Austerität

Der IWF als Übertragungskanal für akademisches Wissen

Nach anfänglicher Unterstützung hat der Internationale Währungsfonds seine Position zur Austeritätspolitik revidiert – was nicht nur für Ökonomen sehr hilfreich war, sondern womöglich auch einen gewissen Einfluss auf die Politik der EU-Kommission hatte. Ein Kommentar von Simon Wren-Lewis.

Graffiti in Athen: Der IWF war in Sachen Austerität sehr wankelmütig. Foto: Aesthetics of crisis via Flickr (CC BY-NC-SA 2.0)

Auf meinem Blog habe ich kürzlich einen Beitrag zum „größten politischen Fehler des letzten Jahrzehnts“ geschrieben, womit natürlich die Austeritätspolitik gemeint war. Darin habe ich betont, wie irrelevant der akademische Konsens mit Blick auf die Austeritätspolitik ist, wenn Politiker nicht zuhören wollen. Dieses Bild war zwangsläufig ein sehr grobes.

So habe ich beispielsweise ein Element nicht diskutiert, das Teil des Übertragungsmechanismus für akademisches Wissen sein sollte, aber es nicht war – die europäischen Zentralbanken. Wie ich an anderer Stelle schon geschrieben habe, sind diese Zentralbanken voll mit Ökonomen, die hochmodernes makroökonomisches Wissen anwenden und somit eine Quelle für den akademischen Konsens sein sollten. Aber diese Zentralbanken sind sehr hierarchisch strukturiert, und wenn das Führungspersonal eine andere Botschaft verbreiten will, dann kann es das auch. In Europa lautete diese Botschaft: Austerität war notwendig. Und noch schlimmer: dass die Nullzinsgrenze die Fähigkeit der Zentralbanken, die Wirtschaft zu kontrollieren, nicht behindern würde.

Das war aus zwei Gründen ein schwerwiegender Fehler. Erstens richteten sich die Zentralbankchefs gegen das Wissen, das ihnen ihre eigenen ökonomischen Modelle und Analysen gaben. Zweitens war ihre Implikation, dass die Zinsuntergrenze nicht von Bedeutung sei, nicht nur ziemlich falsch, sondern ermutigte Politiker auch dazu, die Austeritätspolitik fortzusetzen.

Der IWF und die Austeritätspolitik

Aber es gab doch einen vielleicht überraschenden Kanal, über den der akademische Konsens durchbrach, und das war der Internationale Währungsfonds. Der IWF war in Sachen Austerität wankelmütig: Zunächst (also vor 2010) befürwortete er einen koordinierten fiskalischen Stimulus. Im Zuge der Eurokrise änderte er jedoch seine Sichtweise und befürwortete Austerität. Aber nicht lange.

Ich erinnere mich an einen Besuch beim IWF im September 2012, wo man mir von den empirischen Arbeiten des IWF-Chefvolkswirts Olivier Blanchard und seines Kollegen Daniel Leigh berichtete. Diese legten nahe, dass die Fiskalmultiplikatoren viel größer sein dürften, als es der Währungsfonds damals annahm. Für mich war das schön, weil sich eines meiner Gespräche darum drehte, warum die Multiplikatoren von einem theoretischen Standpunkt aus gesehen groß sein dürften, wenn sich die Zinsen an ihrer unteren Grenze befinden.

Das war nicht die einzige Arbeit des IWF, die die Argumentation zugunsten von Austeritätspolitik untergrub. Diese Analyse stellte das empirische Argument für expansive Austerität in Frage. IWF-Ökonomen zeigten zudem eindeutig, wie ungewöhnlich sich die Staatsausgaben nach der weltweiten Finanzkrise im Vergleich zu früheren Erholungsprozessen entwickelten: Austerität war ein zuvor unversuchtes Experiment und alles andere als die Norm. Tatsächlich kann man wohl sagen, dass der IWF die erste Anlaufstelle war, wenn man eine Quelle für empirische Analysen zu den Auswirkungen von Austeritätspolitik wollte.

Wie Ben Clift hier beschrieben hat, trieb der IWF auch Analysen voran, die zeigten, wie schlecht Ungleichheit, und vielleicht sogar große Finanzsektoren, für das Wachstum sind – nicht gerade das, was man vom IWF des letzten Jahrhunderts erwartet hätte. Aber Clift macht auch einen Punkt, den ich nach meinem Besuch ebenfalls betont habe: Der IWF ist extrem heterogen. Neben moderneren Sichtweisen zur Rolle der Fiskalpolitik findet man im Währungsfonds auch traditionelle fiskalpolitische Falken. Der IWF hat eine politisch geführte Hierarchie, aber der Unterschied ist, dass es heutzutage keine strenge Kontrolle darüber gibt, was von seinen Ökonomen veröffentlicht wird.

Beispielsweise hat der IWF ein Independent Evaluations Office (IEO), das anscheinend eher von Ökonomen als von Politikern geleitet wird und sich oftmals kritisch gegenüber den Praktiken des Fonds äußert. So veröffentlichte das IEO 2014 eine Analyse, die die Unterstützung des IWF für die Austeritätspolitik ab 2010 kritisierte. Der Bericht legte im Wesentlichen nahe, dass Teile des IWF angesichts der Eurokrise in Panik verfallen waren, wodurch die fiskalpolitischen Falken in der Institution die Oberhand gewannen. Außerdem erklärt er, warum diese Panik angesichts dessen, was wir inzwischen über die eurozonen-spezifischen Ursachen der Krise wissen, nicht gerechtfertigt war. Zusammen mit der Analyse von Blanchard und Leigh trug das IEO dazu bei, innerhalb des IWF das Blatt gegen den Glauben an die Tugendhaftigkeit der Austerität zu wenden.

Alle diese Arbeiten des IWF waren für Ökonomen wie mich, die damals gegen die Austerität argumentierten, zu dieser Zeit absolut hilfreich. Zwar haben sie die Politik in Großbritannien und die der US-Republikaner nicht verändert, weil diese Politik auf Ideologie basierte. Und ich bezweifle auch, dass sie in Deutschland viel Einfluss hatten. Aber man könnte vielleicht argumentieren, dass sie zumindest etwas Einfluss auf die EU-Kommission hatten, die ihre Linie aufgeweicht hat: Wenn man sich die OECD-Schätzungen für die Primärsalden anschaut, war 2013 das letzte Jahr, in dem es in der EU als Ganzes eine fiskalische Kontraktion gab.

 

Zum Autor:

Simon Wren-Lewis ist Professor für Wirtschaftspolitik an der Oxford University und Fellow am Merton College. Außerdem betreibt er den Blog Mainly Macro, wo dieser Beitrag zuerst in englischer Sprache erschienen ist.