der Grad der wirtschaftlichen Freiheit ist in den OECD-Ländern bereits so hoch wie noch nie zuvor

Die Antwort lautet eher nein. Sicherlich haben frühere Forschungen einen generell positiven Effekt von unternehmerischer Freiheit auf Wachstum und Entwicklung im Allgemeinen und auf die unternehmerische Aktivität im Besonderen aufgezeigt. Allerdings ist der Grad der unternehmerischen Freiheit in den OECD-Ländern bereits so hoch wie noch nie zuvor in der modernen Geschichte.

Gleichzeitig reicht die Bandbreite der sich im Gründungsstadium befindlichen unternehmerischen Initiativen unter der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter in den innovationsgetriebenen Volkswirtschaften – wozu die meisten Volkswirtschaften der Europäischen Union zählen – laut dem Global Entrepreneurship Monitor von „sehr niedrig“ (z. B. in Italien) bis hin zu „bemerkenswert hoch“ (z. B. in den Niederlanden). Dies lässt vermuten, dass die Beziehung zwischen ökonomischer Freiheit und unternehmerischer Aktivität nicht so geradlinig ist, wie es einfache Rankings und monokausale Erklärungen nahelegen.

Der Begriff der unternehmerischen Freiheit umfasst gewöhnlich zahlreiche Elemente, wie das Ausmaß, zu dem die Rechtsstaatlichkeit gegenüber der Rechtsausübung durch Einzelpersonen dominiert, wie groß der staatliche Sektor und wie effizient die Regulierung ist, und wie offen Märkte sind. Insbesondere in Zeiten von wirtschaftlichen Krisen müssen Politiker wissen, wie sie den regulatorischen Rahmen konzipieren, um das Wachstum zu steigern. Unternehmerische Freiheit ist jedoch kein Patentrezept und es ist wichtig, die Auswirkungen von einzelnen Elementen der unternehmerischen Freiheit auf die angestrebten ökonomischen Ergebnisse zu verstehen.

Unser Vergleich von 63 OECD-Ländern quer durch verschiedene ökonomische Entwicklungsstufen hinweg zeigt, dass die Situation komplexer ist, als einfach nur die Spitzenposition im Ranking anzustreben. So erklärt beispielsweise in Griechenland oder Italien die vergleichsweise schwache Rechtsstaatlichkeit, warum es nur ein geringes Ausmaß an „gelegenheitsbedingten“ unternehmerischen Aktivitäten gibt.

Dabei ist diese unternehmerische Kategorie besonders erstrebenswert, da sie aus Gründern besteht, die sich deswegen für die Gründung eines Unternehmens entschieden haben, weil sie ein großes Potenzial identifizierten. Diese Startups sind häufig hoch innovativ, technologie-getrieben und könnten – in der besten aller Welten – den nächsten erfolgreichen Weltmarktführer hervorbringen. Konsequenterweise müssen Länder wie Griechenland oder Italien also bestrebt sein, ein höheres Ausmaß an unternehmerischer Freiheit besonders dadurch zu erreichen, dass sie für mehr Rechtssicherheit sorgen.

Anderseits begünstigt die Unterauslastung der rechtsstaatlichen Prinzipien in Kombination mit einer begrenzten Größe der Regierung ein hohes Ausmaß an durch Notwendigkeiten getriebener unternehmerischer Aktivität, wie es etwa in der Slowakei der Fall ist. Von Notwendigkeiten getriebene Unternehmer gründen Firmen, weil sie schlicht und ergreifend keine andere Möglichkeit haben, um ein vernünftiges Einkommen zu erwirtschaften. Somit ist dies eine weniger erstrebenswerte Form von Unternehmertum. Die Reduzierung unternehmerischer Freiheit durch die Ausweitung der Größe der Regierung mittels Initiativen, die günstigere Formen von Unternehmertum unterstützen, stünde zwar im Gegensatz zu extremen liberalen Positionen, hätten aber das Potenzial, erhebliche Wohlfahrtseffekte zu bringen.

Unternehmerische Aktivitäten sind ein komplexes Phänomen, für das es keine „one size fits all“-Lösung gibt

Diese zwei Beispiele illustrieren deutlich, dass es keinen Sinn macht, als einzige Maßnahme zur Stimulierung des Wachstums die unternehmerische Freiheit zu maximieren. Unternehmerische Aktivitäten sind ein komplexes Phänomen, für das es keine „one size fits all“-Lösung gibt. Stattdessen sollte die Politik ein angemessenes Ausmaß von unternehmerischer Freiheit herstellen und bewahren, sowie aufmerksam gegenüber Dingen sein, die diese Freiheit bedrohen – aber sich auch mit allen Mitteln einer unkritischen Maximierung widersetzen.

 

Zu den Autoren:

Andreas Kuckertz leitet das Fachgebiet Unternehmensgründungen und Unternehmertum (Entrepreneurship) an der Universität Hohenheim. Außerdem ist er Mitglied des Präsidiums des Förderkreis Gründungsforschung e.V. (FGF), der größten wissenschaftlichen Vereinigung im DACH-Raum zu den Themen Entrepreneurship, Innovation und Mittelstand. Elisabeth Berger ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Entrepreneurship-Fachgebiet der Uni Hohenheim.

Hinweis:

Die englische Originalfassung des Textes ist zuerst erschienen auf dem EUROPP-Blog der London School of Ecnomics and Political Science (LSE). Die Übersetzung erfolgte mit Genehmigung von EUROPP.